Dissoziative Identitätsstörung (multiple Persönlichkeitsstörung)
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die dissoziative Identitätsstörung, auch als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt, beschreibt eine Krankheit, bei der verschiedene Persönlichkeiten bzw. Teil-Identitäten das Verhalten einer Person steuern.
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Was ist eine dissoziative Identitätsstörung?
Charakteristisch für die dissoziative Identitätsstörung ist, dass sich die Person selbst nicht über die eigenen verschiedenen Persönlichkeiten bewusst ist, da in der Regel eine Persönlichkeit nichts von der oder den anderen Identitäten weiß. Aus diesem Grund kann es dazu kommen, dass sich die Person zeitweilig nicht an bestimmte persönliche Dinge oder Handlungen erinnern kann. Diese Handlungen sind mit einer anderen Persönlichkeit verknüpft und sind in dem Moment nur im Unterbewusstsein vorhanden.
Die dissoziative Identitätsstörung ist nicht mit Schizophrenie gleichzusetzen, die teilweise die gleichen Symptome haben kann. Das Krankheitsbild der multiplen Persönlichkeitsstörung wurde von Psychiatern bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben, aber erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts als eigenständige Krankheit anerkannt.
Ursachen
Die multiple Persönlichkeitsstörung entsteht nicht durch Alkoholmissbrauch oder Drogenkonsum, sondern ist oft auf schwere, traumatische Erlebnisse in der Kindheit zurückzuführen. Dabei ist die Dissoziation bzw. Auflösung der Person in verschiedene Teilpersönlichkeiten ein Schutzmechanismus des Gehirns, um traumatische Ereignisse verarbeiten zu können.
Die Person, die diese traumatischen Ereignisse erlebt, spaltet sich in mehrere Persönlichkeiten auf. Nur eine Persönlichkeit erlebte das Furchtbare, welches aus den Erinnerungen gelöscht und im Unterbewusstsein vergraben wird, solange eine andere Persönlichkeit das Handeln der Person steuert.
Sexueller Missbrauch in der Kindheit, körperliche Gewalt, Verwahrlosung und andere traumatische Ereignisse gelten als hauptsächliche Ursachen für eine multiple Persönlichkeitsstörung, von welcher viel häufiger Frauen als Männer betroffen sind.
Kinder, die unter Drohungen eingeschüchtert werden und dem Geschehen oftmals hilflos ausgeliefert sind, spalten ihre eigene Person in verschiedene Persönlichkeiten auf: eine Persönlichkeit, die das Furchtbare erlebt und eine oder mehrere andere, die das Handeln im normalen Alltag steuern und von dem furchtbaren Geschehen nichts wissen.
So werden die traumatischen Erlebnisse und Missbräuche nur von einer Persönlichkeit wahrgenommen, die im normalen Alltag unerkannt im Unterbewusstsein lebt und das traumatische Erlebte nicht an die Bewusstseinsoberfläche lässt.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Bei dieser Erkrankung leiden die Betroffenen an schwerwiegenden psychischen Beschwerden und Verstimmungen. Diese können den Alltag deutlich erschweren und einschränken, sodass es auch mit anderen Menschen zu verschiedenen sozialen Beschwerden kommt. Im schlimmsten Fall kann es dabei auch zu Selbstmordgedanken oder weiterhin zu Selbstmord kommen.
In erster Linie weisen die Betroffenen dabei eine Persönlichkeitsstörung auf. Es kommt dabei zu deutlichen Gedächtnislücken und ebenfalls zu Depressionen. Die Patienten können sich an einfache Geschehnisse nicht mehr erinnern und sind daher in ihrem Leben extrem eingeschränkt. Dabei kann es auch zu einer Angststörung kommen, die sich sehr negativ auf die Kontakte zu anderen Menschen auswirken kann.
Häufig brechen die Betroffenen dabei jeglichen Kontakt zu anderen Menschen ab und leiden an Aggressionen oder an einer starken Reizbarkeit. Dabei kann es auch zu Essstörungen kommen, wenn die Erkrankung nicht richtig behandelt wird. Es kommt daher zu einem Gewichtsverlust und zu verschiedenen Mangelerscheinungen beim Patienten. Häufig leiden die Betroffenen zusätzlich an einer Depression.
In einigen Fällen ist die Erkrankung mit Phobien oder mit verschiedenen Zwängen verbunden. Ob es dadurch zu einer verringerten Lebenserwartung kommt, kann nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden. Jedoch wirken sich dauerhafte psychische Beschwerden immer sehr negativ auf den gesundheitlichen Zustand des Patienten aus.
