Sirenomelie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 20. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bei der Sirenomelie handelt es sich um eine Fehlbildung der unteren Körperhälfte des Fötus, beginnend mit dem Beckenbereich bis zu den Füßen. Sie wird auch Symmelie, Sympodie oder schlicht Meerjungfrauensyndrom genannt. Die Klassifikation nach ICD-10 lautet Q47.8.
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Was ist eine Sirenomelie?
Eine Sirenomelie zeichnet sich durch eine Deformation der Beine und Füße aus. Diese sind, je nach Schwere der Sirenomelie, nur rudimentär vorhanden sowie zusammengewachsen. Die Verschmelzung erstreckt sich dabei nicht nur auf die Weichteile sondern ebenso auf die Knochen, soweit solche überhaupt ausgebildet wurden.
Die daraus resultierende konische Form des Unterkörpers erinnert an Fischschwänze von Sirenen. Diese, einer Meerjungfrau ähnelnden Figuren aus der griechischen Mythologie, waren somit auch Grundlage für die Namensgebung der Sirenomelie. In früherer Zeit wurde sogar ganz direkt von einer Sirenenmissbildung gesprochen.
Das Auftreten einer Sirenomelie ist sehr selten und geschieht ausschließlich sporadisch. Etwas mehr als 450 Fälle sind bisher weltweit bekannt. Die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung liegt bei 1:100.000. Derzeit gibt es zwei Personen, die mit einer Sirenomelie leben. Es handelt sich um zwei Mädchen aus den Vereinigten Staaten und Peru. Laut Studien gibt es grundsätzlich jedoch einen geringen Überhang an männlichen Erkrankten.
Ursachen
Theorien umfassten zum Beispiel eine Entwicklungsstörung der Kloake, eine Aplasie oder Dysplasie des Beckens und des Kreuzbeins oder auch eine Überstreckung des Neuralrohrs. Zwischenzeitlich wird ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren diskutiert. Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit allerdings eine genetische Ursache. Ein bestehendes Sirenomelie-Gen wurde aber bereits ausgeschlossen.
Zu Klärung der auslösenden Ursache erfolgten zusätzlich einige Tierversuche. Verwendet wurden Verfahren auf genetischer Grundlage und mit teratogenen Substanzen, wie Cadmium und Blei. Erstaunlicherweise konnte Sirenomelie mit diesen Methoden hervorgerufen werden. Die Veränderung der Tiere ähnelte dabei in großem Maße denen beim Menschen. Eine eindeutige Erklärung für die Entstehung der Sirenomelie blieb jedoch ebenfalls aus.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Sirenomelie entwickelt sich bereits im Mutterleib. Hinweise darauf, ob beziehungsweise ab wann die Verwachsungen und Deformierungen der unteren Körperhälfte bereits mit Hilfe von Ultraschall erkennbar sind, konnten nicht gefunden werden. Ohnehin sind Auswertungen bezüglich der Mütter sehr begrenzt vorhanden.
Es ist aber die Rede von einer zu geringen Menge an Fruchtwasser, einer Veränderung der Plazenta und von Veränderungen der Nabelschnur.
Fast zwei Drittel der an Sirenomelie erkrankten Föten werden bereits tot geboren. Die restlichen Kinder kommen zumeist als Frühgeburt auf die Welt und sind anschließend kaum lebensfähig. Sie sterben innerhalb weniger Stunden oder Tage.
Häufig treten zudem weitere Fehlbildungen auf. Nicht selten wurden gleichzeitig eine Nierenagenesie, Potter-face, Wirbelanomalien, Skoliose, Lungenhypoplasie, multiple Herz-und Gefäßanomalien und eine Anorektalatresie beobachtet. Ferner sind die äußeren Geschlechtsorgane weitestgehend nicht existent und nur eine einzelne Nabelarterie ist vorhanden.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Die Diagnose erfolgt spätesten nach der Geburt. Eine fachärztliche Untersuchung stellt fest, ob tatsächlich eine Sirenomelie, also eine Deformation beider Extremitäten und eine eindeutige Verwachsung, vorliegt. Ist dies nicht der Fall, spricht man lediglich von sirenoiden Fehlbildungen oder Pseudosirenen. Der Mensch ist im Übrigen der einzige Säuger, bei dem eine Sirenomelie spontan auftritt.
