Nucleus tractus solitarii

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 25. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Anatomie Nucleus tractus solitarii

Der Nucleus tractus solitarii ist der neuronale Geschmackskern des Menschen und liegt in der Rautengrube im Stammhirn. Seine Nervenfasern verbinden das Gehirn mit den Geschmacksknospen der Zunge sowie mit dem Nervus vagus. Schäden am Nucleus tractus solitarii – beispielsweise durch Raumforderungen, traumatische Schäden oder Durchblutungsstörungen – können Geschmacksstörungen verursachen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist der Nucleus tractus solitarii?

In der Verarbeitung von gustatorischen Informationen spielt der Nucleus tractus solitarii eine wichtige Rolle. Der Geschmackssinn gehört zu den chemischen Sinnen: Rezeptoren auf der Zunge reagieren auf Substanzen, die damit in Berührung kommen.
© magicmine – stock.adobe.com

Beim Nucleus tractus solitarii (NTS) oder Nucleus solitarius handelt es sich um ein neuronales Verarbeitungszentrum im Gehirn. Der Kern verschaltet Nervenfasern aus der Zunge und trägt auf diese Weise zur gustatorischen Wahrnehmung bei.

Erst auf höherer Verarbeitungsebene wird daraus die bewusste Wahrnehmung eines bestimmten Geschmacks; dieser Schritt erfolgt im Kortex, in den die Signale aus dem Geschmackskern letztlich ebenfalls gelangen. Der Nucleus tractus solitarii zählt zu den Hirnnervkernen, da er einen Knotenpunkt bildet, an dem Hirnnerven münden oder beginnen. Er gehört zur Gruppe der allgemein- und speziell viszerosensiblen Kerne; im Gegensatz zu anderen zentralen anatomischen Hirnstrukturen führt er beide Arten von Fasern.

Anatomie & Aufbau

Der Nucleus tractus solitarii liegt im verlängerten Mark (Medulla oblongata), welches das Rückenmark mit anderen Teilen des zentralen Nervensystems verbindet. Rückenmark und Medulla oblongata sind nicht scharf voneinander abgegrenzt, sondern gehen fließend ineinander über. Innerhalb des verlängerten Marks beginnt der Nucleus tractus solitarii an der Rautengrube, die den Boden des vierten Hirnventrikels bildet.

Von dort aus reicht der NTS bis zur Pyramidenbahnkreuzung (Decussatio motoria oder Decussatio pyramidum), wo sich Nervenbahnen kreuzen, die vom Motorkortex stammen. Durch den Nucleus tractus solitarii ziehen sich drei verschiedene Nerven: der Nervus glossopharyngeus (9. Hirnnerv), der Gesichtsnerv bzw. Nervus facialis (7. Hirnnerv) sowie der Nervus vagus (10. Hirnnerv oder Nervus X). Entsprechend dieser Bereiche teilt die Physiologie den Nucleus tractus solitarii auch in drei grobe Regionen, die nach ihrer Lage oft nur kaudaler, medialer und rostraler NTS heißen. Eine Ausnahme davon bildet nur der rostrale Anteil, der auch die Namen Nucleus gustatorius, Nucleus ovalis oder Pars gustatoria trägt.

Funktion & Aufgaben

In der Verarbeitung von gustatorischen Informationen spielt der Nucleus tractus solitarii eine wichtige Rolle. Der Geschmackssinn gehört zu den chemischen Sinnen: Rezeptoren auf der Zunge reagieren auf Substanzen, die damit in Berührung kommen. Die Sinneszellen erzeugen daraufhin einen elektrischen Impuls, der sich als Aktionspotenzial über die Nervenfaser bewegt. Diese Signale gelangen über verschiedene Nerven zum Gehirn, wo sie alle drei im Nucleus tractus solitarii zusammenlaufen. Dem Nervus glossopharyngeus kommt dabei die Aufgabe zu, Informationen aus dem hinteren Bereich der Zunge zu sammeln. Damit er alle Nervensignale aufnehmen kann, teilt er sich in drei Hauptäste und mehrere kleinere Abzweigungen.

