Charakter
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Der Charakter ist die Wesensart eines Menschen und bestimmt, wie er handelt, wovon er träumt und wovor er sich fürchtet. Die moderne Medizin lokalisiert den Charakter auf die neuronalen Verschaltungen der frontalen Hirnregion. Daher ist beim degenerativen Zerfall dieser Regionen im Rahmen von zB Alzheimer auch vom Ich-Zerfall die Rede.
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Was ist der Charakter?
Der Charakter eines Menschen bestimmt, wer er ist und was ihn einzigartig macht. Charakter beeinflusst, wie jemand handelt oder welche Ziele, Träume und Ängste er hat. Die moderne Medizin geht davon aus, dass einerseits die genetischen Anlagen des Individuums zu seinem Charakter beitragen. Andererseits formt sich der Charakter eines Menschen auch, und zwar zum größten Teil, in der Sozialisation. Die Erziehung beispielsweise prägt die Persönlichkeit nachhaltig.
Was genau der Charakter aus medizinischer Sicht ist, ist bis heute Gegenstand der Diskussion. Die modernen Neurowissenschaften halten zum Beispiel die neuronale Architektur des Individuums für den Ursprung seiner Emotionen und damit seiner Persönlichkeit. Speziell die neuronalen Bahnungen im Frontalhirn werden von der Neurologie zuweilen als Sitz des Charakters bezeichnet. Die Schaltmuster im Gehirn sind lernfähig und verändern sich zum Beispiel nach einschneidenden Erfahrungen, wie großem Leid oder großer Liebe. Diese Veränderung der neuronalen Verschaltung im Frontalhirn halten die Neurowissenschaften für die Ursache von charakterlichen Veränderungen nach bestimmten Erfahrungen.
Funktion & Aufgabe
20 Jahre lang beobachteten die Forscher Kinder zwischen vier und zwölf Jahren und untersuchten die Probanden regelmäßig. Neben den kognitiven Fähigkeiten kontrollierten sie die Big Five, also die fünf Säulen des Charakters. Der Hirnforschung zufolge bestehen diese Säulen zum einen aus Neurotizismus, der als Hang zu schlechten Stimmungen und Selbstzweifeln bezeichnet wird. Zum anderen zählen Extravertiertheit, die Offenheit für neue Erlebnisse und die Verträglichkeit sowie die Gewissenhaftigkeit zu den fünf Säulen des Charakters. Zu Beginn der Studie wiesen die Kinder diesbezüglich dieselben Eigenschaften auf wie am Ende der Studie. Der Grundcharakter eines Menschen scheint sich demnach in den ersten vier Jahren des Lebens zu prägen und hängt so neben genetischen Faktoren vor allem vom Elternhaus und der Erziehung ab.
Die Neurowissenschaften lokalisieren den Charakter auf die spezifischen Schaltkreise zwischen den Nervenzellen des Frontalhirns. Dieser Ort des Gehirns wird als Sitz der spezifisch menschlichen Intelligenz, der Vernunft und des Sozialverhaltens bezeichnet. Eben diese Bezüge machen das Frontalhirn zum Sitz des Charakters.
Das Frontalhirn von Ratten ist, verglichen mit dem menschlichen Frontalhirn, winzig. Der frontale Cortex besitzt eine Leitungsfunktion und Steuerfunktion, die dem Menschen beim Planen, Realisieren und Kontrollieren seiner Handlungen behilflich ist. Neben der Aufnahme und der Verarbeitung sensorischer Informationen ist das Frontalhirn für kognitive Denkprozesse, Sprachprozesse und motorische Operationen unersetzlich. Neben der Steuerung von Aktivitäten, Bewegungen und Handlungen wird auch das Bewusstsein mittlerweile im Frontalhirn vermutet. Dasselbe gilt für emotionell-affektive Verhaltensaspekte und Einflussfaktoren auf höhere Denkprozesse.
Das menschliche Gehirn ist lernfähig. So verändern sich bei Lernprozessen die neuronalen Schaltkreise im Gehirn. Einschneidende Erfahrungen werden oft mit Veränderungen im Denken assoziiert. Diese Aussage ist relativ zutreffend. Nach einschneidenden Erlebnissen verändert sich tatsächlich die Verschaltung im Frontalhirn und lässt damit charakterliche Veränderungen entstehen.
Krankheiten & Beschwerden
Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Traumata, Schlaganfällen, Hirnblutungen, Tumorerkrankungen, entzündlichen Erkrankungen, degenerativen Krankheiten des Nervensystems oder Anfallserkrankungen können Läsionen im Frontallappens auftreten. Ähnliche Läsionen finden sich bei Menschen mit Schizophrenie und bei alkoholabhängigen Menschen. Die Symptome einer solchen Läsion sind zum einen charakterliche Veränderungen. Zum anderen scheinen sie widersprüchlich und oft paradox.
Eine frontale Hirnschädigung muss nicht direkt im Frontalhirn lokalisiert sein, sondern kann ebenso einer Schädigung der Faserprojektionsbahnen zwischen den frontalen Regionen und den nicht-frontalen Strukturen entsprechen.
Frontalhirnläsionen manifestieren sich entweder als Persönlichkeitsveränderungen oder als kognitive Veränderungen. Oft leiden Patienten gleichzeitig an beiden Manifestationen. Mit dem sogenannten Frontalhirnsyndrom werden sämtliche Persönlichkeitsveränderungen zusammengefasst. Die Medizin spricht bei diesem Syndrom von der schwersten neuropsychologischen Persönlichkeitsstörung.
Mit den charakterlichen Veränderungen gehen vor allem solche im Sozialverhaltens einher. Oft verlieren die Patienten die Initiative, ihre Spontaneität oder ihren Antrieb. Charakteristische Symptome sind Gleichgültigkeit bis hin zur Lethargie. Auf der anderen Seite kann auch plötzliche Hyperaktivität, Euphorie oder Impulsivität für eine Frontalhirnläsion sprechen. Der Charakter der Patienten wird häufig als albern oder kindlich bezeichnet. Unangepasstes Sozialverhalten und die Widersetzung gegenüber sozialen Normen treten auf. Die Patienten wirken taktlos oder distanzlos. Zuweilen verlieren sie soziale Hemmungen, die sich bis hin zu pseudopsychopathischer, soziopathischer oder pseudodepressiver Ausprägung steigern können.
Besonders häufig ist im Zusammenhang mit Frontalhirnlösionen von der degenerativen Erkrankung Alzheimer die Rede. Der degenerative Zerfall der frontalen Hirnregionen wird im Rahmen dieser Krankheit oftmals als schleichender Zerfall der Persönlichkeit bezeichnet.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
- Zimbardo, P. & Gerrig, R.: Psychologie. Pearson Verlag, Hallbergmoos 2008