Kretinismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 4. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Kretinismus ist eine durch Hormonmangel verursachte Störung des Körperwachstums und der geistigen Entwicklung von Neugeborenen. Durch eine frühzeitige Untersuchung des Säuglings lässt sich der Mangel gut erkennen. Behandelte Kinder entwickeln sich völlig normal.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Kretinismus?

Kretinismus äußert sich in den ersten Lebenswochen durch verschiedene Symptome, die allerdings noch nicht eindeutig auf einen Schilddrüsendefekt zurückzuführen sind. So können Allgemeinbeschwerden wie Verstopfung, ein verlangsamter Herzschlag oder eine Neugeborenengelbsucht auftreten.
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Kretinismus ist eine Entwicklungsstörung bei Kindern, die durch einen Mangel an Schilddrüsenhormonen ausgelöst wird. Der Begriff leitet sich von dem französischem Wort crétin = Idiot ab.

Diese Bezeichnung kam zustande, weil der Hormonmangel im Gehirn der Erkrankten zu irreversiblen Schäden und damit zu geringer geistiger Leistungsfähigkeit führt. Man unterscheidet zwei Arten von Kretinismus. Die endemische (örtlich begrenzte) Form tritt nur in bestimmten Gegenden auf und wird durch Jodmangel der Mutter bereits in der Schwangerschaft beim Kind verursacht. Der Jodmangel entsteht durch die örtlichen Gegebenheiten in Regionen, in welchen kein oder nur sehr wenig Jod im Boden und in der Luft vorhanden ist.

Der endemische Kretinismus ist die Form, die am häufigsten vorkommt. Der sporadische (vereinzelt auftretende) Kretinismus ist sehr viel seltener und entsteht durch eine genetisch bedingte Störung der Schilddrüse. Heute tritt die Erkrankung in den westlichen Ländern gar nicht mehr auf, da der Hormonspiegel von Neugeborenen routinemäßig untersucht wird und Kretinismus mit der Gabe von Hormonen verhindert werden kann.

Ursachen

Kretinismus entsteht durch einen Mangel an Schilddrüsenhormonen. Beim endemischen Kretinismus ist ein Jodmangel der Mutter dafür verantwortlich, dass das Ungeborene sowohl in körperlicher als auch in geistiger Entwicklung zurückbleibt.

Der Körper benötigt Jod, damit die Schilddrüse Hormone produzieren kann. Diese Hormone werden für das Körperwachstum und die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten gebraucht. Ein Mangel an Hormonen führt dazu, dass sich der Embryo nicht normal entwickelt. Sehr selten kann Kretinismus auch durch ein Übermaß an Jod entstehen, beispielsweise wenn die Mutter wegen einer Schilddrüsenunterfunktion zu viele jodhaltige Medikamente einnimmt.

Der beim Kind genetisch bedingte Kretinismus wird durch eine angeborene Schilddrüsenunterfunktion, eine Verlagerung der Schilddrüse oder durch eine nur unvollständig oder auch nicht vorhandene Schilddrüse verursacht. Auch bestimmte Enzymdefekte können sich auf die Produktion von Hormonen auswirken und dadurch Kretinismus auslösen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Kretinismus äußert sich in den ersten Lebenswochen durch verschiedene Symptome, die allerdings noch nicht eindeutig auf einen Schilddrüsendefekt zurückzuführen sind. So können Allgemeinbeschwerden wie Verstopfung, ein verlangsamter Herzschlag oder eine Neugeborenengelbsucht auftreten. Betroffene Säuglinge sind zudem oft apathisch, trinken wenig und haben eine schlaffe Muskulatur. Werden diese Krankheitszeichen nicht behandelt, entwickelt sich rasch ein ausgeprägter Kretinismus.

Dabei kommt es zu Entwicklungsstörungen von Knochen und Zähnen, woraus verkürzte Finger und Schäden am Gebiss und Zahnhalteapparat resultieren können. Im weiteren Verlauf der Erkrankung bildet sich ein Myxödem. Die Haut der erkrankten Kinder wirkt dann geschwollen und teigig, insbesondere im Bereich von Augenlidern und Händen. Begleitend dazu führt ein Kretinismus zu einer Bindegewebsschwäche, welche sich unter anderem durch einen großen Bauch und einen Nabelbruch äußern kann.

Die Hautveränderungen lassen die Haut relativ schnell trocken und auffällig marmoriert erscheinen. Im Mundraum kann sich eine Makroglossie entwickeln – eine starke Vergrößerung der Zunge, die mit Problemen bei der Nahrungsaufnahme sowie Atembeschwerden verbunden ist. Des Weiteren treten bei einem Kretinismus Muskelschwäche und Heiserkeit auf. Erfolgt spätestens dann keine Behandlung, stellen sich weitere körperliche Beschwerden sowie geistige Entwicklungsstörungen ein.

Diagnose & Verlauf

Die Symptome von Kretinismus sind erst nach der Geburt, ungefähr in den ersten zwei Lebenswochen feststellbar. Durch die fehlenden Hormone reifen die Knochen des Neugeborenen nicht richtig, die Kinder wirken aufgeschwemmt (Myxödem) und haben eine gelbliche Hautfarbe (Ikterus).

