Kongenitales myasthenes Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 11. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das kongenitale myasthene Syndrom ist genetisch bedingt und gehört zu den myasthenen Syndromen. Es ist durch eine Störung der Signalübertragung zwischen Nerven- und Muskelzellen gekennzeichnet. Die Symptome dieser Erkrankungsgruppe sind sehr unterschiedlich stark ausgebildet. Bei einigen Patienten beobachtet man den besonderen Phänotyp einer Gliedergürtel-Myasthenie.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das kongenitale myasthene Syndrom?

Die Diagnose des kongenitalen myasthenen Syndroms erfolgt durch Anamnese, serologische Untersuchungen, Genanalysen und Eingrenzungsdiagnostik durch die Gabe von Cholinesterasehemmern.
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Das kongenitale myasthene Syndrom ist ein Sammelbegriff für verschiedene genetisch bedingte Erkrankungen, die sich durch eine Störung der Signalübertragung zwischen Nerven- und Muskelzellen bemerkbar machen. Es handelt sich hierbei um eine Gruppe angeborener Myasthenien (Muskelschwächen), die hauptsächlich unter körperlicher Belastung zu einer verstärkten Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur führen.

Das Wort „kongenital“ bedeutet „angeboren“ und deutet bereits auf eine genetische Ursache hin. Insgesamt gehört das kongenitale myasthene Syndrom neben der Myasthenia gravis, der neonatalen Myasthenie und dem Lambert-Eaton-Rooke-Syndrom zu den myasthenen Syndromen. Während jedoch das kongenitale myasthene Syndrom genetisch bedingt ist, werden alle anderen myasthenen Syndrome durch Autoimmunprozesse hervorgerufen.

Die Erkrankungen des kongenitalen myasthenen Syndroms sind uneinheitlich. Das einzige gemeinsame Merkmal ist die Störung der Signalübertragung vom Nervensystem auf die Skelettmuskulatur, welche eine Muskelschwäche zur Folge hat. Weltweit sind ungefähr 2000 bis 3000 gesicherte Fälle bekannt. Vermutet wird jedoch die doppelte Anzahl an Personen, die an diesem Syndrom leiden. So soll eine Prävalenz von zwei zu einer Million vorliegen.

Ursachen

Das kongenitale myasthene Syndrom kann durch verschiedene Mutationen von Genen verursacht werden, welche an den Prozessen der Erregungsübertragung beteiligt sind. Dabei handelt es sich um mindestens 14 Gene. So wurden sowohl autosomal-rezessive als auch autosomal-dominante Erbgänge beobachtet. Die Signalübertragung von den Nerven- auf die Muskelzellen erfolgt durch den Neurotransmitter Acetylcholin an der motorischen Endplatte.

Die motorische Endplatte stellt dabei eine chemische Synapse zwischen Nerven- und Muskelfasern dar. Zur Übertragung der Erregung gelangt Acetylcholin zunächst in diese Synapse und bindet sich an Acetylcholinrezeptoren, die sich auf der Oberfläche der Muskelzellen befinden. Diese Bindung bewirkt die Öffnung der Ionenkanäle der Muskelfasern mit der Folge der Depolarisation des Membranpotenzials durch den Einstrom von Kalzium- und Natriumionen ins Zellinnere.

Die Potenzialänderung löst eine Muskelkontraktion aus. Aus dem synaptischen Spalt wird Acetylcholin dann mithilfe des Enzyms Acetylcholinesterase zu Acetat und Cholin hydrolysiert. Während das Acetat aus dem Spalt diffundiert, wird Cholin von der präsynaptischen Zelle wieder aufgenommen und erneut zur Bildung von Acetylcholin verwendet.

Der Signalübertragungsprozess kann durch fehlende oder fehlerhafte Bildung von Acetylcholinrezeptoren sowie durch Probleme beim Transport von Acetylcholin gestört sein. Dabei kommt eine Erregungsweiterleitung nicht oder nur unzureichend zustande. Die Acetylcholinrezeptoren oder die präsynaptischen Kalziumkanäle werden bei den erworbenen Formen des myasthenen Syndroms wie der Myasthenia gravis oder dem Lambert-Eaton-Rooke-Syndrom durch Autoimmunprozesse zerstört.

