Extrapyramidalmotorisches System

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 28. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die menschliche Motorik wird über ein Zusammenspiel der beiden Pyramidenbahnen und der drei extrapyramidalen Nervenbahnen im Rückenmark gesteuert. Das extrapyramidale oder extrapyramidalmotorische System ist in diesem Rahmen vor allem für unwillkürliche und automatisierte Bewegungen zuständig. Bei entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, aber auch bei Traumata können die extrapyramidalen Bahnen Schaden nehmen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Extrapyramidalmotorische System?

Die Aufgabe des extrapyramidalen System ist die Bewegungskontrolle. Es realisiert unbewusste und automatisierte Bewegungen, wie das Mitpendeln der Arme beim Laufen.
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Das extrapyramidalmotorische oder auch extrapyramidale System bilden drei motorische Rückenmarksbahnen. Diese Bahnen sind speziell für unwillkürliche Bewegungen der Skelettmuskulatur zuständig. Davon zu unterscheiden sind die beiden Pyramidenbahnen, die ebenfalls durch das Rückenmark laufen.

Sie dienen anders als das extrapyramidale System der willkürlichen Bewegung. Beide motorischen Systeme zählen zum somatomotorischen System und ermöglichen gemeinsam die Bewegungen und Hemmungen der Skelettmuskulatur. Ein extrapyramidales System weisen fast ausschließlich Primaten auf. Wirbeltiere haben zum Beispiel nicht einmal motorische Pyramidenbahnen.

Das motorische Rückenmarkssystem für unwillkürliche Bewegungen der Skelettmuskulatur geht beim Menschen vom motorischen Cortex des Gehirns aus. Es handelt sich dabei um die Brodmann-Areale sechs und acht, die auch als areae extrapyramidales bekannt sind. Auch zu anderen Kernbereichen des Gehirns stehen die motorischen Bahnen in Verbindung, so zum Beispiel zu den sogenannten Basalganglien.

Anatomie & Aufbau

Anders als die Pyradmidenbahnen sind die extrapyramidalen Bahnen nicht in Pyramidenform verschaltet. Zum extrapyramidalen System zählen neben dem Tractus rubrospinalis der Tractus vestibulospinalis und der Tractus reticulospinalis. Letzterer besteht selbst aus dem medialen Reticulospinaltrakt und dem lateralen Reticulospinaltrakt.

Der Tractus vestibulospinalis zieht sich ungekreuzt vom der Rautengrube aus ins Rückenmark. Der Tractus rubrospinalis entspringt dem Kern des Hirnstamms und kreuzt in das ventrale Rückenmark, wo er nach unten läuft. Der laterale Reticulospinaltrakt des Tractus reticulospinalis entspringt dem Gehirnbereich zwischen Mittelhirn und Rückenmark. Der lateral und ungekreuzt verlaufende mediale Reticulospinaltrakt stammt aus der sogenannten Brücke des zentralen Nervensystems. Die Bahnen sind je mit mehreren Umschaltstellen im Sinne von synaptischen Nervenendigungen ausgestattet.

Funktion & Aufgaben

Die Aufgabe des extrapyramidalen System ist die Bewegungskontrolle. Es realisiert unbewusste und automatisierte Bewegungen, wie das Mitpendeln der Arme beim Laufen. Auch gröber erscheinende Bewegungen des Rumpfes und der Extremitäten werden innerhalb der Strukturen initiiert, so beispielsweise die automatisierte Halte- und Stützmotorik sowie die Massenbewegung. Das extrapyramidale System ist außerdem für die Aufrechterhaltung der unbewussten Muskeleigenspannung verantwortlich.

In diesem Zusammenhang lässt sich von einer Vernetzung mit dem Muskelsinn sprechen. Auch mit dem visuellen System, dem Gleichgewichtssinn und dem Sinn für die eigene Raumlage sind diese motorischen Bahnen aber vernetzt. Speziell die Verbindungen zum Kleinhirn lassen die Bahnen so automatische Korrekturen der Körperhaltung vornehmen und harmonische Bewegungen realisieren. Der Tractus vestibulospinalis ist für die Aktivierung der Motoneuronen und die Hemmung der Flexoren zuständig.

