Rapunzel-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei dem Rapunzel-Syndrom handelt es sich um eine psychische Krankheit, die vornehmlich bei weiblichen Heranwachsenden auftritt. Die Patienten zeigen Auffälligkeiten, indem sie an ihren langen Haare kauen oder Fasern von Wolldecken sowie Plüschtieren verschlucken. Diese sind unverdaulich und führen zu schwerwiegenden Problemen im Organismus.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Rapunzel-Syndrom?

Betroffene knabbern in meist unbeobachteten Momenten an ihren Haaren, Plüschtieren oder Kuscheldecken. Dies ist oft ein Zeichen von Isolation, Verlust oder Entbehrung.
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Die Trichophagie oder das im Volksmund bekannte Rapunzel-Syndrom beschreibt ein zwanghaftes Verhalten des Patienten. Es beinhaltet das Verschlucken sowie das Essen der eigenen Haare über einen längeren Zeitraum. Da Haare vom Organismus nicht verdaut werden können, sammeln sie sich allmählich im Körper an und verklumpen.

Als Folge kommt es zu starken Bauchschmerzen bis hin zu Magen-Darm-Störungen. Die Erkrankung tritt vermehrt bei Mädchen und jungen Frauen in einem Alter unter 20 Jahren auf. Bei älteren Frauen wurde die Krankheit bisher nicht beobachtet.

Die von dem Patienten beschriebenen Symptome sind meist diffus, unspezifisch und können auf verschiedene andere Verdauungserkrankungen hinweisen. Charakteristisch für das Rapunzel-Syndrom sind ein starker Gewichtsverlust bei einem gleichzeitig deutlich angeschwollenem Oberbauch. Damit einhergehend wird oft intensiver Haarausfall beziehungsweise Alopezie wahrgenommen.

Ursachen

Die häufigsten Ursachen des Rapunzel-Syndroms sind psychische Auffälligkeiten. Die Erkrankung geht meist mit Verhaltensauffälligkeiten oder Nervosität einher. Probleme bei der Impulskontrolle führen dazu, dass Patienten auf ihren Haaren herumkauen oder sie abbeißen.

Betroffene erleben eine unangenehme Anspannung im gesamten Körper, die durch ein impulsives Verhalten wie das Kauen auf den Haaren eine Kompensation erlebt. Die durch das kontinuierliche Kauen verschluckten Haare können im Verlauf der Erkrankung den gesamten Magen ausfüllen, sich um weitere Organe wickeln und zu einem schmerzhaften Darmverschluss führen.

Der Beginn der Erkrankung geht oft einher mit dem Verlust eines geliebten Menschen oder der Trennung von ihm. Dies kann eine räumliche Veränderung wie auch eine emotionale Distanzierung dieses Menschen sein, die nicht verarbeitet wird. Eine wahrgenommene Zurückweisung oder eine mangelnde Beachtung führen zu psychischen Problemen.

Dabei ist es unwichtig, ob der stattgefundene Verlust von dem Patienten ursprünglich selbst gewählt oder durch äußere Umstände grundsätzlich fremdbestimmt ist. Ebenso gibt es keinen Unterschied darin, ob die Trennung plötzlich kam oder vorbereitet wurde.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Betroffene knabbern in meist unbeobachteten Momenten an ihren Haaren, Plüschtieren oder Kuscheldecken. Dies ist oft ein Zeichen von Isolation, Verlust oder Entbehrung. Angehörige sind daher gut beraten, wenn sie die Haarspitzen des Patienten auf Feuchtigkeit durch den Speichel untersuchen.

An dem Rapunzel-Syndrom Erkrankte berichten anfänglich von Magenschmerzen und einem allgemeinen Unwohlsein. Im späteren Verlauf der Erkrankung treten Übelkeit und Erbrechen auf. Ein wichtiger Hinweis ist, dass sich die Patienten nicht heimlich übergeben. Die Erkrankten verlieren an Gewicht und haben Schwierigkeiten damit, aufgenommene Nahrung bei sich zu behalten.

Dennoch leiden sie nicht an Appetitlosigkeit. Der Bauch wird parallel zur Gewichtsabnahme deutlich dicker. Gut tastbar ist im Bereich des Magens ein verschiebbarer Knoten, der leicht mit einem Tumor verwechselt werden kann. Darüber hinaus verlieren die Patienten augenscheinlich ihre Haare.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Der Krankheitsverlauf ist schleichend und wird ausgelöst durch einen emotionalen Verlust. Ebenfalls kann ein dauerhafter emotionaler Mangel oder eine Zurückweisung zur Entstehung des Rapunzel-Syndroms führen. Wichtig sind eine gute Beobachtung des Verhaltens bei dem betroffenen Patienten in vermeintlich unbeobachteten Momenten.

