Retter-Geschwister

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 6. Mai 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

Sie sind hier: Startseite Behandlungen Retter-Geschwister

Als Retter-Geschwister oder Rettungsgeschwister (engl. „Saviour Siblings”) werden Kinder bezeichnet, die einem erkrankten älteren Geschwisterkind helfen sollen. Sie fungieren wie eine Art Erzatzteillager, weshalb diese Methode sehr umstritten ist. Benötigt ein Kind Blut oder Gewebe, kann dies von dem "Retter-Geschwister", welches genetisch mit dem erkrankten Kind übereinstimmen muss, entnommen werden. Um die genetische Übereinstimmung zu sichern, wird eine künstliche Befruchtung durchgeführt und der Frau das "optimale" Embryo eingepflanzt.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Retter-Geschwister?

Retter-Geschwister als medizinische Methode sind ethisch sehr umstritten und etwa in Deutschland verboten, in Großbritannien hingegen ist es erlaubt, weswegen betroffene Eltern sich Hilfe im Ausland suchen.

Ein Mensch, der etwa unter Leukämie leidet, ist auf fremdes Knochenmark und Blut angewiesen. Meist ist es schwierig einen passenden Spender zu finden. In so einem Fall ist es in einigen Ländern bereits erlaubt, ein Spenderkind zu "züchten". Ist die HLA-Kompatibilität der Eltern eines kranken Kindes ungenügend, kann ein Geschwisterchen mittels In-vitro-Fertilisation, also im Reagenzglas, gezeugt werden.

Die entstandenen Embryonen werden dann auf ihre genetische Übereinstimmung zu dem potentiellen Geschwisterkind hin untersucht, bei hoher Kompatibilität in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt und während ein normalen Schwangerschaft ausgetragen.

Das entstandene Baby dient dem älteren Bruder oder der älteren Schwester dann durch sein Nabelschnurblut oder Knochenmark als passender Spender. Retter-Geschwister als medizinische Methode sind ethisch sehr umstritten und etwa in Deutschland verboten, in Großbritannien hingegen ist es erlaubt, weswegen betroffene Eltern sich Hilfe im Ausland suchen.

Geschichte & Entwicklung

Der Begriff "Retter-Geschwister" oder "Rettungsgeschwister" bezieht sich auf Kinder, die durch moderne medizinische Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik (PID) gezeugt wurden, um als genetisch kompatible Spender für ältere Geschwister zu dienen, die an lebensbedrohlichen Krankheiten leiden. Diese Praxis begann in den frühen 2000er Jahren, nachdem wissenschaftliche Fortschritte es ermöglichten, Embryonen auf genetische Kompatibilität zu testen.

Einer der ersten bekannten Fälle war 2000 in den USA, als ein Retter-Geschwister geboren wurde, um seinem an Fanconi-Anämie erkrankten Bruder durch eine Stammzelltransplantation zu helfen. Die Entscheidung, Retter-Geschwister zu schaffen, war von Anfang an ethisch umstritten, da Kritiker Bedenken hinsichtlich der Instrumentalisierung des Kindes äußerten.

Trotz dieser Kontroversen hat die Praxis in einigen Ländern zugenommen, insbesondere in den USA und im Vereinigten Königreich. Befürworter argumentieren, dass sie eine lebensrettende Option für Familien darstellen, die sonst keine kompatiblen Spender finden könnten. Heute ist der Einsatz von Retter-Geschwistern jedoch weiterhin umstritten, und die Gesetze zur Regulierung variieren weltweit erheblich.

Einsatz & Indikation

Auf Retter-Geschwister wird zurückgegriffen, wenn ein Kind eine lebensbedrohliche Erkrankung hat, für die eine Stammzell- oder Knochenmarktransplantation die beste Behandlung darstellt, und keine passenden Spender verfügbar sind. Diese Methode wird häufig bei genetisch bedingten Krankheiten wie der Fanconi-Anämie, Thalassämie, schweren kombinierter Immundefizienz (SCID) oder der Sichelzellenanämie in Erwägung gezogen, wenn der Patient dringend gesunde Stammzellen benötigt.

Um ein Retter-Geschwister zu schaffen, setzen Ärzte die Präimplantationsdiagnostik (PID) ein, um Embryonen zu identifizieren, die genetisch kompatibel mit dem kranken Kind sind. Diese Embryonen werden dann durch In-vitro-Fertilisation (IVF) gezeugt. Das Ziel ist, ein Geschwisterkind zu haben, das als passender Spender dienen kann, insbesondere wenn eine HLA-kompatible (Human Leukocyte Antigen) Übereinstimmung erforderlich ist.

Diese Methode wird notwendig, wenn keine anderen Spender, wie Familienmitglieder oder Personen aus Spenderdatenbanken, passen oder zur Verfügung stehen. Die Notwendigkeit ergibt sich aus dem Mangel an passenden Spendern und dem dringenden Bedarf des erkrankten Kindes. Trotz der potenziellen ethischen Herausforderungen wird diese Methode von vielen Eltern als letzte Hoffnung betrachtet, um das Leben ihres erkrankten Kindes zu retten.