Über den Gesichtsnerv oder Nervus facialis erhält der Nucleus tractus solitarii darüber hinaus Informationen aus der vorderen Zungenregion. Für diese Aufgabe sind die sensiblen Fasern im Nerv verantwortlich. Die Funktionen des Nervus facialis sind jedoch noch weitaus umfangreicher und spielen auch beim Hören, Temperatur-, Schmerz- und Druckempfinden im Gesicht eine Rolle. Der Gesichtsnerv verbindet außerdem Tränendrüse und Mundspeicheldrüse mit dem zentralen Nervensystem.

Auch der Nervus vagus beschränkt sich nicht darauf die Geschmacksknospen zu innervieren. Stattdessen vereint er verschiedene viszerosensible, somatosensible sowie viszeromotorische Signale aus weitläufigen Körperregionen. Der Nervus vagus deckt dabei Areale aus Kopf, Hals, Bauch und Brust ab und bildet zahlreiche, immer feiner werdende Äste aus. Der Nucleus tractus solitarii stellt dabei nicht den einzigen Hirnnervkern dar, der für den Nervus vagus relevant ist; seine Fasern führen auch zum Nucleus spinalis nervi trigemini, Nucleus dorsalis nervi vagi und zum Nucleus ambiguus.


Krankheiten

Der Nucleus tractus solitarii kann zur Entstehung verschiedener Geschmacks- bzw. Schmeckstörungen beitragen. Ursachen derartiger Wahrnehmungsstörungen sind jedoch prinzipiell überall in der gustatorischen Verarbeitung möglich.

Schäden am Nucleus tractus solitarii können beispielsweise auf Durchblutungsstörungen (Schlaganfall, erhöhter inkranieller Druck u. a.), Raumforderungen durch Tumore, Schädel-Hirn-Traumata, angeborenen Fehlbildungen und neurodegenerativen Erkrankungen beruhen. Befindet sich die Läsion nicht direkt am Nucleus tractus solitarii, sondern an allen, einigen oder einem der Nerven, erhält der Kern keine, unvollständige oder falsche Informationen und operiert dementsprechend auf der Grundlage fehlerhafter Signale; der NTS selbst kann dabei jedoch unbeschadet sein.

Welche Geschmacksstörung sich manifestiert und ob weitere Symptome auftreten, hängt im Einzelfall von den betroffenen Gehirnbereichen ab. Wenn beispielsweise Schäden am Nervus facialis die Ursache der Geschmacksstörung darstellen, manifestiert sich oft auch eine Lähmung des Gesichts.

Die Medizin unterscheidet zwischen quantitativen und qualitativen Geschmacksstörungen. Personen, die unter einer totalen Ageusie leiden, können keine Geschmacksrichtung mehr wahrnehmen; eine spezielle Form tritt im Rahmen des posttraumatischen Anosmie-Ageusie-Syndroms auf, das auch den Geruchssinn betrifft und auf ein Schädel-Hirn-Trauma zurückgeht. Die Hypogeusie schränkt die gustatorische Wahrnehmung ein, eliminiert sie jedoch nicht vollständig.

Eine Teilweise Hypogeusie liegt vor, wenn Betroffene noch bestimmte Geschmacksrichtungen in normaler Intensität wahrnehmen; dies ist zum Beispiel der Fall, wenn nur bestimmte Abschnitte der Nervenfasern beschädigt sind, die Informationsverarbeitung ansonsten jedoch korrekt verläuft. Im Gegensatz dazu leiden Menschen mit Hypergeusie unter einer pathologischen Steigerung des Geschmackssinns.

Eine qualitative Geschmacksstörung ist die Phantogeusie, die durch gustatorische Wahrnehmungen gekennzeichnet ist, für die kein tatsächlicher Reiz vorliegt. Eine Vertauschung der Geschmacksrichtungen entsteht hingegen bei der Parageusie. Qualitative Geschmacksstörungen müssen nicht permanent sein, sondern können auch vorübergehend auftreten.

Quellen

  • Frotscher, M., et al.: Taschenatlas Anatomie, Band 3: Nervensystem und Sinnesorgane. Thieme, Stuttgart 2018
  • Greten, H., Rinninger, F., Greten, T. (Hrsg.): Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2010
  • Poeck, K., Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010

Das könnte Sie auch interessieren