Thyreostatika
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 30. Oktober 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Thyreostatika sind Wirkstoffe, die hemmend in den Hormonstoffwechsel der Schilddrüse eingreifen und hauptsächlich bei verschiedenen Hyperthyreoseformen zum Einsatz kommen. Neben den pharmazeutischen Thyreostatika existieren auch einige pflanzliche bzw. homöopathische Substanzen, die allerdings nur bei leichten Schilddrüsenüberfunktionen therapeutisch in Betracht gezogen werden sollten.
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Was sind Thyreostatika?
Als Thyreostatika werden Substanzen bezeichnet, die über die Hemmung der Synthese bzw. Sekretion der Schilddrüsenhormone oder des Einbaus von Jod in die Vorstufen der Thyreohormone die Schilddrüsenfunktion normalisieren und eine Remission der klinischen Symptome bewirken.
Allgemein werden thyreostatisch wirkende Substanzen in sogenannte Iodinations- und Iodisationshemmer sowie Jodide unterteilt, die in unterschiedlicher Weise in den Hormonstoffwechsel der Schilddrüse eingreifen.
Thyreostatika kommen in aller Regel bei der Therapie verschiedener Subformen einer Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) wie Morbus Basedow, funktioneller Schilddrüsenautonomie sowie einer jodinduzierte Hyperthyreose zum Einsatz.
Geschichte & Entwicklung
Die Entdeckung und Entwicklung von Thyreostatika, Medikamenten zur Hemmung der Schilddrüsenfunktion, begann im frühen 20. Jahrhundert, als Wissenschaftler die Mechanismen der Schilddrüsenhormonproduktion besser verstanden. Die ersten Ansätze zur Behandlung einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) waren noch grob und unspezifisch, etwa mit hochdosiertem Jod, das paradoxerweise die Hormonproduktion in bestimmten Dosierungen hemmen kann. Diese Methode war jedoch nicht optimal und mit vielen Nebenwirkungen verbunden.
In den 1940er Jahren gelang es Forschern, die ersten gezielten Thyreostatika zu entwickeln. Carbimazol und Propylthiouracil wurden als Medikamente eingeführt, die die Schilddrüse daran hindern, Jod aufzunehmen und in Hormone umzuwandeln. Dies stellte einen Meilenstein in der Behandlung der Hyperthyreose dar, da Patienten nun eine gezielte und wirkungsvolle Medikation zur Verfügung stand, die weniger invasive Maßnahmen wie Operationen oder Radiojodtherapie teilweise ersetzte oder ergänzte.
In den folgenden Jahrzehnten wurden diese Wirkstoffe weiterentwickelt und verfeinert. Methimazol, ein Derivat von Carbimazol, wurde als besonders wirksames und gut verträgliches Thyreostatikum populär. Heute sind Thyreostatika wie Methimazol und Propylthiouracil weltweit Standard in der medikamentösen Behandlung von Hyperthyreose und Morbus Basedow. Sie bieten eine zuverlässige Möglichkeit, die Schilddrüsenfunktion zu regulieren und werden individuell an die Bedürfnisse des Patienten angepasst, wodurch eine effektive und nebenwirkungsärmere Therapie möglich ist.
Medizinische Anwendung, Wirkung & Gebrauch
Die drei verschiedenen Substanzgruppen der Thyreostatika entwickeln ihre Wirkung an unterschiedlichen Angriffspunkten des Stoffwechsels der Schilddrüse bzw. der Schilddrüsenhormone und dienen der Normalisierung und Stabilisierung der Schilddrüsenfunktion.
So wirken die sogenannten Thioharnstoffderivate hemmend auf die Peroxidasen (Iodisationshemmer). Diese Enzyme katalysieren die Reduktion von Peroxiden, die wiederum für den Einbau von Jod in die Hormone der Schilddrüse sowie die Bindung der Vorstufen Monoiodtyrosin und Diiodtyrosin erforderlich sind. Diese Thyreostatika kommen insbesondere bei Morbus Basedow, bei der Vor- und Nachbehandlung einer Radiojodtherapie, im Vorfeld eines operativen Eingriffs sowie bei einer thyreotoxischen Krise zum Einsatz.
Bei Strumabildung sowie Überempfindlichkeitsreaktionen (u.a. Fieber, Urtikaria) die Applikation dieser Thyreostatika kontraindiziert. Perchlorat (Iodinationshemmer) reduziert hingegen vor allem den Transport von Jodid in die Schilddrüse, indem es die Aufnahme von Jodid in die Thyreozyten hemmt. Perchlorat weist lediglich eine geringe therapeutische Breite auf und wird in aller Regel zur schnellen Jodidblockade der Schilddrüse bzw. prophylaktisch im Vorfeld radiologischer Untersuchungen mit jodhaltigen Kontrastmitteln angewandt, vor allem bei Betroffenen, bei denen durch das Kontrastmittel eine thyreotoxische Krise ausgelöst werden kann.
