Muskuläre Dysbalance

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei muskulärer Dysbalance herrscht ein Ungleichgewicht zwischen dem agonistischen und antagonistischen Muskel, der an einer bestimmten Bewegung beteiligt ist. Dysbalancen dieser Art stellen sich oft durch Bewegungsmangel, nach Traumata oder in Folge von neurogenen Erkrankungen ein. Die Therapie der Wahl ist Physiotherapie, wobei die Trainingseinheiten unter bestimmten Umständen mit Elektrostimulation kombiniert werden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist muskulärer Dysbalance?

Eine ausgeprägt muskuläre Dysbalance kann von Ärzten und vor allem Physiotherapeuten schon durch Sichtdiagnose diagnostiziert werden. In der Anamnese können vorausgegangene Traumata oder bekannte, neurogene Erkrankungen für eine Dysbalance sprechen.
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Zur Ausführung von Bewegungen ist der Mensch auf das das Zusammenspiel von gegensätzlich wirkenden Muskeln angewiesen, die über efferent motorische Innervation mit dem zentralen Nervensystem verbunden sind. Muskeln arbeiten bei ihrer Kontraktion niemals alleine. Der bewegungsrealisierende Agonist ist je auf einen Gegenspieler oder Antagonist angewiesen, der die Bewegung in die Gegenrichtung ermöglicht. Sind diese nicht gleich stark, besteht eine muskuläre Dysbalance.

Wenn sich an agonistischer Flexor beugt, muss gleichzeitig der antagonistische Extensor strecken. Die Rückführung in Ausgangsstellung wird durch die Flexion des Extensors möglich, die wiederum den ursprünglichen Flexor zum Antagonisten hat. Bauchmuskeln sind zum Beispiel die Antagonisten der Rückenmuskeln und andersherum. Agonistische und antagonistische Muskeln sollten ungefähr gleich stark sein.

Ist das nicht der Fall, so liegt eine muskuläre Dysbalance vor. Fehlhaltungen, Schmerzen und irreversible Schädigungen können die Spätfolgen solcher Dysbalancen sein. Im Rahmen von rehabilitativen und krankengymnastischen Übungen gilt daher beispielsweise ein ausgewogenes Training für Agonisten und Antagonisten als übergeordnetes Ziel. Die mitunter häufigsten Dysbalancen betreffen wie Bauchmuskeln, die meist deutlich weniger stark ausgebildet sind als die antagonistischen Rückenmuskeln.

Ursachen

Die Ursache einer muskulären Dysbalance ist im wesentlichen Muskelverkürzung oder Muskelabschwächung von entweder Agonist oder Antagonist. Diesen Phänomenen kann einseitige Kraftentwicklung zugrunde liegen, die gleichzeitig mit einer Vernachlässigung der Dehnungsfähigkeit einhergeht. Der wichtigste Auslöser für dieses Phänomen ist mangelnde oder vollständig fehlende Beanspruchung des betroffenen Muskels.

Auch einseitige Belastungen beim Sport und im Alltag kommen allerdings als Ursache infrage. Die muskuläre Dysbalance kann sich außerdem als Symptom einer übergeordneten Erkrankung oder in Folge von Traumata einstellen. Bei den assoziierten Erkrankungen handelt es sich in der Regel um Krankheiten des zentralen Nervensystems, so zum Beispiel die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose.

Wenn durch solche Erkrankungen motorisches Nervengewebe geschädigt wird, erreichen einen Muskel weniger Bewegungsbefehle aus dem zentralen Nervensystem. Dadurch kann der betroffene Muskel nicht mehr so ausgeprägt trainiert oder beansprucht werden wie sein Antagonist. Auch bei motorischen Nervenschädigungen der Körperperipherie kann sich dieses Phänomen einstellen, so zum Beispiel im Rahmen einer Neuropathie.

Wenn die muskuläre Dysbalance in Folge eines Traumas am Bewegungsapparat eintritt, ist meist eine unzureichende Regeneration oder eine schmerzbedingte Fehlbelastung die Ursache.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome von muskulären Dysbalancen hängen stark von der primären Ursache ab. Bei muskulären Dysbalancen durch Muskelverkürzungen passt sich ein Muskel an einen spezifischen Reiz durch höhere Spannung an, während sein Gegenspieler keinem Muskel keinem Reiz ausgesetzt worden ist und damit seine bisherige Spannung aufrechterhält. Damit ist das Verkürzungsverhältnis zwischen den beiden gestört.

