Pyridostigmin
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 9. September 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
Sie sind hier: Startseite Wirkstoffe Pyridostigmin
Pyridostigmin ist ein Acetylcholinesterasehemmer und wird zur Therapie bei Myasthenia gravis (Muskelschwäche) eingesetzt. Auch bei Harnverhalten und Darmlähmung infolge einer verringerten Anspannung der Muskulatur findet Pyridostigmin Anwendung. Pharmakologisch wird es als Bromid-Salz in Form von Tabletten appliziert.
Inhaltsverzeichnis |
Was ist Pyridostigmin?
Pyridostigmin gehört als Arzneimittel zur Gruppe der indirekten Parasympathomimetika. Es aktiviert also indirekt die Acetylcholin-Aktivität an den Rezeptoren des Parasympathikus durch die Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase.
Der Wirkstoff ist ein quaternärer Aminkomplex, der in Arzneimitteln als Bromid vorliegt. Ungelöst ist Pyridostigminbromid ein weißes, kristallines Pulver. Es löst sich sehr gut in Wasser. Verabreicht wird das Arzneimittel bei Bedarf in Form von Tabletten.
Pyridostigminbromid kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, da es aufgrund seiner salzartigen Struktur nicht lipophil ist. Seine Plasmahalbwertzeit liegt bei ungefähr 1,5 Stunden. Nach Anwendung wird der Arzneistoff zum Teil metabolisiert und zum Teil unverändert renal (über den Urin) ausgeschieden.
Pharmakologische Wirkung
Pyridostigmin wirkt indirekt durch die Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase. Dieses Enzym ist für den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin im synaptischen Spalt zu Acetat und Cholin verantwortlich.
Die Hemmung der Acetylcholinesterase bewirkt wiederum eine Erhöhung der Acetylcholinkonzentration an der motorischen Endplatte. Die dort vorhandenen Acetylcholinrezeptoren sind Kationenkanäle, welche durch Acetylcholin ausgelöste Kationenströme die Muskulatur anregen. Damit erhöht sich der Tonus (Spannung) bestimmter Muskeln, wobei die Wahrscheinlichkeit einer Muskelkontraktion steigt. Allgemein verstärkt sich auch die Aktivität des Parasympathikus, der für die körperlichen Vorgänge in der Ruhephase verantwortlich ist.
Der Parasympathikus kontrolliert den Muskeltonus und die Stoffwechselvorgänge inklusive der Darm- und Blasenfunktion. Bei der autoimmunologisch bedingten Myasthenia gravis treten Störungen an den Rezeptoren für Acetylcholin auf, sodass nur durch eine höhere Acetylcholinkonzentration ausreichende Muskelkontraktionen hervorgerufen werden können.
Auch die Blasen- oder Darmmuskulatur wird angeregt. Diese Eigenschaft macht Pyridostigmin auch zu einem guten Wirkstoff zur Behandlung von Lähmungen der Blasen- oder Darmmuskulatur. Die Erhöhung der Acetalcholinkonzentration bewirkt außerdem eine Verdrängung antagonistischer Muskelrelaxanzien von den Acetylcholinrezeptoren, die als Medikamente zur Muskelberuhigung eingesetzt werden. Bei Bedarf wird Pyridostigmin zur Aufhebung der Wirkung dieser Medikamente angewendet.
Medizinische Anwendung & Verwendung
Pyridostigmin findet hauptsächlich Anwendung zur Behandlung der Krankheit Myasthenia gravis. Je nach Schwere der Erkrankung muss vom Arzt die individuelle Dosis des Medikaments bestimmt werden.
Die Behandlung beginnt mit der alleinigen Gabe von Pyridostigmin. Sollte sich jedoch keine Besserung ergeben, kann die Behandlung in Kombination mit Guanin fortgesetzt werden. Das Medikament wird in Form von Tabletten appliziert. Aufgrund der vielfältigen möglichen Nebenwirkungen und der Interaktionsmöglichkeiten mit verschiedenen anderen Medikamenten sollte die Behandlung immer unter ärztlicher Kontrolle stattfinden.
Der Einsatz zusammen mit anderen parasympathomimetischen Wirkstoffen führt zur Verstärkung der Wirkung. Die Wirkung der Medikamente zur Muskelentspannung wird aufgehoben. Gegebenenfalls muss Pyridostigmin in diesem Zusammenhang bei Überdosierung mit Muskelrelaxanzien oder anderen auftretenden Problemen angewendet werden. Ein anderes Einsatzgebiet ist die Applikation bei Harnverhalt oder Darmatonie (Darmlähmung). Hier muss jedoch darauf geachtet werden, dass Pyridostigmin bei einem mechanischen Darmverschluss oder einer mechanisch bedingten Blasenentleerungsstörung absolut kontraindiziert ist.
