Periodische Lähmung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die periodische Lähmung ist eine Krankheitsgruppe mit genetischer Basis, die zu den sogenannten Kanalkrankheiten zählt und die membranständigen Ionenkanäle betrifft. Die Therapie besteht vor allem aus diätischen Maßnahmen. Der Krankheitsverlauf wird vorwiegend als günstig angegeben.
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Was sind periodische Lähmungen ?
Periodische Paralysen zeichnen sich durch wiederkehrende Muskellähmungen aus. Sie werden in die Krankheitsgruppe der sogenannten Kanalkrankheiten gefasst und gehen mit Abweichungen bezüglich des Blutkaliumspiegels einher. Die Erkrankungsgruppe betrifft die Ionenkanäle als Proteinkomplexe in der Zellmembran der Muskulatur. Ionenkanäle sind für die Durchschleusung von Ionen verantwortlich und damit ausschlaggebend für die Muskelerregbarkeit.
Periodische Lähmungen sind chronisch progrediente Myopathien und entwickeln sich über einen längeren Zeitraum. Neben der periodisch hypokaliämischen Lähmung zählt die periodisch hyperkaliämische Lähmung zur Gruppe der periodischen Paralysen. Beide Krankheiten haben eine genetische Basis.
Ebenfalls zu den Kanalkrankheiten zählen die die Paramyotonia congenita, die kongenitale Myotonie und das Andersen-Syndrom, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen und als gemeinsames Symptom fortschreitende Muskelschwäche zeigen. Die periodisch hypokaliämische Paralyse unterscheidet sich klinisch und genetisch von der hyperkaliämischen Lähmung.
Ursachen
Ein Gen-Defekt im Gen CACNA1S auf Chromosom 1 wurde als Auslöser der Erkrankung nachgewiesen. Das Genprodukt entspricht einer falsch konfigurierten Untereinheit der spannungsabhängigen Calciumkanäle im Tubulus-System von Muskelzellen. Die hyperkaliämische Lähmung äußert sich erstmals um das zehnte Lebensjahr herum und unterliegt ebenfalls einem autosomal-dominanten Erbgang. Bei dieser Untergruppe der periodischen Paralyse liegt ein Gen-Defekt im SCN4a-Gen auf Chromosom 17 vor. Das betroffene Gen codiert für die Natriumkanäle.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Bei der hypokaliämischen Paralyse kommt es zur Einlagerung von Wasser und Natrium. Extrazellulär liegt Kaliummangel vor. Aufgrund der erhöhten Leitfähigkeit des Natriums über die Zellmembranen ist das Membranpotenzial und damit die Muskelerregung gestört. Die ersten Symptome zeigen sich vor dem 20. Lebensjahr und treten zunächst im Abstand von mehreren Monaten auf.
Die Frequenz und Schwere der Lähmungsfälle nimmt ab dem Krankheitsbeginn kontinuierlich zu. Erst nach der Lebensmitte nimmt die Frequenz wieder ab und klingt meist im 50. Lebensjahr aus. Zu Lähmungen kommt es vor allem nachts oder in den Morgenstunden. Den Anfällen gehen oft seelische Erregung, kohlenhydratreiche Mahlzeiten oder körperlich starke Belastungen voraus. Begleitsymptomatisch liegen neben einem Völlegefühl Schweißausbrüche, Parästhesien oder Schwächegefühle vor.
Meist ist die Atemmuskulatur nicht beteiligt. Falls sie ebenfalls betroffen ist, treten zusätzlich Herzrhythmusstörungen auf. Die Lähmungserscheinungen halten mehrere Stunden bis hin zu mehreren Tagen an. Bei der periodisch hyperkaliämischen Paralyse führt ein zu hoher Kaliumspiegel eine Verschiebung der Membranelektrolyte an den Muskelzellen herbei. Kalium strömt aus den Muskelzellen aus und Natrium strömt ein.
