Kindliche Plexusparese
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die kindliche Plexusparese ist eine Armlähmung, die Neugeborene betrifft. Sie entsteht durch eine Überdehnung, einen Einriss oder einen Ausriss von Nervenwurzeln bei der Geburt. Neben Physio- und Ergotherapie können mikrokonstruktive Maßnahmen in den ersten Lebensmonaten die Beweglichkeit und Sensibilität des betroffenen Arms wiederherstellen, wobei auch die intensive Betreuung der Eltern als therapeutische Maßnahme eine Rolle spielt.
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Was ist eine kindliche Plexusparese?
Unter der kindlichen Plexusparese versteht die Medizin eine infantile Lähmung des Arms, die während der Geburt durch eine Verletzung des Nervengeflechts entsteht. Infantile Armlähmungen sind verschieden stark ausgeprägt und schränken die Armbewegung damit in unterschiedlichem Maß ein.
Zeitgleich tritt eine mehr oder minder starke Störung der Armsensibilität auf. Abhängig von der Anzahl der betroffenen Nervenwurzeln kann eine kindliche Plexusparese entweder rückläufig sein oder bleibende Bewegungseinschränkungen beinhalten.
Ursachen
Solche Komplikationen liegen zum Beispiel vor, wenn sich die Schulter des Kindes verhakt und die Geburtshelfer extrem auf den Nacken des Babys einwirken müssen. Auch mechanische Geburtshilfen wie die Zange können eine kindliche Plexusparese aber begünstigen. Am häufigsten sind Kinder mit einem Geburtsgewicht über 4000 Gramm von der Erscheinung betroffen.
Auch Notfallsituationen wie eine Nabelschnurumschlingung während der Geburt können eine Einwirkung auf den Hals- und Nackenbereich erfordern und stehen daher ebenso häufig mit der infantilen Armlähmung in Verbindung. Seltener geht die Schädigung des Arms auf einen Kaiserschnitt oder einen Nervenwurzelausriss bei der Steißgeburt zurück.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Der Plexus brachialis liegt über dem Schlüsselbein und weist fünf Nervenwurzeln zu drei Nervenstämmen auf. So wird neben der Schulterbewegung auch die Beugung und Streckung des Ellenbogens gesteuert. Ebenso ist dieser Nervenkomplex für die Handbewegung und die Brustmuskelbewegung zuständig. Je nachdem, welche der fünf Nervenwurzeln von der Parese betroffen sind, liegt eine obere, mittlere oder eine komplette Plexusparese vor.
Die Stärke und die Lokalisation der Schädigung bestimmen die Symptome. Bei einer kompletten Plexusparese mit Nervenwurzelausriss kann das Kind den Arm und den Brustmuskel nicht bewegen. Auch Empfindungen liegen für diese Bereiche nicht mehr vor. Wenn statt einem Ausriss nur ein Einriss oder eine Überdehnung vorliegt, so ist die Bewegungsfähigkeit, aber auch die Sensibilität der entsprechenden Bereiche zwar eingeschränkt, aber nicht vollständig blockiert.
Bei einer oberen Plexusparese sind nicht alle fünf Nervenwurzeln betroffen. Die Sensibilität und Bewegungseinschränkung bezieht sich in diesem Fall nur auf die Schulter und den Ellenbogenbereich, wobei teilweise eine Brustmuskelbeteiligung vorliegt. Eine mittlere Plexusparese bezieht sich dagegen nur auf den Brustmuskel und auf die Streckung des Ellenbogens.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Der Arzt kann die Diagnose auf eine kindliche Plexusparese oft schon blickdiagnostisch stellen. Das gilt speziell dann, wenn der Vorgang der Geburt mit Komplikationen einher gegangen ist, die die Erscheinung typischerweise begünstigen. Zur Sicherung der Diagnose wird der Arzt unter Umständen eine entsprechende Bildgebung veranlassen.
Wie sich eine kindliche Plexusparese entwickelt, hängt vom Einzelfall und der Zahl sowie Intensität der jeweiligen Verletzungen ab. Auch die eingeleiteten Maßnahmen zur Korrektur beeinflussen den Krankheitsverlauf. Wenn zum Beispiel mikrochirurgische Nervenrekonstruktion stattfinden kann, lässt sich unter Umständen von einem positiveren Verlauf ausgehen. Falls begleitend zu der Parese Wachstumsstörungen des Arms auftreten, lässt das einen eher schwerwiegenderen Krankheitsverlauf mit bleibenden Schäden vorausahnen.
Negativfaktoren können im Einzelfall auch Begleiterkrankungen, wie Übergewicht sein. Durch die Lähmungen kann es in dem betroffenen Arm unter Umständen zu extremen Fehlstellungen kommen, die mit einem Gelenkverschleiß einhergehen. Um einen solchen Krankheitsverlauf zu vermeiden, können physiotherapeutische Maßnahmen hilfreich sein.