In der dritten Lebenswoche bildet sich oft ein Nabelbruch aus und die Zunge der Säuglinge schwillt an. Die Muskelreflexe sind schwach, die Stimme heiser und die Verdauung ist gestört. Wird das Kind nicht behandelt, so ist im weiteren Verlauf mit Minderwuchs zu rechnen, wobei die Größe der Arme und Beine nicht im richtigen Verhältnis zur Rumpfgröße steht. Die Finger sind zu kurz, die Nase stülpt sich auf und die Sprachentwicklung ist gestört.

Da Kretinismus aber gut mit einer Blutuntersuchung zu diagnostizieren ist, kommt er in Ländern mit routinemäßigen Untersuchungen von Neugeborenen so gut wie gar nicht mehr vor. Werden zu geringe Hormonwerte festgestellt, wird der Arzt die Schilddrüse des Kindes hinsichtlich ihrer Funktion, ihrer Ausbildung und ihrer Lage untersuchen, um dann die richtige Behandlung des Kretinismus einzuleiten.

Komplikationen

In den meisten Fällen kann der Kretinismus relativ gut und einfach behandelt werden. Allerdings ist dabei schon eine frühzeitige Behandlung notwendig, damit es nicht zu Komplikationen und anderen Folgeschäden kommt. Die Betroffenen leiden durch den Kretinismus in erster Linie an einer Entwicklungsstörung. Diese ist vor allem bei Kindern sehr gefährlich. Auch Wachstumsstörungen der Kinder können durch den Kretinismus auftreten und dabei auch den Knochenbau negativ beeinflussen.

Die Haut färbt sich dabei nicht selten gelb, sodass die Beschwerde auch mit einer Gelbsucht verwechselt werden kann. Weiterhin kommt es auch zu einer starken Zunahme an Gewicht und nicht selten auch zu einer Trinkstörung. Die Patienten leiden dann weiterhin an einer Dehydrierung, welche sich sehr negativ auf den gesamten Körper auswirken kann. Weiterhin können die Patienten auch an einem Minderwuchs leiden.

Vor allem im jungen Alter können die Beschwerden daher zu Hänseleien oder zu Mobbing führen. Mit Hilfe von Hormonen können die Beschwerden des Kretinismus relativ einfach bekämpft werden. Komplikationen treten dabei nicht auf und es kommt zu einem positiven Krankheitsverlauf. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird bei einer erfolgreichen Behandlung nicht beeinflusst.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn der Verdacht besteht, dass Kretinismus vorliegt, ist ein Besuch in der Arztpraxis zu empfehlen. Die Erkrankung heilt nicht von selbst und kann verschiedene Beschwerden auslösen, wenn sie nicht behandelt wird. Deshalb muss immer eine medizinische Behandlung stattfinden. Eltern, die bei ihrem Kind Wachstumsstörungen feststellen, sollten den Kinderarzt informieren. Selbiges gilt bei Gewichtsproblemen und Anzeichen einer Gelbsucht. Falls das Kind nicht mehr ausreichend trinkt, sollte direkt zum Kinderarzt gegangen werden.

Je nachdem, welche Ursache der Kretinismus hat und wie stark die Symptome ausgeprägt sind, müssen manchmal weitere Fachärzte eingeschaltet werden. Auch hier ist eine frühzeitige Behandlung notwendig. Die Eltern von betroffenen Kindern sollten sich also in jedem Fall um eine rasche Diagnose und Therapie bemühen, um weitere Komplikationen zu vermeiden bzw. diese zu minimieren. Im späteren Leben kann aufgrund der psychischen Probleme, die ein Kretinismus manchmal hervorruft, außerdem ein Therapeut zurate gezogen werden. Weitere Kontaktstellen sind Internisten, Ernährungsmediziner und eine Fachklinik für Schilddrüsenerkrankungen.

Behandlung & Therapie

Die fortschreitenden Symptome von Kretinismus können durch eine frühestmögliche Therapie verhindert werden. Die Behandlung besteht in der Gabe von künstlich hergestellten Schilddrüsenhormonen in Form von Tabletten.

Sie müssen ein Leben lang eingenommen werden. Der Hormonspiegel der Kinder muss in regelmäßigen Abständen mithilfe einer Blutuntersuchung kontrolliert werden, damit eventuelle Abweichungen der Normalwerte sofort festgestellt werden können. Wird die Einnahme unterbrochen und kommt es dadurch erneut zu einem Mangel von Hormonen, können sich auch später noch die bekannten Symptome von Kretinismus entwickeln.

Wird die Behandlung frühzeitig und konsequent lebenslang durchgeführt, so kann sich das Kind völlig normal entwickeln. Sind dagegen bereits Entwicklungsstörungen aufgetreten, so lassen sich diese nicht mehr rückgängig machen, da die Schädigungen durch Kretinismus irreversibel sind.


