Dysarthrie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Der Begriff Dysarthrie umfasst eine Reihe von Störungen beim Sprechen. Schreiben, Lesen, Grammatik und Sprachverständnis sind davon nicht betroffen. Gestört ist nur die Motorik des Sprechens durch Beeinträchtigungen von Gehirnnerven oder Schädigungen des Gehirns.
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Was ist Dysarthrie?
Sprechen ist ein hochkomplexes Zusammenspiel von mehr als hundert Muskeln, dem Kehlkopf und der Atmung. Bei der Atmung sorgen das Zwerchfell als Hauptatmungsmuskel und andere Atmungsmuskeln dafür, dass Brustkorb und Bauchraum ausgedehnt werden und die Luft einströmen kann. Beim Einatmen senkt sich das Zwerchfell nach unten und schafft so Platz für die einströmende Luft, beim Ausatmen hebt es sich wieder an und presst die Luft damit nach draußen.
Die einströmende und ausströmende Luft wird über den Kehlkopf geführt. Er besteht aus vielen Muskeln und Knorpeln und in seinem Inneren befinden sich die Stimmlippen. Um Töne erzeugen zu können, schließen sich die Stimmlippen und die Atemluft drückt gegen sie. Sie beginnen zu vibrieren und dadurch entstehen Töne. Diese Töne werden im Mund und Rachen zu Worten artikuliert. Daran sind Zunge, Lippen, Kiefer und Gaumensegel beteiligt.
Damit das alles ungehindert funktionieren kann, sind Kopf- und Körperhaltung wichtig. Nur bei aufrechter, gerader Oberkörperhaltung und aufgerichtetem Kopf kann der Atem frei fließen und die Stimme und die Artikulation werden nicht beeinträchtigt.
Gesteuert wird diese Leistung im Gehirn. Die Gehirnnerven leiten die Bewegungsimpulse an die verschiedenen Muskeln weiter und schaffen so die nötige Feinabstimmung, damit das Sprechen einwandfrei gelingt.
Durch eine Schädigung oder Erkrankung des Gehirns oder Nervensystems kann es zu einer Dysarthrie kommen. Die an dem Sprechvorgang beteiligten Nerven und Muskeln können entweder gelähmt sein oder Koordinationsstörungen aufweisen. Das kann Zunge, Gaumensegel, Lippen, Kiefer, Rachen, Kehlkopf oder die Atemmuskeln betreffen.
Ursachen
Die Dysarthrie ist eine neurologisch bedingte Störung. Es gibt verschiedene Auslöser für diese Sprechstörung. Sie kann von frühster Kindheit an bestehen durch frühkindliche Hirnschädigungen oder später durch Schlaganfälle, Hirnblutungen oder Unfälle mit schweren Kopfverletzungen, Hirntumore oder fortschreitende Erkrankungen des Nervensystems wie Morbus Parkinson und Multiple Sklerose hervorgerufen werden. Ebenso kann ein Schlaganfall, ein Schädel-Hirn-Trauma oder Chorea Huntington als Ursache für die Sprechstörung in Frage kommen.
Symptome, Beschwerden und Anzeichen
Es können verschiedene Beeinträchtigungen der Sprache beobachtet werden. Die Sprache kann verwaschen und undeutlich klingen, etwas wie alkoholisiert, sie kann rau und gepresst sein, heiser und leise. Manchmal ist die Sprechweise sehr monoton oder die Geschwindigkeit zu langsam oder zu schnell.
Diagnose und Verlauf
Vom äußeren Erscheinungsbild können verschiedene Arten von Dysarthrie unterschieden werden. Die spastische oder hypertone Dysarthrie wird durch eine Erhöhung der Muskelspannung der beteiligten Muskeln hervorgerufen. Dadurch klingt die Stimme rau und gepresst und das Sprechen erfolgt stoßweise und undeutlich.
Die hypotone Dysarthrie dagegen wird durch einen Mangel an Muskelspannung hervorgerufen. Dadurch wird die Artikulation undeutlich und die Lautstärke und die Sprachmelodie gestört. Außerdem ermüden die daran Erkrankten schnell beim Sprechen.
