Angelman-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Angelman-Syndrom (AS) ist gekennzeichnet durch eine Verzögerung der körperlichen und geistigen Entwicklung. Menschen mit Angelman-Syndrom bedürfen einer lebenslangen ständigen Betreuung, da sie sich weder selbst versorgen noch Gefahren richtig einschätzen können. Die seltene genetisch bedingte Erkrankung erhielt ihren Namen durch den britischen Kinderarzt Harry Angelman, der das Krankheitsbild im Jahr 1965 als erster unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten beschrieb.
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Was ist das Angelman-Syndrom?
Äußerlich fallen Menschen mit Angelman-Syndrom durch einen flachen Hinterkopf, einen großen Mund mit hervorstehendem Unterkiefer und einen breitbeinigen unkoordinierten Gang auf.
Weitere Merkmale des Angelman-Syndroms sind eine schwach pigmentierte Haut, sowie kleine Hände und Füße. Oft tritt in der Pubertät eine Skoliose, eine S-förmige Verkrümmung der Wirbelsäule, auf. 90 Prozent der Menschen mit Angelman-Syndrom leiden unter Epilepsie. Besonderheiten im Verhalten äußern sich unter anderem durch eine fröhlich wirkende Grundstimmung mit häufigem Lächeln und Lachen, eine auffällige Begeisterung für Wasser und eine intensive Suche nach körperlicher Nähe.
Konzentrationsschwierigkeiten, das Ausbleiben des Sprechens und eine überdurchschnittlich lange Dauer der oralen Phase kennzeichnen ebenfalls das Angelman-Syndrom.
Ursachen
Die Ursachen für das Angelman-Syndrom sind erblich bedingt. Am häufigsten ist eine durch die Mutter vererbte Anomalie auf dem 15. Chromosom. Meistens besteht diese Anomalie darin, dass kleine Abschnitte des Chromosoms fehlen.
Bei zehn Prozent der Anomalie dagegen handelt es sich um eine Genmutation. In diesen Fällen wurden bei der Mutter des Kindes mit Angelman-Syndrom keine fehlerhaften Abschnitte auf dem Chromosom 15 gefunden. Demnach ist es möglich, dass die Anomalie während der Entwicklung einer Eizelle entstanden ist.
In Einzelfällen kann die Ursache des Angelman-Syndroms auch darin liegen, dass beide Chromosomen 15 allein vom Vater stammen. Bei ungefähr zehn Prozent der Betroffenen mit Angelman-Syndrom waren keine Anomalien des 15. Chromosomenpaares erkennbar. Möglicherweise ist die Veränderung am Erbgut zu klein, und kann mit aktuell vorhandener Technik nicht festgestellt werden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Das Angelman-Syndrom äußert sich durch verschiedene körperliche Symptome und Verhaltensweisen. Die typischen Anzeichen treten meist erst nach dem dritten Lebensjahr auf und betreffen den gesamten Körper. Zunächst leiden die betroffenen Kinder unter Bewegungs- oder Gleichgewichtsstörungen, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Typisch sind der unkoordinierte Gang und die ruckartigen Bewegungen der Arme und Beine.
Begleitend dazu kann ein hypermotorisches und hyperaktives Verhalten festgestellt werden – die Betroffenen sind ruhelos und bewegen sich ununterbrochen. Die Sprachentwicklung ist meist beeinträchtigt. Die Betroffenen verstehen zwar, was zu ihnen gesagt wird, selbst können sie zumeist aber nicht sprechen.
Generell ist die körperliche und geistige Entwicklung verzögert, was sich im Verlauf der Erkrankung durch eine zunehmende Retardierung und diverse körperliche Einschränkungen äußert. Darüber hinaus kann das Angelman-Syndrom viele weitere Symptome hervorrufen. Oft haben betroffene Kinder epileptische Anfälle oder leiden unter einer sogenannten Mikrozephalie, einem zu kleinen Kopf.
Weitere äußerliche Merkmale sind der ausgeprägte Kiefer und der breite Mund, die weit auseinander stehenden Zähne, Schielen und breitbeiniges Laufen mit nach außen gedrehten Füßen. Betroffene Kinder sind außerdem fasziniert von Wasser, knisterndem Papier und Plastik und haben ein ungewöhnliches Essverhalten. Typisch ist auch die wenig pigmentierte Haut, verbunden mit hellem Haar und heller Augenfarbe.
Diagnose & Verlauf
Bisher sind zwei Verfahren bekannt, um die Diagnose Angelman-Syndrom zu stellen. Zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr bemerken Kinderneurologen auffällige EEG-Werte.
Gewissheit, ob das Kind mit dem Angelman-Syndrom geboren wurde, gibt ein positiver Gentest. Im Säuglings- und frühen Kleinkindalter sind die bestehenden Entwicklungsprobleme beim Angelman-Syndrom kaum erkennbar. Diagnosen werden mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von 1 : 15.000 bis 1 : 20.000 gestellt.