Komplikationen
In vielen Fällen sind auch die Eltern und die Angehörigen stark von dieser Krankheit betroffen und benötigen eine psychologische Unterstützung. Dabei ist das Strecken und Beugen des Armes in der Regel nicht mehr ohne Weiteres möglich, wodurch nicht selten auch die Schulter belastet wird. Nicht selten kommt es in den geschädigten Bereichen auch zu Missempfindungen und zu anderen Störungen der Sensibilität.
Die Patienten können dabei bestimmte Dinge und Tätigkeiten im Alltag nicht mehr ausführen. In vielen Fällen kommt es durch die kindliche Plexusparese auch zu Störungen des Wachstums, die zu Folgeschäden und zu Komplikationen im Erwachsenenalter führen können. Die Arme können auch eine Fehlstellung einnehmen und dadurch noch weiter belastet werden.
Die Behandlung der Plexusparese erfolgt durch verschiedene Therapien oder durch einen operativen Eingriff. Dabei treten keine weiteren Komplikationen ein. Es kann allerdings nicht vorausgesagt werden, ob es zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn das Neugeborene den Arm und den Brustmuskel nicht mehr richtig bewegen kann, liegt womöglich eine kindliche Plexusparese zugrunde. Ein Arzt sollte konsultiert werden, wenn die Beschwerden nach einem Tag nicht verschwunden sind oder das Kind Anzeichen von Schmerzen zeigt. Falls das Kind den Arm überhaupt nicht mehr strecken oder beugen kann, sollte sofort das Krankenhaus aufgesucht werden. Eine zügige Intervention ist auch erforderlich, wenn zu den Bewegungseinschränkungen weitere Symptome hinzukommen. So müssen Lähmungserscheinungen, Hautveränderungen oder Verhaltensauffälligkeiten des Kindes in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden.
Oft wird die kindliche Plexusparese unmittelbar nach der Geburt erkannt und noch im Krankenhaus behandelt. Während und nach der Therapie sind weitere Arztbesuche angezeigt. Im Allgemeinen muss die Armlähmung über viele Jahre hinweg behandelt werden, um die Beweglichkeit des Arms dauerhaft zu bewahren und im besten Fall sogar zu verbessern. Die Eltern und später die Betroffenen selbst sollten deshalb regelmäßig Rücksprache mit dem Arzt halten. Neben dem Hausarzt kann ein Orthopäde oder ein Physiotherapeut konsultiert werden. Begleitend dazu empfiehlt sich eine Mutter-Kind-Therapie.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung der infantilen Armlähmung hängt stark davon ab, welche Nerven betroffen sind. In den ersten zwei Wochen nach der Geburt wird der Arm geschont und ruhig gestellt, da sich das Nervenkostüm eventuell selbst von kleineren Schäden wie Überdehnungen erholt. Schwellungen und Blutergüsse sollten in diesem Zeitraum abklingen.
Erst nach diesen ersten Tagen werden ergotherapeutische und physiotherapeutische Maßnahmen initiiert, die insbesondere eine Fehlstellung der Gelenke vermeiden sollen und auf die alterstypischen Bewegungen des Kindes abgestimmt sind. Im Einzelfall lässt sich ein Teil der Nerven in der Frühphase auch durch einen mikrochirurgischen Eingriff wiederherstellen. In der Regel findet dieser rekonstruktive Eingriff in den ersten Lebensmonaten statt.
Die Neurolyse entfernt zum Beispiel zurückgebliebene Narben und verbessert so die Leitfähigkeit der beschädigten Nerven. Rund drei Jahre nach diesem Eingriff lässt sich durch einen Sehnen- und Muskelumlagerung eventuell die allgemeine Funktionsfähigkeit des Arms verbessern. Der Betreuung der Eltern kommt im Rahmen aller Therapiemaßnahmen ein hoher Stellenwert zu. So soll eine übermäßige Belastung des Mutter-Kind-Verhältnisses durch die Erscheinung zum Beispiel vermieden werden.
Aussicht & Prognose
Die Prognose der kindlichen Plexusparese ist schwer vorhersehbar. Für die Stellung einer weiteren Aussicht des Krankheitsverlaufes sind spezifische Tests notwendig, die ermitteln, welche Nerven bei der Geburt des Neugeborenen betroffen oder beschädigt wurden. Bei einer Vielzahl der Patienten kann bei einer guten medizinischen Versorgung sowie einer umfassenden Betreuung durch die Eltern im weiteren Verlauf eine vollständige Genesung dokumentiert werden.