Muskuläre Dysbalancen durch Muskelverlängerung liegen dagegen vor, wenn sich ein Muskel an einen spezifischen Reiz durch niedrigere Spannung anpasst. Die Spannung des anderen Muskels bleibt wieder konstant, womit sich das Verkürzungsverhältnis ändert. Wenn längerfristig eine ungünstige Belastungsverteilung zwischen Muskeln und Gelenken vorliegt, entstehen arthro-muskuläre Dysbalance mit schmerzhaften Muskelverspannungen, Sehnenüberlastungen und muskulären Koordinations- oder Funktionsstörungen.

Eine verstärkte Abnutzung des Gelenkknorpels kann die Folge sein. Bei neurogenen Dysbalance-Ursachen im peripheren Nervensystem ist neben der Motorik oft die Sensibilität des betroffenen Bereichs eingeschränkt. Bei zentralnervösen Ursachen kann dasselbe der Fall sein.

Diagnose & Verlauf

Eine ausgeprägt muskuläre Dysbalance kann von Ärzten und vor allem Physiotherapeuten schon durch Sichtdiagnose diagnostiziert werden. In der Anamnese können vorausgegangene Traumata oder bekannte, neurogene Erkrankungen für eine Dysbalance sprechen. Auch Symptome wie ein Rundrücken weisen auf eine Dysbalance hin.

Diagnosesichernd sind Schichtaufnahmen der Muskeln, die eine Einschätzung der Muskelausprägung zulassen. Die Prognose der Patienten hängt von der primären Ursache ab. Grundsätzlich lässt sich jede Dysbalance mittels gezieltem Training verbessern. Mit zentralnervösen Ursachen ist aber eine generell schlechtere Aussicht auf volle Wiederherstellung des Muskelverhältnisses assoziiert als mit anderen Ursachen.

Komplikationen

Muskuläre Dysbalancen sind weit verbreitet. Eigentlich ist jeder Mensch zumindest in geringem Maße davon betroffen, weil immer bestimmte Muskeln oder Muskelgruppen weniger als andere belastet werden. Bei geringen Dysbalancen treten keine Beschwerden auf. Stärkere muskuläre Ungleichgewichte führen zu chronischen Schmerzen.

In der Regel können durch einige Übungen die Muskeln gleichmäßig trainiert werden, sodass die Beschwerden auch wieder verschwinden. Wenn allerdings nichts getan wird, kommt es mit der Zeit zu Komplikationen, die sich oft durch irreversible Veränderungen auszeichnen. Welche Komplikationen können auftreten? Zu den wichtigsten Komplikationen gehören Muskelverspannungen, Tendopathien sowie Arthrosen.

Muskelverspannungen entwickeln sich im Rahmen länger anhaltender Fehlhaltungen. Sie können schmerzlos sein. Häufig treten jedoch Schmerzen bei Druck oder Bewegung auf. Das Muskelgewebe verhärtet sich. Durch verschiedene Therapiemaßnahmen können auch Muskelverspannungen noch rückgängig gemacht werden.

Bei den Tendopathien handelt es sich um Mikrorisse in den Sehnen von starken Muskeln. Manchmal können diese nicht vollständig abheilen. Deshalb kann es dadurch zu degenerativen Veränderungen kommen. Die Sehnenansätze zeigen Verknöcherungen und Kalkablagerungen. Zwar sind diese Veränderungen primär nicht entzündlich.

Durch mechanische Reizung kann es aber zu sekundären Entzündungen kommen, die den Degenerationsprozess noch beschleunigen. Manchmal ist eine Linderung der Beschwerden nur durch eine Operation möglich. Schlimmstenfalls kann eine muskuläre Dysbalance auch zu Arthrosen mit anschließender Gelenkdeformation und starker Bewegungseinschränkung führen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

In vielen Fällen kommt es bei dieser Krankheit zu einer relativ späten Diagnose, da die Beschwerden nicht besonders charakteristisch sind und mit anderen Krankheiten verwechselt werden können. Im Allgemeinen sollte der Betroffene daher einen Arzt aufsuchen, wenn es zu Beschwerden und Schmerzen in den Muskeln ohne einen besonderen Grund kommt. Diese Beschwerden können dabei auf eine andere Grunderkrankung hindeuten, die behandelt werden sollte.