Die Überprüfung nach Schicksalsschlägen in den vergangenen Monaten kann dabei helfen, die Erkrankung rechtzeitig festzustellen. Über eine Ultraschalluntersuchung oder das Röntgen mit Kontrastmittel für den Magen-Darm-Bereich lassen sich die zopfähnlichen Haarverklumpungen gut vom Arzt diagnostizieren und von einem Tumor abgrenzen. Da es in extremen Fällen bei Komplikationen im Magen-Darm-Trakt zu einem tödlichen Ausgang kommen kann, ist es zu empfehlen, die Wahrnehmung für das Verhalten des Patienten zu schärfen.

Komplikationen

Besteht ein Rapunzel-Syndrom, kann dies schwerwiegende Komplikationen haben. Der Verzehr der eigenen Haare führt langfristig zu einer Magenperforation, Darmverschluss oder Wandnekrosen des Dünndarms. Im weiteren Verlauf kann es zum Durchbruch der Magen- oder Darmwände kommen. Dies ruft weitere Komplikationen wie eine Blutvergiftung, Infektionen des Magen-Darm-Traktes und starke Schmerzen hervor.

In letzter Konsequenz führt ein unbehandeltes Rapunzel-Syndrom zum Tod des Patienten. Weniger schwerwiegend, aber ebenfalls problematisch, sind Druckgefühle, chronische Schmerzen und Verdauungsbeschwerden, ausgelöst von den Haarverklumpungen im Magen-Darm-Trakt. Im Allgemeinen geht das Rapunzel-Syndrom außerdem mit psychischen Problemen des Betroffenen einher.

Werden diese nicht frühzeitig erkannt und behandelt, können sich schwerwiegende psychiatrische Störungen entwickeln. Im Rahmen der operativen Entfernung der Bezoare können Verletzungen der Magenwände oder des Darms auftreten. Auch Infektionen und Wundheilungsstörungen sind nicht auszuschließen. Mögliche Komplikationen nach der Operation sind außerdem Chronische Magen-Darm-Beschwerden, Sensibilitätsstörungen im Bereich des Eingriffs und die Entstehung von Narben.

Verordnete Arzneimittel können Neben- und Wechselwirkungen hervorrufen und in manchen Fällen auch allergische Reaktionen hervorrufen. Bei fehlender Therapie entwickeln sich häufig weitere Haarverklumpungen, die den bereits gereizten Magen-Darm-Trakt weiter schädigen können.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das Rapunzel-Syndrom sollte immer durch einen Arzt behandelt werden. Meistens kommt es bei dieser Erkrankung nicht zu einer Selbstheilung und zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Um weitere Komplikationen zu vermeiden, sollte daher immer schon früh ein Arzt aufgesucht werden. In der Regel ist der Arzt dann aufzusuchen, wenn der Betroffene an seinen eigenen Haaren oder an Plüschtieren kaut. Dabei kann das Kauen selbst in verschiedenen Situationen auftreten und wird meist von Außenstehenden auch beobachtet. Dabei müssen vor allem die Außenstehenden richtig reagieren und den Betroffenen zu einer Behandlung verleiten.

In vielen Fällen kommt es nach dem Kauen auch zu Erbrechen oder zu einer starken Übelkeit. Nicht selten leiden die Betroffenen des Rapunzel-Syndroms auch an Appetitlosigkeit und sind mit ihrem Leben stark unzufrieden. Sollten diese Beschwerden eintreten und nicht wieder von selbst verschwinden, so muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. Die Behandlung des Rapunzel-Syndroms findet vorwiegend bei einem Psychologen statt. Allerdings muss auch häufig eine Untersuchung des Magens durchgeführt werden, da die Haare zu starken Bauchschmerzen führen können.

Behandlung & Therapie

Da die oral aufgenommenen Haare zu Verklumpungen geführt haben, ist ein medizinischer Eingriff notwendig. Die sogenannten Bezoare können vom Körper nicht mehr auf einem natürlichen Weg ausgeschieden werden. Daher werden sie chirurgisch durch einen operativen Eingriff entfernt. Rechtzeitig erkannte kleinere Haarverklumpungen können unter Umständen auch endoskopisch entfernt werden.

Um künftige Ansammlungen und Verklumpungen von Haaren im Körper und speziell im Magen-Darm-Trakt zu vermeiden, ist eine begleitende intensive psychiatrische Behandlung des Betroffenen notwendig. Der Rückfall bei einem Rapunzel-Syndrom ist nach einem chirurgischen Eingriff ist als sehr wahrscheinlich einzustufen.