Möglicherweise gibt es noch mehrere Fälle dieser Besonderheit. Oft wird die Diagnose Angelman-Syndrom gar nicht gestellt. Stattdessen wird angenommen, es handele sich um Autismus. Bei Jungen und Mädchen besteht gleichermaßen die Möglichkeit, mit dem Angelman-Syndrom geboren zu werden. Die Lebenserwartung von Menschen mit Angelman-Syndrom ist normal. Eine heilpädagogische Frühförderung kann deren Selbstständigkeit stark verbessern.
Komplikationen
Beim Angelman-Syndrom kommt es vor allem zu geistigen und körperlichen Entwicklungen. Häufig kommt es bei der Betroffenen zu grundlosem Lachen. Dies kann auf viele Mitmenschen abstoßend und merkwürdig wirken, so dass diese die Betroffene sozial isolieren. Daneben wird ein hyperaktives und hypermotorisches Verhalten beobachtet, so dass die Verletzungsgefahr groß ist.
Im Rahmen des Angelman-Syndroms kommt es häufiger zu epileptischen Anfällen, wobei sich die Betroffenen verletzen können. Zusätzlich kann es zum lebensgefährlichen Status epilepticus kommen. Dieser besonders lang andauernde Anfall kann mehrmals nacheinander auftreten und ist schwer zu behandeln, weswegen sofort ein Notarzt hinzugezogen werden soll und eine intensivmedizinische Betreuung angesetzt werden soll.
Des Weiteren kommt es bei einer Patientin zum Schielen (Strabismus). In den frühen Jahren sollte dies schnellstmöglich behandelt werden, da es schon im Schulalter nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und so zu einer Schwachsichtigkeit (Amblyopie) führen kann. Nach einer Operation besteht immer das Risiko, dass das Schielen wiederkehrt, so dass eine weitere Operation der Augenmuskeln von Nöten ist.
Eine weitere Komplikation des Angelman-Syndroms ist eine Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose). Im Laufe der Jahre nutzen sich dabei immer mehr die Wirbelkörper und deren Bandscheiben ab, so dass diese starke Schmerzen verursachen. Auch verkleinert sich hierbei der Thorax, Organe werden eingeengt und in ihrer Funktion eingeschränkt wie zum Beispiel das Herz oder die Lunge.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei dem Verdacht auf das Angelman-Syndrom sollten Eltern mit dem zuständigen Kinderarzt oder einem Kinderneurologen sprechen. Ob es sich um die Erkrankung handelt, kann anhand verschiedenen körperlicher Symptome und Verhaltensweisen festgestellt werden. Wird dieses Krankheitsbild (verzögerte geistige und körperliche Entwicklung, Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen, u.a.) bemerkt, empfiehlt sich ein Arztbesuch.
Besonders das Hauptmerkmal, sehr häufiges und grundloses Lächeln, sollte Anlass zu einer medizinischen Abklärung geben. Die Symptome treten meist zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr auf und können anhand von Info-Broschüren und Foren selbst zugeordnet werden. Eine ärztliche Diagnose sollte dennoch stattfinden, damit zügig geeignete Therapiemaßnahmen eingeleitet werden können.
Teil der Behandlung sollten immer auch Gespräche mit Psychologen und anderen betroffenen Eltern sein. Eltern sollten außerdem den Besuch spezieller Gesprächskreise für Kinder mit dem Angelman-Syndrom in Betracht ziehen. In manchen Fällen muss beim Angelman-Syndrom der Notarzt eingeschaltet werden. Dann etwa, wenn Krampfanfälle auftreten oder es in Folge der Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen zu einem Unfall kommt.
Behandlung & Therapie
Das Angelman-Syndrom ist bislang nicht heilbar. Medizinisch relevant sind jedoch adäquate Maßnahmen zur Behandlung der körperlichen Beschwerden. Die Physiotherapie eignet sich zur Stabilisierung der Wirbelsäule, um möglichen Folgeschäden durch die Skoliose, die bei sehr vielen Menschen mit Angelman-Syndrom auftritt, entgegen zu wirken.
Gegebenenfalls ist die Vergabe von entsprechenden Medikamenten nötig, um epileptischen Anfällen vorzubeugen. Menschen mit Angelman-Syndrom zeigen zwar eine beeinträchtigte Sprachentwicklung und sprechen fast nie selbst. Trotzdem verfügen sie über ein gutes Sprachverständnis. Mit fachgerechter Unterstützung sind Betroffene durchaus dazu fähig, alternative Kommunikationsformen wie die Gebärdenunterstützte Kommunikation oder die Bildkommunikation zu erlernen.
Durch Therapeutisches Reiten ist es Kindern mit Angelman-Syndrom möglich, ihren Gleichgewichtssinn zu verbessern und dadurch sicherer zu laufen. Weitere therapeutische Maßnahmen zur Verbesserung der Feinmotorik, Selbstständigkeit und der Körperwahrnehmung sind Ergotherapie, Logopädie und sensorische Integrationstherapie.
Darüber hinaus wirken sich eine aufmerksame Pflege, liebevolle Zuwendung sowie eine intensive pädagogische Betreuung positiv auf Menschen mit Angelman-Syndrom aus.
