Okulogyre Krise

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei einer okulogyren Krise handelt es sich um eine Art der Dystonie, bei der die Betroffenen keinen Einfluss auf die Symptomatik und das Ausmaß der neurologischen und psychischen Symptomatiken nehmen können. Die Krise kann wenige Minuten oder auch wesentlich länger dauern.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine okulogyre Krise?

Aus der Reihe der medikamentösen Behandlung kommen Neuroleptika wie Haloperidol beziehungsweise Olanzapin, Carbamazepin, Cisplatin, Chloroquin, Diazoxid, Metoclopramid, Nifedipin, Domperidon, Pemolin, Phencyclidin und Levopoda als Ursache für eine Okulogyre Krise infrage.
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Der Begriff Krise steht immer für eine Art von Zuspitzung. Es entsteht eine problematische Situation, die in der Regel eine schnelle Reaktion erfordert. Genau dies trifft auch auf die okulogyre Krise zu. Bei ihr handelt es sich um eine Art der Dystonie (neurologische Bewegungsstörung), bei der sich die Augäpfel unkontrolliert in eine bestimmte Richtung (tonische Seitbewegung) rutschen.

Die Betroffenen einer okulogyren Krise können keinen Einfluss ausüben. Für eine okulogyre Krise können Erkrankungen der Basalganglien (Kerngebiete unterhalb der Großhirnrinde (Cortex cerebri), psychogene oder medikamententoxische Ursachen verantwortlich sein. In Fachkreisen sprich man von einer nichtepileptischen Bewegungsstörung (Bewegungsstörung ohne Fallsucht oder Krampfleiden).

Eingeordnet wird diese Erkrankung in den Bereich der Neurologie beziehungsweise Psychiatrie. Die Krise definiert sich durch unterschiedliche Kommunikationsstörungen, sehr differenzierte neurologische Merkmale sowie psychische und physische Merkmale unterschiedlicher Genese. Ist die Krise vorüber, kann ein leichter oder ausgeprägter Erschöpfungszustand bei den Betroffenen eintreten.

Ursachen

Aus der Reihe der medikamentösen Behandlung kommen Neuroleptika wie Haloperidol beziehungsweise Olanzapin, Carbamazepin, Cisplatin, Chloroquin, Diazoxid, Metoclopramid, Nifedipin, Domperidon, Pemolin, Phencyclidin und Levopoda als Ursache für eine Okulogyre Krise infrage.

Diese Neuroleptika (von neuron: „Nerv“, lepsis: „ergreifen“) bekämpfen aufgrund ihrer sedierenden und antipsychotischen Wirkung den Realitätsverlust entsprechend erkrankter Menschen. Auch schwere psychische Störungen, Ängste, Unruhen und Wahnvorstellungen sowie Halluzinationen werden mit Neuroleptika, neuzeitlich Antipsychotika genannt, behandelt.

Weitere Ursachen für eine okulogyre Krise finden sich in der Parkinsonkrankheit, dem Tourettesyndrom und Multiple Sklerose. Das postenzephalitische Parkinsonsyndrom galt bis nach 1920 als Hauptverursacher. Da in neuester Zeit auch ADHS bei Kindern sowie Fetales Alkoholsyndrom und Autismus mit einem Neuroleptika behandelt werden, müssen auch diese Erkrankungen wegen der medikamentösen Wirkung in zweiter Linie als Verursacher in Betracht gezogen werden.

Weil in schweren Fällen auch Zwangserkrankungen, Persönlichkeitsstörungen sowie krankhafte Erregungsstörungen mit einem Neuroleptika medikamentös versorgt werden, sind diese Erkrankungen zusätzlich in die Liste der Krankheiten aufzunehmen, die eine okulogyre Krise aufgrund der medikamentösen Wirkung auslösen können. Erkrankungen der Basalganglien und psychogene Anzeichen können eine okulogyre Krise hervorrufen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Zu den anfänglichen Symptomen können zum Beispiel Aufregung, Unruhe und Unwohlsein aber auch ein starrer Blick gehören. Im Anschluss daran kann es zur symptomatischen Aufwärtsbewegung der Augen kommen. Auch Kopfbewegungen nach hinten oder zur Seite sowie ein weit geöffneter Mund und Augenschmerzen können auftreten.