Das Membranpotenzial ist durch verstärkte Depolarisation gestört. Die verringerte Erregbarkeit der Muskulatur ruft Lähmungserscheinungen hervor. Der Lähmung gehen meist hohe Kaliumzufuhr oder starke körperliche Belastung voraus. Verglichen mit der hypokaliämischen Lähmung sind die Anfälle kürzer, aber häufiger. Ein starkes Durstgefühl tritt begleitend auf. Neben den Beinen ist vor allem die mimische Muskulatur betroffen.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Bei der periodisch hyperkaliämischen Lähmung ist das Elektrokardiogramm auffällig und von den zeltförmigen T-Zacken, verbreitertem QRS-Komplex, einer abgeflachten P-Welle und einer Verlängerung der PQ-Zeit geprägt, wie sie bei einer Hyperkaliämie auftritt. Die Muskeleigenreflexe sind bei dieser Lähmung erloschen. Das Elektromyogramm zeigt reduzierte Potentiale und erniedrigte Amplituden. Im Blut liegt erhöhtes Serumkalium vor.
Bei der hypokaliämischen Paralyse sind die Muskeleigenreflexe abgeschwächt und die Muskeltoni reduziert. Im EMG sind die Einzelpotenziale niedrig oder kurz. Zusätzlich liegt eine Lichtung des Aktivitätsmusters vor. Die Serumkaliumwerte liegen in der Regel bei unter 2 mmol/l. Eine Verminderung des Serumkreatinins ist denkbar. Dasselbe gilt für einen Anstieg des Natriumspiegels und des Milchsäurespiegels. Im Elektrokardiogramm zeigen sich neben einer verlängerten QT-Zeit eine ST-Stecken-Senkung und U-Wellen.
Die Muskelbiopsie kann bei dieser Art der periodischen Lähmung zentrale und glykogengefüllte Vakuolen in den Fasern zeigen. Die Prognose für beide Fälle gilt als günstig. Nur selten entwickeln sich im Verlauf Gehunfähigkeiten. Zwischen der Häufigkeit oder Schwere der Anfälle und der endgültigen Krankheitsschwere besteht keine Korrelation.
Komplikationen
Denn bei einem Lähmungsanfall kann völlige Bewegungsunfähigkeit eintreten. Bei den verschiedenen Anfällen ist der Schweregrad der Lähmungen und der Muskelschwäche jedoch oft unterschiedlich. Neben harmlosen schwachen Lähmungen, die nur als Empfindungsstörungen (Paresen) erscheinen, kann es auch zur vollständigen Lähmung aller vier Gliedmaßen kommen. Diese Erscheinung wird als Tetraplegie bezeichnet und gilt als besondere Form einer Querschnittslähmung.
Während dieser schweren Lähmung ist die betroffene Person vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Auch Blase und Mastdarm können dann gelähmt sein. In der Regel ist die Atemmuskulatur jedoch nicht betroffen. In seltenen Fällen kommt dies aber auch vor. Dabei stellt dieser Zustand eine äußerst lebensgefährliche Komplikation dar. Nur bei sofortiger Beatmung kann dann das Leben gerettet werden.
In einigen wenigen Fällen treten während des Lähmungsanfalls auch gefährliche Herzrhythmusstörungen auf, die sofortiger ärztlicher Hilfe bedürfen. Verschiedene Therapiemaßnahmen und die Einhaltung einer gewissen Diät sollen dazu beitragen, die Anzahl der Anfälle zu reduzieren, um somit eine langfristige Schädigung der Extremitätenmuskulatur bis zur Gehunfähigkeit zu verhindern.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Störungen des Muskelapparates, Einbußen der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie Sensibilitätsstörungen sind einem Arzt vorzustellen. Kommt es zu Problemen bei der Fortbewegung, Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten sowie einer Erstarrung der Muskulatur, wird ein Arzt benötigt. Die Besonderheit der periodischen Lähmung sind zwischenzeitliche Phasen der Beschwerdefreiheit. Obgleich sich eine Spontanheilung einstellt, wird ein Arzt benötigt. Da nach einer gewissen Zeit eine Wiederkehr der Lähmung auftritt, ist es ratsam, dass der Betroffene auf diese Situation ausreichend vorbereitet ist.