Jodide vermindern hochdosiert die Hormonsekretion, indem sie die Enzyme blockieren, die im Blut die Schilddrüsenhormone freisetzen, so dass diese nicht mehr wirksam werden können. Jodide werden ausschließlich präoperativ, zumeist in Kombination mit Thioharnstoffderivaten, oder kurzfristig bei thyreotoxischen Krisen appliziert.
Pflanzliche, natürliche & pharmazeutische Thyreostatika
Pflanzliche Thyreostatika beinhalten als Einzel- oder Kombinationstherapeutika in erster Linie Wolfstrappkraut (Lycopi herba) bzw. Extrakte oder Auszüge aus Lycopi herba. Vor allem der in den Blättern der Pflanze enthaltenden Lithospermsäure wird über die Hemmung des Jodtransports eine senkende Eigenschaft auf die Schilddrüsenhormone zugesprochen.
Das Thyreostatikum sollte allerdings lediglich bei einer leichten Überfunktion der Schilddrüse mit Nervosität und/oder Rhythmusstörungen (sogenannte vegetativ-nervösen Störungen) zum Einsatz kommen. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass Lycopi herba enthaltende Präparate radioisotopische Untersuchungen der Schilddrüse beeinträchtigen können. Zudem ist Wolfstrappkraut bei einer Vergrößerung der Schilddrüse ohne Funktionsbeeinträchtigung kontraindiziert.
Im Rahmen einer homöopathischen Therapie können neben Lycopi herba Chininum arsenicosum (Chininarsenit), Lycopus virginicus (Virginischer Wolfstrapp), Adonis vernalis (Adonisröschen), Fucus vesiculosus (umgangssprachlich Blasentang), Kalium iodatum (Schüßler-Salz Nr. 15) oder Jodum, insbesondere bei leichter Überfunktion mit nervösen Herzbeschwerden, appliziert werden.
Gebräuchliche und therapeutisch bewährte chemisch-pharmazeutische Mittel sind vor allem Perchlorat, das als Iodinationshemmer die Aufnahme von Jodid hemmt, sowie die Thioharnstoffderivate Thiamazol, Carbimazol und Propylthiouracil, die als Iodisationshemmer reduzierend die Synthese der Schilddrüsenhormone wirken.
Risiken & Nebenwirkungen
Thyreostatische Therapiemaßnahmen können im Abhängigkeit zur Dosierung zu unterschiedlichen unerwünschten Nebeneffekten führen. So können bei geringen Dosen häufig Überempfindlichkeitsreaktionen (Arzneimittelexantheme) und gelegentlich auch Gelenkschmerzen beobachtet werden.
Insbesondere hohe Dosen führen zu einer ausgeprägten Suppression der Schilddrüse, durch welche die Hypophyse die TSH-Sekretion zur Erhöhung der Hormoninkretion ankurbelt und so eine Hyperplasie bedingen kann. Weitere Nebeneffekte von Thyreostatika sind Veränderungen des Blutbild (Leukopenie, Granulozytopenie oder Agranulozytose), Struma (Schilddrüsenvergrößerung), Leberschäden, Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), Ikterus (Gelbsucht), Progression des Exopthalmus (hervortretende Augen) sowie Magen-Darm-Beschwerden.
Zudem sollte während einer Schwangerschaft möglichst auf die Anwendung von Thyreostatika verzichtet werden, da diese die Plazentaschranke überwinden, die Schilddrüse des heranwachsenden Kindes beeinträchtigen und zu einer Hypothyreose führen können.
Anwendung & Sicherheit
Thyreostatika wie Methimazol und Propylthiouracil werden zur Behandlung einer Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) eingesetzt. Sie hemmen die Produktion von Schilddrüsenhormonen, indem sie die Jodaufnahme und -verarbeitung in der Schilddrüse blockieren. Die genaue Dosierung hängt vom individuellen Hormonspiegel und der Diagnose ab und wird meist schrittweise angepasst. Die Einnahme erfolgt oral, oft zu den Mahlzeiten, um die Verträglichkeit zu verbessern. Zu Beginn der Therapie werden häufig höhere Dosierungen verschrieben, die dann reduziert werden, sobald sich die Schilddrüsenwerte stabilisieren.