Beim kongenitalen myasthenen Syndrom führen jedoch genetisch bedingte Fehler bei der Bildung von Acetylcholinrezeptoren oder Cholin-Acetyltransferase zu den Signalübertragungsstörungen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Beschwerdebild beim kongenitalen myasthenen Syndrom ist sehr unterschiedlich. Selbst bei einer identischen Genmutation können erhebliche Abweichungen bei der Ausprägung der Symptome vorliegen. In der Regel beginnen die Beschwerden noch pränatal oder in den ersten Lebensmonaten. In seltenen Fällen treten sie jedoch erstmalig im Jugend- oder gar im Erwachsenenalter auf.

Das Spektrum der Beschwerden bewegt sich zwischen fast symptomfrei bis zur Ausbildung schwerster Symptome. Das bei allen Erkrankten vorliegende Hauptsymptom ist die schnelle Ermüdbarkeit der Skelettmuskulatur. Das betrifft vorrangig die Augenlider (Ptosis), die Augenmuskulatur, die mimische Muskulatur, den Rachen oder auch die Atemmuskulatur. Oft liegen auch Lähmungen an Rumpf und Extremitäten vor.

Im Rahmen einer Ptosis hängen die Augenlider herab. Manche Patienten schielen oder sehen Doppelbilder. Das Gesicht kann ausdruckslos erscheinen. Weitere Symptome sind Schluckbeschwerden und Trinkschwäche. Manche Patienten besitzen auch eine schwache Stimme. Manchmal kommen Atemlähmungen vor. In der Regel sind bei den einzelnen Patienten aber nicht alle Muskeln von der Muskelschwäche betroffen.

Typisch ist, dass die Beschwerden hauptsächlich nach körperlichen Belastungen oder abends auftreten. Bei einem Teil der Patienten können Infekte oder gar Aufregung zu einer plötzlichen Verschlechterung der Symptome führen. In einigen Fällen kommt es über Monate oder Jahre zu einem kontinuierlich fortschreitenden Verlauf der Erkrankung. Obwohl die meisten Betroffenen laufen können, gibt es auch Patienten, die sich nur im Rollstuhl fortbewegen können.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Diagnose des kongenitalen myasthenen Syndroms erfolgt durch Anamnese, serologische Untersuchungen, Genanalysen und Eingrenzungsdiagnostik durch die Gabe von Cholinesterasehemmern. Durch die Gabe von Cholinesteraseinhibitoren können bestimmte Genmutationen ausgeschlossen werden. Bei den serologischen Untersuchungen ist der differenzialdiagnostische Ausschluss von Autoimmunerkrankungen möglich.

Komplikationen

In den meisten Fällen treten die Beschwerden dieses Syndroms schon direkt nach der Geburt auf, sodass eine Diagnose und Behandlung damit schon früh eingeleitet werden kann. Die Betroffenen leiden dabei an einer stark verringerten Belastbarkeit und wirken sehr müde und abgeschlagen. In der Regel kommt es auch zu einer Lähmung der Muskulatur und der Betroffene kann gewisse Tätigkeiten oder Sportarten nicht ausführen.

Weiterhin treten auch Beschwerden an den Augen auf, sodass es zu Sehbeschwerden, Doppelbildern oder zu einem sogenannten Schleiersehen kommen kann. Nicht selten leiden die Patienten auch an einer Trinkschwäche, die eine Dehydration nach sich ziehen kann. Ebenfalls kommt es zu Atemlähmungen, die den Alltag des Betroffenen negativ beeinflussen. Die geistige und motorische Entwicklung des Patienten verläuft allerdings ohne besondere Beschwerden und Komplikationen.