Es gibt verschiedene Therapieansätze und gezielte Trainings, die genutzt werden können, um eine Heilung zu erzielen. Dennoch besteht auch die Möglichkeit, dass Lähmungen oder Teillähmungen lebenslang trotz aller Bemühungen bestehen bleiben. Das Ausmaß der beschädigten Nervenfasern gibt Auskunft über den weiteren Verlauf der Erkrankung.
Wird keine Wiederherstellung der Bewegungsmöglichkeiten des Arms erzielt, ist mit weiteren Folgeerscheinungen zu rechnen. Die Unbeweglichkeit kann zu emotionalen und seelischen Zuständen der Belastung führen. Bei einem ungünstigen Verlauf der Erkrankung entwickeln sich psychische Störungen, die zu einer deutlichen Verschlechterung von Wohlbefinden sowie Lebensqualität beitragen. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist aufgrund der Erkrankung eingeschränkt und kann zu einer starken Schwächung der Psyche führen. Der Alltag muss umstrukturiert werden und an die körperlichen Gegebenheiten des Patienten angepasst werden. Je nach den individuellen Persönlichkeitseigenschaften sowie der Umwelt des Patienten ist das Risiko für eine psychische Erkrankung gegeben.
Vorbeugung
Eltern können einer kindlichen Plexusparese soweit wie möglich vorbeugen, indem sie sich bei der Geburt ausschließlich in die Hände von erfahrenen Geburtshelfern begeben. Bei extremen Geburtskomplikationen kann die Lähmungserscheinung allerdings auch dann auftreten, wenn die Geburtshelfer über viel Erfahrung verfügen.
Nachsorge
Dem Betroffenen stehen bei dieser Erkrankung meistens nur sehr wenige Möglichkeiten einer Nachsorge zur Verfügung. Dabei muss sofort eine Behandlung eingeleitet werden, damit es beim Kind nicht zu bleibenden Schäden kommt, die das Leben des Kindes negativ beeinflussen können. Im schlimmsten Fal treten dauerhafte Lähmungen auf, die nicht mehr behandelt werden können.
Die Eltern sind dabei auf eine intensive Betreuung des Kindes angewiesen und müssen dieses fördern. Dabei sind in erster Linie Maßnahmen einer Krankengymnastik notwendig, um die Beschwerden zu lindern, wobei viele der Übungen auch im eigenen Zuhause wiederholt werden können. Ebenso benötigt das Kind im weiteren Leben im Alltag die Hilfe der eigenen Familie und der Freunde.
Bei einer weiteren Entwicklung können auch weitere operative Eingriffe notwendig sein, um die Beschwerden dauerhaft zu lindern. Nach einem solchen Eingriff sollte sich das Kind auf jeden Fall ausruhen und sich entspannen. Dabei sollten keine körperlichen Tätigkeiten oder Anstrengungen durchgeführt werden. Die Krankheit verringert auch die Lebenserwartung des Kindes nicht, sofern sie schnell und richtig behandelt wird.
Das können Sie selbst tun
Bei einer kindlichen Plexusparese ist eine dauerhafte krankengymnastische Behandlung unbedingt anzuraten. Im Rahmen der Physiotherapie werden den Eltern betroffener Patienten verschiedene Übungen gezeigt, die diese mehrmals täglich mit ihren Kindern daheim durchführen müssen. Da die infantile Armlähmung zu körperlichen Einschränkungen im Alltag führt, müssen Kindergarten, Schule, Ausbildungs- und Arbeitsstätte proaktiv über die Problematik informiert werden.
Sportliche Aktivitäten, vor allem Schwimmen, können die Plexuslähmung positiv beeinflussen und sollten bei Interesse des Kindes gefördert werden. Einige Schwimmvereine bieten spezielle Kurse für Kinder mit Bewegungsstörungen an. Die infantilen Armlähmung sollte von den Eltern offen mit den Kindern besprochen werden. Ein offener Umgang mit der Bewegungsstörung, abhängig vom Charakter und Alter des Kindes, ist ein bedeutender Faktor der Selbsthilfe.
Negativ oder abwertend klingende Bezeichnungen für die betroffenen Gliedmaße, wie schwacher oder kaputter Arm, sind zu vermeiden. Mit älteren Kindern und Jugendlichen sind Gespräche über ihre eigene Körperwahrnehmung von höchster Wichtigkeit, denn mit Beginn der Pubertät verändert sich oft das eigene Körperbild. Blockt das Kind oder zieht sich ganz in sich zurück, ist eine ergänzende psychologische oder psychotherapeutische Behandlung des Patienten mit dem Ziel der Steigerung des Selbstwertgefühls empfehlenswert.
Quellen
- Beckermann, M.J.: Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Schwabe, Basel 2004
- Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
- Uhl, B.: Gynäkologie und Geburtshilfe compact. Thieme, Stuttgart 2013