Sofern folglich die Ursache für die entstandene Verhaltensauffälligkeit und damit einhergehende Zwangsstörung nicht geklärt ist, wird es vermutlich weiterhin zu Problemen kommen. Von einer erzieherischen Maßnahme ist abzuraten, da sie als erfolglos einzustufen ist.

Dem Patienten ist sein eigenes Verhalten oft nicht bewusst, da er emotional ob des Erlebten überfordert ist. Nur über den Weg einer guten Therapie wird er lernen, sein Verhalten zu verändern und dem Impuls des Haarekauens widerstehen können.


Vorbeugung

Zur Vorbeugung des Rapunzel-Syndroms ist eine psychotherapeutische Behandlung bei lebensverändernden Situationen zu empfehlen. Sobald eine Trennung oder der Verlust eines Menschen zu beklagen ist, sollte beobachtet werden, ob dieser vom Betroffenen gut verarbeitet wird.

Da aufgrund eigener Erlebnisse meist der neutrale Blick fehlt, ist es ratsam, die Situation durch einen Fachkundigen beurteilen zu lassen. Der Verlust eines wichtigen Menschen oder soziale Isolation können auf dem therapeutischen Weg verarbeitet werden und die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen der Zwangserkrankung verringert werden.

Nachsorge

Das Rapunzel-Syndrom tritt in erster Linie bei weiblichen Heranwachsenden auf und erfordert nach der Diagnosestellung eine ausführliche ärztliche Behandlung. Diese erfolgt einerseits medikamentös oder in schweren Fällen auch operativ, andererseits aber in der Hauptsache psychotherapeutisch. Die körperlichen Symptome wie starke Magenkrämpfe und Bauchschmerzen, die durch das Verschlucken der Haare auftreten, können abgemildert werden.

Dazu ist es notwendig, das Kind dazu zu animieren, viel zu trinken und auch durch die Gabe von abführenden Lebensmitteln, die den Verdauungsprozess unterstützen. Zur natürlichen Schmerzlinderung können zusätzlich Tees mit Salbei und Kamille gereicht werden. Im Vordergrund steht jedoch häufig die therapeutische Behandlung der Betroffenen durch einen Psychologen.

Dieser muss zunächst einmal die Ursache der Erkrankung ermitteln und durch entsprechende Strategien die psychische Gesundheit des Kindes stabilisieren. Gesprächstherapien können dabei helfen, ebenso wie der Besuch von Selbsthilfegruppen zum Austausch mit anderen Betroffenen. Veränderungen im sozialen Umfeld des Kindes, mitunter auch im schulischen Bereich, können die Psyche ebenfalls positiv beeinflussen.

Auch regelmäßige sportliche Betätigung oder neue Hobbys können dabei unterstützend wirken. Das Rapunzel–Syndrom benötigt in den meisten Fällen eine langfristige Therapie und fordert daher auch von den betroffenen Eltern viel Verständnis, Geduld und Einfühlungsvermögen.

Das können Sie selbst tun

Personen, die am Rapunzel-Syndrom leiden, bedürfen zunächst einer umfassenden ärztlichen Behandlung. Die medikamentöse und therapeutische Behandlung kann unterstützt werden, indem das betroffene Kind innerhalb von Gesprächen oder durch andere Vorgehensweisen behandelt wird. Die Eltern müssen dem erkrankten Kind mit Verständnis begegnen.

Die ärztliche Behandlung kann durch abführende Lebensmittel unterstützt werden. Bewährt haben sich beispielsweise getrocknete Pflaumen, Birnensaft und viel trinken. Bei starken Beschwerden helfen abführende Präparate aus der Drogerie oder Apotheke. Wenn der Haarballen sich bereits im Magen-Darm-Trakt befindet, kann dies starke Krämpfe und andere Beschwerden hervorrufen, die durch natürliche Schmerzmittel gelindert werden können. Es empfehlen sich zum Beispiel Kräutertees mit Kamille oder Salbei.

Des Weiteren müssen die betroffenen Personen therapeutisch behandelt werden. Der Facharzt kann die Ursache der Erkrankung ermitteln und gemeinsam mit dem Patienten Strategien ausarbeiten, um die psychische Gesundheit zu verbessern. Dies können je nach Ursache Gesprächstherapien, die Teilnahme an Selbsthilfegruppen oder Veränderungen im Umfeld und Beruf sein. Das Rapunzel-Syndrom bedarf einer langfristigen Therapie, die Zu Hause durch Verhaltenstraining und Ablenkung unterstützt werden kann. Vor allem Sport und neue Hobbys haben sich in der Vergangenheit bewährt.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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