Nach der Krise ist ein Erschöpfungszustand nicht auszuschließen. Im Verlauf einer Krise sind Multismus (Kommunikationsstörung, psychogenes Schweigen ohne Defekt der Sprechorgane) und Palilalie (krankhafter Zwang, eigene Wörter und Sätze zu wiederholen) genauso bekannt wie Augenzwinkern, Tränenfluss und Pupillenerweiterung.

Weitere Symptomatiken während einer Krise können Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Speichelfluss, Depressionen und Paranoia sowie Zwangsgedanken und Depersonalisation sein. Die Anwendung eines obszönen Vokabulars sowie von Gewalt ist gleichfalls bekannt. Ein okulogyrer Anfall ist als epileptischer Anfall mit einer tonischen Seitbewegung der Augen zu definieren.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Im weiteren Verlauf von okulogyren Krisen ist nicht nur mit einem Rezidiv, sondern auch mit einer Ausbreitung der fokalen Dystonie zu rechnen. Und zwar auf andere Muskelgruppen. Es kann zu vergleichbaren Symptomen eines Meige-Syndroms kommen.

Komplikationen

Die okulogyre Krise, also die krampfhafte Aufwärtsbewegung der Augen, stellt bereits eine Komplikation im Rahmen einer neurologischen oder neurodegenerativen Erkrankung dar. Die Krise kann auch von der Einnahme bestimmter Medikamente ausgelöst werden. Meist treten neben den Aufwärtsbewegungen der Augen nur Kopfbewegungen nach hinten oder zur Seite bei geöffnetem Mund auf.

Allerdings kann die okulogyre Krise auch mit anderen schwerwiegenden Komplikationen verbunden sein. Neben plötzlich auftretendem starken Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Tränenfluss, Pupillenerweiterung und starken Speichelfluss kann es auch zu Wahnvorstellungen, Depressionen, Depersonalisation und Gewaltausbrüchen kommen. Die Symptome können sich verschlimmern, wenn die betroffene Person mit Gewalt festgehalten wird.

Deshalb ist es wichtig, während eines Anfalls Ruhe zu bewahren. Allerdings können unbeteiligte Personen während eines plötzlichen Gewaltausbruchs des Patienten verletzt werden. Des Weiteren kann es auch passieren, dass sich der Betroffene selber verletzt, etwa durch einen Biss auf die Zunge. Um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden, sollte der Patient möglichst engmaschig betreut werden.

Er sollte bei Reisen begleitet werden oder eine Notfallkarte bei sich tragen, damit im Ernstfall richtig gehandelt werden kann. Scharfe Gegenstände sollten außer Reichweite gebracht werden, weil der Betroffene damit sich selber und andere gefährden kann. Stress und Aufregung wirken im Zustand des Anfalls kontraproduktiv.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Ein Arztbesuch ist notwendig, sobald der Betroffene ungewöhnliche Veränderungen der Persönlichkeit oder seines Verhaltens zeigt. Wird das Auftreten als ab der Norm wahrgenommen, besteht Handlungsbedarf. Ein starrer Blick, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen geben Anlass zur Besorgnis und müssen von einem Arzt abgeklärt werden. Eine Erweiterung der Pupillen, anhaltende Erschöpfung sowie depressive Zustände müssen einem Arzt vorgestellt werden. Der Betroffene benötigt Hilfe sowie eine medikamentöse Therapie. Bei einem unkontrollierbaren Speichelfluss, Aufwärtsbewegungen der Augen oder Schmerzen sollten Untersuchungen eingeleitet werden.

Eine Diagnosestellung wird benötigt, damit ein Behandlungsplan erstellt werden kann. Reagiert der Betroffene auf soziale Interaktionen ungewöhnlich oder gar nicht, liegt eine gesundheitliche Störung vor. Fortdauernder Tränenfluss, ein geöffneter Mund oder eine ungewöhnliche Körperhaltung sollten einem Arzt vorgestellt werden. Zwangshandlungen oder Zwangsvorstellungen sind weitere Anzeichen einer Unregelmäßigkeit.

