Morbus Charcot-Marie-Tooth

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Der Morbus Charcot-Marie-Tooth ist eine erbliche neuromuskuläre Erkrankung. Sie führt zu einer fortschreitenden Lähmung der Extremitäten mit nachfolgendem Muskelschwund. Eine ursächliche Heilung ist nicht bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Morbus Charcot-Marie-Tooth?

Zunächst fällt eine Schwäche der Hände oder Füße auf, die im Verlauf fortschreitet. Sie breitet sich auf die Arme und Beine aus.
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Als Morbus Charcot-Marie-Tooth wird eine vererbbare neuromuskuläre Krankheit bezeichnet. Bei dieser Art von Erkrankungen kommt es nervenbedingt zu einem Abbau von Muskeln. Benannt ist die Krankheit nach ihren Erstbeschreibern Jean-Martin Charcot, Pierre Marie und Howard Tooth.

fachliche Bezeichnung der Erkrankung lautet Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ 1, abgekürzt HMSN 1. Dabei beschreibt das Wort „hereditär“ die Vererbbarkeit des Syndroms. Motorisch-sensibel bedeutet, dass sowohl die Beweglichkeit als auch die Empfindung gestört sind. Als Neuropathie wird allgemein eine Erkrankung der Nerven bezeichnet.

Der Morbus Charcot-Marie-Tooth wird auch Neurale Muskelatrophie genannt. Diese Bezeichnung betont den nervenbedingten Muskelabbau, der aus der Erkrankung resultiert. Das Charcot-Marie-Tooth-Syndrom gehört zu den häufigsten vererbbaren Nervenerkrankungen. Die Prävalenz beträgt 1:2500.

Ursachen

Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung ist eine Erbkrankheit. Meist wird sie über den autosomal-dominanten Erbgang weitergegeben. Es liegt eine Mutation auf dem Chromosom 17 vor. Das Peripheral Myelin Protein-Gen (PMP) ist verdoppelt. Diese Mutation führt zunächst zu einer Verdickung der Myelinscheide. Es wird angenommen, dass daraus eine Unterversorgung mit Nährstoffen resultiert.

In der Folge entsteht eine Schädigung des Nervenzellfortsatzes oder der Myelinscheide selbst. Die Myelinscheide umgibt die Nerven wie eine Hülle und ist für die korrekte Fortleitung der Nervenimpulse vom Gehirn zum Muskel verantwortlich. Ist die Myelinscheide geschädigt, können die Nervenimpulse den Muskel nicht erreichen.

Eine Umsetzung der Befehle vom Gehirn im Muskel ist dann nicht mehr möglich. Die Folge sind eine Schwäche und die Rückbildung der betroffenen Muskeln. Da die Erkrankung autosomal-dominant vererbt wird, sind beide Geschlechter gleichermaßen betroffen. Der Nachkomme eines Erkrankten ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ebenfalls Merkmalsträger.

Sind beide Elternteile heterozygot, erkrankt das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent. Bei einem homozygoten Elternteil wird die Krankheit mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent weitergegeben.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Meist treten die ersten Symptome schon in der Kindheit auf. Gelegentlich manifestiert sich die Erkrankung erst zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Zunächst fällt eine Schwäche der Hände oder Füße auf, die im Verlauf fortschreitet. Sie breitet sich auf die Arme und Beine aus.

Die Muskeln der betroffenen Extremitäten bilden sich zurück. Es kann in der Folge zu Verformungen bestimmter Körperteile kommen, da das normale Gleichgewicht zwischen verschiedenen Muskeln nicht mehr gegeben ist. So kann beispielsweise ein Hohlfuß entstehen. Verformungen von Fingern und Zehen treten ebenfalls auf. Empfindungsstörungen können begleitend vorkommen.