Bei der hyperkinetischen Dysarthrie sind die Sprechbewegungen oft explosionsartig und überschießend. Das zeigt sich an starken Schwankungen der Lautstärke und Tonhöhe und Artikulation. Es kann zusätzlich zu Grimassieren und zu zusätzlichen unwillkürlichen Geräuschen, wie beispielsweise Schnalzen, kommen.
Die hypokinetische Dysarthrie dagegen zeigt eine Einschränkung und Reduzierung der Beweglichkeit der beteiligten Muskulatur auf. Die Sprechweise ist in diesem Fall monoton, die Artikulation undeutlich. Auch die Mimik der Gesichtsmuskulatur kann eingeschränkt und starr sein.
Ataktische Dysarthrie ist gekennzeichnet von Koordinationsstörungen. Das wirkt sich auf Lautstärke, Tonhöhe und Artikulationsgenauigkeit aus. Sie variieren ständig und unkontrolliert.
Diese Einzelformen treten aber häufig zusammen als gemischte Dysarthrie auf. Um eine Diagnose zu stellen, werden verschiedenen Verfahren angewandt. So etwa die Aachener Materialien zur Diagnostik Neurogener Sprechstörungen (AMDNS), das Münchner Verständlichkeitsprofil (MVP) und die Frenchay-Dysarthrie-Untersuchung.
Komplikationen
Dysarthrie ist eine Sprechstörung, bei der die sprechmotorische Ausführung betroffen ist. Die sprachliche Leistung hingegen ist in der Regel normal. Bei einer Dysarthrie funktionieren zwar Lesen, Schreiben und Verstehen, es liegen jedoch artikulatorische und sprachrhythmische Probleme vor. Das führt zu angestrengtem Sprechen, bei dem skandiert oder verwaschen gesprochen wird.
Zudem haben Dysarthriker mitunter Stimm- und Atemprobleme. Bei Verdacht auf Dysarthrie sollte ein Facharzt konsultiert werden, der weitere Schritte einleitet. Logopäden oder klinische Linguisten informieren die Patienten und führen sprachtherapeutische Maßnahmen durch. Je nach Ursache sind unterschiedliche therapeutische Erfolge zu erwarten.
Zu den möglichen Ursachen gehören ein Schlaganfall, entzündliche Prozesse im Gehirn, ein Schädel-Hirn-Trauma, degenerative Erkrankungen wie Parkinson sowie Multiple Sklerose oder ALS, Alkoholmissbrauch und andere Vergiftungen sowie frühkindliche Hirnschädigungen. Am deutlichsten beeinträchtigt ist die Lautbildung. Die willentliche Ansteuerung und Programmierung der Artikulationsorgane ist dabei betroffen, was eine Parallele zu den verschiedenen aphasischen Erkrankung darstellt.
Mit Hilfe von Sprachtests lassen sich die Sprachstörungen genauer kategorisieren, um herauszufinden, welche sprachlichen Teilbereiche betroffen sind und worauf eine Sprachtherapie zu fokussieren ist. Bei degenerativen Erkrankungen wie MS, ALS oder Parkinson ist eine mehr oder weniger stetige Verschlechterung der Sprechfähigkeit zu erwarten. Deshalb ist ein Schwerpunkt auf die Stabilisierung der Patienten zu legen. Bei anderen dysarthrischen Erkrankungen hingegen kann effektive Sprachtherapie zu einer deutlichen Verbesserung der Sprechfähigkeit beitragen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn das Kind bereits von frühster Kindheit an unter Sprachstörungen leidet, sollte mit dem Kinderarzt gesprochen werden. Je früher eine Dysarthrie abgeklärt wird, desto besser sind in der Regel auch die Heilungsaussichten. Eltern, die bei ihrem Kind eine undeutliche, raue, heisere oder monotone Sprache bemerken, konsultieren also am besten direkt einen Mediziner. Die Dysarthrie im Erwachsenenalter tritt meist nach einem Unfall mit schweren Kopfverletzungen, Hirnblutungen oder Schlaganfällen auf.
