Vielfache Chemikalienunverträglichkeit
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 20. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Bei der vielfachen Chemikalienunverträglichkeit, die auch als MCS bezeichnet wird, reagieren die Betroffenen mit zum Teil heftigen Symptomen auf unterschiedliche und nicht miteinander verwandte Chemikalien und Substanzen. Der Krankheitsverlauf ist chronisch und kann sich mit der Zeit noch verschlimmern. MCS schränkt die Lebensqualität ein und kann bis zur Berufsunfähigkeit führen.
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Was ist vielfache Chemikalienunverträglichkeit?
Die vielfache Chemikalienunverträglichkeit kennzeichnet ein seit den Achtziger Jahren bekanntes Syndrom, welches sich durch multiple Unverträglichkeiten gegen viele flüchtige chemische Verbindungen auszeichnet. Im englischen Sprachgebiet wird es auch als MCS (Multiple Chemical Sensitivity) bezeichnet.
Die MCS war in den Achtziger und Neunziger Jahren Gegenstand heftiger Kontroversen, was die Ursache dieser Erkrankung betrifft. So wurde darüber diskutiert, ob die vielfache Chemikalienunverträglichkeit dem Bereich der Toxikologie oder der Psychosomatik zuzuordnen ist. Beobachtet wurde, dass oft eine größere Chemikalien-Exposition zur Auslösung von MCS führte.
MCS-Patienten erleiden bereits bei Ausdünstungen geringster Mengen an flüchtigen Substanzen wie Duftstoffen, Abgasen, Zigarettenrauch oder Lösemitteln unspezifische und vielfältige Symptome, welche ihre Lebensqualität stark herabsetzen. Die Symptome verschwinden jedoch sofort, wenn die auslösenden Substanzen gemieden werden.
Ursachen
In einigen wenigen Fällen chronifiziert eine Chemikalien-Empfindlichkeit und verschlimmert sich sogar noch weiter bis zum Vollbild einer MCS. Im Laufe der Zeit kommen immer mehr Chemikalien dazu, die nicht vertragen werden. Für die Herausbildung einer MCS müssen noch weitere Faktoren vorliegen. So werden neben genetisch bedingten fehlerhaften Entgiftungsreaktionen des Körpers auch psychosomatische Faktoren, bestehende Allergien und andere zugrunde liegende Erkrankungen diskutiert.
Heute wird von einem multifaktoriellen Krankheitsgeschehen ausgegangen, wobei toxikologische und psychosomatische Faktoren gleichermaßen beteiligt sein sollen. Als Risiko gelten Erkrankungen der Atemwege, Allergien, Nahrungsmittel- sowie Medikamentenunverträglichkeiten, Stress, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen.
Der Stand der Ursachenforschung ist zum Teil für die Betroffenen noch sehr unbefriedigend, weil sie sich oft nicht ernst genommen fühlen. Aufgrund der Unschärfe bei der Zuordnung zu diesem Syndrom wurden in verschiedenen Ländern unterschiedliche Prävalenzraten für die Chemikalienunverträglichkeit ermittelt. Während die Prävalenz in den USA bei 3,9 Prozent liegt, wird für Deutschland ein Wert von 0,5 Prozent angegeben. Auch das erschwert die Ermittlung der Ursache für diese Erkrankung. Dadurch sind die Voraussetzungen für eine ursächliche Behandlung von MCS heute noch nicht gegeben.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die vielfache Chemikalienunverträglichkeit äußert sich nach einer Exposition mit flüchtigen Chemikalien geringster Mengen mit vielen unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Atemnot, Magen-Darm-Problemen, rheumatischen Beschwerden oder unklaren Schmerzen. Die Erkrankung ist außerdem dadurch gekennzeichnet, dass die Beschwerden mit der Zeit zunehmen. Gleichzeitig nimmt auch die Zahl der Substanzen zu, die nicht vertragen werden.
Klar erkennbar ist eine vielfache Chemikalienunverträglichkeit jedoch an spezifischen Merkmalen. So treten die Symptome immer nur dann auf, wenn eine chemische Exposition stattfindet. Es zeichnet sich keine Besserung ab. Die Beschwerden entstehen immer bereits bei niedrigen Konzentrationen der Chemikalien. Wenn das auslösende Agens entfernt wird, verschwinden die Symptome sofort. Die Auslöser sind miteinander nicht verwandte Chemikalien.