Schweißausbrüche, vegetative Störungen sowie Unregelmäßigkeiten des Herzrhythmus sind untersuchen und behandeln zu lassen. Eine innere Schwäche oder Unruhe, Schlafstörungen und ein vermindertes Wohlbefinden sind Anzeichen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Ein Arzt ist aufzusuchen, damit eine Diagnosestellung erfolgen kann und ein Behandlungsplan erstellt wird. Bei einem Völlegefühl oder Unstimmigkeiten des Verdauungstraktes benötigt der Betroffene eine medizinische Versorgung.
Steigt die Unfall- und Verletzungsgefahr oder können die alltäglichen Anforderungen nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden, ist ein Arztbesuch anzuraten. Bei psychischen Problemen, einem anhaltenden Stresserleben sowie Angstzuständen ist es zu empfehlen, einen Arzt um Unterstützung zu bitten. In den meisten Fällen kommt es ohne eine ärztliche Behandlung zu einer Zunahme der Beschwerden und emotionalen Belastungszustände. Charakteristisch für die Erkrankung ist das gesteigerte Durstgefühl.
Behandlung & Therapie
Bei einer hypokalimäischen Lähmung lässt sich ein Anfall therapeutisch mit hohen Dosen Kaliumchlorid unterbrechen. Die Gabe findet oral statt und das EKG wird während der Therapie ununterbrochen überprüft. Auf lange Sicht lassen sich die Attacken bei dieser Form der periodischen Lähmung durch kohlenhydratarme und kochsalzarme Kost vermeiden.
Zusätzlich zu diesen diätischen Maßnahmen kann der Verzicht auf starke Muskelbelastungen bei der Anfallsprävention zielführend sein. Zur medikamentösen Anfallsprophylaxe wird zusätzlich oft Azetazolamid gegeben. Auch andere medikamentöse Verfahren kommen infrage, so beispielsweise die Gabe von Triamteren oder Lithium. Die Therapie der hyperkalimäischen Form besteht während einer Attacke vor allem aus einer intravenösen Infusion von Calciumgluconat, Glucose oder Insulin.
Diese Methoden lassen die bestehende Hyperkaliämie zurückgehen. Zur Anfallsprophylaxe werden diätische Maßnahmen wie der Verzicht auf kaliumreiche Nahrungsmittel empfohlen. Auch eine kohlenhydratreiche Diät und ausreichende Kochsalzzufuhr sind bei dieser Form der periodischen Lähmung empfehlenswert. Als medikamentöse Prophylaxe kommt die Verabreichung von Azetazolamid und Hydrochlorothiazid infrage.
Aussicht & Prognose
Bei periodisch auftretenden Lähmungen kann es sich um zwei verschiedene Typen handeln. Die erste Variante wird als periodisch auftretende hypokaliämische Lähmung beschrieben. Die zweite Variante ist eine periodische hyperkaliämische Lähmung. Beide haben gemeinsam, dass die periodisch auftretenden Lähmungserscheinungen in enger Verbindung zum Kaliumspiegel im Blut auftreten.
Kommt es bei diesen sogenannten "Kanalkrankheiten" zu Abweichungen des Kaliumspiegels, treten Lähmungen auf. Diese verschwinden aber wieder, wenn der Kaliumspiegel angehoben bzw. abgesenkt wird. Die Lähmungen betreffen die Muskulatur. Der Vorgang, der die muskulären Tätigkeiten auslöst, hängt von komplexen Mechanismen ab. Diese sind noch nicht hinreichend genug erforscht. Kalium spielt bei diesen jedoch eine tragende Rolle.
Die rumpfnahen Extremitäten sind am häufigsten von periodischen Lähmungen durch Kalium-Mängeln oder -Überdosen betroffen. Behandelt wird wahlweise mit Kaliumchlorid oder Kalzium-Glukonat. Die hypokaliämisch verursachten periodischen Lähmungen können durchaus mehrere Tage anhalten. Die hyperkaliämischen Lähmungen dauern hingegen nur wenige Minuten an. Sie können aber auch die Gesichts- und Schlund-Muskulatur betreffen. Die periodischen Lähmungen mindern die Lebensqualität der Betroffenen ganz erheblich.
