Behr-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Zu den selteneren Erbkrankheiten gehört auch das sogenannte Behr-Syndrom. Die Erkrankung ist degenerativ, weist Störungen des Sehnervs auf und geht mit neurologischen Schädigungen einher.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Behr-Syndrom?

Die ersten Symptome treten bereits im Kindesalter auf, meistens ab dem zweiten und dritten Lebensjahr. Gewebeschwund am Sehnerv führt zur Einschränkung der gesamten Sehschärfe und mit der Krankheit einhergehenden Sehstörungen, die im Laufe der Zeit stark zunehmen.
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Zuerst beschrieben wurde das Behr-Syndrom von dem Augenarzt Carl Julius Peter Behr, von dem sich dann auch die Bezeichnung ableitet. 1909 führte er eine Studie durch und konnte anhand von vierzig Fällen die Krankheit genauer beschreiben.

Beim Behr-Syndrom handelt es sich um eine Optikusatrophie mit neurologischen Auswirkungen. Es kann sowohl Männer als auch Frauen betreffen, die Symptome sind früh zu beobachten und drücken sich in ersten leichteren bis schwerwiegenderen Sehstörungen aus. Diese Sehschwäche geht häufig auch mit einem sensorischen Nystagmus einher. Dabei handelt es sich um die rhythmisch unkontrollierten Bewegungen der Augen. Es kommt zu einem Augenzittern, das pathologisch oder physiologisch auftritt.

Das Behr-Syndrom wird in zwei verschiedene Krankheiten unterteilt:

  • Das Behr-Syndrom I ist eine Kombination aus frühzeitig beginnender und zerebellarer Ataxie, die mit Optikusatrophie, mentaler Retardierung und Spastik einhergeht.
  • Ist das Behr-Syndrom II gemeint, handelt es sich um eine seltene und juvenile Makuladegeneration, die autosomal-rezessiv vererbt wird, wobei besonders Erkrankungen an der Netzhaut vorliegen.

Ursachen

Beim Behr-Syndrom handelt es sich immer um eine auto-rezessiv vererbte Erkrankung. Sowohl autosomal-dominante als auch x-chromosale Erbvorgänge konnten hier beobachtet werden, eine dem allen zugrundeliegende Genmutation ist noch nicht nachgewiesen worden. Die Erkrankung ist wahrscheinlich genetisch heterogen.

Innerhalb einer Familie durch Erbübertragung treten die neurologischen Störungen verschieden ausgeprägt auf. Die häufigsten Defekte drücken sich in einer Myoklonus-Epilepsie, in einer progressiv spastischen Paraplegie, die mit Schädigungen an den Pyramidenbahnen einhergeht, in Sprachstörungen, in extrapyramidalen Zeichen, in Ataxie, Minderbegabung und Harninkontinenz aus. Die Betroffenen weisen auch sensorische Störungen auf, ebenso Muskelkrämpfe, die hauptsächlich in den Beinen und den unteren Extremitäten auftreten.

Bei der Myoklonus-Epilepsie kommt es ebenfalls zu rasch unwillkürlichen Muskelzuckungen. Der epileptische Anfall ist generalisiert, klonisch und multifokal. Der Krankheitsverlauf ist von schwerwiegenden Beeinträchtigungen begleitet.

Die Pyramidenbahnen liegen in der Großhirnrinde, bilden den Übergang vom Großhirn zum Rückenmark und übertragen dort die Impulse. Sind diese gestört, treten Pyramidenzeichen auf und es kommt zu Lähmungserscheinungen. Spastische Paraplegie tritt hereditär, also als vererbter Zustand auf. Die Symptome sind eine spastische Lähmung der Beine. Der Erkrankte ist im Fortschreiten der Auswirkungen auf einen Rollstuhl angewiesen.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die ersten Symptome treten bereits im Kindesalter auf, meistens ab dem zweiten und dritten Lebensjahr. Gewebeschwund am Sehnerv führt zur Einschränkung der gesamten Sehschärfe und mit der Krankheit einhergehenden Sehstörungen, die im Laufe der Zeit stark zunehmen. Auch das Sehen des Gesichtsfeldes wird stark eingeengt, es kommt zu einem Skotom und der gelbe Fleck, der im zentralen Netzhautbereich liegt, verändert sich.

Dabei wird flimmerndes oder sich drehendes Licht wahrgenommen, das sich zwar ausdehnt, aber nicht das gesamte Gesichtsfeld betrifft. Das blitzartige Auftreten solcher Symptome geschieht meistens sporadisch. Die Orientierung im Raum ist dennoch möglich, wenn auch stark eingeschränkt. Die meisten Kinder mit dem Behr-Syndrom können kaum noch laufen und sich höchstens innerhalb des Hauses bedingt bewegen. Die Bewegungsabläufe werden stark reduziert und die Bewegungsfähigkeit kann auch komplett verloren gehen.