Halten die aufgeführten Beschwerden über eine längere Zeit an oder kommt es zu einer Zunahme der Symptome, ist ein Arztbesuch vonnöten. Bei Bluthochdruck sowie einer nach hinten geneigten Kopfhaltung ist ein Arzt zu konsultieren. Kommt es zu einem Anfallsleiden, plötzlichen Gewaltausbrüchen oder Hinweisen einer Depersonalisierung, ist unverzüglich ein Arzt aufzusuchen. In schweren Fällen muss ein Rettungsdienst alarmiert werden. Bis zu dessen Ankunft sind Maßnahmen der Verletzungseinschränkung notwendig, damit es zu keinen schweren Komplikationen kommt.

Behandlung & Therapie

Tritt ein akuter okulogyrer Anfall ein, ist Ruhe zu bewahren. Auf keinen Fall darf die betroffene Person mit Gewalt festgehalten werden. Auch das Einführen von Gegenständen in den Mund, damit ein Zungenbiss verhindert wird, sollte unterbleiben. Vielmehr ist die Person in eine geschützte Körperlagerung mit Kopfunterlage zu bringen.

Wichtig ist auch, die Betroffenen nicht alleine zu lassen, deren Kleidung zu lockern und eventuell die Brille abzunehmen. Alle Gegenstände, die zu einer Gefährdung der Person führen können, sollten außer Reichweite gebracht werden. Umstehende Personen sind zu beruhigen, damit keine weiteren Stressfaktoren entstehen. Die nächsten Verwandten (Lebenspartner, Eltern) sowie der Arzt sollten schnellst möglich informiert werden.

Ist der Anfall vorüber, kann die betroffene Person mit beruhigenden Worten angesprochen und an einen ruhigen Ort (separater Raum oder ruhige Ecke) gebracht werden. Eine ständig mitgeführte Notfallkarte mit allen relevanten Angaben (genaue Diagnose, Therapie, Verhaltensregeln) sollte für eine bestmögliche Erstversorgung ständig mitgeführt werden.

Die medikamentöse Erstversorgung bei einer okulogyren Krise kann aus einer intravenösen Verabreichung von Benzatropin bestehen. Eine Wirkung tritt meistens schon nach circa fünf Minuten ein. Allerdings kann die volle Wirkung auch erst nach einer halben Stunde einsetzen.


Aussicht & Prognose

Eine okulogyre Krise ist eine Begleiterscheinung einer vorliegenden Erkrankung. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall, der grundsätzlich behandelt werden muss. Andernfalls kann sich der allgemeine Gesundheitszustand des Betroffenen dauerhaft in einem erheblichen Maß verschlechtern. Zudem kann es zu Gewaltausbrüchen kommen, die eine potentielle Gefährdung für den Betroffenen sowie der umstehenden Personen birgt. Es ist eine schnellst mögliche medizinische Versorgung nötig, damit der Zustand der Krise überwunden werden kann.

Bei den Patienten liegen Erkrankungen vor, die zumeist einen chronischen Charakter aufweisen. Wenngleich die Prognose von der Entwicklung der Grunderkrankung abhängt, ist mit einer Genesung häufig nicht zu rechnen. Vielmehr ist eine Langzeittherapie notwendig, damit eine Stabilisierung des gesundheitlichen Befindens ermöglicht wird.

In einigen Fällen ist die Ursache in der Gabe von Neuroleptika zu finden. Besteht die Möglichkeit, diese Medikamente dauerhaft absetzen zu können, da die psychische Grunderkrankung therapiert wurde, ist auch eine deutliche Verbesserung der Gesundheit des Betroffenen gegeben. Die besten Aussichten sind bei Menschen, die an einer Zwangserkrankung leiden. Hier sind gute Therapieerfolge in einer professionellen Behandlung zu erreichen. Zwingend erforderlich ist dabei die Mitarbeit des Patienten. Schwieriger ist eine Besserung bei Störungen der Persönlichkeit oder Suchterkrankungen. Hier ist die Prognose insgesamt verschlechtert.

