Gleichgewichtsfähigkeit
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Viele sportliche Höchstleistungen sind von einer außergewöhnlichen Gleichgewichtsfähigkeit geprägt. Andererseits können Störungen die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
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Was ist die Gleichgewichtsfähigkeit?
Die Möglichkeit den Körper in einem Gleichgewichtszustand zu halten oder nach einer Änderung wieder dorthin zu bringen wird als Gleichgewichtsfähigkeit bezeichnet. Sie wird den koordinativen Eigenschaften zugeordnet.
Der Gleichgewichtssinn im Ohr und die zuständigen Zentren im Kleinhirn bilden gemeinsam mit den anderen Informationssystemen die Grundvoraussetzung für eine gute Gleichgewichtsfähigkeit. Daneben entscheiden jedoch auch die individuellen motorischen Fähigkeiten und der Trainingszustand darüber, ob jemand in der Lage ist, Gleichgewichtsreaktionen erfolgreich auszuführen.
Es werden 3 Arten von Gleichgewichtsfähigkeit unterschieden. Die statische beschreibt die Fertigkeit, eine relative Ruhestellung eine Zeit lang einzuhalten. Eine totale Ruheposition ist in Körperstellungen wie Stehen, Einbeinstand oder Knien nicht möglich. Es sind immer wieder kleine Korrekturbewegungen notwendig. Die dynamische Gleichgewichtsfähigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass während einer Positionsveränderung eine stabile Gleichgewichtslage gehalten oder danach wieder eingenommen werden kann. Die Fähigkeit einen Gegenstand mit dem Körper balancieren zu können, wird objektbezogene Gleichgewichtsfähigkeit genannt. Die allgemeinen Körperreaktionen, die bei üblichen Aktivitäten des Alltags zum Erhalt des Gleichgewichts notwendig sind, laufen völlig automatisiert und unbewusst ab.
Funktion & Aufgabe
Bei normalen Aktivitäten des alltäglichen Lebens müssen vor allem die Schwerkraft und die Trägheit des Körpers überwunden werden. Dies lässt sich gut am Beispiel des Gehens verdeutlichen, gilt aber grundsätzlich für alle Bewegungsvorgänge. Beim normalen Gang wird der Rumpf in der Aufrichtung stabilisiert mit nur wenig Abweichung zur Seite, während die Beine mit möglichst sparsamen Bewegungsamplituden koordiniert bewegt werden. Die Projektion des Körperschwerpunkts bleibt möglichst immer im Bereich der Unterstützungsfläche. Der Gang ist dadurch sicher und über lange Zeit ohne große Anstrengung durchführbar, wenn die motorischen Eigenschaften entsprechend verfügbar sind.
Veränderungen der Umgebungseigenschaften können die Anforderungen an das Gleichgewicht deutlich erhöhen. Unebene, wacklige Untergründe in verschiedenen Geländeformen oder das Gehen oder Klettern auf schmalen Pfaden fordern die motorischen Möglichkeiten deutlich mehr und haben zur Folge, dass die Steuerung nicht mehr vollautomatisiert abläuft, das Bewusstsein wird dann eingeschaltet. Berufsgruppen wie Dachdecker sind solchen Gleichgewichtsanforderungen in besonderem Maße ausgesetzt.
Bei sportlichen Aktivitäten, besonders bei Spitzensportlern ist die Gleichgewichtsfähigkeit oft ein entscheidender Faktor, der über Erfolg oder Nichterfolg entscheidet. Die entsprechenden motorischen Eigenschaften müssen im Zusammenhang mit den benötigten Bewegungsabläufen immer wieder in sportartspezifischen Situationen trainiert werden. Häufig sind es schnelle Drehbewegungen wie beim Salto, Handstandüberschlag oder bei Pirouetten, extreme Stabilisationsanforderungen wie beim Handstand oder eine Kombination aus beiden Anforderungen, die die Gleichgewichtsfähigkeit in höchstem Maße fordern.
Für solche Höchstleistungen sind entsprechende Fähigkeiten im Bereich der Kraft, der Schnellkraft, der Schnelligkeit und der Koordination gefragt. Darüber hinaus muss die Kommunikation mit den neuronalen Steuerungssystemen optimal funktionieren und trainiert sein. Dazu genügt es nicht, die Bewegungsabläufe, die gefordert sind, immer wieder stupide zu üben. Insbesondere für die Optimierung des Nerv-Muskel- Zusammenspiels ist es wichtig, immer wieder neue Anforderungen und Reize für die verschiedenen Sinnessysteme ins Training einzubauen und Variationen zu kreieren, die die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern und die neuronale Aktionsbereitschaft bahnen.
Krankheiten & Beschwerden
Die Schonhaltung und das Schonverhalten führen in diesen Fällen zu einem Verlust der Kraft und der Bewegungserfahrung. Zunächst machen sich solche Defizite bemerkbar bei hohen Anforderungen an die Balancefähigkeit, im weiteren Verlauf aber auch bei einfachen Beanspruchungen wie dem Gehen oder Stehen. Der Einbeinstand oder das einbeinige Hüpfen sind typische Belastungsfomen, bei denen sich dieser Funktionsverlust zeigt.
Alle Arten von Schwindel haben unmittelbare Auswirkungen auf die Gleichgewichtsfähigkeit. Die Sinnesinformationen liefern den betroffenen Menschen ein verändertes Bild der Umgebungswahrnehmung, die Steuerung von Gleichgewichtsreaktionen ist oft nicht mehr möglich. Eine häufige Form des Schwindels ist der paroxysmale Lagerungsschwindel, bei dem es durch Ablagerungen in der Endolymphe des Gleichgewichtsorgans im Ohr zu Irritationen bei Lageveränderungen kommt.
Neurologische Erkrankungen können das motorische System oder das Steuerungssystem oder beide betreffen und zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gleichgewichtsfähigkeit führen. Polyneuropathien rufen eine schlaffe Lähmung der Fußmuskulatur hervor, häufig verbunden mit einer Störung der Sensibilität. Ausgleichsbewegungen im Gehen und im Stand können dann nicht oder nur noch unzureichend erfolgen, Gleichgewichtsreaktionen über die Steuerung der Fußmuskulatur fallen aus. Der Gang wird zunehmend unsicher und ist irgendwann nur noch mit Hilfsmitteln möglich.
Erkrankungen des Kleinhirns wie die Ataxie oder ein Hirntumor beeinflussen die Steuerung der Muskeln, die für den Erhalt des Gleichgewichts zuständig sind, in erheblichem Maße. Die Folgen sind ähnlich wie bei der Polyneuropathie, jedoch deutlich gravierender. Das gleiche gilt für die Multiple Sklerose und andere neurologische Erkrankungen.
Die Gleichgewichtsfähigkeit lässt grundsätzlich im Alter nach, da einerseits die muskulären Fähigkeiten abnehmen und andererseits die Hirnleistungen und die Impulsraten des Nerv-Muskel-Systems nachlassen. Diese Aussage ist allerdings relativierbar, da die Leistungsfähigkeit in direkter Relation zum Trainingszustand steht. Auch im Alter sind die motorischen Eigenschaften trainierbar, besonders die Kraft. Je früher das systematische Training begonnen wird, desto geringer ist die Gefahr im hohen Alter an Leistungsfähigkeit und Lebensqualität einzubüßen.
Quellen
- Benninghoff/Drenckhahn: Anatomie Band 2. Urban & Fischer, München 2008
- Boenninghaus, H. G., Lenarz, T.: Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Springer, Heidelberg 2012
- Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010