Haptische Wahrnehmung

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 6. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Haptik ist eine Sinnesqualität, die den Menschen auf Basis von aktiver Exploration Objekte oder Subjekte ertasten lässt. Die haptische Wahrnehmung unterscheidet sich von der taktilen Wahrnehmung, die der passiven Hautwahrnehmung entspricht. Multisensorische Integrationsstörungen, neurologische Krankheiten und Rezeptorerkrankungen stören die haptische Wahrnehmung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die haptische Wahrnehmung?

Die Haptik ist eine Sinnesqualität, die den Menschen auf Basis von aktiver Exploration Objekte oder Subjekte ertasten lässt.

Der Hautsinn des Menschen besitzt unterschiedliche Qualitäten. Die passiven Qualitäten werden unter dem Begriff der taktilen Wahrnehmung zum Tastsinns zusammengefasst. Taktile Wahrnehmung setzt sich aus protopathischer und epikritischer Wahrnehmung zusammen und besteht so aus dem passiven Temperaturempfinden, dem passiven Schmerzempfinden und dem ebenfalls passiven Berührungsempfinden.

Die menschliche Haut verfügt jedoch auch über die Fähigkeit, die Qualitäten von Objekten und Lebewesen durch aktive Exploration wahrzunehmen. Diese aktive Exploration wird unter den Terminus der Haptik gefasst. Der Begriff geht auf Max Desoir zurück, der den Terminus im 19. Jahrhundert prägte.

Die Haptik umgreift sowohl Interozeption als auch Exterozeption, also die aktive Wahrnehmung von Reizen auf der Körperoberfläche sowie die aktive Reizwahrnehmung aus dem Körperinneren.

Biophysiologisch setzt sich die Basis der taktilen und haptischen Wahrnehmung aus dem somatosensorischen und dem sensomotorischen System zusammen. Haptik umgreift Schmerzwahrnehmung im Sinne von Nozizeption, Temperaturwahrnehmung im Sinne der Thermorezeption und haptische Oberflächensensibilität im Sinne der Wahrnehmung von mechanischen Reizen als Druck, Vibration und Gewebsdehnung.

Ebenfalls zur Haptik gehört die Propriozeption als Tiefensensibilität oder Fähigkeit, die eigene Körperlage im Raum wahrzunehmen. Zusätzlich werden oft die Kinästhesie und Viszerozeption zur Haptik gezählt.

Funktion & Aufgabe

Die Haptik lässt den Menschen Objekteigenschaften wie die Größe, das Gewicht, die Kontur, die Materialeigenschaften, die Festigkeit und die Temperatur eines Subjekts oder Objekts wahrnehmen. An haptischer Wahrnehmung sind unterschiedliche Rezeptoren oder Sinneszellen beteiligt. Die Mechanorezeptoren der Haut zählen genauso dazu, wie die Dehnungs-, Druck-, und Vibrationsrezeptoren in den Sehnen, den Gelenken und der Muskulatur. Diese Informationen integriert das haptische System zu einer gemeinsamen Wahrnehmung.

In den einzelnen Hautschichten liegen bis zu 600 Millionen Rezeptoren, so zum Beispiel die Vater-Pacini-Körperchen für Vibrationsreize, die Meissner-Körperchen für Druckveränderungen, die Merkel-Zellen für anhaltende Druckreize und die Ruffini-Körperchen für Gewebsdehnung oder die Golgi-Sehnenorgane und die Muskelspindeln.

Auch die Körperhaare sind mit rund 50 Berührungsrezeptoren zur Registrierung von Verformungen ausgestattet. Die freien Nervenenden in der Oberhaut nehmen neben mechanischen Reizen Temperatur- und Schmerzreize wahr.