Komplikationen
Bei der Sirenomelie leidet das ungeborene Kind an starken Fehlbildungen. Die Beschwerden können in der Regel schon vor der Geburt diagnostiziert werden. Dabei leiden vor allem die Eltern und die Angehörigen des Kindes an psychischen Beschwerden oder auch an Depressionen. In der Regel führt die Sirenomelie zum Tod des Betroffenen und damit zu einer Totgeburt.
Sollte das Kind lebend in die Welt kommen, so verstirbt es oftmals einige Tage nach der Geburt an den Fehlbildungen. Die Kinder leiden dabei an Fehlbildungen der inneren Organe und ebenso an Fehlbildungen im Gesicht. Auch das Herz ist dabei stark von den Missbildungen betroffen. Weiterhin sind in den meisten Fällen auch die Geschlechtsorgane des Kindes nicht vorhanden oder nur sehr leicht ausgeprägt.
Die Behandlung der Sirenomelie richtet sich in den meisten Fällen nach den psychischen Beschwerden der Eltern und der Angehörigen. Das Leben des Kindes kann dabei nicht mehr gerettet werden. Die Eltern sind auf eine psychologische Behandlung angewiesen. In den meisten Fällen können dabei Komplikationen mit Hilfe einer frühzeitigen Behandlung vermieden werden.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei einer Sirenmelie ist in jedem Falle eine Behandlung durch einen Arzt notwendig und sinnvoll. Da es sich bei dieser Krankheit um eine erblich bedingte Erkrankung handelt, kann es auch nicht zu einer Selbstheilung kommen. Um das Vererben der Krankheit an die Nachfahren zu verhindern, sollte bei einem Kinderwunsch eine genetische Beratung durchgeführt werden. Ein Arzt ist bei der Sirenomelie dann aufzusuchen, wenn es zu schweren Fehlbildungen oder Missbildungen am Körper des Kindes kommt.
In den meisten Fällen können diese Beschwerden schon vor der Geburt durch eine Untersuchung mit dem Ultraschall entdeckt werden, sodass eine nachfolgende Diagnose nicht mehr notwendig ist. In den meisten Fällen verstirbt das Kind auch nach der Geburt, sodass eine weitere Behandlung nicht mehr stattfindet. Da die Sirenomelie bei den Eltern und den Angehörigen zu starken psychischen Beschwerden oder zu Verstimmungen und Depressionen führen kann, sollte auch eine psychologische Behandlung in Anspruch genommen werden. In vielen Fällen ist auch der Kontakt zu anderen betroffenen Eltern der Sirenomelie sinnvoll und kann Beschwerden lindern.
Behandlung & Therapie
Eine Behandlung der Sirenomelie an sich ist nicht möglich. Überlebt ein Kind die Geburt, hängt das weitere Überleben von der Art und Schwere weiterer vorhandener Fehlbildungen ab. Wichtig ist dabei vor allem die Funktionstüchtigkeit der inneren Organe. Dass ein Leben mit einer leichten Form der Sirenomelie möglich ist, zeigen die bereits erwähnten Fälle in den USA und Peru.
Die Sirenomelie wird in drei Schweregrade eingestuft. Geoffroy Saint-Hilaire nahm diese Einstufung im 19. Jahrhundert erstmals vor und sprach von Symméle, Uroméle und Sirénoméle. Der Würzburger Pathologe August Förster überarbeitete sie noch einmal und definierte exakt die heutigen Unterarten.
- Die leichteste Form der Sirenomelie wird Sympus dipus genannt. Bei dieser Art sind die Beine vollständig miteinander verschmolzen. Darüber hinaus sind zwei Füße eindeutig erkennbar beziehungsweise vorhanden.
- Endet der typisch konische Sirenenunterleib mit nur einem Fuß, handelt es sich um Sympus monopus, die mittelschwere Form der Sirenomelie. Der existierende Fuß zeigt meist nach hinten.
- Bei der schwersten Form, Sympus apus, sind die Oberschenkel miteinander verschmolzen. Die restlichen Beine sind deformiert und beugen sich nach vorn. Füße fehlen auch im Ansatz gänzlich.