Die Anregung der Blasen- oder Darmmuskulatur kann in diesem Fall zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Prophylaktisch wurde Pyridostigmin im "Zweiten Golfkrieg 1991" auch gegen Vergiftungen durch chemische Kampfstoffe auf Cholinesteraseinhibitor-Basis angewendet.
Verabreichung & Dosierung
Bei der Verabreichung und Dosierung von Pyridostigmin, einem Acetylcholinesterase-Hemmer, ist eine genaue Anpassung an die individuellen Bedürfnisse des Patienten erforderlich. Es wird häufig zur Behandlung von Myasthenia gravis, einer Erkrankung, die die Muskelkraft beeinträchtigt, eingesetzt. Pyridostigmin wirkt, indem es den Abbau von Acetylcholin hemmt und so die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln verbessert.
Die Dosierung ist abhängig von der Schwere der Erkrankung, dem Ansprechen auf das Medikament und den individuellen Bedürfnissen des Patienten. Üblicherweise liegt die Anfangsdosis bei Erwachsenen bei etwa 60 mg drei- bis viermal täglich, kann aber je nach Bedarf und Verträglichkeit angepasst werden. Die Dosis sollte schrittweise erhöht werden, um die optimale Wirkung zu erzielen und Nebenwirkungen zu minimieren. Einige Patienten benötigen höhere Dosen, die bis zu 600 mg pro Tag oder mehr betragen können.
Pyridostigmin sollte regelmäßig eingenommen werden, oft alle 4 bis 6 Stunden, um eine gleichmäßige Wirkung zu gewährleisten. Da Pyridostigmin die Muskelkraft verbessert, ist es ratsam, die Einnahme zeitlich auf Aktivitäten abzustimmen, bei denen eine maximale Muskelfunktion erforderlich ist.
Bei der Anwendung sind Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden, Muskelkrämpfe oder vermehrter Speichelfluss möglich. Überdosierungen können zu einer cholinergen Krise führen, weshalb es wichtig ist, die Dosierung genau nach ärztlicher Anweisung einzuhalten.
Risiken & Nebenwirkungen
Der Einsatz von Pyridostigmin birgt wie bei allen Medikamenten die Gefahr von Nebenwirkungen, die auftreten können, aber nicht auftreten müssen.
Da die Aktivität des Parasympathikus erhöht wird, ergeben sich daraus in unterschiedlichem Maße solche typischen Symptome, wie Durchfall, Erbrechen, Bauchkrämpfe, erhöhter Speichelfluss, verstärkte Schleimbildung in den Bronchien, Bradykardie, Blutdruckabfall und Anpassungsstörungen des Auges. Da es auch zur Verengung der Bronchien kommen kann, ist eine Applikation bei Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen kontraindiziert.
Das Gleiche gilt bei mechanischem Darm- und Blasenverschluss. Bei einer Überdosierung des Medikaments kann es infolge einer cholinergen Krise zur Schwächung der Atemwegsmuskulatur kommen. Weitere Nebenwirkungen sind verstärkte Schweißbildung und erhöhter Harndrang. Bei einer Schwangerschaft oder in der Stillzeit sollte auf eine Applikation mit Pyridostigmin verzichtet werden.
Kontraindikationen
Typische Kontraindikationen bei der Verwendung von Pyridostigmin betreffen Patienten mit bestimmten gesundheitlichen Bedingungen, bei denen das Medikament potenziell schädlich sein könnte. Eine der Hauptkontraindikationen ist eine Überempfindlichkeit oder Allergie gegen Pyridostigmin oder ähnliche Substanzen wie Neostigmin. In solchen Fällen kann die Einnahme des Medikaments schwere allergische Reaktionen hervorrufen.
Menschen mit mechanischen Darm- oder Blasenverengungen sollten Pyridostigmin nicht verwenden, da es die Muskelkontraktionen im Magen-Darm-Trakt und in der Blase verstärkt und so zu gefährlichen Komplikationen führen kann, wenn ein mechanisches Hindernis vorliegt. Ebenso sollte es bei Patienten mit Peritonitis (Bauchfellentzündung) vermieden werden.