Wenn der Kaliumspiegel ausgeglichen ist, haben die Betroffenen keine erkennbaren Beschwerden. Nach vielen Jahren der Erkrankung entwickeln viele der betroffenen Patienten jedoch durch ihre periodische Lähmung eine chronisch progrediente Myopathie. Mit der Chronifizierung der Muskelerkrankung verschlechtert sich die Prognose.
Vorbeugung
Der periodischen Lähmung lässt sich bislang nicht vorbeugen, da es sich um eine genetische Erkrankung handelt und längst nicht alle ursächlichen Zusammenhänge der Krankheit geklärt sind.
Nachsorge
Einige Erkrankungen klingen nach einer Therapie ab. Die Nachsorge zielt dann darauf, das Wiederauftreten der Beschwerden zu verhindern. Bei der periodischen Lähmung handelt es sich demgegenüber um einen genetischen Defekt. Dieser ist nicht heilbar. Medizinische Maßnahmen beziehungsweise die Nachsorge erstrecken sich auf das gesamte Leben.
Betroffene können über Selbsthilfemaßnahmen ihr Leiden gegebenenfalls reduzieren. Geeignet sind etwa eine Umstellung der Ernährung sowie eine Anpassung der Wohnungseinrichtung an bestimmte Bedürfnisse, die aus der Krankheit herrühren. Ein Arzt vermittelt für gewöhnlich entsprechende Informationen im Rahmen der Erstdiagnose.
Die eigentliche Nachsorge bei einer periodischen Lähmung zielt auf eine Alltagsunterstützung und Dauerbehandlung. Arzt und Patient vereinbaren einen individuellen Rhythmus für Vorstellungen. Neben einem ausführlichen Gespräch über den gegenwärtigen Gesundheitszustand findet auch eine körperliche Untersuchung statt. Manche Ärzte verwenden zu Kontrollzwecken auch ein Elektromyogramm. Die Nachsorge besteht aus einer medikamentösen Behandlung.
Insbesondere das soziale Umfeld sollte darin eingebunden werden. Denn die periodische Lähmung führt zu einer vorübergehenden Hilflosigkeit und Bewegungsunfähigkeit. Mit zunehmendem Alter der Patienten treten die Symptome häufiger auf. Die Nachsorge kann dann oft nur noch von therapeutischem Fachpersonal umgesetzt werden. Die Unterbringung in einer betreuten Wohneinheit wird meist unausweichlich.
Das können Sie selbst tun
Menschen mit einer periodischen Lähmung haben einen genetischen Defekt, den sie trotz aller Bemühungen nicht beheben können. Daher sind Maßnahmen zu ergreifen, die lebenslang angewendet werden müssen. Eine medizinische Versorgung und regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind notwendig, um die Gesundheit des Betroffenen ausreichend zu überprüfen. Die mit dem Arzt erarbeitete Therapie sollte eingehalten und befolgt werden, damit keine weiteren Unregelmäßigkeiten auftreten.
Liegt bei dem Patienten ein Kaliummangel vor, kann der Betroffene zusätzlich seine Ernährung umstellen. Rote Beete, Feldsalat, Mangold, Kohlrabi oder Artischocken sind Lebensmittel, die reich an Kalium sind. Die Mahlzeiten sollten mit frischem und unbehandeltem Gemüse zubereitet werden, damit möglichst viele Vitamine und Nährstoffe in den Organismus gelangen können.
Um die allgemeine Unfallgefahr der periodischen Lähmung zu minimieren, sollte die Umgebung des Betroffenen an die Symptome der Erkrankung angepasst werden. Die Wohnungseinrichtung ist optimieren, damit der Patient bei einem Eintreten der Muskelbeschwerden keine Verletzungen erleidet. Da die Lähmungserscheinungen mehrere Stunden oder Tage anhalten, sollten Betroffene wie Angehörige vorbereitet sein und einen funktionierenden Ablaufplan für das Ergreifen von Sofortmaßnahmen erstellen. In vielen Fällen entwickeln Patienten eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Abläufe des eigenen Körpers. Sie erkennen rechtzeitig Warnsignale und können daher vorbeugend agieren. Hilfreich kann zudem ein Austausch mit anderen Erkrankten sein.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013