Auf jeden Fall muss dann ein Arzt aufgesucht werden, wenn es durch die Schmerzen zu Bewegungseinschränkungen kommt, die in der Regel nicht wieder von alleine verschwinden und über einen längeren Zeitraum anhalten. Dabei kann es auch zu Infektionen und Entzündungen kommen. Damit diese sind nicht weiter ausbreiten, sollte eine Behandlung durch einen Arzt erfolgen. Nicht selten kommt es durch die dauerhaften Schmerzen und Bewegungseinschränkungen auch zu psychischen Beschwerden. In diesem Fall sollte ebenfalls eine Behandlung durch einen Psychologen erfolgen. In erster Linie kann ein Allgemeinarzt aufgesucht werden, um die Krankheit zu diagnostizieren. Im weiteren Verlauf muss die Behandlung dann durch einen Facharzt erfolgen.

Behandlung & Therapie

Die Therapie der Wahl ist für Patienten mit muskulärer Dysbalance die Physiotherapie. Bei neurogenen Ursachen ist die Vermittlung an einen neurologisch ausgebildeten Physiotherapeuten indiziert. Im Rahmen der physiotherapeutischen Betreuung werden Antagonisten und Agonisten in gleichem Maß trainiert, um die Balance wiederherzustellen.

Vor allem bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems stellt sich dieses Ziel als hoch gestecktes Ziel heraus. Wenn Nervengewebe im Rückenmark oder Gehirn geschädigt ist, erreichen Kontraktionsbefehle die Muskeln nicht mehr hinzureichend, was das Training bedeutend erschwert. Auch bei peripheren Nervenerkrankungen kann dieser Zusammenhang die Trainingseinheiten stören. In solchen Fällen kann die Physiotherapie mit Elektrostimulation kombiniert werden.

Die direkte Stimulation regt den Muskel unabhängig von Nervenimpulsen zur Kontraktion an und trainiert ihn dementsprechend ohne Beteiligung der Nervenleitbahnen. Bei den physiotherapeutischen Sitzungen wird vor allem auf Muskelzittern geachtet. Sobald die Muskulatur zu zittern beginnt, wird eine Pause eingelegt.

Aussicht & Prognose

Der weitere Verlauf der Dysbalance hängt relativ stark von der Ursache der Erkrankung ab, weswegen keine universelle Voraussage möglich ist. Allerdings kommt es zu einer schnellen Reizung und Überlastung der Muskeln. Ebenso treten Muskelverspannungen oder Funktionsstörungen an den Muskeln auf. Diese können in schwerwiegenden Fällen auch die Bewegung des Patienten einschränken.

Sollte die Dysbalance durch einen Unfall oder ein Trauma entstanden sein, so leiden die Patienten nicht selten auch an psychischen Beschwerden und benötigen eine Unterstützung von einem Psychologen. Falls das Ungleichgewicht der Muskeln stark wird, setzen Schmerzen ein. Diese können den Alltag des Betroffenen einschränken. Nicht selten verschwinden die Schmerzen allerdings von alleine.

Sollten Risse in Sehnen und Muskeln nicht richtig verheilen, kann es zu Fehlbildungen und Entzündungen kommen. Auch diese führen zu einer Bewegungseinschränkung.

Die Behandlung der Dysbalance erfolgt in den meisten Fällen in einer Therapie. Diese richtet sich in erster Linie nach der Ursache der Dysbalance. Sollten Nerven beschädigt worden sein, so können gegebenenfalls nicht alle Einschränkungen wieder geheilt werden.


Vorbeugung

Muskulären Dysbalancen lässt sich im Alltag durch richtige Bewegungsausführung, ausreichend Bewegung und gleichmäßige Beanspruchung von Agonisten und Antagonisten vorbeugen. Da auch die Haltung zur richtigen Bewegungsführung beiträgt, kann der Besuch einer Haltungsschule sinnvoll sein. Nach Traumata lässt sich der Dysbalance in Form einer fachmännisch betreuten, möglichst vollständigen Regeneration im Rahmen von Reha-Maßnahmen vorbeugen.