Am Krankheitsgeschehen beteiligen sich immer mehrere Organe oder Organsysteme. Die Folgen für die Betroffene sind gravierend. Sie wirken sich auf die Lebensqualität, das Berufsleben und die allgemeine Leistungsfähigkeit der Erkrankten aus. Schlimmer noch sind die psychosozialen Folgen. Die Betroffenen fühlen sich stigmatisiert und ausgegrenzt, weil sie von Angehörigen, Freunden und Ärzten oftmals nicht ernst genommen werden.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Aufgrund der unklaren Ursachen für die vielfache Chemikalienunverträglichkeit ist eine eindeutige Diagnose schwer möglich. Es gibt bisher keine Untersuchungsmethoden, welche die Erkrankung eindeutig diagnostizieren können. Nur aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes und der Definition des Syndroms wird die Diagnose MCS gestellt. Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren bleiben jedoch ergebnislos, weil keine organischen Veränderungen gefunden werden können.
Komplikationen
Diese Chemikalienunverträglichkeit kann zu verschiedenen Beschwerden führen. In der Regel treten diese allerdings nur dann auf, wenn der Betroffene in Kontakt mit den jeweiligen Chemikalien kommt. Wird der Kontakt vermieden, so treten keine weiteren Komplikationen oder Beschwerden auf.
Die Chemikalienunverträglichkeit führt dabei zu starken Kopfschmerzen oder zu Schwindelgefühlen und zu einer starken Müdigkeit. Auch Störungen der Konzentration oder der Koordination können dabei auftreten. Weiterhin leiden viele Betroffene auch an einer Atemnot oder an Beschwerden im Bereich des Magens und des Darms.
Die Lebensqualität des Patienten wird durch die Chemikalienunverträglichkeit erheblich eingeschränkt, falls der Kontakt mit der jeweiligen Chemikalie nicht unterbrochen wird. Ebenso nehmen die Beschwerden mit der Zeit zu, falls die Erkrankung nicht behandelt wird. Im schlimmsten Falle kann der Betroffene dabei auch sein Bewusstsein verlieren und sich eventuell bei einem Sturz verletzen.
Da es keine direkte Behandlung der Chemikalienunverträglichkeit gibt, treten dabei auch keine besonderen Komplikationen auf. Durch das Vermeiden des jeweiligen Stoffes können die Beschwerden deutlich gelindert werden. Sollte die Erkrankung durch psychische Ursachen auftreten, so ist eine psychologische Behandlung notwendig, um die Symptome einzuschränken.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Erlebt der Betroffene diffuse plötzliche Veränderung seiner Gesundheit, sollte er die Umgebungseinflüsse überprüfen. Ist seine Atemtätigkeit der Gasentwicklung von Chemikalien ausgesetzt, sollte unverzüglich gehandelt werden. In vielen Fällen genügt es, einen ausreichenden Atemschutz zu tragen und eine gewisse Zeit in einer sauerstoffreichen Umgebung zu verbringen. Stellen sich nach wenigen Minuten bereits deutliche Linderung der gesundheitlichen Beschwerden ein, wird oftmals kein Arzt benötigt. Bei einer Beschwerdefreiheit nach weniger als einer Stunde, müssen keine weiteren Vorkehrungen getroffen werden. Findet eine Zunahme der vorhandenen Beschwerden statt oder entwickelt sich ein akuter gesundheitsbedrohlicher Zustand, wird ein Arztbesuch notwendig. In besonders schweren Fällen ist ein Rettungsdienst zu alarmieren.
Müdigkeit, Schwindel, Husten oder Störungen der Konzentration sind untersuchen und behandeln zu lassen. Kommt es zu Störungen des Magen-Darm-Traktes, Unregelmäßigkeiten der Konzentration, Schwindel sowie Kopfschmerzen, besteht Handlungsbedarf. Bei rheumatischen Beschwerden, Erbrechen oder Übelkeit ist ebenfalls ein Arztbesuch anzuraten.
Nimmt die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit ab, zeigen sich psychische Auffälligkeiten oder Besonderheiten des Verhaltens, benötigt der Betroffene Hilfe. Magenschmerzen, Veränderungen der Nahrungsaufnahme, Appetitlosigkeit oder eine Gereiztheit sind weitere Beschwerden, die untersucht und behandelt werden sollten. Sinkt die Lebensqualität, ist ein allgemeines Unwohlsein vorhanden oder leidet der Betroffene unter einem Krankheitsgefühl, ist ein Arztbesuch anzuraten.
Behandlung & Therapie
Eine ursächliche Therapie für die vielfache Chemikalienunverträglichkeit kann es derzeit nicht geben. Neben dem Vermeiden der auslösenden Chemikalien werden heute psychotherapeutische Maßnahmen angeboten. Viele Betroffene empfinden diese Situation jedoch als unbefriedigend. Es bestehen zwar Möglichkeiten, Chemikalienausdünstungen so weit wie möglich auszuschließen.
