Erythrozyten-Verformbarkeit
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Erythrozyten-Verformbarkeit oder Flexibilität der roten Blutkörperchen befähigt die Zellen zur Passage von Gefäßen mit unterschiedlichem Lumen. Außerdem verändern Erythrozyten ihre Form abhängig von Temperatur und Fließgeschwindigkeit des Blutes, wobei sich damit gleichzeitig die Blutviskosität verändert. Abnorme Form nehmen Erythrozyten zum Beispiel im Rahmen der Kugel- oder Sichelzellanämie an.
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Was ist die Erythrozyten-Verformbarkeit?
Die roten Blutkörperchen werden auch Erythrozyten genannt. Die Blutzellen enthalten das sogenannte Hämoglobin und sind damit für den Sauerstofftransport im menschlichen Körper verantwortlich. Sauerstoff wird von allen Körpergeweben zum Überleben benötigt. Im Bereich der Lungen tritt der Sauerstoff ins Blut über, wo er in ungebundener und gebundener Form vorliegt.
Zwischen Sauerstoff und dem Hämoglobin der roten Blutkörperchen besteht im Milieu der Lungen Bindungsaffinität. An die roten Blutkörperchen gebunden, wandert der Sauerstoff mit dem Blut in sämtliche Bereiche des menschlichen Körpers. Weil sich auf der Reise durch den Körper Stück für Stück das Milieu verändert und sich damit die Bindungsaffinität reduziert, wird der Sauerstoff schließlich wieder freigesetzt und von den Zielgeweben aufgenommen.
Die Erythrozyten-Verformbarkeit ist eine der wichtigsten Eigenschaften von roten Blutkörperchen. Wegen ihrer Flexibilität sind die Erythrozyten in der Lage, mit dem Blut die engsten Gefäße zu passieren und durch die klein-lumigsten Kapillaren zu treten. Dieses Phänomen ist für die Sauerstoffversorgung aller Körpergewebe besonders relevant. Die Verformbarkeit der Erythrozytenmembran ermöglicht also den Durchtritt der roten Blutkörperchen durch dünnste Poren. Mit jeder Formveränderung der Erythrozyten ändert sich die Fließeigenschaft und die Viskosität des Bluts.
Funktion & Aufgabe
Unter der Zellmembran der roten Blutkörperchen liegt ein einstrahlendes Netz von strukturgebenden und dicht angeordneten Filamenten, das als erythozytäres Zytoskelett bezeichnet wird und der Aufrechterhaltung einer bikonkaven Form dient. Proteine wie Spektrin und Ankyrin sind essentielle Bestandteile der Zellen und tragen zu ihrer Verformbarkeit bei. Abgesehen von ihrer typischerweise bikonkaven Form, können Erythrozyten dank ihrer Flexibilität abweichende Gestalt annehmen.
In ihrer Grundform werden die roten Blutkörperchen als Diskozyten bezeichnet. Diese bikonkave Scheibenform nehmen die Blutkörperchen in strömendem Blut an. Allerdings existieren mehrere Dutzend unterschiedliche Formvarianten. In engeren Kapillaren werden die Zellen zum Beispiel zu Stomatozyten und liegen in diesem Zusammenhang in gefalteter Napf-Form vor, die ihnen die Passage der eng-lumigen Kapillaren erleichtert. Dakryozyten sind dagegen tränenförmig und Echinozyten sind stechapfelförmige Erythrozyten, wie sie in hypertonen Lösungen vorkommen.
Die Flexibilität der Erythrozyten beeinflusst anteilig vor allem die Blutviskosität. Damit ist die Zähflüssigkeit des Blutes gemeint, die die stofflichen Eigenschaften mit den Eigenschaften von Flüssigkeiten verbindet. Das Blut zeigt aufgrund seiner Viskosität ein angepasstes Fließverhalten und verhält sich nicht wie ein Newtonsches Fluid. Sein Fließverhalten ist nicht proportional, sondern sprunghaft. Dafür verantwortlich sind neben dem Fåhraeus-Lindqvist-Effekt das Hämatokrit, die Temperatur und die Strömungsgeschwindigkeit.
Eine Hauptrolle spielt in diesem Zusammenhang die Erythrozyten-Verformbarkeit inklusive Erythrozytenaggregation. Diese Zusammenhänge lassen das Blut in verschiedenen Bereichen des Körpers verschiedenes Fließverhalten annehmen und verhindern die Verklumpung der zellulären Blutbestandteile. Bei niedriger Fließgeschwindigkeit im Blut heften sich Erythrozyten vereinzelt aneinander und bilden Ketten. Diese Geldrollenbildung oder Agglomeration ist bis zu einem gewissen Grad als physiologisch zu verstehen.
Krankheiten & Beschwerden
Anulozyten sind wiederum ringförmige Erythrozyten, wie sie bei hochgradigen Anämien vorliegen. In Form von Fragmentozyten kommen Erythrozyten beim Phänomen der intravasalen Hämolyse vor. Auch Makrozyten sind eine pathologische Formvariante der roten Blutkörperchen. Die Erythrozyten sind dabei stark vergrößert, wie es zum Beispiel im Rahmen von Folsäuremangel der Fall sein kann. Auch bei der megaloblastären Anämie liegen die roten Blutkörperchen in vergrößerter Form vor. Diese Formvariante wird als Megalozyt bezeichnet. Eine Verkleinerung zum sogenannten Mikrozyten erfahren die Blutbestandteile bei Eisenmangelerkrankungen und Hämoglobinmangelerkrankungen.
Eine der bekanntesten Formerkrankungen von Erythrozyten ist die Kugelzellanämie, bei der die roten Blutkörperchen als kugelförmig kleine Mikrosphärozyten auftreten. Ähnlich bekannt wie die Kugelzellanämie, ist die Sichelzellanämie. Die roten Blutzellen verändern ihre physiologische Form im Rahmen dieser Erkrankung zur Sichelgestalt, der sogenannten Sichelzelle.
Im Rahmen von Eisenmangel, Perniziosa und Knochenmarksläsionen nehmen die Zellen wiederum die abnorme Form der Poikilozyten an. Als Targetzellen liegen die roten Blutkörperchen dagegen im Rahmen von Thalassämien, toxischen Anämien oder Eisenmangelanämien vor. Diese Formvariante ist durch die ringförmige Anordnung des Hämoglobins gekennzeichnet.
Auch nach mechanischen Schädigungen verändern die Erythrozyten ihre Gestalt zu einer abnormen Form: zum sogenannten Schistozyten. Dabei handelt es sich um deformierte Erythrozyten, die letztlich nur einem Fragment der roten Blutkörperchen gleichkommen. Eine vermehrte Geldrollenbildung der Erythrozyten verweist auf entzündliche Phänomene im Rahmen von Immunkomplexerkrankungen.
Quellen
- Alberts, B., u. a.: Molekularbiologie der Zelle. 4. Auflage. Wiley-VCH., Weinheim 2003
- Lodish et al.: Molekulare Zellbiologie. 4. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001
- Luther, B. (Hrsg.): Kompaktwissen Gefäßchirurgie. Springer, Berlin 2011