In den meisten Fällen treten die Beschwerden auch erst abends oder nach anstrengenden Aktivitäten auf. Eine kausale Behandlung dieses Syndroms ist nicht möglich. Allerdings können die Beschwerden mit Hilfe von Medikamenten oder durch verschiedene Therapien eingeschränkt werden, sodass der Alltag für den Patienten erleichtert wird. Die Lebenserwartung wird dabei in der Regel nicht verringert.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Eltern, die bei ihrem Kind eine rasche Ermüdbarkeit, Anzeichen einer anhaltenden Abgeschlagenheit oder andere ungewöhnliche Symptome bemerken, sollten den Kinderarzt konsultieren. Weitere Warnzeichen, die in jedem Fall einer Abklärung bedürfen, sind ungewöhnliche Augenbewegungen wie Schielen oder Doppelbilder oder ein ausdrucksloses Gesicht. Auch Trinkschwäche, Störungen der Atemmuskulatur und Muskelschwäche gehören zu den Krankheitszeichen des kongenitalen myasthenen Syndroms. Sollten diese und andere Beschwerden auftreten und das Wohlbefinden des Kindes beeinträchtigen, muss ein Arzt aufgesucht werden.

Auch unspezifische Veränderungen im Verhalten des Kindes werden am besten zügig abgeklärt. Eltern von betroffenen Kindern müssen während der Behandlung enge Rücksprache mit dem Arzt halten und gegebenenfalls auch einen Therapeuten hinzuziehen. Rufen die verordneten Medikamente Neben- und Wechselwirkungen hervor, sollte der Mediziner darüber in Kenntnis gesetzt werden. Neben dem Hausarzt kann bei der kongenitalen Myasthenie ein Internist oder eine Fachklinik für genetische Erkrankungen aufgesucht werden. Die einzelnen Symptome müssen von verschiedenen Fachärzten (z.B. Augenärzte und Orthopäden) behandelt werden.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung ist davon abhängig, welche genetische Ursache konkret vorliegt. Dabei ist aufgrund der genetischen Bedingtheit jedoch nur eine symptomatische Therapie möglich. In manchen Fällen können durch den Einsatz von Medikamenten gute Erfolge erzielt werden. Dazu zählen unter anderem Cholinesteraseinhibitoren (Pyridostigmin), Ephedrin, Chinidin oder Salbutamol.

Leider bessern sich die Beschwerden bei der medikamentösen Behandlung in vielen Fällen nur teilweise oder gar nicht. Des Weiteren sind oft solche Maßnahmen wie Physiotherapie, Beatmung, Logopädie und Versorgung mit verschiedenen Hilfsmitteln erforderlich. Eine Prognose der Krankheitsentwicklung kann nie gegeben werden, weil die Verläufe individuell sind.

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Aussicht & Prognose

Das kongenitale myasthene Syndrom erweist sich als eine Mutation, die verschiedene Krankheitsbilder zeitigen kann. Mediziner sprechen von einer heterogenen Gruppe von behandelbaren Erkrankungen, die sowohl autosomal-rezessiv wie auch autosomal-dominant vererbt werden können. Charakterisiert sind sie durch Störungen bei der neuromuskulären Übertragung.

Bisher sind weltweit nur maximal 3.000 Fälle des kongenitalen myasthenen Syndroms bekannt. Damit zählt dieses zu den seltenen Erkrankungen, für die es nur begrenzte Behandlungsoptionen gibt. Die Ursache dafür liegt unter anderem in mehr als 20 verschiedenen Genen, die mutiert sein können. Bekannt ist bisher, dass die mutierten Gene verantwortlich für den krankheitsauslösenden Mangel an Acetylcholin-Rezeptoren sind. In der Folge werden die neuromuskulären Signale unzureichend auf die Muskulatur und die Nerven übertragen.

Da die Symptome der genetisch bedingten Muskelermüdung schon früh auftreten und sich mit dem Alter weiter verschlechtern, muss die medikamentöse Behandlung möglichst frühzeitig einsetzen. Die Prognose ist beim kongenitalen myasthenen Syndrom nicht einheitlich. Die Wirkungen der verabreichten Medikamente ist unterschiedlich gut. Als Ursache dafür kann die Art der Mutation gelten.

