Ergotismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Der Ergotismus ist eine Vergiftung durch Mutterkornalkaloide wie Ergotamin oder Ergometrin, welche in Mutterkorn-Pilzen vorkommen und heutzutage als Medikamente Verwendung finden. Im Vordergrund der Symptomatik stehen massive Durchblutungsstörungen mit Absterben von Armen oder Beinen, die bis zum Tode führen können.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Ergotismus?

Die Betroffenen des Ergotismus leiden im Allgemeinen an einer Verengung der Gefäße, weswegen auch weniger Blut in der selben Zeit transportiert werden kann.
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Der Ergotismus gehört eigentlich in die Sparte "Medizingeschichte": Als Vergiftung nach dem versehentlichen Verzehr von Mutterkornalkaloiden mit dem Getreide raffte diese Erkrankung im Mittelalter Tausende nichts ahnender Bauern dahin. Heutzutage kommt Ergotamin aber immer noch in Medikamenten gegen Migräne oder Parkinson vor, sodass auch hier in seltenen Fällen von Überdosierungen Ergotismus-ähnliche Nebenwirkungen auftreten können.

Ursachen

Mutterkornalkaloide werden vom Pilz Claviceps purpurae produziert, welcher vor allem Roggen befällt. Als kleine Krumen sitzen die Pilze auf den Pflanzen und wurden dementsprechend im Mittelalter bei der Ernte oft übersehen.

So kam es immer wieder zu epidemieartigen Vergiftungen, denen tausende Menschen zum Opfer fielen. Da vor allem der Antoniter-Orden es sich im Mittelalter zur Aufgabe gemacht hatte, diese Epidemien zu behandeln, wurde die Erkankung auch "Antoniusfeuer" genannt.

Ergotamin entfaltet seine Wirkung im menschlichen Organismus, einmal in die Blutbahn gekommen, vor allem an Alpha-Rezeptoren der Blutgefäße: Hier bewirken die Ergotamin-Moleküle eine massive Verengung der Blutgefäße, was zur Folge hat, dass große Bereiche des nachgeschalteten Gewebes nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden können. Die Problematik ist dann dieselbe wie beim Herzinfarkt oder bei der arteriellen Thrombose im Bein: Gewebe wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und stirbt binnen kurzer Zeit unter enormen Schmerzen ab.

Wenngleich der Roggenanbau heutzutage unter Vermeidung von Mutterkornbefall vonstatten geht, hat die pharmakologische Wirkung der Alkaloide auch heute noch Bedeutung: Die gefäßverengende Wirkung des Ergotamin kann man sich beispielsweise zur Migräneprophylaxe zunutze machen, wenn man davon ausgeht, dass mit abnehmender Schädeldurchblutung auch der Druck im Kopf etwas nachlässt.

Standard ist diese Therapie zwar nicht mehr, sie kann jedoch in Einzelfällen Erfolge bringen. Auch in der Therapie der Parkinson-Erkankung spielen Mutterkornalkaloide eine Rolle, theoretisch kann man sie zudem bei zu niedrigem Blutdruck gebrauchen. Auch Vergiftungen aus der Natur kommen immer mal wieder vor. In all diesen Fällen kann es zum Krankheitsbild des Ergotismus kommen.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Beschwerden bei einem Ergotismus können sehr vielfältig sein und deuten dabei nicht immer direkt auf die Erkrankung hin. Aus diesem Grund kommt es bei der Krankheit häufig erst zu einer relativ späten Diagnose und Behandlung. Die Betroffenen leiden dabei im Allgemeinen an einer Verengung der Gefäße, weswegen auch weniger Blut in der selben Zeit transportiert werden kann.

Es kommt daher zu einem niedrigen Puls und zu Störungen der Durchblutung. Dadurch leiden die Betroffenen auch an einer dauerhaften Abgeschlagenheit und an einer Müdigkeit, wobei diese Beschwerden nicht mit Hilfe von Schlaf ausgeglichen werden können. Weiterhin kann es durch den Ergotismus auch zu Empfindungsstörungen oder sogar zu Lähmungen kommen.