Aussicht & Prognose
In der Regel wirkt sich das Angelman-Syndrom sehr negativ auf die Entwicklung des Patienten aus und kann diese stark verzögern. Dabei wird nicht nur die geistige, sondern auch die physische und motorische Entwicklung des Patienten eingeschränkt, sodass es zu starken Einschränkungen und Schwierigkeiten im Erwachsenenalter kommt. Nicht selten sind die Betroffenen dann auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Es kommt dabei zu Störungen der Koordination und der Konzentration. Auch das Lesen und Schreiben fällt den Betroffenen durch das Angelman-Syndrom in der Regel schwer und es treten Sprachstörungen auf.
Weiterhin können die Patienten auch an epileptischen Anfällen leiden, wodurch es im schlimmsten Falle auch zum Tode kommen kann. Das Verhalten der Betroffenen ist hyperaktiv, wodurch Eltern und Angehörige nicht selten an psychischen Beschwerden oder an Depressionen erkranken.
Eine direkte kausale Behandlung dieser Krankheit ist in der Regel nicht möglich. Die Betroffenen sind dabei in ihrem gesamten Leben auf Therapien und auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Ob es durch die Erkrankung auch zu einer verringerten Lebenserwartung kommt, kann in der Regel nicht universell vorausgesagt werden.
Vorbeugung
Dem Angelman-Syndrom kann nicht vorgebeugt werden. Durch Gentests während der Schwangerschaft ist es möglich, das Angelman-Syndrom des ungeborenen Kindes zu erkennen. Ein solches Verfahren birgt jedoch zahlreiche Risiken und sollte nur nach gründlicher Abwägung in Absprache mit dem behandelnden Arzt durchgeführt werden. Durch eine Ultraschalluntersuchung kann das Angelman-Syndrom nicht festgestellt werden.
Nachsorge
Beim Angelman-Syndrom sind die Möglichkeiten zur Nachsorge in der Regel sehr stark eingeschränkt. Da es sich um eine erblich bedingte Erkrankung handelt, kann diese nicht vollständig und auch nur rein symptomatisch behandelt werden. Der Betroffene ist meist auf eine lebenslange Therapie angewiesen.
Sollte dennoch ein Kinderwunsch bestehen, so kann auch eine genetische Beratung durchgeführt werden, um das Vererben des Angelman-Syndroms an die Kinder zu verhindern. Die Behandlung des Syndroms erfolgt in der Regel durch eine Physiotherapie und verschiedene Übungen. Diese können auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden, wodurch die Beweglichkeit des Betroffenen deutlich gesteigert wird.
In den meisten Fällen wirkt sich auch eine intensive und liebevolle Pflege durch die Angehörigen und die Familie sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus. Der Patient benötigt beim Angelman-Syndrom allerdings immer Unterstützung in seinem Alltag und kann diesen oft nicht alleine meistern. Durch eine intensive Förderung können auch die intellektuellen Beschwerden gelindert werden. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch das Angelman-Syndrom in der Regel nicht eingeschränkt.
Das können Sie selbst tun
Da die betroffenen Patienten unter einer Verzögerung der körperlichen und geistigen Entwicklung leiden, sind sie in der Regel nicht im Stande, aus eigenem Antrieb Selbsthilfemaßnahmen zu ergreifen. Darüber hinaus tritt diese genetisch bedingte Krankheit bereits von Geburt an auf. Es sind also in erster Linie die Familienangehörigen der Patienten gefordert.
Das Angelmann-Syndrom ist eine relativ seltene Krankheit. Eltern sollten deshalb darauf achten, dass ihr Kind von einem Arzt betreut wird, der mit dieser Störung bereits Erfahrung hat. Bei den meisten Kindern mit Angelmann-Syndrom ist die Sprachentwicklung stark verzögert. Eine gezielte sprachtherapeutische begleitung des Kindes kann dieses Defizit zwar nicht beheben, aber in manchen Fällen zumindest abschwächen.
Oft sind die Betroffenen aber dennoch nicht im Stande, mittels Sprache mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Viele Angelmann-Patienten verfügen aber über ein gutes Sprachverständnis und sind deshalb in der Lage, die Gebärdensprache zu erlernen. Diese Fähigkeit sollte den Betroffenen möglichst früh vermittelt werden, da sich die Kommunikation mit ihrem Umfeld positiv auf die geistige Entwicklung auswirkt.
Gegen die körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere die Skoliose, die häufig mit Beginn der Pubertät einsetzt, helfen physiotherapeutische Maßnahmen. Zudem kann der Gleichgewichtssinn und die Motorik durch eine Ergotherapie gefördert werden. Außerdem sollten Eltern betroffener Kinder rechtzeitig nach einer geeigneten Sonderschule suchen, wo auch in Gebärdensprache unterrichtet wird.
Quellen
- Braun, J., Dormann, A .J.: Klinikleitfaden Innere Medizin. Urban & Fischer, München 2013
- Hennig, W.: Genetik. Springer, Berlin 1995
- Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009