Verlauf
Die dissoziative Identitätssstörung ist durch mindestens zwei verschiedene Persönlichkeiten gekennzeichnet, die abwechselnd das Handeln der Person steuern. Die Hauptpersönlichkeit wird dabei als Host bezeichnet, während die andere oder anderen Persönlichkeiten Alter genannt werden (es sind Fälle belegt, in denen bis zu 100 verschiedene Persönlichkeiten in einer Person vereint sind).
Das wichtigste Symptom sind Gedächtnislücken über persönliche Dinge, die nicht auf andere psychische Krankheiten wie beispielsweise Demenz zurückgeführt werden können. Die Hauptpersönlichkeit kann sich nicht an Handlungen und Erlebtes der jeweils anderen Persönlichkeiten erinnern und andersherum ebenso. So kann es beispielsweise dazu kommen, dass sich die Person nicht mehr erinnern kann, wie sie an einen bestimmten Ort gekommen ist oder erkennt Menschen aus dem persönlichen Umfeld nicht wieder.
Die verschiedenen Persönlichkeiten haben unterschiedliche Namen und unterscheiden sich oftmals auch durch konträre Vorlieben von den anderen Persönlichkeiten.
Die sekundären Symptome sind Kopfschmerzen, Agressionen gegen die eigene Person, Depressionen, Essstörungen, zwanghaftes Verhalten, fremde Stimmen im Kopf (meist die der anderen Persönlichkeiten) bis hin zu Suizidversuchen.
Komplikationen
Einige Personen mit dissoziativer Identitätsstörung vermeiden medizinische Hilfe, wenn sie nicht unbedingt erforderlich ist. Diese Vermeidung geht oft auf ein Traumata zurück – sie kann jedoch auch auf Schamgefühlen, geringem Selbstwert oder erfahrener Vernachlässigung beruhen. Dadurch sind auch bei körperlichen Erkrankungen, die eigentlich gut behandelbar wären, medizinische Komplikationen möglich.
Andere Personen mit dissoziativer Identitätsstörung suchen in der ärztlichen Behandlung und Fürsorge hingegen Trost und Bestätigung. Einige dieser Betroffenen neigen dazu, tatsächliche Symptome zu übertreiben, selbst hervorzurufen (zum Beispiel durch selbstverletzendes Verhalten) oder zu simulieren. Durch die anschließende Untersuchung und Behandlung steigt dabei die Wahrscheinlichkeit für Behandlungsfehler und Nebenwirkungen – beispielsweise bei Medikamenten gegen Symptome, die nicht existieren.
Bei der dissoziativen Identitätsstörung können jedoch auch bestimmte somatische Symptome gehäuft auftreten. Dazu gehören verschiedene Arten von Schmerzen. Bauch- und Kopfschmerzen sind dabei besonders häufig. Auch Atemprobleme und neurologische Beschwerden können als Komplikation der multiplen Persönlichkeitsstörung in Erscheinung treten. Außerdem sind andere Formen von Dissoziationen sowie weitere psychische Störungen möglich.
Darüber hinaus können Komplikationen durch die Psychotherapie ausgelöst werden. Insbesondere bei der Traumatherapie und bei der Integration von Persönlichkeitsanteilen kommt es oft vorübergehend zu einer enormen psychischen Belastung für den Betroffenen. Ein stabiles Umfeld und ein gutes Vertrauensverhältnis zum Therapeuten sind deshalb besonders wichtig.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Sobald sich auffällige Veränderungen im Verhalten und der Persönlichkeit einer Person zeigen, muss ein Arzt aufgesucht werden. Eine multiple Persönlichkeitsstörung tritt häufig im Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen auf. Auch in Folge von übermäßigem Alkohol- oder Drogenkonsum, nach einem schweren Schicksalsschlag, Traumata in der Kindheit oder nach einer Hirnverletzung kann eine Identitätsstörung auftreten. Wer diese Faktoren bei sich oder einer anderen Person feststellt, sollte einen Arzt oder Therapeuten hinzuziehen.
Falls sich der Betroffene nicht helfen lässt, kann die Unterbringung in einer Klinik auch behördlich angeordnet werden. Bevor dieser Weg eingeschlagen wird, ist jedoch eine umfassende ärztliche und psychologische Abklärung vonnöten. Diese sollte spätestens dann erfolgen, wenn der Betroffene irrationale Taten ausführt und dadurch eine Gefahr für sich und andere darstellt. Symptome wie Schlaf- und Essstörungen, Alkoholismus, Depressionen sowie Verhaltensstörungen sind umgehend abzuklären. Sollte der Betroffene Suizidgedanken äußern, muss dieser an einen Therapeuten verwiesen bzw. bei einer dissoziativen Identitätsstörung in die nächstgelegene Fachklinik gebracht werden.
Behandlung & Therapie
Die Therapie der dissoziativen Identitätsstörung erfolgt medikamentös mit Beruhigungsmittel und Antidepressiva sowie psychotherapeutisch mit dem Ziel, die verschiedenen Persönlichkeiten der Hauptpersönlichkeit anzunähern bzw. mit ihr zu verschmelzen.
In der Traumatherapie lernen die Patienten mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung, traumatische Erlebnisse aus der Kindheit psychisch zu verarbeiten, um die Ursachen der dissoziativen Identitätsstörung zu beseitigen.
Die Therapie der multiplen Persönlichkeitsstörung kann unter Umständen mehrere Jahre in Anspruch nehmen und besteht aus mehreren Phasen. Die erste Phase ist auf die Stabilisierung des Alltags ausgerichtet. Die nächste Phase konzentriert sich auf die Zusammenführung der einzelnen Persönlichkeiten bzw. Teilidentitäten und schließt mit der psychischen Bewältigung des Traumas ab.
Aussicht & Prognose
Die Prognose einer Dissoziativen Identitätsstörung gilt bei den meisten Patienten als ungünstig. Oftmals liegt ein chronischer Krankheitsverlauf vor, der eine Heilungsaussicht unmöglich werden lässt. Die Auslöser der Erkrankung müssen gefunden und behandelt werden. Bei traumatischen Erlebnissen kann dies über mehrere Jahre andauern.
Die Symptome der Erkrankung können sich ungeachtet der Grunderkrankung innerhalb einer Behandlung zurückbilden. Dennoch kommt es oftmals zu keiner dauerhaften Heilung der Störung. Ein Rückfall ist jederzeit möglich. Viele Patienten erleben individuelle Phasen von mehreren Wochen bis hin zu Jahren einer Beschwerdefreiheit. Sobald jedoch ein auslösendes Ereignis eintritt oder verdrängte Erlebnisse in den Vordergrund rücken, treten die Symptome erneut auf. Oftmals unterscheidet sich die Intensität der Beschwerden bei einem wiederholten Ausbruch.
Bei vielen Patienten wird keine Linderung der Symptome erreicht. Das Behandlungsziel sieht in diesen Fällen eine Integration der Beschwerden in den Lebensalltag vor, um eine Verbesserung des Wohlbefindens zu erzielen. Die Prognose verschlechtert sich, sobald gleichzeitig andere psychische Erkrankungen auftreten. Werden affektive Störungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen oder Abhängigkeitserkrankungen festgestellt, umfasst eine Linderung sowie Heilung mehrere Jahre. In einigen Fällen bleiben die Erkrankungen lebenslang erhalten. Bleibt die Dissoziative Identitätsstörung über lange Zeit unbemerkt, verschlechtert sich die Aussicht auf eine Heilung erheblich.
Vorbeugung
Es gibt keine vorbeugenden Maßnahmen, um die Entstehung einer multiplen Persönlichkeitsstörung zu vermeiden, da die Auslöser schwere traumatische Erlebnisse sind. Eine Sensibiliserung des Umfelds der betroffenen Person könnte jedoch dazu beitragen, dass eine Therapie bereits bei Auftreten der ersten Symptome begonnen wird, um eine Manifestation und einen chronischen Verlauf der multiplen Persönlichkeitsstörung zu verhindern.
Das können Sie selbst tun
Bei einer dissoziativen Identitätsstörung übernehmen unterscheidbare Identitäten die Kontrolle über den Betroffenen. Diese psychische Störung geht meist mit beträchtlichen Gedächtnislücken einher und manövriert den Betroffenen zudem in Situationen im sozialen Miteinander, die regelmäßig als peinlich oder gar demütigend empfunden werden und oftmals sogar der Ausübung eines Berufs entgegenstehen.
Personen, die erste Anzeichen einer multiplen Persönlichkeitsstörung an sich wahrnehmen, sollten unverzüglich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Als erster Ansprechpartner kommt auch der Hausarzt in Frage. Sofern die Störung zeitnah behandelt wird, bestehen gute Heilungschancen, auch wenn die Therapie meist mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Unbehandelt kann eine dissoziative Identitätsstörung chronisch werden.
Ein wichtiger Schritt zur Selbsthilfe besteht deshalb darin, die Symptome richtig zu deuten und rasch professionelle Hilfe zuzuziehen. Häufig bemerken Familienangehörige und Freunde die psychische Krankheit lange bevor sie dem Patienten bewusst wird. In diesem Fall sollte der Betroffene sensibel, aber konsequent mit der Störung konfrontiert werden. Das Ziel muss darin bestehen, rasch mit einer Behandlung zu beginnen.
Patienten, die an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leiden, suchen sich am besten einen erfahrenen Trauma-Therapeuten. Auskünfte über entsprechend qualifizierte Spezialistinnen und Spezialisten erteilt die Ärztekammer.
Quellen
- Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
- Davison, G.C., Neale, J.M., Hautzinger, M.: Klinische Psychologie. Beltz PVU, München 2007
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015