Die Lähmungen selbst treten meistens nur temporär auf und verschwinden wieder. Durch die Störungen der Sensibilität wird der Alltag des Patienten deutlich negativ beeinflusst und erschwert. Einige Betroffene sind daher auch auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen.

Weiterhin kann der Ergotismus auch zu Erbrechen oder zu Durchfall führen und ist häufig mit verschiedenen Beschwerden im Magen oder im Darm verbunden. In einigen Fällen wirkt sich die Erkrankung negativ auf die Psyche des Patienten aus und führt zu Wahnvorstellungen. Unbehandelt kann es dabei zu einem Herzinfarkt kommen, wobei der Betroffene versterben kann.

Diagnose & Verlauf

Das Krankheitsbild Ergotismus ist vor allem durch die funktionellen Gefäßverschlüsse geprägt: Es kommt zu Durchblutungsstörungen im gesamten Körper, die sich vor allem am Herzen, an den Nieren und an den Gliedmaßen bemerkbar machen.

Zunächst kommt es an Händen und Füßen zu einem Kribbeln und Taubheitsgefühl, dann kommen eventuell Lähmungserscheinungen hinzu. Schreitet der Sauerstoffmangel fort, sterben Zehen oder Finger schmerzhaft ab und werden schwarz, der Mediziner spricht dann von einer Gangrän. Allgemeinsymptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Ohrensausen, Durchfall und Wahnvorstellungen kommen hinzu.

Neben dem möglichen massiven Herzinfarkt, der schnell im Herztod enden kann, und dem akuten Nierenversagen, kann es auch zum Tod durch Atemlähmung kommen. Entscheidend für die Diagnose der Mutterkornalkaloid-Vergiftung ist die Kenntnis der Einnahme entsprechender Medikamente oder der Möglichkeit einer anderweitigen Intoxikation. Das klinische Bild ist oftmals nicht eindeutig, zumal der Ergotismus in heutigen Kliniken auch eine absolute Rarität darstellt.

An apparativer Diagnostik kann eine Ultraschall-Untersuchung der Blutgefäße in Armen und Beinen durchgeführt werden. Dies liefert zwar Beweise für die Durchblutungsstörung, kann jedoch ebensowenig deren Ursache klären.

Komplikationen

Beim Ergotismus kommt es im schlimmsten Falle zum Tode. In den meisten Fällen treten allerdings Kopfschmerzen und Übelkeit als Symptome auf. Diese werden von einem Juckreiz und Erbrechen begleitet. In der Regel ist für den Patienten durch den Ergotismus kein gewöhnlicher Alltag mehr möglich und die Lebensqualität wird eingeschränkt.

Oft kommt es durch die Vergiftung zu Halluzinationen oder Krampfanfällen. Diese können mit starken Schmerzen verbunden sein und im schlimmsten Falle zum Herzstillstand führen. Ohne Behandlung wird der Puls des Patienten immer langsamer. Leider ist der Ergotismus schwer zu identifizieren, da die Symptome des ersten Stadiums sehr ähnlich mit denen einer Grippe oder einer Erkältung sind.

Erst im zweiten Stadium schwellen Finger und Gesicht an. Die Extremitäten werden taub und kalt, außerdem kommt es zu starken Zuckungen in Armen und Beinen. Durch den Ergotismus kommt es zu Einschränkungen beim Hören und Sprechen.

Die Behandlung beim Arzt findet in den meisten Fällen durch das Absetzen des Medikamentes statt. Weiterhin werden Kohle und Natriumsulfat verabreicht, um die Symptome zu lindern. Gegebenenfalls ist eine Magenspülung notwendig, um den Körper vollständig zu entgiften. Hierdurch kommt es zu keinen weiteren Beschwerden, wenn der Ergotismus rechtzeitig behandelt wird. In schwerwiegenden Fällen sind Operationen notwendig.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Ein Arzt ist zu konsultierten, sobald sich Beschwerden wie Krämpfe oder stechende Schmerzen einstellen. Das Krampfleiden kann sich am gesamten Körper, mit dem Schwerpunktbereich des Magens, zeigen. Die Schmerzen treten vermehrt im Bereich der Brust auf und erwecken aufgrund der Intensität das Gefühl der Atemnot.

