Divergenz
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Divergenz ist eine Schaltung des zentralen Nervensystems, die für die Schärfe von Wahrnehmungen relevant ist. Jeder Rezeptor ist divergierend mit Neuronen in höheren Ebenen verbunden und hängt zugleich konvergierend an tiefer gelegenen Neuronen. Störungen des Divergenz-Kovergenz-Prinzips können nach Nervenschädigungen eintreten.
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Was ist die Divergenz?
Die einzelnen Ebenen der Informationsverarbeitung im Zentralnervensystem des Menschen unterliegen verschiedenen Schaltungsprinzipien. Die wichtigsten dieser Prinzipien sind die Konvergenz und die Divergenz. Die beiden Schaltungen haben die Bildung eines Kontrasts durch laterale Hemmung zur Folge. Die menschlichen Sinnesorgane sind mit Sinneszellen ausgestattet, die auch als Rezeptoren bekannt sind. Jeder dieser Rezeptoren entspricht einer Informationsleitung, die über mehrere Ebenen an Neuronen zum Thalamus führt. Der Thalamus besitzt eine Verbindung zum Großhirn, wo die Sinneseindrücke endverarbeitet werden.
Zwischen den Ebenen aus Neuronen besteht statt einer Eins-zu-Eins-Verbindung eine divergierende Verbindung. Jede neuronale Zelle ist so beispielsweise mit mehreren Neuronen der höheren Schichten verbunden. Dieses Prinzip entspricht der Divergenz. Die Signalempfängnis für Rezeptoren und Neuronen darunterliegender Schichten wird als Konvergenz bezeichnet.
Das Konvergenz-Divergenz-Prinzip führt zu einer lateralen Hemmung, bei der die nachgeschalteten Neuronen jeweils eine Signalverringerung der Nachbarzellen bedingen. Das so entstehende Erregungsbild bildet das Intensitätsmuster der eingehenden Reize differenziert ab, da die einzelnen Übergänge auf diese Weise verstärkt und kontrastiert in die bewusste Wahrnehmung eingehen.
Funktion & Aufgabe
Das Nervensystem nimmt diese Strukturierung automatisch vor. Das visuelle System liefert dank Divergenz und Konvergenz beispielsweise automatisch Bilder mit scharfen Konturen. Das menschliche Großhirn erhält auf Basis von Konvergenz und Divergenz bereits strukturierte Information von den Rezeptoren der einzelnen Sinnessysteme und ihrer Rezeptoren. Schon die weitergeleitete Wahrnehmungsinformation weicht damit stark von der Realität ab.
Evolutionär betrachtet ist Divergenz und die so strukturierte Wahrnehmungsinformation wichtig, da sie dem Organismus lebensnotwendige Reaktionen auf die Umwelt leichter ermöglicht.
Aufgrund der Verfälschung durch Konvergenz-Divergenz-Prinzipien kann der Mensch aus einem auditiven Input beispielsweise einzelne Tonhöhen erkennen oder Instrumente erkennen, obwohl sie zusammenklingen. Das visuelle System kann dank der lateralen Hemmung als Folge von Divergenz und Konvergenz zum Beispiel Gestalten in Bewegung identifizieren und das gustatorische System erkennt so verschiedene Lebensmittelsorten anhand eines einzigen Bissens oder Schlucks.
Laterale Hemmung durch Divergenz und Konvergenz ist ein unterbewusster Prozess, der in den meisten Fällen nicht wahrgenommen wird. Allerdings machen sich beispielsweise optische Täuschungen das Divergenz-Konvergenz-Prinzip zu Nutze und konfrontieren den Menschen auf diese Weise direkt mit dem Phänomen der lateralen Hemmung. So bemerkt er bewusst, wie sehr die Grundprinzipien der Wahrnehmung die Wirklichkeit um ihn herum entfremden.
Krankheiten & Beschwerden
Bei Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose ruft das Immunsystem der Patienten beispielsweise Entzündungen im Nervengewebe des Zentralnervensystems hervor und kann die zentralen Nervenstrukturen damit bleibend schädigen. Neuronale Zelle sind dann nicht mehr mit mehreren Neuronen der höheren Schichten verbunden, wenn die höhergelegenen Nervenzellen geschädigt sind. Ein solches Phänomen kommt einer Störung des Divergenz-Prinzips gleich. Wenn wiederum das Divergenz-Prinzip gestört ist, ist auch die laterale Hemmung durch Divergenz und Konvergenz gestört.
Im visuellen System spielt die laterale Hemmung insbesondere für die Qualität von Sinneseindrücken bei Dämmerung eine Rolle. So kann eine Schädigung der retinalen Querneuronen beispielsweise Schwierigkeiten bei der Summation von einzelnen Reizen eines rezeptiven Felds bei Dunkeladaption und die laterale Hemmung bei Helladaption erschweren. Die Folge sind Beschwerden beim Dämmerungssehen. Auch in extremer Helligkeit ist die Sehwahrnehmung der Patienten erschwert. Solcherlei Beschwerden können zum Beispiel im Rahmen einer diabetischen Retinopathie vorliegen oder auf eine X-chromosomal vererbte Nachtblindheit zurückgehen.
Auch für den Hautsinn spielt das Divergenz-Prinzip eine entscheidende Rolle. Störungen der Divergenz durch Nervenschädigungen können aus diesem Grund auch diesen Bereich der Wahrnehmung betreffen und damit in der Haptik und dem Bereich des Taktilen die Tastschärfe verringern.
Bei jeglichen Störungen der lateralen Hemmung ist die Ausbreitung von Erregung im zentralen Nervensystem nicht mehr räumlich begrenzt, was in einer Übererregbarkeit des Nervensystems münden kann. Das Gehirn erhält von einem übererregten Nervensystem mit vermindert lateraler Hemmung keine klar strukturierten Informationen aus den Sinnessystemen mehr.
Bei sämtlichen Beschwerden in Bezug auf die Divergenz des Nervensystems ist die Kontrastierung der Wahrnehmungen vermindert oder sogar aufgehoben, sodass dem Menschen die Erkennung und Interpretation der Sinneseindrücke erschwert ist.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Grehl, H., Reinhardt, F.: Checkliste Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012
- Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010