Die Sicherheit der Anwendung von Thyreostatika wird regelmäßig überprüft, da diese Medikamente Nebenwirkungen wie Hautausschläge, Gelenkschmerzen oder in seltenen Fällen eine Agranulozytose (eine gefährliche Reduktion der weißen Blutkörperchen) hervorrufen können. Daher sind regelmäßige Blutuntersuchungen während der Behandlung notwendig, um frühzeitig auf Nebenwirkungen reagieren zu können.
Die Herstellung von Thyreostatika unterliegt strengen Qualitätskontrollen, die durch internationale und nationale Arzneimittelbehörden geregelt werden. Produktionsstätten werden regelmäßig auf Reinheit und Einhaltung der Standards überprüft. Außerdem werden während der Herstellung Tests auf Wirkstoffreinheit, Stabilität und Wirkstoffgehalt durchgeführt. Diese Maßnahmen stellen sicher, dass jedes Medikament die festgelegten Qualitätskriterien erfüllt und für die sichere Anwendung im klinischen Alltag geeignet ist.
Alternativen
Zu Thyreostatika gibt es alternative Therapieformen und Medikamente zur Behandlung einer Schilddrüsenüberfunktion, die je nach Schweregrad und Ursache der Erkrankung eingesetzt werden. Eine der Hauptalternativen ist die Radiojodtherapie. Bei dieser Methode nimmt die Schilddrüse radioaktives Jod auf, das die überaktiven Zellen gezielt zerstört, wodurch die Hormonproduktion langfristig gesenkt wird. Diese Behandlung ist effektiv und oft dauerhaft, jedoch nicht reversibel, und führt in vielen Fällen zu einer lebenslangen Schilddrüsenunterfunktion, die eine Hormontherapie erfordert.
Eine weitere Option ist die chirurgische Entfernung eines Teils oder der gesamten Schilddrüse. Diese Methode wird vor allem dann angewendet, wenn Knoten, Schilddrüsenkrebs oder eine stark vergrößerte Schilddrüse vorliegen. Die Operation kann eine sofortige und vollständige Lösung bieten, birgt jedoch Risiken wie Stimmbandverletzungen oder eine dauerhafte Unterfunktion, die ebenfalls eine lebenslange Hormonersatztherapie erforderlich machen kann.
Im Vergleich bieten Thyreostatika den Vorteil einer reversiblen und kontrollierbaren Behandlung, bei der die Hormonproduktion gezielt gehemmt wird, ohne die Schilddrüse dauerhaft zu zerstören. Sie sind ideal für Patienten, die eine nicht-invasive Behandlung wünschen oder bei denen eine Hyperthyreose reversibel ist, wie z.B. bei Morbus Basedow. Allerdings ist die Einnahme über einen längeren Zeitraum nötig, und regelmäßige Kontrollen sind erforderlich, um Nebenwirkungen zu überwachen und die Dosierung anzupassen.
Forschung & Zukunft
Aktuelle Trends in der Forschung zu Thyreostatika konzentrieren sich auf die Entwicklung von zielgerichteten Medikamenten, die die Nebenwirkungen und Risiken der traditionellen Thyreostatika wie Methimazol und Propylthiouracil reduzieren sollen. Ein Hauptfokus liegt auf der Verbesserung der Sicherheit und Verträglichkeit der Medikamente, da insbesondere seltene, aber schwere Nebenwirkungen wie die Agranulozytose problematisch sind. Ein Ansatz ist die gezielte Wirkstoffabgabe, bei der neue Verabreichungssysteme entwickelt werden, die den Wirkstoff direkt zur Schilddrüse transportieren und so die allgemeine Belastung des Körpers reduzieren.
Ein weiterer Bereich der Forschung untersucht die Kombination von Thyreostatika mit Immuntherapien, insbesondere für die Behandlung von Morbus Basedow, einer Autoimmunerkrankung. Diese Kombination zielt darauf ab, die Immunreaktion direkt zu modulieren und so die zugrunde liegende Ursache der Hyperthyreose zu behandeln, anstatt nur die Hormonproduktion zu senken. Durch diese neuen Ansätze hoffen Forscher, die Rückfallrate zu senken und die Langzeitbehandlung effektiver zu gestalten.
Neben Medikamenten wird in der Forschung auch die genetische Komponente der Hyperthyreose untersucht. Genetische Marker könnten in Zukunft dabei helfen, individuelle Behandlungspläne zu erstellen, die auf das spezifische Risiko und die Stoffwechselmerkmale des Patienten abgestimmt sind. Diese personalisierte Medizin könnte die Dosierung optimieren und Nebenwirkungen minimieren, was langfristig eine präzisere und schonendere Therapie ermöglicht.
Quellen
- "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
- "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
- "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor