Poriomanie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 20. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Poriomanie stellt eine Störung der Impulskontrolle dar, die durch ein unbegründetes zwanghaftes Weglaufen gekennzeichnet ist. Das Weglaufen steht hier immer mit einer zumindest teilweisen Amnesie in Verbindung. Eine Poriomanie kann vielfältige Ursachen haben.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Poriomanie?

Bei älteren Menschen geht Poriomanie oftmals mit Alzheimer einher. Geistig verwirrte Senioren verletzen sich häufig, während sie umherirren oder verursachen dabei Verkehrsunfälle.
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Die Poriomanie ist keine eigenständige Erkrankung, sondern stellt ein Symptom einer psychischen Störung dar. Sie äußert sich durch ein zwanghaftes und unkontrolliertes Weglaufen in Verbindung mit vollständiger oder teilweiser Amnesie.

Erstmalig wurde die Poriomanie von dem französischen Neurologen Jean-Martin Charcot im Jahre 1888 beschrieben. Dabei untersuchte er einen 37-jährigen Briefträger, welcher dreimal umherirrte und sich während dieser Zeit an nichts mehr erinnern konnte. Als Ursache für diese Verhaltensweise wurde im konkreten Fall ein Status epilepticus vermutet.

Die Poriomanie ist auch unter den Bezeichnungen Dromomanie oder Fugue bekannt und stellt eine besondere Form der Impulskontrollstörung dar. Bei dem Verlust der Impulskontrolle können bestimmte Verhaltensweisen nicht mehr kontrolliert ausgeführt werden. Die Handlungen finden einfach statt, ohne dass die Betroffenen eine Chance hätten, sie willentlich zu beeinflussen.

Die Poriomanie gehört auch zu den dissoziativen Störungen. In der Psychologie wird unter Dissoziation die Zerstörung des Zusammenhangs zwischen den Funktionen Bewusstsein, Wahrnehmung, Gedächtnis, Motorik und Identität verstanden. Für den Patienten geht die Verbindung zwischen der funktionierenden Motorik und dem Grund der Handlung verloren.

Diese Phase durchlebt eigentlich jeder Mensch unter besonderen Bedingungen. Allerdings kommen diese Störungen bei psychologischen Erkrankungen gehäuft vor. Neben der Poriomanie umfassen die dissoziativen Störungen unter anderem auch solche Verhaltensweisen wie Spielen, Essen, Kaufen, Masturbation oder sogar Selbstverletzungen, die von den entsprechenden Patienten unkontrolliert ausgeführt werden.

Ursachen

Für die Poriomanie gibt es verschiedene Ursachen. Sie tritt bei mehreren psychologischen Erkrankungen als Symptom auf. So wird die Poriomanie unter anderem bei Depressionen, Neurosen, Schizophrenie, Wahnzuständen, Epilepsie, geistiger Behinderung oder Demenz neben anderen Formen der Impulskontrollstörung beobachtet.

Besonders bekannt ist dieses Phänomen bei der Alzheimerkrankheit. Warum es zu diesen Fluchtreflexen kommt, ist noch nicht eindeutig geklärt. In gewissen Erklärungsversuchen wird dieses Verhalten als unbewusster Abwehrmechanismus zur Vermeidung von Konflikten oder Verantwortung betrachtet. In sehr schwierigen Lebenssituationen kann es daher auch mal bei gesunden Personen zu einer Affekthandlung kommen, die sich unter anderem in einem Weglaufen äußert.

Im Rahmen von psychischen Erkrankungen treten solche spontanen unkontrollierten Handlungen jedoch wesentlich öfter auf. Hier entfällt krankheitsbedingt die Kontrolle über bestimmte Handlungsweisen. Im Fall des von Jean-Martin Charcot beschriebenen Briefträgers könnte der Zustand eines Status epilepticus zum Kontrollverlust geführt haben.

Der Status epilepticus ist durch viele kleine hintereinander folgende epileptische Anfälle charakterisiert, ohne dass der Patient zwischendurch das volle Bewusstsein wiedererlangt. Trotz Amnesie bleiben jedoch die motorischen Funktionen in diesem Zustand aktiv. Das Gleiche gilt aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Poriomanie äußert sich, wie erwähnt, durch unerwartetes und plötzliches Weglaufen. Das kann von zu Hause aus oder auch vom Arbeitsplatz sein. Dabei vergisst der Patient seine eigene Vergangenheit vollständig oder teilweise. Die eigene Identität kann verloren gegangen sein. Möglicherweise hat der Betroffene dann eine andere Identität angenommen.

Die Poriomanie tritt sowohl im Rahmen einer dissoziativen Identitätsstörung als auch unabhängig davon auf. Die Symptome führen im privaten, beruflichen und sozialen Feld zu erheblichen Beeinträchtigungen. Während in einigen Fällen die Poriomanie das Hauptsymptom darstellt, tritt sie in anderen Fällen neben den weiteren Symptomen eher in den Hintergrund.

Oft sind die betroffenen Personen während der Poriomanie unauffällig, bis sie nach ihrer Identität gefragt werden. Ihre Ausflüge können räumlich und zeitlich sowohl kurz als auch lang sein. So verschwinden einige Betroffene für Monate oder Jahre und nehmen während dieser Zeit sogar eine neue Identität an.

Möglicherweise integrieren sie sich dann in ihrem neuen Umfeld so gut, dass die psychische Störung nicht mehr erkannt wird. Bei verschiedenen anderen Erkrankungen wie beispielsweise Demenz ist die Annahme einer neuen Identität selbstverständlich nicht möglich, weil jegliche Möglichkeit der Selbststeuerung fehlt.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Die Poriomanie kann an ihren typischen Merkmalen diagnostiziert werden. Wichtigstes Merkmal ist das plötzliche Weglaufen in Verbindung mit einer Amnesie, welche die eigene Identität betrifft. Meist besteht bereits eine psychische Störung.

Treten die Symptome bei sonst psychisch gesunden Personen auf, kann es sich um ein vorübergehendes Phänomen handeln, welches durch eine besondere belastende Lebenssituation hervorgerufen wird. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch eine vorgetäuschte Poriomanie nicht auszuschließen, um eine neue Identität anzunehmen.

Komplikationen

Die zu erwartenden Komplikationen bei der Poriomanie sind nicht nur medizinischer, sondern auch sozialer oder rechtlicher Natur. Sofern die akuten Anfälle nur kurze Zeit währen, bleiben mögliche Folgen meist überschaubar. Die Patienten sind aber oft nicht in der Lage einem Beruf nachzugehen oder ihr Leben alleine zu bewältigen.

Patienten, die unter Anfällen leiden, die über Monate oder Jahre anhalten, können sich mit beträchtlichen juristischen Komplikationen konfrontiert sehen. Insbesondere wenn Menschen über Jahre einfach verschwinden, besteht das Risiko, dass sie für Tod erklärt und beerbt werden. Die Betroffenen verlieren dann regelmäßig ihr gesamtes Vermögen und erhalten es, wenn überhaupt, nur nach langen Rechtsstreitigkeiten zurück.

Bei älteren Menschen geht Poriomanie oftmals mit Alzheimer einher. Geistig verwirrte Senioren verletzen sich häufig, während sie umherirren oder verursachen dabei Verkehrsunfälle. Diese Personen stellen oft für sich selbst und andere eine Gefahr dar, auch wenn sie nur selten aggressiv sind. Alzheimer-Kranke sind auf der Flucht und in der Regel auch nicht in der Lage, auf sich und ihre körperlichen Bedürfnisse zu achten. Sie essen und trinken nicht und dehydrieren deshalb rasch. Auch starke Unterkühlung kann lebensgefährlich werden, wenn die Patienten nicht zeitnah gefunden werden und im Freien übernachten.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Die Poriomanie muss immer durch einen Arzt behandelt werden. In der Regel kommt es bei dieser Erkrankung nicht zu einer Selbstheilung und häufig zu schwerwiegenden psychischen Beschwerden, die sich negativ auf das Leben des Patienten auswirken. Der Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an dem Zwang leidet, weglaufen zu wollen. Dabei kann das Weglaufen entweder von der Arbeit, der Schule oder auch vom Zuhause aus erfolgen. Die Betroffenen können sich häufig auch nicht mehr an ihren Namen erinnern und nehmen eine andere Identität an.

Sollten diese Beschwerden auftreten, so muss sofort ein Arzt aufgesucht werden. In einigen Fällen müssen die Angehörigen oder die Freunde des Betroffenen diesen dazu überreden, sich in eine Behandlung zu begeben. Die Behandlung der Poriomanie erfolgt in der Regel durch einen Psychologen. Ob es zu einer Heilung kommt, kann nicht vorhergesagt werden.

Behandlung & Therapie

Zur Therapie einer Poriomanie ist deren Ursache ausschlaggebend. Handelt es sich um ein Symptom im Rahmen einer Demenz, Schizophrenie oder einer Epilepsie, hat die Behandlung der zugrunde liegenden Krankheit Vorrang. Bei leichten kognitiven Behinderungen, Neurosen, Depressionen oder bei pubertierenden Jugendlichen kann eine kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt werden.

Im Rahmen dieser Therapie soll der Impuls zum Flüchten vermieden werden. Die Störung der Impulskontrolle wird in dieser Therapie durch eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung behandelt. Der Betroffene soll außerdem eine realitätsgerechte und zielorientierte Selbstkontrolle erlernen. Der Erfolg der Therapie hängt von der Schwere des Kontrollverlustes und der Fähigkeit des Patienten zum Aufbau eines zielbewussten Handelns ab.

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Vorbeugung

Zur Vorbeugung vor einer Poriomanie ist es wichtig, frühzeitig auftretende innere Konflikte aufzuarbeiten. Das kann nur in stabilen familiären, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen geschehen. Des Weiteren kann auch eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung und viel Bewegung dazu beitragen, schwere psychische Erkrankungen und Altersdemenz zu verhindern.

Nachsorge

Die Heilung von psychischen Krankheiten ist langwierig. In den meisten Fällen bleiben die Symptome auch nach einer Therapie abgeschwächt bestehen. Der Betroffene hat dennoch gelernt, die Erkrankung in seinen Alltag zu integrieren. Zur Stabilisierung des Heilungserfolgs muss eine Nachsorge angesetzt werden. Sie erfolgt im psychotherapeutischen oder verhaltenstherapeutischen Rahmen. Eine Kombination beider Ansätze ist ebenfalls verbreitet.

Bei der Poriomanie empfiehlt sich eine nachsorgende Verhaltenstherapie. Die Impulskontrolle des Patienten steht im Vordergrund. Ein pathologischer Drang zur Flucht stellt meistens kein eigenständiges Krankheitsbild dar. Der Manie liegen Depressionen, eine schizophrene Störung oder Wahnideen zugrunde. Bei der Nachsorge ist die Ursache bereits aus der Therapie bekannt.

Ein Wiederkehren der Beschwerden soll unterbunden werden. Der Betroffene erlernt bei der nachsorgenden Therapie Achtsamkeit und Selbstkontrolle. Er muss sich darüber im Klaren werden, welche Situationen bei ihm Fluchtreflexe hervorrufen. Im Alltag sollte er diese Auslöser genau kennen und sie vermeiden. Entsprechende Übungen mit dem Therapeuten helfen ihm dabei.

Die Adresse des Facharztes sollte der Patient immer als Notiz bei sich tragen. Sollte der Fluchtreflex unerwartet einsetzen und hat der Betroffene die Orientierung verloren, kann er den Therapeuten telefonisch erreichen oder ihn direkt aufsuchen. Der Arzt wird Krisenintervention leisten und den Erkrankten beruhigen. Ein Taxi sollte bestellt werden, um ihn sicher wieder nach Hause zu bringen.

Das können Sie selbst tun

Die Poriomanie ist eine schwerwiegende psychische Störung, die in erster Linie medikamentös und therapeutisch behandelt werden muss. Betroffene können die Behandlung unterstützen, indem sie verhaltenstherapeutische Maßnahmen ergreifen. Durch eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung ist es möglich, die Anfälle zu reduzieren und dadurch langfristig die Lebensqualität zu erhöhen. Darüber hinaus müssen Maßnahmen ergriffen werden, um einen Anfall ohne Risiken zu überstehen.

In erster Linie müssen immer Notfallmedikamente mitgeführt werden, die im Fall eines Anfalls eingenommen werden. Zudem sollten die Betroffenen stets ein Mobiltelefon sowie eine Notiz bei sich tragen, die etwaige Ersthelfer über die Erkrankung informiert. Weitere Maßnahmen hängen davon ab, wie stark das Leiden ausgeprägt ist und ob die zugrunde liegenden seelischen Beschwerden bereits ausreichend behandelt wurden. So sollte bei einem ersten Anfall in jedem Fall der Notarzt gerufen werden. Chronische Erkrankungen müssen unter Umständen stationär behandelt werden.

Begleitend dazu muss ein gesunder Lebensstil mit einer ausgewogenen Diät und ausreichend Bewegung gepflegt werden, um die Entstehung weiterer psychischer Beschwerden zu verhindern. Eine umfassende Behandlung verhindert ernste Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Demenz im Alter.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013

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