Anders als bei anderen Sinneswahrnehmungen spielt die Integration multipler Rezeptoren für die haptische Wahrnehmung also eine Hauptrolle. Die Informationen aus den Mechano- und Propriorezeptoren wandern über afferent sensorische Bahnen des Rückenmarks durch den Thalamus in die Großhirnrinde. Im Thalamus findet eine Verschaltung über den Nucleus ventralis posterior statt. Die ansässigen Neuronen projizieren unmittelbar in die sekundär und primär somatosensorischen Anteile der beiden kontralateralen Großhirnrindhälften.

Die kortikale Verarbeitung besitzt von dort aus Afferenzen zum Parietallappen und zu sekundär somatosensorischen Regionen. Die Projektion setzt sich an dieser Stelle zu temporal parietalen Arealen, den frontal temporalen Assoziationskortizes und zur Inselrinde fort. Die Neurone im posterioren Parietalkortex haben die multisensorische Integration der haptischen Informationen zur Aufgabe. Sie bilden die Basis für die Kognition. Für das Berührungsgedächtnis sorgen Verbindungen zum Temporallappen. Efferente Signale wandern über neuronale Verbindungen mit subkortikalen und kortikalen Regionen in den Parietallappen.

Für die taktile und haptische Reizung von Sinneszellen ergeben sich Unterschiede. Bei haptischer Wahrnehmung besteht, anders als bei taktiler Wahrnehmung, immer eine Aktivität im Motorcortex.


Krankheiten & Beschwerden

Weil die Haptik zu einem Großteil von der Integration der multisensorischen Informationen abhängt, kann eine Störung dieser Integrationsprozesse mit einer allgemein gestörten haptischen Wahrnehmung in Zusammenhang stehen. Sensorische Integrationsstörungen beeinträchtigen die Interpretation von und die Reaktion auf bestimmte Reize. Die Betroffenen verhalten sich dadurch scheinbar unangemessen und können zum Beispiel unangemessenen viel oder wenig Druck bei der Berührung von Gegenständen oder Menschen ausüben. Haptische Überaktivität weist eine starke Vererbungswahrscheinlichkeit auf und lässt sich dank moderner Therapien im Bereich der multisensorischen Integration therapieren.

Auch nach Läsionen im posterioren Parietalkortex kann eine Unfähigkeit zur haptischen Integration vorliegen. Solche Läsionen können zum Beispiel durch Ischämien, durch Schlaganfälle oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose hervorgerufen werden.

Die Haptik kann aber auch unabhängig von den multisensorischen Integrationsprozessen gestört sein. Das kann etwa bei Schädigungen der afferenten Nervenbahnen im Rückenmark der Fall sein. Auch Schädigungen aller anderen haptisch relevanten Regionen des Zentralnervensystems können die Ursache für gestörte Haptik sein.

Je nach Lokalisation der Läsion kann zum Beispiel das haptische Gedächtnis gestört sein. Ebenso denkbar sind läsionsbedingt fälschliche Tastinformationen, wie sie durch eine eingeschränkte Oberflächensensibilität zustande kommen könnten.

Rezeptorbedingte Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang eher selten, können die gestörte Oberflächensensibilität jedoch ebenso verursachen, wie neuronale Erkrankungen. Rezeptorstörungen sind häufig mit Vergiftungen assoziiert.

Weitaus häufiger stehen Missempfindungen der Haptik allerdings mit peripheren oder zentralnervösen Schädigungen in Verbindung. Periphere Nervenschädigungen können zum Beispiel im Rahmen einer Polyneuropathie eintreten und sind in diesem Fall unter anderem mit Vitaminmangel, Alkoholmissbrauch, Diabetes, Toxinen oder Krebs- und Infektionserkrankungen assoziiert.

Mögliche Gründe für haptische Wahrnehmungsstörungen gibt es dementsprechend viele. Die Diagnose einer bestimmten Erkrankung stellt sich daher in diesem Zusammenhang als äußerst anspruchsvoll heraus.

Quellen

  • Gesenhues, S., Zisché, R.H., Breetholt, A. (Hrsg.): Praxisleitfaden Allgemeinmedizin. Urban & Fischer, München 2013
  • I care Krankheitslehre. Thieme, Stuttgart 2015
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013

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