Bell-Phänomen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 8. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Beim Bell-Phänomen rollen die Augäpfel nach oben, wie sie es im Rahmen des Lidschlussreflexes tun. An der Reflexbewegung ist vor allem der sogenannte Nervus faialis beteiligt, sodass mit einer Fazialisparese oft ausbleibender Lidschluss einhergeht. Bei inkomplettem Lidschluss zeigt sich durch das Bell-Phänomen das Weiße des Augapfels.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Bell-Phänomen?

Das Bell-Phänomen ist durch ein Aufwärtsrollen der Augäpfel gekennzeichnet.

Das Bell-Phänomen ist durch ein Aufwärtsrollen der Augäpfel gekennzeichnet. Diese Bewegung findet im Rahmen des sogenannten Lidschlussreflexes oder Blinkreflexes statt. Bei diesem Phänomen handelt sich um eine reflektorische Schutzbewegung der Augen, bei der sich das Lid automatisch und unwillkürlich schließt.

Als angeborener Fremdreflex liegen die efferenten und afferenten Fasern des Lidschlussreflexes nicht im gleichen Organ. Der Lidschluss wird eher durch die Verschaltung mehrerer aufeinanderfolgender Synapsen ausgelöst. Die Reflexbewegung führt nach der mechanischen Reizung der Hornhaut oder der Haut in der näheren Umgebung des Auges einen Lidschluss herbei und geht mit dem Aufwärtsrollen der Augäpfel einher.

Mit dem Bell-Phänomen ist vor allem das Sichtbarwerden dieser Aufwärtsbewegung und damit des weißen Augapfels bei vermindertem Lidschluss gemeint. Das Phänomen besitzt in dieser Form Krankheitswert und tritt als Symptom vor allem im Rahmen einer Gesichtsnervenlähmung auf.

Der Namensgeber des Bell-Phänomens ist der britische Physiologe Charles Bell, der das Phänomen im 19. Jahrhundert erstmals beobachtet hat.

Funktion & Aufgabe

Der Lidschlussreflex ist ein physiologischer Schutzreflex, der das menschliche Sehorgan und die Hornhaut vor mechanischen Verletzungen, vor dem Austrocknen und Fremdkörpern schützen soll. Der Rezeptor des Reflexbogens ist die Hornhaut. Nach einer Reizung dieses Reflektors wird der Reiz in Form eines Aktionspotentials über den afferenten Schenkel und damit den Nervus nasociliaris und den ersten Trigeminusast des Nervus ophthalmicus zum Ganglion trigeminale übertragen.

So erreicht die Erregung die sensiblen Fasern, von denen aus sich zentrale Ganglienzellenfortsätze zum Kern des Nervus trigeminus ziehen. Im Nucleus spinalis nervi trigemini wird der Reiz umgeschaltet, wandert über den Colliculus superior in das Formatio reticularis und erreicht den Nucleus nervi Facialis, wo der efferente Schenkel der Reflexbewegung beginnt.

Die Fasern des Nucleus nervi Facialis lagern sich an den Fasern anderer Facialiskernen an und formen gemeinsam mit ihnen den Nervus facialis oder auch VII. Hirnnerv. Die viszeromotorischen Fasern dieses Gesichtsnervs innervieren den Musculus orbicularis oculi. Wenn die Erregung diesen Muskel erreicht, kontrahiert er und ruft den Lidschluss hervor. Der Lidschlussreflex ist ein konsensueller Reflex, dessen Afferenzen auf den ipsilateralen und den kontralateralen Facialiskernen liegen.

Die Aufwärtsbewegung der Augäpfel findet physiologischerweise gleichzeitig mit der Reflexbewegung statt und hat an sich keinen Krankheitswert. Vielmehr ist die physiologische Bewegung selbst ein Schutzreflex und entspricht zum Beispiel der Stellung der Augäpfel während des Schlafs. Wenn die Bewegung allerdings sichtbar ist und somit das Weiße der Augäpfel während des Lidschlusses erkennbar wird, dann kann das Bell-Phänomen als pathologisch bezeichnet werden.

Der Lidschlussreflex und das Augapfelrollen finden immer gleichzeitig auf beiden Augen statt. Die Aktivierung von nur einem Auge ist wegen der Verschaltung nicht möglich. Das Bell-Phänomen kann allerdings auch auf nur einem Auge vorliegen und so zum Beispiel im Rahmen einer einseitigen Gesichtslähmung auftreten, die den Lidschluss auf einem der beiden Augen blockiert.


Krankheiten & Beschwerden

Eine Gesichtsnervenlähmung wird fachsprachlich als Fazialisparese bezeichnet und entspricht einer Lähmung des Nervus facialis. Fazialisparesen können angeboren sein oder erworben werden. Sie werden entweder durch periphere oder zentrale Nervenschädigungen verursacht.

Der inkomplette Lidschluss und damit das Bell-Phänomen ist für die Paresen charakteristisch. Während der Lidschlussreflex nämlich ausbleibt, bleibt das Bell-Phänomen auch bei einem Lagophthalmus, also dem inkompletten Lidschluss erhalten. Fazialisparesen können außerdem mit herabhängenden Mundwinkeln einhergehen. Auch abgeschwächtes oder aufgehobenes Stirnrunzelverhalten kann symptomatisch sein.

Eine Vielzahl von Ursachen kommt für den inkompletten Lidschluss durch eine Fazialisparese in Frage. Infektionen wie Borreliose können genauso die Ursache sein, wie Schädeltraumen, Tumore oder Entzündungen und Schlaganfälle.

Der inkomplette Lidschluss und das Bell-Phänomen werden manchmal auch mit dem Ausdruck der Bell'schen Lähmung assoziiert, bei der eine einseitige Fazialisparese vorliegt. Die Ursache der Lähmung ist im Fall der Bell'schen Lähmung unbekannt. Vermutlich wird die Parese durch eine Kompression des Gesichtsnervs verursacht, die mit entzündlichen Prozessen in Zusammenhang steht. In den meisten Fällen bildet sich die Bell-Lähmung innerhalb von wenigen Wochen von selbst zurück oder vergeht durch Behandlungen mit Kortikosteroiden. Nur selten ruft sie bleibende Schäden hervor. Eine völlige Lähmung der Gesichtshälfte sollte allerdings gut behandelt werden, um eine Abheilung mit vollständiger Remission der Symptome zu erzielen.

Sowohl das Bell-Phänomen, als auch die Bell'sche Lähmung sind in der Regel Sache der Neurologie. Oft handelt es sich speziell bei inkomplettem Lidschluss um symptomatische Erscheinungen einer primären Erkrankung wie Multiple Sklerose. Diese Autoimmunerkrankung ruft im zentralen Nervensystem schubweise immunologische Entzündungen hervor und demyelinisiert so das zentrale Nervengewebe. Die Leitfähigkeit der betroffenen Gewebe ist damit oft dauerhaft beeinträchtigt.

Das Bell-Phänomen und der Lidschlussreflex spielen für die Medizin aber nicht nur in Zusammenhang mit Erkrankungen des Nervensystems eine Rolle, sondern sind auch in der Anästhesie wichtige Parameter zur Einschätzung der Narkosetiefe.

Quellen

  • Augustin, A.J.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 2007
  • Grehn, F.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 2012
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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