Der Preis ist jedoch häufig die völlige Isolierung der betroffenen Personen von ihrem sozialen Umfeld. Gerade dieser Aspekt kann sogar noch zu einer Verstärkung der Erkrankung führen. Auch die psychotherapeutische Behandlung kann oft nicht den gewünschten Erfolg bringen, weil für viele Patienten gerade hier das Problem liegt. Sie empfinden es als diskriminierend, dass die Erkrankung auf psychische Ursachen zurückzuführen sein soll.
Vorbeugung
Eine Vorbeugung vor einer vielfachen Chemikalienunverträglichkeit ist schwer möglich. Die Erkrankung ist multifaktoriell bedingt und wird häufig durch eine einmalige Chemikalien-Exposition ausgelöst. Eine solche Exposition ist aber nie vollständig auszuschließen. Trotzdem kann eine gesunde Lebensweise dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit für eine vielfache Chemikalienunverträglichkeit zu senken.
So führen gesunde Ernährung, viel Bewegung und das Vermeiden von Rauchen und Trinken zu einer Stärkung des Immunsystems und gleichzeitig auch zu einer stärkeren Stressresistenz. Auch das Meiden von Schadstoff- und Chemikalienkontakt verringert das Risiko, an MCS zu erkranken.
Nachsorge
Allergien erfordern vom Betroffenen eine Umstellung im Alltag. Vor allem eine vielfache Unverträglichkeit kann am Anfang überfordernd sein. Eine Nachsorge ist ratsam, um den Patienten in der neuen Situation zu unterstützen. Wie lange die nachsorgende Behandlung dauert, hängt vom Umfang der Chemieunverträglichkeit ab.
Dabei wird der Betroffene von einem Allergologen betreut. Das Ziel ist ein weitgehend uneingeschränktes Leben trotz Unverträglichkeit gegen die jeweiligen Chemikalien. Zu Beginn ermittelt der Facharzt, welche chemischen Stoffe vom Patienten nicht vertragen werden. Der Betroffene erhält eine Übersicht mit den Allergenen. Mit dem Arzt bespricht er, wie er die Unverträglichkeit in seinem Alltag berücksichtigen soll.
Bei einer vielfachen Chemieunverträglichkeit muss ähnlich vorgegangen werden wie bei Allergien gegen Nahrungsmittel. Putzmittel, die Allergene enthalten, dürfen nicht mehr verwendet werden. Stattdessen muss der Patient auf unbedenkliche Alternativen zurückgreifen. Biologisch abbaubare Haushaltsmittel werden im Reformhaus angeboten.
Hat er bis zum Zeitpunkt der Diagnose in einem Umfeld gearbeitet, wo er mit den Chemikalien in Berührung kam, sollte er seinen Tätigkeitsbereich im Unternehmen wechseln oder eine Umschulung in Betracht ziehen. In diesem Fall zählt neben der ärztlichen Betreuung auch eine Berufsberatung beim Arbeitsamt zur Nachsorge.
Das können Sie selbst tun
Einer vielfachen Chemikalienunverträglichkeit kann von den Betroffenen selbst entgegengewirkt werden. Die wichtigste Maßnahme besteht darin, die entsprechenden Stoffe zu meiden. Menschen, die auf Zigarettenrauch oder Abgase mit allergischen Reaktionen reagieren, müssen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, damit es gar nicht erst zum Kontakt mit diesen Stoffen kommt. Hierfür kann es notwendig sein, den Beruf oder den Wohnort zu wechseln. Auch müssen Anpassungen in der Wohnung vorgenommen werden. Beispielsweise müssen Luftfilter installiert und dichte Fenster eingebaut werden, um Umwelteinflüsse von außen zu vermeiden.
In schweren Fällen müssen spezielle Atemschutzmasken getragen werden. Da eine vielfache Chemikalienunverträglichkeit mit diversen Beschwerden einhergehen kann, ist die Lebensqualität oftmals eingeschränkt. Es gilt die Lebensqualität durch Hobbys und einen angepassten Lebensstil zu verbessern.
Bei anhaltendem Unwohlsein oder dem typischen Gefühl der Einengung, kann der Besuch einer Selbsthilfegruppe sinnvoll sein. Im Gespräch mit anderen lernen die Betroffenen besser mit der Unverträglichkeit umzugehen und erhalten wertvolle Tipps. Begleitend dazu muss ein Allergologe oder ein Internist die Erkrankung diagnostizieren und geeignete Therapiemaßnahmen vorschlagen. Eine medikamentöse Behandlung der Chemikalienunverträglichkeit ist in der Regel ebenfalls möglich.
Quellen
- Plewig, G. et al.: Braun-Falco's Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Springer, Heidelberg 2012
- Reichl, F.-X.: Taschenatlas der Toxikologie. Thieme, Stuttgart 2009
- Trautmann, A., Kleine-Trebbe, J.: Allergologie in Klinik und Praxis. Thieme, Stuttgart 2013