Der Tractus rubrospinalis hemmt dagegen die Extensoren, aktiviert die Flexoren und ist als einziger extrapyramidaler Nerv an der Feinmotorik beteiligt. Im Großen und Ganzen erhalten die Motoneuronen der Muskeln über die motorischen Nervenbahnen des Rückenmarks also einen Befehl aus dem Gehirn. Die Motoneuronen sind efferente Nerven, die die gesamte Muskulatur durchziehen und für die Bewegung unabkömmlich sind. Die verbundenen Gehirnregionen übernehmen so die Schaltung der drei extrapyramidalen Motorikbahnen und planen die Kontaktaufnahme mit bestimmten Motoneuronen.

In den Basalganglien des Gehirns findet so zum Beispiel die Auswahl und Prozessierung aktuell erforderlicher Bewegungen statt. Hier wird unter anderem geplant, nach einem Gegenstand im Gesichtsfeld zu greifen. Die motorischen Bahnen des Rückenmarks sind aber auch an der Hemmung bestimmter Motoneuronen beteiligt, so speziell an der des ersten Motoneurons. Sie kontrollieren damit die Bewegungswillkür der Pyramidenbahnen. Der Informationsaustausch zwischen dem Gehirn und dem extrapyramidalen System findet biochemisch vor allem über den Neurotransmitter Dopamin statt.


Krankheiten

Eine der bekanntesten Erkrankungen des extrapyramidalen Systems ist das extrapyramidale Syndrom. Bei dieser Erkrankung wird das erste Motoneuron nicht mehr gehemmt. Ataxie, Tremor, Starthemmungen und die Neigung zum Hinfallen gehören zu den wichtigsten Symptomen dieser Erkrankung. Letztlich können in diesem Zusammenhang sowohl stark gesteigerte, als auch stark gehemmte Bewegungsabläufe stattfinden. Auch im Zuge der entzündlichen Nervensystemerkrankung Multiple Sklerose kann das extrapyramidale System Schaden nehmen.

In diesem Fall bildet sich in den drei motorischen Rückenmarksbahnen oder den vernetzten Hirnsphären eine Entzündung, die nach Abheilen im Extremfall bleibende Schäden hinterlässt. Bei einer Entzündung der drei Motorikbahnen geht immer Gewebe zugrunde. Insbesondere wenn die Entzündung zu lange bestehen bleibt, kann der Körper die Verluste dieses Gewebes nicht mehr ausgleichen. Entzündliche Schädigungen des extrapyramidalen Systems äußern sich meist in einer verlangsamten Reizübertragung und Reaktionsfähigkeit.

Auch ein Verlust oder eine Steigerung der Muskeleigenspannung können sich im Rahmen einer Schädigung einstellen. Zum Teil sind zudem die Haltungs- und Stellungsreaktionen gestört. Wenn statt dem extrapyramidalen System die Pyramidenbahnen von Schädigungen betroffen sind, dann stellen sich dagegen sogenannte Pyramidenbahnzeichen ein. Solche Pyramidenbahnzeichen entsprechen insbesondere gestörten Körperreflexen, wie seitendifferenten Fußreflexen oder nicht-erschöpfbaren Reflexen der Hand.

Die Unterscheidung von extrapyramidalen Symptomen und pyramidalen Symptomen kann für den Neurologen in Zusammenhang mit Multipler Sklerose beispielsweise eine prognostische Bedeutung haben. So sollen Pyramidenbahnzeichen in den ersten Jahren der Erkrankung ein prognostisch eher ungünstiges Zeichen sein.

Quellen

  • Frotscher, M., et al.: Taschenatlas Anatomie, Band 3: Nervensystem und Sinnesorgane. Thieme, Stuttgart 2018
  • Piper, W.: Innere Medizin. Springer, Berlin 2013
  • Zilles, K. et al.: Anatomie. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2010

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