Frühe Anzeichen des Morbus Charcot-Marie-Tooth sind Veränderungen des Gangbildes. Der Fußhebermuskel (Musculus tibialis anterior) ist häufig als erster betroffen. Die Folge ist der Steppergang. Der Fuß kann nicht mehr angehoben werden. Da er beim Gehen herunterhängt, muss das ganze Bein angehoben werden. Das Aufsetzten des Fußes kann nicht kontrolliert werden. Der Gang wird unsicher. Es kann zu Stürzen kommen. Schmerzen in den betroffenen Körperteilen können auftreten.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Zur Diagnosefindung stehen zunächst die Anamnese und eine gründliche körperliche Untersuchung im Vordergrund. Das Vorkommen der Erkrankung bei den Eltern gibt einen entscheidenden Hinweis. Bei der körperlichen Untersuchung wird eine Kraftminderung der Hände und Füße, gegebenenfalls auch der Arme und Beine festgestellt.

Der Faustschluss kann unvollständig sein. Die Streckung der Finger ist nicht mehr komplett möglich. Der Fuß kann nicht gegen Widerstand gehoben werden. Der Zehenstand ist nicht möglich. Ab- und Adduktion der Arme und Beine können eingeschränkt und kraftgemindert sein. Die betroffenen Muskeln sind zurückgebildet. Reflexe, vor allem der Achillessehnenreflex, sind abgeschwächt oder nicht auslösbar.

Bei der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit fällt eine verlangsamte Weiterleitung auf. Je nach Befund kann eine Nervenbiopsie notwendig sein. Bei unklaren Befunden kann die Diagnostik durch bildgebende Verfahren ergänzt werden. In der Bildgebung finden sich keine Hinweise auf das Charcot-Marie-Tooth-Syndrom. Sie dient zum Ausschluss von Differentialdiagnosen.

Bei unklarer Familienanamnese ist eine genetische Diagnostik möglich. Die Erkrankung verläuft in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Manche Patienten bleiben zeitlebens nur wenig eingeschränkt. Bei anderen schreitet die Erkrankung bis zu ihrer vollen Ausprägung fort. Diese äußert sich in einer weitgehenden Lähmung der Arme und Beine.

Komplikationen

Leider kann diese Krankheit nicht kausal behandelt werden, sodass es für den Patienten zu extrem Einschränkungen und Beschwerden im Alltag kommt. Die Betroffenen leiden dabei in erster Linie an einer Schwäche, die vor allem in den Händen und Füßen des Patienten auftritt. Weiterhin kommt es zu starken Lähmungen und zu anderen Sensibilitätsstörungen durch Morbus Charcot-Marie-Tooth.

Es treten auch Bewegungseinschränkungen auf und der Alltag der Betroffenen wird durch die Krankheit erheblich erschwert und eingeschränkt. In vielen Fällen treten auch Störungen der Koordination und der Konzentration auf. Die Patienten leiden an einem unsicheren Gang und benötigen nicht selten Hilfe von anderen Menschen in ihrem Alltag.

Auch Reize werden nur noch langsam weitergegeben. Verschiedene Tätigkeiten, die mit den Händen ausgeführt werden, sind eventuell nicht mehr möglich, sodass es zu Einschränkungen in der Ausübung des Berufes kommt. Durch Maßnahmen der Physiotherapie können einigen Beschwerden des Morbus Charcot-Marie-Tooth eingeschränkt und behandelt werden.

Eine vollständige Genesung tritt allerdings nicht ein. Nicht selten ist auch eine Betreuung durch einen Psychologen notwendig, wenn es durch die Krankheit zu psychischen Beschwerden und zu Depressionen kommt. Dabei kommt es in der Regel nicht zu Komplikationen und auch die Lebenserwartung des Patienten wird durch die Krankheit nicht beeinträchtigt.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Früher nannte man diese Erkrankung Morbus Charcot-Marie-Tooth. Heute spricht man eher von einer neuralen Muskeldystrophie oder einer hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie vom Typ I (HMSN I). Da diese erbliche Erkrankung in einigen Familien häufiger auftritt, sind die ersten Arztbesuche meist schon in der Schwangerschaft zu verzeichnen. Ob ein Schwangerschaftsabbruch bei Vorliegen von Morbus Charcot-Marie-Tooth gerechtfertigt werden kann und tatsächlich erwogen wird, ist eine Frage der Beratung.