Wer nach einer solchen Erkrankung plötzlich Probleme beim Sprechen hat, sollte den zuständigen Arzt darauf ansprechen. Meist erkennt der Mediziner die Dysarthrie jedoch ohnehin von selbst und wird den Patienten darüber aufklären. Ob die Sprachstörung behandelt werden muss, hängt von ihrer Art und Ausprägung ebenso ab wie vom Gesundheitszustand des Patienten.
Manchmal bildet sich die Dysarthrie durch logopädische Maßnahmen zurück, in anderen Fällen sind komplexe Eingriffe vonnöten. Wenn die Sprachstörung als Belastung empfunden wird, muss sie in jedem Fall behandelt werden. Bei der frühkindlichen Dysarthrie wird die Therapie nach der Diagnose routinemäßig eingeleitet.
Behandlung & Therapie
Eine Behandlung versucht, die verschiedenen Störfaktoren zu kompensieren oder wenn möglich, sogar wieder zu beseitigen. Bei Dysarthrien durch einmalige Ereignisse, Schlaganfälle oder Unfälle mit Gehirnverletzungen wird man darauf hinarbeiten, den Ursprungszustand wieder herzustellen. Bei fortschreitenden Erkrankungen wird daran gearbeitet, so lange wie möglich das Fortschreiten der Dysarthrie hinaus zu zögern und die Sprachfähigkeit zu erhalten.
Eine Therapie umfasst verschiedene Ansätze und Zugänge. Zunächst einmal wird an der Körperhaltung gearbeitet. Dies kann auch in Zusammenarbeit mit einem Physiotherapeuten geschehen. Eine gute Kopf- und Körperhaltung zu erlernen ist hier sehr wichtig. Bei erhöhter Körperspannung werden Entspannungstechniken gelehrt, bei zu niedriger Körperspannung werden spannungsaufbauende Übungen gemacht.
Atemübungen gehören mit zum Programm. Atemvertiefung und Atemstromverlängerung werden eingeübt. Die Bauchatmung wird bewusst durchgeführt und darauf hingearbeitet, dass sie beim Sprechen bewusst eingesetzt werden kann. Dadurch wird der Atemstrom verlängert und es steht mehr Luft zur Lautbildung zur Verfügung.
Stimmlippen und weitere Kehlkopfmuskeln werden durch Stimmübungen trainiert. Das Ziel ist es, die Schwingungen der Stimmlippen zu harmonisieren, damit die Stimme wohlklingend wird und die Lautstärke angemessen ist. Dies wird durch den Einsatz von Brumm-, Summ-, Laut- oder Silbenübungen bewirkt. Dadurch wird neben der Lautstärke und dem Stimmeinsatz noch die Tonhaltedauer und die Tonhöhenunterscheidung geübt.
Die Artikulation wird passiv und aktiv geübt. Massagen oder Vibrationen an den Sprechwerkzeugen haben oft einen positiven Einfluss. Sie werden zusätzlich noch durch mundmotorische Gymnastik, wie beispielsweise verschiedene Lippenstellungen, ergänzt. Das erhöht die Funktionsfähigkeit und ermöglicht eine deutlichere Sprechweise. Mit Sprechübungen wird das spontane Reden gefördert.
Zudem werden noch problematische Sprechsituationen angeschaut und durchgespielt. Die verbesserte Sprechfähigkeit wird zusätzlich in Rollenspielen und Übungssituationen im Alltag gefestigt und so immer mehr in den Alltag integriert.
Aussicht & Prognose
Bei einer Dysarthrie kommt es nicht zu einer Selbstheilung. Die Patienten sind bei dieser Erkrankung in jedem Fall auf eine medizinische Behandlung angewiesen, um die Beschwerden zu lindern.
Kommt es bei der Dysarthrie nicht zu einer Behandlung, so leiden die Betroffenen an Sprachbeschwerden. Sie können Sätze nicht richtig bilden, wobei das Sprechen selbst unsicher und verwaschen klingt. Ebenso klingen die Betroffenen, als seien sie alkoholisiert, was auch zu sozialen Beschwerden führen kann. Vor allem bei Kindern kann es dadurch zu Hänseleien oder zu Mobbing kommen, sodass diese psychische Verstimmungen und Depressionen entwickeln. Weiterhin verzögert die Dysarthrie die Entwicklung des Kindes erheblich und sollte aus diesem Grund schon früh behandelt werden.