Diagnose & Verlauf

Da es sich beim Behr-Syndrom um eine sehr seltene Erbkrankheit handelt, die häufig auch mit Ataxie einhergeht, sind Therapiemöglichkeiten, die sich speziell mit dem Syndrom befassen, noch kaum vorhanden. Daher werden bei Auftreten der Symptome wie Ataxie und Nystagmen, die hauptsächlich Erkrankungen des Kleinhirns betreffen, therapeutische Maßnahmen unternommen, die speziell diese Formen lindern sollen. Das kann zum Beispiel durch Versuche mit Aminopyridine stattfinden, die offiziell allerdings als mögliche Therapie noch nicht zugelassen sind.

Hemmende Neuronen im Kleinhirn, auch Purkinje-Zellen genannt, setzen den Neurotransmitter GABA frei. Die Inhibition durch das Kleinhirn funktioniert nicht mehr ausreichend oder ist ganz gestört, wodurch es zu Ataxien kommt. Das betrifft auch die Augenbewegungen beziehungsweise das Augenzittern, da das Kleinhirn ebenso die Vestibulariskerne hemmt. Da meist ein Zusammenhang mit einer Funktionsstörung der Purkinje-Zellen besteht, die besonders aktiv sind und einen Kaliumkanal besitzen, blocken Aminopyridine als farblose und gelbe Feststoffe den Kaliumkanal und können so die Kleinhirnstörungen beeinflussen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Da das Behr-Syndrom vor allem die Sehstärke des Betroffenen einschränkt, sollte bei Beschwerden an den Augen oder bei plötzlichen Sehbeschwerden in jedem Fall ein Arzt aufgesucht werden. Damit können weitere Folgeschäden und mögliche Komplikationen vermieden und eingeschränkt werden. Vor allem bei Kindern müssen regelmäßige Untersuchungen an den Augen durchgeführt werden, um Folgeschäden zu vermeiden. Die Betroffenen sehen dabei nicht selten einen gelben Fleck im Sehfeld. Sollte diese Beschwerde auftreten, so muss ein Arzt aufgesucht werden.

Auch bei einem flammenden oder andersfarbigen Licht muss ein Augenarzt aufgesucht werden. Nicht selten treten die Beschwerden dabei plötzlich ein und sind nicht mit anderen Umständen oder Symptomen verbunden. Vor allem bei einem Verlust der Orientierung oder der Koordination ist eine Behandlung notwendig.

Da die Behandlung des Behr-Syndroms in der Regel nicht möglich ist, sind die Patienten auf verschiedene Therapien angewiesen, die die Bewegung und den Alltag erleichtern. Der erste Besuch beim Arzt sollte allerdings bei einem Augenarzt erfolgen. Falls das Behr-Syndrom festgestellt wird, so können direkt Übungen durchgeführt werden, die den weiteren Alltag des Betroffenen erleichtern und positiv beeinflussen können.

Behandlung & Therapie

Die häufigste Therapie richtet sich allerdings auf die verursachenden Störungen und versucht, durch Bewegungstherapie Fortschritte zu erzielen. Der Umgang mit Gehhilfen beziehungsweise Rollstuhl und Krankengymnastik sind einige Maßnahmen, die die Bewegungen verbessern können, ebenso Ergotherapie, um die Selbstständigkeit zu unterstützen und bestimmte Tätigkeiten besser ausführen zu können.

Koordinations- und Sensibilitätsstörungen werden gleichfalls behandelt, wobei es bei letzteren Symptomen auch zu einer eingeschränkten Wahrnehmung des eigenen Körpers und seiner Körpergelenke beziehungsweise die Stellung der Extremitäten kommt. Eine gezielte Schulung der Rezeptoren ist die Wiederholung unterschiedlicher Reize, das Trainieren der Sensibilität, zum Beispiel durch den Reiz von Wärme und Kälte.

Gegen die Spastik helfen Entspannungs- und Dehnungsübungen sowie Massagen. Da auch das Sprachzentrum gestört ist, hilft Logopädie dabei, die Schluck- und Sprachstörungen zu vermindern und so die Veränderungen des Sprechapparats auszugleichen.

Aussicht & Prognose

Da es sich beim Behr-Syndrom um eine Erbkrankheit handelt, kann diese nicht kausal, sondern nur symptomatisch erfolgen. Es tritt auch keine Selbstheilung ein, sodass die Betroffenen in ihrem Leben sehr stark eingeschränkt sind, wenn keine medizinische Behandlung stattfindet. Die einzelnen Beschwerden können dabei teilweise eingeschränkt werden.