Aussicht & Prognose

Bei einer frühzeitigen Diagnosestellung ist die Prognose des Kretinismus günstig. Die Entwicklungsstörung des Kindes kann bei einer Gabe von entsprechenden Hormonen ausreichend behandelt werden. Wichtig ist dafür eine schnellstmögliche medikamentöse Therapie, die bereits in den ersten Lebenswochen oder Monaten beginnen sollte. Je später die Versorgung mit Hormonen beginnt, desto schwieriger ist der weitere Verlauf.

In die Entwicklung des Organismus kann in diesen Fällen nicht mehr ausreichend eingegriffen werden. Lebenslange körperliche wie geistige Störungen sind die Folgen. Es ist mit einem Minderwuchs zu rechnen und zudem treten geistige Beeinträchtigungen, die irreversible sind. Ohne eine medizinische Versorgung ist von keiner Linderung der Beschwerden auszugehen. Die Prognose ist verschlechtert, da es derzeit keine alternativen Heilmethoden gibt und die Selbstheilungskräfte des Organismus für diese Störung nicht ausreichend sind.

Die Verbesserung der Gesundheit wird daher ausschließlich in Zusammenarbeit mit den Ärzten erzielt. Es kommt zu einer Langzeittherapie, da die verschriebenen Hormone lebenslang dem Organismus zugeführt werden müssen. Nur so kann eine Verbesserung der Gesundheit gewährleistet werden. Bei einem Abbruch der Therapie treten verschiedene Beschwerden ein, die zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensqualität führen. Zudem ist das Risiko für Folgeerkrankungen erhöht. Dieser Umstand ist bei der Stellung der Gesamtprognose entsprechend zu berücksichtigen.

Vorbeugung

Man kann Kretinismus durch die frühzeitige Gabe von Schilddrüsenhormonen vorbeugen. In Deutschland ist die routinemäßige Untersuchung der Schilddrüse an Neugeborenen gesetzlich geregelt. Dadurch kann Kretinismus früh erkannt und behandelt werden kann. Schwangere mit Schilddrüsenunterfunktion können durch die Einnahme von jodhaltigen Medikamenten dem Kretinismus ihres Kindes vorbeugen.

Nachsorge

Dem Betroffenen stehen bei einem Kretinismus in der Regel keine besonderen Maßnahmen der Nachsorge zur Verfügung. Bei dieser Krankheit ist in erster Linie eine sehr frühe Diagnose mit der anschließenden Behandlung wichtig, damit keine weitere Verschlechterung der Beschwerden mehr eintreten kann. Eine Selbstheilung ist beim Kretinismus in der Regel nicht möglich, sodass immer eine Behandlung durch einen Arzt erfolgen muss.

In der Regel müssen die Betroffenen beim Kretinismus ihr Leben lang verschiedene Medikamente einnehmen, um die Beschwerden zu lindern. Hierbei ist immer auf eine regelmäßige Einnahme und weiterhin auch auf eine richtige Dosierung zu achten. Sollte es zu Unklarheiten oder zu anderen Fragen kommen, so muss auf jeden Fall zuerst ein Arzt kontaktiert werden.

Ebenso sind regelmäßige Untersuchungen durch einen Arzt beim Kretinismus sehr wichtig, damit keine weiteren Komplikationen mehr auftreten können. Da sich die Krankheit auch sehr negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken kann, sollten die Eltern besonders darauf achten und diese ebenso einem Arzt mitteilen. In vielen Fällen können diese dann gelindert werden. Das Kind selbst ist dabei in der Regel auf die Hilfe und die Pflege durch die Eltern angewiesen.

Das können Sie selbst tun

Bei Kretinismus besteht die wirksamste Selbsthilfemaßnahme darin, die Erkrankung frühzeitig abklären und behandeln zu lassen. Eltern, die bei ihrem Kind Symptome einer Schilddrüsenstörung bemerken, sollten umgehend den Kinderarzt konsultieren. Wird die Störung durch die Gabe von Hormonen frühzeitig behandelt, ist eine normale körperliche und geistige Entwicklung möglich. Die Eltern und später der Betroffene selbst müssen hierfür auf eine regelmäßige Einnahme der Medikamente achten. Andernfalls können auch später noch ernste Symptome auftreten.

Sind bereits Entwicklungsstörungen aufgetreten, ist eine therapeutische Behandlung angezeigt. Die Eltern sollten sich frühzeitig um die Unterbringung in einem Sonderkindergarten und später in einer Sonderschule bemühen. Auch im alltäglichen Leben müssen Anpassungen vorgenommen werden, sei es durch orthopädische Hilfsmittel oder durch eine behindertengerechte Einrichtung. Welche Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind, hängt davon ab, wie stark die Entwicklungsstörung ausgeprägt ist und welche Beschwerden auftreten.

Grundsätzlich sollte das Kind frühestmöglich über seine Erkrankung aufgeklärt werden, denn ein offener Umgang erleichtert die therapeutischen Maßnahmen und das gesamte Leben mit den vielfältigen Einschränkungen, die Kretinismus mit sich bringen kann. Begleitend dazu kann eine therapeutische Beratung stattfinden.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013

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