Grundsätzlich sind, mehr oder minder stark, bei allen drei Unterarten auch das Becken und die Lendenwirbelsäule betroffen. Vor allem im Becken treten die Deformierungen oft einseitig auf, so dass eine asymmetrische Form entsteht.
Vorbeugung
Möglichkeiten der Vorbeugung gibt es nach heutigem Wissensstand nicht. Bei rechtzeitiger Diagnose einer schweren Form der Sirenomelie erscheint einzig ein Schwangerschaftsabbruch als sinnvoll. Es ist davon auszugehen, dass trotz geringer Fallzahl weitergehende Forschung zur Sirenomelie betrieben werden wird.
Hauptaugenmerk könnte dabei auf die Zwillingsforschung gelegt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zwillingsgeburt und Sirenomelie gleichzeitig auftreten, ist deutlich erhöht. Größtenteils ist aber jeweils nur ein Zwilling betroffen.
Nachsorge
Die Nachsorge bei einer Sirenomelie umfasst regelmäßige körperliche Untersuchungen und Gespräche mit Ärzten und Therapeuten. Die im Detail sinnvollen Maßnahmen hängen von der Form der Sirenomelie ab. Bei Sympus dipus, der leichtesten Form der Sirenomelie, können physiotherapeutische Maßnahmen Teil der Nachsorge sein. Patienten müssen zumeist Schmerzmedikamente, Blutverdünner und andere Arzneimittel einnehmen.
Die Einnahme der Präparate ist ärztlich zu überwachen. In regelmäßigen Abständen muss die Medikation neu eingestellt werden. Nach korrigierenden operativen Eingriffen muss der Patient einige Tage im Krankenhaus verbringen. Bei Sympus monopus, der mittelschweren Form, ist eine dauerhafte Nachsorge angezeigt. Die Patienten benötigen Unterstützung im Alltag, da aufgrund der schweren Fehlbildungen ein eigenständiges Bewegen nicht möglich ist.
Auch bei Sympus monopus zählen Medikation und Physiotherapie zur Nachsorge. In der Regel erhalten die Patienten und ihre Angehörigen außerdem psychologische Unterstützung. Bei Sympus apus, der schwersten Form, ist die Lebenserwartung der Patienten deutlich reduziert.
Die meisten Patienten sterben bereits vor oder kurz nach der Geburt. Die Nachsorge beschränkt sich meist auf eine psychologische Betreuung für die Angehörigen. Die Nachsorge bei einer Sirenomelie übernehmen Allgemeinmediziner, Orthopäde und abhängig von den Symptomen weitere Fachärzte.
Das können Sie selbst tun
Rund 70 Prozent der Kinder, die an einer Sirenomelie erkrankt sind, sterben bereits im Bauch der Mutter. Ein weiterer Großteil stirbt unmittelbar nach der Geburt oder in den ersten Tagen und Wochen. Die Eltern müssen sich frühzeitig mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass das Kind womöglich versterben wird. Hierfür sollte gegebenenfalls auch ein Therapeut hinzugezogen werden, welcher die Trauerbegleitung der Eltern übernehmen. Welche Maßnahmen im Detail sinnvoll sind, hängt von dem individuellen Verlauf der Erkrankung ab.
Die Eltern eines erkrankten Kindes sprechen am besten mit dem Hausarzt oder einem Therapeuten über die weiteren Maßnahmen. Da es sich bei der Sirenomelie um eine extrem seltene Erkrankung handelt, müssen die genauen Maßnahmen in einer Fachklinik ermittelt werden. Die Eltern sollten sich frühzeitig mit den entsprechenden Ärzten in Verbindung setzen.
Sollte das Leiden einen positiven Verlauf nehmen, müssen die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um dem Kind ein möglichst beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Dazu zählen neben einer frühzeitigen Anschaffung von Hilfsmitteln wie Rollstuhl und Krücken auch die Kontaktaufnahme mit der Krankenkasse, damit eine Kostenübernahme stattfinden kann.
Quellen
- Breusch, S., Clarius, M., Mau, H., Sabo, D. (Hrsg.): Klinikleitfaden Orthopädie, Unfallchirurgie. Urban & Fischer, München 2013
- Niethardt, F.U.: Kinderorthopädie. Thieme, Stuttgart 2009
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003