Mit Hilfe einer Bewegungstherapie, Krankengymnastik oder einer Ergotherapie kann die Bewegung des Betroffenen wiederhergestellt und gefördert werden. Eine vollständige Heilung tritt allerdings nicht ein. Sollte keine Behandlung des Behr-Syndroms stattfinden, so kann der Patient im schlimmsten Falle seine Bewegungsfähigkeit vollständig verlieren. Es treten dabei auch Störungen der Koordination und der Sensibilität auf. In vielen Fällen führt das Syndrom auch zu Schluckbeschwerden, welche ebenso nur sehr eingeschränkt geheilt werden können.

Die Beschwerden an den Augen durch das Behr-Syndrom können in der Regel nicht geheilt werden. Aus diesem Grund ist das Sehfeld des Patienten stark eingeschränkt und eventuell auch mit einem gelben Fleck versehen. Dadurch erschwert sich die Koordination und die Konzentration des Betroffenen erheblich. Die Spastiken dieses Syndroms werden mit Hilfe von verschiedenen Entspannungsübungen behandelt. Allerdings kommt es auch hierbei nicht zu einem vollständig positiven Krankheitsverlauf.


Vorbeugung

Vorbeugende Maßnahmen sind beim Behr-Syndrom nicht möglich. Ähnlichkeit weist das Behr-Syndrom mit dem Costeff-Syndrom auf, wobei es bei ersterem aber nicht zu Stoffwechselanomalien kommt. Die Behandlung muss meistens über chirurgische Eingriffe erfolgen, die am Aductor-longus-Muskel oder an der Achilles-Sehne vorgenommen werden. Der Aducto-longus-Muskel ist für die Adduktion des Oberschenkels zuständig.

In Versuchen mit bildgebenden Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass einige betroffene Patienten des Behr-Syndroms eine Kleinhirnatrophie und ebenfalls symmetrische Anomalien der weißen Gehirnsubstanz aufweisen. Daher wird eine genetische Heterogenität angenommen.

Nachsorge

Da das Behr-Syndrom nicht vollständig geheilt werden kann, ist eine Nachsorge bei dieser Erkrankung nicht möglich und damit auch nicht notwendig. Der Betroffene ist hierbei auf eine lebenslange Therapie angewiesen, um die Beschwerden des Behr-Syndroms zu lindern und einzuschränken. In der Regel ist die Teilnahme an einer Krankengymnastik oder an einer Bewegungstherapie notwendig, um eine erhöhte Lebensqualität zu gewährleisten.

Auch die Schluckbeschwerden können beim Behr-Syndrom nur eingeschränkt gelindert werden, sodass der Patient auch auf eine dauerhafte Hilfeleistung durch andere Menschen angewiesen ist und seinen Alltag meist nicht alleine meistern kann. Beim Behr-Syndrom empfiehlt sich auch eine psychologische Behandlung, wobei auch die Eltern und die Angehörigen des Patienten an dieser teilnehmen können, um mögliche psychische Beschwerden zu vermeiden oder zu lindern.

Nach einem operativen Eingriff beim Behr-Syndrom sind die gewöhnlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit sich der Körper des Patienten von diesem Eingriff erholen kann. In der Regel verlaufen diese Eingriffe ohne Komplikationen und erleichtern das Leben des Patienten. Durch Dehnübungen und Massagen können die weiteren Beschwerden gelindert und eingeschränkt werden. Eine vollständige Heilung des Behr-Syndroms tritt jedoch nicht ein. Ob es durch das Behr-Syndrom zu einer eingeschränkten Lebenserwartung des Patienten kommt, kann nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden.

Das können Sie selbst tun

Es gibt keine Selbsthilfemaßnahmen, die die Grunderkrankung bekämpfen. Patienten stehen aber Möglichkeiten zur Verfügung, die die Symptome und die Einschränkungen im Alltag mildern. Geht die Erkrankung mit spastischen Lähmungen einher, sollte eine Bewegungstherapie begonnen werden. Rollstühle und Gehhilfen helfen dabei, das Verletzungsrisiko zu mindern und die Mobilität nicht gänzlich zu verlieren.

Dehnübungen und medizinische Massagen helfen bei einer überhöhten Eigenspannung der Skelettmuskulatur. Bei Sprachstörungen sollte ein Logopäde zugezogen werden.

Das Behr-Syndrom tritt oft schon im Kindesalter auf. Hier ist es wichtig, dass Erzieher oder Lehrer über die Sehstörung und deren Ursachen aufgeklärt werden, damit nicht auf eine Lernschwäche oder andere kognitive Defizite geschlossen wird. Wenn bei Kindern aufgrund der Sehschwäche auch die Orientierung im Raum gestört ist, können diese meist keinen konventionellen Kindergarten und keine normale Schule besuchen.

Um den betroffenen Kindern dennoch eine schulische Ausbildung zu ermöglichen, die ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht, sollten Eltern sich bereits sehr frühzeitig um einen Platz in einer geeigneten Einrichtung bemühen oder mit der Schulbehörde und der Krankenkasse abklären, unter welchen Voraussetzungen Privatunterricht zuhause möglich ist.

Quellen

  • Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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