Patienten mit Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) müssen Pyridostigmin mit Vorsicht verwenden, da es Bronchialsekrete erhöht und zu einer Verschlimmerung der Atembeschwerden führen kann. Auch bei Bradykardie (langsamer Herzschlag) ist Vorsicht geboten, da Pyridostigmin die Herzfrequenz weiter senken kann.
Zudem ist Pyridostigmin bei Patienten mit Epilepsie, Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren oder Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) nur unter strenger ärztlicher Überwachung zu verwenden, da es die Symptome dieser Erkrankungen verschlimmern könnte. Eine genaue Überwachung der Dosierung und mögliche Anpassungen durch den behandelnden Arzt sind bei diesen Patientengruppen essenziell.
Interaktionen mit anderen Medikamenten
Bei der Verwendung von Pyridostigmin gibt es einige wichtige Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die beachtet werden müssen. Eine zentrale Interaktion besteht mit Anticholinergika, wie Atropin oder Scopolamin, die häufig zur Behandlung von krampfartigen Schmerzen oder zur Reduzierung von Speichel- und Magensäureproduktion eingesetzt werden. Da diese Medikamente die Wirkung von Pyridostigmin aufheben können, sollte ihre gleichzeitige Anwendung mit Vorsicht erfolgen.
Auch Muskelrelaxanzien, insbesondere nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien (wie Pancuronium oder Vecuronium), die bei chirurgischen Eingriffen verwendet werden, können mit Pyridostigmin interagieren. Pyridostigmin kann die Wirkung dieser Medikamente abschwächen, wodurch die Dosierung angepasst werden muss. Andererseits verstärkt es die Wirkung von depolarisierenden Muskelrelaxanzien wie Suxamethonium, was zu einer verlängerten Muskelerschlaffung führen kann.
Die gleichzeitige Anwendung von Pyridostigmin mit Betablockern kann die Herzfrequenz stärker senken und das Risiko einer Bradykardie erhöhen, weshalb in solchen Fällen eine engmaschige Überwachung notwendig ist. Auch Kortikosteroide, die zur Behandlung von Entzündungen und Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden, können die Wirkung von Pyridostigmin verringern, da sie die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigen können.
Zusätzlich kann Pyridostigmin in Kombination mit anderen cholinergen Medikamenten wie Neostigmin oder physostigminähnlichen Substanzen zu einer erhöhten cholinergen Aktivität führen, was das Risiko einer cholinergen Krise verstärken kann.
Alternative Behandlungsmethoden
Wenn Pyridostigmin nicht vertragen wird oder keine ausreichende Wirkung zeigt, stehen alternative Behandlungsmethoden und Wirkstoffe zur Verfügung, insbesondere zur Behandlung von Myasthenia gravis. Eine häufige Alternative sind andere Acetylcholinesterase-Hemmer wie Neostigmin, das ähnliche Wirkungen wie Pyridostigmin hat, jedoch kürzer wirkt und bei einigen Patienten besser vertragen wird.
Eine weitere Möglichkeit sind immunsuppressive Therapien. Da Myasthenia gravis eine Autoimmunerkrankung ist, können Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken, hilfreich sein. Kortikosteroide wie Prednison werden oft verwendet, um die überschießende Immunreaktion zu dämpfen, die die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigt. Bei längerfristiger Anwendung können auch Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Mycophenolatmofetil eingesetzt werden, um das Immunsystem zu modulieren.
Für Patienten, die auf diese Medikamente nicht ausreichend ansprechen oder schwerwiegende Nebenwirkungen haben, gibt es neue Therapien wie Monoklonale Antikörper. Rituximab oder Eculizumab zielen gezielt auf Bestandteile des Immunsystems ab, die für die Schädigung der neuromuskulären Verbindungen verantwortlich sind. Diese modernen Behandlungen zeigen besonders bei schweren oder therapierefraktären Formen der Myasthenia gravis vielversprechende Ergebnisse.
In akuten Fällen, bei denen die Symptome schwerwiegend sind, kann eine Plasmapherese oder eine intravenöse Immunglobulintherapie (IVIG) eingesetzt werden, um die krankheitsauslösenden Antikörper schnell aus dem Blut zu entfernen und die Symptome zu lindern.
Quellen
- "Goodman & Gilman's The Pharmacological Basis of Therapeutics" von Laurence Brunton, Randa Hilal-Dandan, und Bjorn Knollmann
- "Rang & Dale's Pharmacology" von Humphrey P. Rang, Maureen M. Dale, James M. Ritter, und Rod J. Flower
- "Basic and Clinical Pharmacology" von Bertram Katzung, Anthony Trevor