Vorbeugung

Wie auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen sollte eine molekularpathologische Diagnose erfolgen. Die Basis dafür sind die aktuellen Entwicklungen der kausalen Therapieansätze. Eine engmaschige Zusammenarbeit in der Primärversorgung mit spezialisierten Zentren ist dafür unerlässlich. Wer weiß, dass es jederzeit zu einer okulogyren Krise kommen kann, sollte im Auto, im Bus oder beim Zugfahren optische Ziele in der Ferne im Blick haben.

So kann eine eigene visuelle Kontrolle ausgeübt werden. Eine logopädische Betreuung sowie physiotherapeutische Maßnahmen sind empfehlenswert, um neue okulogyre Anfälle möglichst zu vermeiden oder zumindest in ihrer Intensität zu begrenzen. Eine medikamentöse Begleittherapie ist in den meisten Fällen unerlässlich.

Nachsorge

Nach einem Blickkrampf sollte noch mindestens einmal der Arzt konsultiert werden. Die Nachsorge bei einer okulogyren Krise konzentriert sich auf verschiedene körperliche Untersuchungen und ein Patientengespräch. Der Mediziner schätzt das Risiko für eine erneute Erkrankung ein und klärt im Rahmen der Anamnese offene Fragen des Patienten.

In manchen Fällen zieht der Arzt einen Therapeuten hinzu, insbesondere bei schweren Anfällen, die mit körperlichen Ausfällen verbunden sind. Durch eine Untersuchung der Augen werden Schädigungen ausgeschlossen. Sollten Verletzungen an den Augen oder in Folge eines Unfalls an anderen Körperstellen bestehen, werden diese diagnostiziert und behandelt. Der Hausarzt zieht hierzu weitere Fachärzte hinzu.

Nachdem die Behandlung abgeschlossen ist, muss der Patient noch einmal den Arzt aufsuchen, damit dieser die Nachsorge-Untersuchung abschließen kann. Gegebenenfalls müssen die Medikamente, die der Patient einnimmt, neu eingestellt werden. Im Rahmen der Nachsorge werden darüber hinaus weitere Maßnahmen besprochen, etwa die Prävention epileptischer Anfälle oder die Verschreibung eines Notfallmedikaments. Anschließend werden die notwendigen Schritte eingeleitet, um die Ursachen zu beheben und die Sicherheit des Patienten zu optimieren. Die Nachsorge führt der zuständige Augenarzt oder Allgemeinmediziner durch.

Das können Sie selbst tun

Bei einem okulogyren Anfall muss der Notarzt gerufen werden. Der Betroffene sollte das Notfallmedikament einnehmen und sich anschließend auf den Rücken legen. Bei einem schweren Anfall müssen etwaige Ersthelfer den Betroffenen beruhigen und diesem gegebenenfalls auch die Antiepileptika zuführen. Der Sanitäter muss über das Leiden aufgeklärt werden, damit umgehend die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können.

Bei einem leichten Anfall hat sich der Erkrankte meist bereits nach einer halbe Stunde wieder erholt. Bei einem schweren Anfall ist ein stationärer Aufenthalt notwendig. Der Erkrankte sollte sich ausreichend schonen und Stress vermeiden. Die Ernährung muss nach einer okulogyren Krise nicht umgestellt werden. Die wichtigste Selbsthilfe-Maßnahme besteht darin, stets das Notfallmedikament mitzuführen und durch einen umsichtigen Lebenswandel Anfälle zu vermeiden. Die Erkrankten sollten blinkende Lichter sowie laute und schnelle Töne meiden. Damit bei einem Notfall die nötigen Schritte eingeleitet werden können, muss außerdem eine Notfallkarte mitgeführt werden.

Zuletzt gilt es, die Lebensumstände optimal auf die Symptome abzustimmen, um keinen Anfall zu riskieren und im Falle eines Anfalls umgehend die notwendige Hilfe zu erhalten. Der zuständige Arzt kann weitere Tipps für eine begleitende Selbsttherapie geben.

Quellen

  • Gleixner, C., Müller, M., Wirth, S.: Neurologie und Psychiatrie. Für Studium und Praxis 2015/16. Medizinische Verlags- und Informationsdienste, Breisach 2015
  • Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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