Zusätzlich zu den belastungsabhängigen Muskelproblemen in Beinen und Armen kann der Betroffene durch Atemprobleme oder mimische Einschränkungen belastet sein. Er kann an Schluckbeschwerden und Trinkschwäche, einer verzögerten motorischen Entwicklung oder anderen Begleiterscheinungen des kongenitalen myasthenen Syndroms leiden.

Vorbeugung

Wenn eine familiäre Häufung eines kongenitalen myasthenen Syndroms vorliegt, sollten bei Kinderwunsch humangenetische Beratungen und Untersuchungen durchgeführt werden, um das Risiko für die Nachkommen abschätzen zu können. Eine Empfehlung zur Vorbeugung kann jedoch nicht gegeben werden.

Nachsorge

Da es sich bei diesem Syndrom um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, kann diese in der Regel nicht vollständig behandelt werden. Daher sollte der Patient schon bei den ersten Anzeichen und Symptomen der Erkrankung einen Arzt aufsuchen, um eine weitere Verschlechterung der Beschwerden zu verhindern, da es dabei auch nicht zu einer Selbstheilung kommen kann. Sollte es beim Patienten zu einem Kinderwunsch bestehen, kann eine genetische Beratung und Untersuchung sinnvoll sein, um das erneute Auftreten der Krankheit bei den Kindern zu verhindern.

Eine frühzeitige Diagnose wirkt sich dabei in der Regel immer sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung aus. Die Behandlung des Syndroms erfolgt dabei durch die Einnahme von verschiedenen Arzneimitteln. Hierbei ist immer auf eine richtige Dosierung und ebenso auf eine regelmäßige Einnahme zu achten, um die Beschwerden einzuschränken.

Bei Unklarheiten oder Nebenwirkungen sollte zuerst ein Arzt kontaktiert werden. Ebenso können sich Maßnahmen einer Physiotherapie positiv auf den Verlauf der Krankheit auswirken, wobei viele der Übungen aus einer solchen Therapie im eigenen Zuhause durchgeführt werden können. Der weitere Verlauf der Krankheit ist sehr stark vom Zeitpunkt der Diagnose abhängig, sodass eine allgemeine Voraussage dabei nicht erfolgen kann.

Das können Sie selbst tun

Die Patienten mit dem Kongenitalen myasthenen Syndrom leiden in unterschiedlich starker Ausprägung unter ihrer relativ schwachen Skelettmuskulatur. Daraus ergeben sich die typischen Beschwerden, die teilweise durch gezielte Selbsthilfemaßnahmen linderbar sind. Die geschwächte Augenmuskulatur geht häufig mit diversen Sehbeschwerden einher, die von einem Augenarzt und Optiker zu therapieren sind. Der Patient befolgt die ärztlichen Anweisungen, trägt verordnete Sehhilfen und führt gegebenenfalls Übungen zur Kräftigung der Augenmuskulatur aus.

Auch für jene Beschwerden, die geschwächte Muskeln außerhalb des Gesichts betreffen, hilft eine physiotherapeutische Behandlung des Patienten. Der Betroffene erlernt eine auf seine Symptome zugeschnittene Krankengymnastik, die sich in Teilen auch zu Hause ausführen lässt. Daraus ergeben sich für den Patienten erhebliche Möglichkeiten zur Selbsthilfe, da er seine Muskulatur durch gezieltes Training spürbar stärkt. Generell übt der Patient nur solche Sportarten aus, die der Arzt ausdrücklich erlaubt. Gleiches gilt für Intensität und Umfang sportlicher Aktivitäten.

Falls der Betroffene auch an einer schwachen Stimme leidet, kommt eine logopädische Behandlung in Frage. Auch deren Erfolg ist von der Mitwirkung und dem Eigenengagement des Patienten mit dem Kongenitalen myasthenen Syndrom abhängig.

Quellen

  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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