Bei wiederholt auftretender Übelkeit oder Erbrechen sollte ein Arzt konsultiert werden. Kopfschmerzen, eine allgemeine Schwäche oder der Abfall des gewohnten Leistungsniveaus, sind untersuchen und medizinisch behandeln zu lassen. Treten die Beschwerden unmittelbar nach einer Nahrungsaufnahme auf, gilt dies als besorgniserregend. Ein Arzt sollte schnellstmöglich aufgesucht werden.

Bei einem nicht erklärbaren Juckreiz auf der Haut, ist dieser medizinisch abklären zu lassen. Stellen sich offene Wunden ein, steigen das Risiko einer Infektion sowie einer Blutvergiftung. Bei Eiterbildung, Fieber oder einem allgemeinen Unwohlsein, ist ein Arzt zu konsultieren. Die Erkrankung Ergotismus tritt in der gegenwärtigen Zeit nur selten auf, sollte aber bereits bei den ersten Anzeichen umfassend untersucht und behandelt werden.

Werden Verhaltensänderungen bei dem Betroffenen wahrgenommen, die plötzlich und unverhofft auftreten, ist ein Arztbesuch notwendig. Treten die Beschwerden nach der Einnahme von Medikamenten auf, sind diese auf ihre Inhaltsstoffe hin zu überprüfen. Die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt ist notwendig.

Behandlung & Therapie

Um einem beginnenden Ergotismus entgegenzuwirken, ist es von entscheidender Bedeutung, die auslösenden Medikamente abzusetzen. Dies allein sollte reichen, die gefäßverengende Wirkung aufzuheben und den darbenden Geweben wieder ausreichend Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Reicht dies allein nicht aus oder handelt es sich bereits um einen Notfall, so kann mittels Infusion von Calcium-Antagonisten, Nitraten und Prostaglandinen die aktive Gefäßerweiterung bewirkt werden.

Aussicht & Prognose

Patienten eines Ergotismus können ohne eine sofortige Veränderung der Medikamentenzufuhr eine weitere Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Verfassung erleiden. Die Versorgung von Gewebe und Organen ist durch die Einnahme von Präparaten mit dem Wirkstoff Ergotamin beeinträchtigt. Dem Patienten drohen damit Lähmungen, das Absterben der Gliedmaßen und in schlimmen Fällen kommt es durch einen Funktionsausfall verschiedener Systeme zu einem frühzeitigen Ableben.

Die Erkrankung Ergotismus wird heutzutage im Normalfall durch die Gabe von Arzneien zur Linderung einer Migräne oder bei Parkinson ausgelöst. Alle anderen Ursachen wurden bereits behoben oder sind durch die evolutionären Veränderungen der letzten Jahrhunderte nicht mehr vakant. Der Wirkstoff Ergotamin ist in einigen medizinischen Präparaten bis heute enthalten. Obgleich im Normalfall bereits neuere Therapien zur Migräneprophylaxe oder bei Parkinson angewendet werden, kann es dennoch in Ausnahmefällen zu einer Einnahme von Arzneien mit Ergotamin kommen.

Für eine gute Prognose und eine Heilungsaussicht muss der Wirkstoff schnellstmöglich aus dem Körper abtransportiert werden. Damit ist das sofortige Absetzen der verschriebenen Arzneien unverzichtbar. Sind die Beschwerden noch nicht stark ausgeprägt, kommt es im Anschluss zu einer Wiederherstellung der gesundheitlichen Verfassung. Leidet der Patient bereits durch die Einnahme der Präparate unter irreversiblen Beschädigungen, wird durch das Absetzen der Medikamente ein Fortschritt der Verschlechterung der Gesundheit verhindert.


Vorbeugung

Zur Vorbeugung gegen Ergotismus ist es natürlich wichtig, bei Einnahme entsprechender Medikamente stets genaustens den Nutzen und das Risiko gegeneinander abzuwägen. Aus diesem Grund ist Ergotamin als Migränemittel auch mittlerweile medizinisch aus der Mode gekommen.