Eine frühzeitige Behandlung wirkt sich in jedem Fall sehr positiv auf den Verlauf der Erkrankung aus und kann dabei Beschwerden im Erwachsenenalter verhindern. In der Regel erfolgt die Behandlung durch verschiedene Therapien und Übungen. Hierbei kann nicht vorhergesagt werden, wie lange die Behandlung andauern und ob sie zu einem Erfolg führen wird. In den meisten Fällen können die Beschwerden jedoch gut gelindert werden. Die Dysarthrie hat keinen Einfluss auf die Lebenserwartung des Patienten.
Vorbeugung
Da neurologische Erkrankungen kaum vorgebeugt werden können, ist die Dysarthrie als Folgeerkrankung ebenso wenig präventiv beizukommen. Daher bleibt lediglich eine gesunde Lebensführung mit mäßigem Alkoholkonsum und einer ausgewogenen Ernährung als Maßnahme, einer möglichen neurologischen Schädigung vorzubeugen.
Nachsorge
Bei der Dysarthrie stehen dem Betroffenen in der Regel kaum Möglichkeiten der Nachsorge zur Verfügung. Der Patient ist dabei ausschließlich auf eine intensive Behandlung durch einen Arzt angewiesen, um die Beschwerden zu lindern und weiterhin auch einen gewöhnlichen Alltag zu ermöglichen. Eine Selbstheilung kann bei dieser Krankheit nicht eintreten.
Die Betroffenen sind in ihrem Alltag und in der Regel auch in ihrem gesamten Leben auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Dabei wirkt sich in erster Linie die liebevolle Pflege und Unterstützung durch die eigene Familie und durch Freunde positiv auf den weiteren Verlauf der Dysarthrie aus und kann andere Beschwerden verhindern. Sollte es beim Patienten mit der Dysarthrie zu einem Kinderwunsch kommen, kann eine genetische Beratung ratsam sein.
Dadurch kann das Vererben des Syndroms an die Nachfahren möglicherweise verhindert werden. In vielen Fällen müssen die Eltern mit dem betroffenen Kind eine intensive Therapie durchführen. Dabei sollten sich auch die Eltern mit den Beschwerden der Erkrankung vertraut machen, um das Kind auch richtig zu verstehen und auf die Wünsche des Kindes eingehen zu können. Ob es durch die Dysarthrie zu einer verringerten Lebenserwartung des Patienten kommt, kann leidet nicht universell vorhergesagt werden.
Das können Sie selbst tun
Da eine bestehende Dysarthrie die Lebensqualität erheblich einschränkt, sollten Betroffene eine professionelle Behandlung in Anspruch nehmen. Die Sprach- und Physiotherapie baut jedoch auf zwei Säulen: zum einen die Behandlung beim Therapeuten und zum anderen die täglichen Übungen daheim. Somit können die Patienten viel selbst tun, um die Einschränkung zu verbessern.
In den meisten Fällen steht der Körper unter zu starker Spannung. Mit Hilfe von Physiotherapie wird versucht die Körperhaltung zu korrigieren und Spannung abzubauen. Auch Massagen und andere Achtsamkeitsübungen wie Yoga oder Chi Gong können für eine seelische wie körperliche Entspannung sorgen. Weitere effektive Methoden sind das Autogene Training sowie die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen.
Beides lässt sich leicht erlenen und daheim anwenden. Einen wichtigen Aspekt stellt auch die bewusste Atmung dar: Der Luftstrom sollte gezielt und kontrolliert nicht nur für die Atmung sondern auch für das Sprechen genutzt werden. Weiterhin führen Logopäden Stimmübungen mit den Patienten durch. Diese sollten auch daheim regelmäßig wiederholt werden.
Der psychische Aspekt ist generell nicht zu unterschätzen. Neben einer ergänzenden Psychotherapie oder der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe – je nach Sprechvermögen und Schwere der Erkrankung – kommt dem sozialen Umfeld des Betroffenen eine große Bedeutung zu. Bekannte, Familie und Freunde sollten den Patienten ermutigen und für die Übungen motivieren, auch wenn der Erfolg nur langsam eintritt.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013