Nachsorge

Die Therapie einer muskulären Dysbalance kann nur dann nachhaltig wirken, wenn eine konsequente Nachsorge erfolgt. Dies kann der Patient mit einem Physiotherapeuten oder Sportlehrer für den Rehabereich, aber auch im Fitnessstudio gut umsetzen. Ziel ist es grundsätzlich, die muskuläre Dysbalance auszugleichen beziehungsweise im Vorfeld schon zu vermeiden, indem die schwache Muskulatur gekräftigt und verkürzte Muskeln gedehnt werden.

Ein Beispiel ist das Dehnen einer verkürzten Brustmuskulatur und die Kräftigung des oberen Rückens bei Menschen, die täglich am PC in vorgebeugter Haltung arbeiten. Die Kräftigung von Muskeln erfolgt mit gezieltem Krafttraining, für das sich der Patient vom Physiotherapeuten oder Rehasportlehrer auch einen individuellen Plan erstellen lassen kann. Wichtig ist auch im Rahmen der Nachsorge, dieses Training mit korrekter Übungsausführung und regelmäßigen Einheiten sowie der individuell optimalen Belastungsdosierung effizient zu gestalten.

Die Dehnung verkürzter Muskeln ist bei der muskulären Dysbalance genauso wichtig wie die Kräftigung. Dehnen ist nicht nur vor und nach dem Training ein wichtiges Element. Auch im Alltag, zum Beispiel in Arbeitspausen, kann es immer wieder wirkungsvoll in die Nachsorge eingebaut werden.

Spezielle Stretchingkurse sind ebenfalls oft hilfreich, genauso wie Yoga, das ideal für die Ganzkörperkräftigung eingesetzt werden kann und auch Dehnung von Muskeln nicht vernachlässigt. Wer zu Verkürzungen bestimmter Muskeln neigt, sollte zudem auch auf eine ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes achten.

Das können Sie selbst tun

Um muskulären Dysbalancen entgegenzuwirken, ist richtiges Sitzen elementar. Empfehlenswert ist es, ergonomisch und dynamisch auf dem Bürostuhl zu sitzen. Sinnvoll ist eine Kombination mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch. Die Sitzposition sollte möglichst häufig gewechselt werden, auch Arbeiten im Stehen und aktives Umherlaufen ist im Büroalltag empfehlenswert.

Muskuläre Dysbalancen entstehen oftmals durch Bewegungsmangel. Daher ist es wichtig, mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren. Sinnvoll ist es, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren oder etwas entfernt zu parken, um noch einige Minuten zu laufen. Anstatt des Fahrstuhls sollte lieber die Treppe benutzt werden und der Drucker sollte nicht direkt am Arbeitsplatz stehen, um immer wieder mal aufzustehen.

Da muskuläre Dysbalancen durch einseitiges Training und fehlendes Dehnen beim Sport verursacht werden kann, sollte darauf geachtet werden, sich immer aufzuwärmen und auch Gegenspieler stets zu trainieren. Wichtig ist auch das Tragen von geeignetem Schuhwerk. Beim Sport sollten unüberlegte Belastungssteigerungen, Stürze, Laufen auf unebenem Untergrund und muskuläre Überforderungen vermieden werden. So können auch muskuläre Dysbalancen vermieden werden.

Bei muskulären Dysbalancen helfen Sportarten, bei denen viele Muskelgruppen ausgewogen und gleichzeitig beansprucht werden, beispielsweise Tanzen, Turnen oder Kampfsport. Sinnvoll ist auch ein abwechslungsreiches Trainingsprogramm mit Kräftigungs-, Koordinations-, Gleichgewichts- und Dehnübungen. Sollten sich Verbesserungen nicht durch Selbsthilfemaßnahmen einstellen ist eine Sporttherapie ratsam, durch gezielte Übungen unter Anleitung werden Defizite in der Muskulatur behoben.

Quellen

  • Ebelt-Paprotny, G., Preis, R. (Hrsg.): Leitfaden Physiotherapie. Urban & Fischer, München 2012
  • Huppelsberg, J., Walter, K.: Kurzlehrbuch Physiologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Zierz, S.: Muskelerkrankungen. Thieme, Stuttgart 2014

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