Die Landwirtschaft hat derweil verschiedene Anbauprotokolle und Reinigungstechniken entwickelt, um den Mutterkornbefall des Roggens zu minimieren. Gefahr einer Vergiftung wie im Mittelalter besteht beim Verzehr dieses Getreides nicht mehr.

Nachsorge

Bei einem Ergotismus sind die Maßnahmen der Nachsorge in den meisten Fällen sehr stark eingeschränkt. In der Regel ist der Betroffene dabei zuerst auf die Behandlung dieser Vergiftung angewiesen, damit es nicht zu weiteren Komplikationen oder im schlimmsten Fall zum Tode des Betroffenen kommt. Je früher die Vergiftung erkannt und behandelt wird, desto besser ist in der Regel auch der weitere Verlauf.

Die Nachsorge richtet sich nach dem Vermeiden des auslösenden Stoffes, damit die Ergotismus nicht erneut auftreten kann. Dabei sollten die auslösenden Medikamente nach Rücksprache mit einem Arzt auf jeden Fall abgesetzt oder durch andere Medikamente ersetzt werden. In einem Notfall sollte der Ergotismus jedoch in einem Krankenhaus oder durch einen Notarzt behandelt werden.

Dabei sind die Betroffenen auf die Einnahme von Ergänzungsmitteln angewiesen, um die Beschwerden zu lindern. Hierbei ist auf eine regelmäßige und richtige Einnahme zu achten, wobei auch immer Rücksprache mit einem Arzt zu halten ist. Weiterhin sollte sich der Betroffene auf jeden Fall ausruhen und den Körper schonen. Von unnötigen Belastungen oder anderen anstrengenden und stressigen Tätigkeiten sollte auf jeden Fall abgesehen werden. Bei einer erfolgreichen Behandlung des Ergotismus verringert sich die Lebenserwartung des Betroffenen in der Regel nicht.

Das können Sie selbst tun

Im Alltag ist auf die Verunreinigung von Lebensmittel vor dessen Verzehr zu achten. Aufgenommene Nahrungsmittel sollten ausreichend gereinigt werden, bevor sie roh dem Organismus zugeführt werden. Vor der Weiterverarbeitung für Mahlzeiten sind sie ebenfalls gründlich zu säubern.

Dies gilt insbesondere für Getreideprodukte. Der Verzehr von frei wachsendem Getreide sollte vermieden werden. Treten die Symptome unmittelbar nach der Einnahme von Medikamenten auf, ist unverzüglich Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufzunehmen. In der Rücksprache mit dem Mediziner ist das weitere Vorgehen zu besprechen.

Ist die Unverträglichkeit des Zusatzstoffes Mutterkornalkaloide bereits bekannt, sind vor der Einnahme eines medizinischen Präparates deren Inhaltsstoffe genau zu überprüfen. Anschließend sollte mit dem Arzt die Medikation besprochen werden oder der Austausch der Arznei stattfinden. Kommt es zu ersten Beschwerden, ist den Anweisungen eines Arztes Folge zu leisten.

Zur Verbesserung des eigenen Wohlbefindens ist die Zufuhr von ausreichend Flüssigkeit empfehlenswert. Darüber hinaus sollte das Immunsystem durch eine vitamin- und ballaststoffreiche Kost unterstützt werden. Ausreichender Schlaf und die Vermeidung von unnötigen Stress sind ebenfalls förderlich.

In verunreinigten Ställen oder Getreidelagern ist die Aufnahme von Lebensmitteln vollständig zu vermeiden. Die dort gelagerten Nahrungsmittel sind im Zweifelsfall zu entsorgen oder sollten im Labor auf Schadstoffe untersucht werden.

Quellen

  • Aktories, K., Förstermann, U., Hofmann, F.B., Starke, K.: Repetitorium Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Urban & Fischer, München 2009
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Reichl, F.-X.: Taschenatlas der Toxikologie. Thieme, Stuttgart 2009

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