Die auftretenden Symptome des Charcot-Marie-Tooth Syndroms veranlassen einen weiteren Arztbesuch, meist schon im Kindesalter. In anderen Fällen erfolgen die Konsultationen des Hausarztes oder eines Orthopäden erst später im Leben. Der Grund ist, dass die Symtome des Morbus Charcot-Marie-Tooth in manchen Fällen erst zwischen dem zwanzigsten und dreißigten Lebensjahr auftreten können.

Die Anzeichen, die einen Arztbesuch nahelegen, sind zunehmende Schwächegefühle in den Extremitäten. Der genetisch bedingte Morbus Charcot-Marie-Tooth entwickelt sich bei den Betroffenen mit unterschiedlich gravierender Symptomatik. Er bleibt in seinem Verschlimmerungsgrad meist relativ beständig. Die zunehmende Schwächung und Lähmung der Arme und Beine kann sich daher über mehrere Jahrzehnte hinziehen.

Die Mediziner können lediglich die Symptome der Neuropathien, Verformungen oder Muskelverkürzungen lindern, nicht aber den Krankheitsverlauf stoppen. Den vom Morbus Charcot-Marie-Tooth Betroffenen müssen früher oder später Hilfsmittel wie Krücken oder Rollstühle zur Verfügung gestellt werden.

Behandlung & Therapie

Eine ursächliche Behandlung des Morbus Charcot-Marie-Tooth ist nicht bekannt. Die Therapie beschränkt sich auf symptomatische Maßnahmen. Der Erhalt der Mobilität steht dabei im Vordergrund. Frühzeitige physiotherapeutische Maßnahmen zum Training der ausgleichenden Muskulatur und Sturzprophylaxe können die Lebensqualität verbessern.

Die Versorgung mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln wie Gehhilfen oder Schienen, die beispielsweise die Fußheberschwäche korrigieren, spielen eine wichtige Rolle. Bei voller Ausprägung des Krankheitsbildes ist die Nutzung eines Rollstuhles unumgänglich. Um eine intensive und umfassende Therapie zur Erhaltung der Mobilität und Lebensqualität zu ermöglichen, sind Rehabilitationsaufenthalte empfehlenswert.

Eventuelle Schmerzen können mit Analgetika behandelt werden. Bei beeinträchtigenden Fehlstellungen vor allem der Füße kann eine chirurgische Korrektur Erleichterung bringen. Eine [[Psychotherapie|psychologische Betreuung] ist in Einzelfällen sinnvoll.


Aussicht & Prognose

Der Morbus Charcot-Marie-Tooth ist nicht heilbar. Die Erkrankung schreitet progressiv voran, die Lebenserwartung ist allerdings nicht reduziert. Der langwierige Verlauf ist mit zunehmenden Ausfallerscheinungen der Arme und Beine verbunden. Die Krankheit ruft chronische Schmerzen und Bewegungseinschränkungen hervor und stellt eine erhebliche körperliche und seelische Belastung für die Betroffenen dar. Die Prognose ist von dem individuellen Symptombild des Patienten abhängig.

Eine effektive Therapie existiert bislang nicht. Die Behandlung beschränkt sich auf eine Ernährungsumstellung und Krankengymnastik. Die Aussicht auf eine Besserung des Zustandes ist nicht gegeben. Stattdessen wird durch genannte Maßnahmen versucht, das Fortschreiten der Erkrankung hinauszuzögern. Für die Patienten stellt die andauernde Therapie eine erhebliche Belastung dar. Die Prognose der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie Typ I ist dementsprechend schlecht.

Patienten müssen engen Kontakt mit einem Ärzteteam aus Allgemeinmedizinern, Orthopäden und Neurologen halten, damit die Therapie optimal gestaltet werden kann. Zusätzlich lässt sich die Prognose durch die Unterstützung von Familienmitgliedern oder Freunden verbessern, die im Alltag als Unterstützung fungieren. Die Prognose des Morbus Charcot-Marie-Tooth stellt der zuständige Facharzt unter Einbeziehung der Konstitution des Patienten und dem Stadium der Neuropathie.

Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung sind nicht bekannt, da die Ursache für die Krankheit im Erbgut liegt. Ein Ausbrechen des Syndroms kann bei Genträgern nicht verhindert werden. Ebenso sind keine Möglichkeiten bekannt, das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten. Durch rechtzeitige physiotherapeutische Maßnahmen kann die Lebensqualität verbessert werden.

Nachsorge

Da Morbus Charcot-Marie-Tooth nicht heilbar ist, lässt sich die Nachsorge nicht scharf von der Therapie abgrenzen. Ziel ist es, das Voranschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es wird eine Betreuung mit engem Kontakt zwischen Patient und Ärzten empfohlen. Ein Team aus Allgemeinmedizinern, Orthopäden und Neurologen optimiert die Gestaltung der lebenslang andauernden Behandlungen.

Die Basis der Nachsorgeuntersuchungen bildet die klinische Untersuchung. Am Anfang steht ein Gespräch über die aktuellen Beschwerden. Anschließend wird der Körper allgemein und an bestimmten Stellen untersucht. Insbesondere von der neuralen Muskelatrophie betroffene Regionen werden auf ihre Leistung geprüft und der Umfangsverlust der Muskulatur wird dokumentiert.

Die neurologische Untersuchung konzentriert sich auf die Funktion der Nerven und der Muskeln. Zu Beginn fragt der Neurologe nach den derzeitigen Symptomen. Es folgen Tests zur Beurteilung des Gangbildes, der Körperhaltung, des Gleichgewichts und von Bewegungseinschränkungen. Zudem werden die Reflexe und das Schmerz- und Berührungsempfinden getestet.

Unter Umständen kann der Arzt auch apparative Analyseverfahren anordnen. Dazu gehören die Elektromyografie zur Messung der Muskelaktivität und die Nervenleitgeschwindigkeitsmessung. Weitere Untersuchungsmethoden sind ein Nerven-Ultraschall, eine Computertomografie oder eine Magnetresonanztomografie.

Der Orthopäde überprüft nach der Untersuchung regelmäßig die Passform von orthopädietechnischen Hilfsmitteln. Entsprechend dem Krankheitsfortschritt sind das Gesundheits- oder Therapieschuhe, Einlagen und Gehhilfen. Als Nachsorge-Behandlungen nach einer Operation an den Füßen werden meist spezielle physiotherapeutische Maßnahmen notwendig.

Das können Sie selbst tun

Morbus Charcot-Marie-Tooth ist eine chronische Erkrankung. Die Betroffenen müssen also lernen, sich über lange Zeit mit den Beschwerden zu arrangieren. Der erste Ansprechpartner für den Umgang mit der Erkrankung im Alltag ist der Physiotherapeut. Die ausgleichende Muskulatur sollte so gut wie möglich trainiert werden. Außerdem sorgen Übungen zur Sturzprophylaxe zu einer deutlichen Steigerung der Lebensqualität. Die Betroffenen sind oftmals auf die Hilfe von Angehörigen angewiesen. Auch diese können den Physiotherapeuten konsultieren, um zu erfahren, wie sie dem Betroffenen besser helfen können.

Grundsätzlich gilt es, eine maximale Selbstständigkeit des Erkrankten beizubehalten. Dabei kann auch leichte sportliche Betätigung wie Wassergymnastik helfen. Je nach Schwere der Erkrankung können orthopädische Hilfsmittel wie Gehhilfen den Alltag der Betroffenen spürbar erleichtern. Die Wahl des Schuhwerks ist zudem wichtig. Dabei sollte ein Orthopäde hinzugezogen werden.

Die Betroffenen sollten generell versuchen, einen gesunden Lebensstil zu führen. Da oftmals auch psychische Probleme auftreten, empfiehlt sich unter Umständen der Gang zum Psychologen. Es ist ratsam, die Wohnungseinrichtung den körperlichen Einschränkungen des Betroffenen anzupassen. In manchen Fällen lohnt es sich, in eine kleinere Wohnung umzuziehen. Nähere Informationen und Hinweise zum Umgang im Alltag erhalten Betroffene und Angehörige auch in Selbsthilfegruppen.

Quellen

  • Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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