Funktion, Wirkung & Ziele

Mithilfe der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird die Kompatibilität der künstlich erzeugten Embryonen geprüft. Die PID dient eigentlich als Test, um Embryonen aus einer künstlichen Befruchtung auf Erbkrankheiten zu testen, wenn die Eltern des Kindes bereits vorbelastet sind. Im Falle der Retter-Geschwister wird sie genutzt, um einen möglichen Spender zu finden.

Aus dem Nabelschnurblut und dem Knochenmark des Retter-Geschwisterchens, auch Saviour-Sibling, können dann lebensnotwendige Zellen für das ältere Kind entnommen werden. Dafür werden Stammzellen aus dem blutbildenden Gewebe in den Leukämie-Patienten transplantiert, sodass sich bei diesem ein geregelte Blutbildung wiederherstellen kann.

Leider lassen sich bislang nur wenige Krankheiten auf diese Art und Weise behandeln. Auch für manche Formen von Blutarmut wird ein passender Knochenmarkspender gebraucht, bei denen Retter-Geschwister Bluttransfusionen von Fremden ersetzen können. Kritischer hingegen sind Organspenden von Retter-Geschwistern, da diese für das spendende Kind ein hohes Risiko bergen. Von solchen Spenden sehen Eltern von Retter-Geschwistern in der Regel ab, da so das eine Kind einer besonderen Gefahr ausgesetzt wird, um das andere zu retten.

2003 kam in Großbritannien das erste genetisch auserwählte Retter-Geschwisterchen europaweit auf die Welt. Die PID ist in ganz Europa bis auf Deutschland, Österreich und der Schweiz erlaubt.


Vorteile & Nutzen

Retter-Geschwister bieten gegenüber anderen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden mehrere Vorteile. Der bedeutendste Vorteil ist die Möglichkeit, eine nahezu perfekte genetische Übereinstimmung für Transplantationen zu gewährleisten. Das verringert die Wahrscheinlichkeit von Abstoßungsreaktionen erheblich und steigert die Erfolgsaussichten einer Stammzell- oder Knochenmarktransplantation, was bei vielen lebensbedrohlichen Krankheiten entscheidend ist.

Zudem erlaubt die Präimplantationsdiagnostik (PID), Embryonen zu identifizieren, die frei von bestimmten genetischen Krankheiten sind. Dadurch können Eltern sicherstellen, dass das Retter-Geschwister nicht die gleiche genetische Erkrankung wie das erkrankte Kind hat, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es als Spender fungieren kann.

Retter-Geschwister bieten auch eine sofortige und zuverlässige Quelle für Stammzellen und Gewebe, was in dringenden medizinischen Situationen lebensrettend sein kann. Die Notwendigkeit einer langwierigen und manchmal erfolglosen Suche nach kompatiblen Spendern entfällt.

Der psychologische Aspekt spielt ebenfalls eine Rolle: Die Aussicht auf ein Retter-Geschwister kann Familien Hoffnung und eine greifbare Perspektive bieten, das Leben ihres erkrankten Kindes zu retten. Während ethische Bedenken bestehen, können Retter-Geschwister bei sorgfältiger Planung und Unterstützung durch medizinische Fachkräfte eine wirksame Behandlungsoption sein.

Durchführung & Ablauf

Eine Behandlung mit Retter-Geschwister beginnt mit einer gründlichen medizinischen und genetischen Beratung, um die beste Vorgehensweise zu bestimmen. Wenn die Familie sich für diese Methode entscheidet, folgt eine In-vitro-Fertilisation (IVF). Dabei werden die Eizellen der Mutter mit den Spermien des Vaters im Labor befruchtet. Die Embryonen werden dann auf genetische Kompatibilität mit dem erkrankten Geschwisterkind getestet. Dieser Prozess, die Präimplantationsdiagnostik (PID), ermöglicht es den Ärzten, genetisch passende Embryonen auszuwählen, die keine genetischen Erkrankungen tragen.

Sobald ein kompatibler Embryo identifiziert wurde, wird dieser in die Gebärmutter der Mutter implantiert. Wenn die Schwangerschaft erfolgreich ist und das Retter-Geschwister geboren wird, werden kurz nach der Geburt Stammzellen aus dem Nabelschnurblut entnommen. Diese Stammzellen dienen in der Regel zur ersten Transplantation für das erkrankte Geschwisterkind.

Falls weitere Behandlungen erforderlich sind, können, sobald das Retter-Geschwister älter ist, auch Knochenmark- oder Stammzelltransplantationen in Erwägung gezogen werden. Dabei ist eine fortlaufende medizinische Betreuung notwendig, um sicherzustellen, dass sowohl das erkrankte Kind als auch das Retter-Geschwister optimal versorgt werden.

Dieser Prozess erfordert intensive medizinische Begleitung und ist ethisch herausfordernd, bietet jedoch eine oft lebensrettende Option für Familien in verzweifelten Situationen.

Risiken, Nebenwirkungen & Gefahren

In Deutschland dürfen keine Retter-Geschwister erzeugt werden, besonders die bei der PID übliche Embryonen-Selektion ist prinzipiell verboten. Es ist nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz untersagt, Embryonen für etwas anderes als die reine Schwangerschaft zu züchten. Besonders Besorgniserregend scheint die Möglichkeit der Erschaffung eines "Designer-Babys" zu sein.

Über Haar- und Augenfarbe seines Kindes bestimmen zu können, wessen Nase es hat oder wie groß es werden soll. Auch als medizinische Behandlungsmethode ist das Fischen nach den besten Genen fragwürdig, da das geschaffene Geschwisterchen sich mehr als Zweckkind denn als Wunschkind fühlen könnte. Dennoch ist zu beachten, dass auf diesem Weg einem anderen Kind das Leben gerettet werden kann. 2010 wurde im britischen Bristol mithilfe einer Stammzelltherapie ein kleines Mädchen von ihrer Fanconi-Anämie geheilt. Ihr kleiner Bruder wurde einige Monate zuvor aus diesem Grund aus mehreren Embryonen ausgewählt.

Doch nicht nur die psychischen Folgen für die Kinder müssen beachtet werden, auch die Risiken, die mit einer künstlichen Befruchtung einhergehen sollten überdacht werden. Die Eizelle wird der Frau operativ entnommen, weshalb sie den üblichen Risiken wie einer Infektion oder inneren Verletzungen ausgesetzt ist. Grundsätzlich folgt auf eine künstliche Befruchtung häufig eine Risikoschwangerschaft, bis hin zur Fehlgeburt.

Alternativen

Es gibt mehrere alternative Verfahren zu Retter-Geschwistern, insbesondere wenn diese Methode nicht möglich oder ethisch problematisch ist. Eine häufige Alternative ist die Suche nach einem geeigneten Spender in nationalen und internationalen Stammzell- oder Knochenmarkspenderdatenbanken. Diese Datenbanken bieten Zugang zu Millionen von Spendern weltweit, was die Chancen erhöht, einen genetisch kompatiblen Spender zu finden.

Eine weitere Möglichkeit ist die sogenannte Haploidentische Transplantation. Hierbei wird ein Spender verwendet, der nur eine teilweise genetische Übereinstimmung mit dem Empfänger hat, beispielsweise ein Elternteil. Dank medizinischer Fortschritte kann diese Methode zunehmend erfolgreich sein, obwohl das Risiko von Komplikationen höher sein kann.

Für einige Erkrankungen können auch alternative Therapien eingesetzt werden, etwa Gentherapien, bei denen defekte Gene durch funktionierende ersetzt werden. Diese Methode steht jedoch noch in den Anfängen und ist nicht für alle Krankheiten geeignet.

Ein anderer Ansatz sind Medikamente und symptomatische Therapien, die darauf abzielen, die Symptome der Erkrankung zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern, ohne die eigentliche Ursache zu behandeln. Diese Methoden können insbesondere bei seltenen oder unheilbaren Erkrankungen eine sinnvolle Alternative darstellen.

Letztlich hängt die Wahl der besten Methode von der spezifischen Erkrankung, den verfügbaren Ressourcen und den individuellen Bedürfnissen der Familie ab.

Ethik & Moral

Die Verwendung von Retter-Geschwistern wirft komplexe ethische und moralische Fragen auf. Ein zentrales Thema ist der mögliche moralische Konflikt, wenn ein Kind gezeugt wird, um in erster Linie als Spender für ein bereits erkranktes Geschwister zu dienen. Kritiker argumentieren, dass dies das Retter-Geschwister zu einem Mittel zum Zweck macht, was im Widerspruch zur Vorstellung steht, dass jedes Kind als Individuum geschätzt werden sollte.

Ein weiterer ethischer Aspekt betrifft die potenziellen Auswirkungen auf das Retter-Geschwister selbst. Obwohl es häufig keine unmittelbaren medizinischen Risiken gibt, kann der Druck, als Spender für ein erkranktes Geschwisterkind zu dienen, erhebliche psychologische Belastungen mit sich bringen. Es wird diskutiert, inwiefern das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit berücksichtigt wird, wenn Eingriffe wie Knochenmarkentnahmen oder Blutspenden notwendig sind.

Auch die Selektion von Embryonen durch die Präimplantationsdiagnostik (PID) wirft ethische Fragen auf. Es wird kritisiert, dass dies zu einer möglichen Diskriminierung von Embryonen führen könnte, die nicht den gewünschten Kriterien entsprechen.

Auf der anderen Seite sehen Befürworter die Methode als legitime und lebensrettende Möglichkeit, Familien mit schwer erkrankten Kindern zu helfen. Sie argumentieren, dass bei sorgfältiger Beratung und Betreuung sowohl das Retter-Geschwister als auch das erkrankte Kind von der Methode profitieren können. Diese komplexen Fragen verlangen eine umfassende Abwägung und Beratung, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

Quellen

  • Bob, A., Bob, K.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2009
  • Keck C.: Kinderwunschbehandlung in der gynäkologischen Praxis. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2014
  • Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage. De Gruyter, Berlin 2015

Das könnte Sie auch interessieren