Kiefergelenkserkrankungen
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 2. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Kiefergelenkserkrankungen sind in aller Regel auf ein gestörtes Zusammenspiel von Zähnen, Kiefergelenken und Kiefermuskulatur zurückzuführen. Etwa 70 Prozent der Deutschen sind von Schmerzen unterschiedlicher Ausprägung im Nacken-, Kopf- und Gesichtsbereich betroffen, die in vielen Fällen auf Funktionsstörungen bzw. Erkrankungen des Kiefergelenks zurückgeführt werden können.
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Was sind Kiefergelenkserkrankungen?
Als Kiefergelenkserkrankungen (auch Craniomandibuläre Dysfunktion) werden unterschiedliche Fehlfunktionen im Zusammenwirken von Unter- und Oberkiefer bezeichnet, die auf Funktionsstörungen der Zähne, Kiefergelenke und/oder der Kiefermuskulatur zurückzuführen sind.
Fehlfunktionen des Kiefergelenks können sich anhand von Schmerzen im Wangen- und Augenbereich, eingeschränkter Kieferöffnung, Zähneknirschen (Bruxismus), Sprachproblemen, Migräne, Kopf- und Gliederschmerzen, Kiefer(gelenk)schmerzen, Knacken des Kiefergelenks, Ohrenschmerzen und Tinnitus, Nackenverspannungen, verhärteter Muskulatur, Blockaden der Wirbelsäule, Schluckbeschwerden, Schulterschmerzen bis hin zu Schwindel, Konzentrationsschwäche, Übermüdung und Schlafstörungen manifestieren.
Ursachen
Orthopädische Fehlstellungen wirken sich auf die gesamte Statik des menschlichen Körpers aus und können zusätzlich Kiefergelenkserkrankungen auslösen. So können Fehlstellungen des Rückens, des Knie- oder Fußgelenks sowie Beinlängendifferenzen und Beckenschiefstände zu Kiefergelenkfehlstellungen führen.
Ebenso können rheumatische oder verschleißbedingte (Arthrose) Beeinträchtigungen sowie Nervenschmerzen (u.a Trigeminusneuralgie) bzw. Neuropathien Kiefergelenkserkrankungen und eine korrespondierende Schmerzsymptomatik bedingen. Psychische Faktoren wie Stress, belastende Lebensbedingungen und/oder Anspannung werden in vielen Fällen über die Zähne abgeleitet und verursachen bei den Betroffenen ein verstärktes Zusammenbeißen der Zähne und (nächtliches) Zähneknirschen (Bruxismus).
Schlecht angepasste Brücken oder Kronen, defizitäre Füllungen, Fehlstellungen von Zähnen oder der Kiefer, Zahnsubstanzverlust (Abrasion) infolge von Karies können zudem Kiefergelenkserkrankungen nach sich ziehen.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Erkrankungen des Kiefergelenks können ganz unterschiedliche Symptome und Beschwerden hervorrufen. Im Allgemeinen treten Kieferschmerzen auf, die im Bereich des betroffenen Gelenks lokalisiert sind und bis zu Ohren ausstrahlen können. Des Weiteren kann es zu Schluckbeschwerden, nächtlichem Zähneknirschen und einem verstärkten Speichelfluss kommen. Auch die Augen können betroffen sein, wodurch es etwa zu Sehstörungen und Augenschmerzen kommen kann.
Kiefergelenkserkrankungen können außerdem Schwindel, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen und Mattigkeit hervorrufen. Schwere Erkrankungen gehen mit Bewegungseinschränkungen einher. Die Betroffenen können den Kiefer oder den Hals dann nur noch eingeschränkt bewegen, wobei jede Bewegung Schmerzen verursacht. Wird die Erkrankung nicht behandelt, können sich ernste Komplikationen einstellen.
So kann es durch andauerndes Zähneknirschen zu chronischen Zahnschmerzen und schließlich zu einem Abrieb an den Zähnen kommen, der oft in Nervenschädigungen und Problemen bei der Nahrungsaufnahme resultiert. Eine Fehlstellung der Zähne kann neben den körperlichen Folgeerscheinungen auch seelische Beschwerden wie zum Beispiel Minderwertigkeitskomplexe hervorrufen.
Äußerlich ist eine Kiefergelenkserkrankung meist nicht zu erkennen. Entzündungen äußern sich allerdings durch sichtbare Schwellungen und Rötungen, selten bilden sich auch Zysten, oder es kommt zu Zahnfehlstellungen. Frakturen sind durch eine sichtbare Fehlstellung des Kiefers zu erkennen.
Diagnose & Verlauf
Die klinischen Symptome geben erste Hinweise auf mögliche Kiefergelenkserkrankungen. Eine klinische Funktionsanalyse und somatische (körperliche) Untersuchung der Kiefermuskulatur, Kiefergelenke sowie Kieferöffnung ermöglichen Aussagen zu eventuellen Fehlfunktionen sowie zum Zusammenspiel von Zähnen, Kiefergelenk, Kiefer und Muskulatur.
Durch eine röntgenologische Panoramaschichtaufnahme des gesamten Kiefers können kieferchirurgische Ursachen der Kiefergelenkserkrankung festgestellt werden. Im Rahmen instrumenteller Funktionsanalysen können die Kiefergelenke genau vermessen und anschließend passgenaue Modelle der Kiefer angefertigt werden.
Mit Hilfe eines Axiographs können die Unterkieferbewegungen und Gelenkpositionen exakt analysiert werden, um anhand der Messwerte mit einem Artikulator (Kausimulator) die optimale Lage von Kiefer und Zähnen des spezifisch Betroffenen zu simulieren. Darüber hinaus werden Fragebögen zur Feststellung möglicher psychosozialer Einflussfaktoren für die Kiefergelenkserkrankung eingesetzt.
Bei konsequenter und gegebenenfalls interdisziplinär angelegter Therapie (auch Eigentherapie) sind Kiefergelenkserkrankungen gut therapierbar und weisen einen günstigen Verlauf mit einer deutlichen Symptomverbesserung innerhalb von wenigen Wochen auf.
Komplikationen
In der Nacht leiden viele Patienten auch am sogenannten Zähneknirschen, was zu verschiedenen Beschwerden an den Zähnen führen kann. Ebenso kommt es zu Schwindel oder zu einer allgemeinen Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Die Patienten leiden an Sehstörungen und an Konzentrationsstörungen. In einigen Fällen treten auch Bewegungseinschränkungen beim Patienten auf.
Durch eine Fehlstellung der Zähne kann es gegebenenfalls zu ästhetischen Beschwerden und Einschränkungen kommen, die nicht selten zu psychischen Beschwerden oder zu Minderwertigkeitskomplexen führen. Mit Hilfe von Operationen oder Therapien können Kiefergelenkserkrankungen relativ gut behandelt werden.
Zu Komplikationen kommt es dabei in der Regel nicht. Oftmals werden die Behandlungen schon im Kindesalter durchgeführt, damit es nicht zu Beschwerden im Erwachsenenalter kommt. Die Lebenserwartung wird durch die Kiefergelenkserkrankungen nicht verringert.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Schmerzen im Bereich der Zähne, des Zahnfleisches oder des Kiefers müssen von einem Arzt abgeklärt werden. Da in dieser Körperregion im Normalfall keine Spontanheilung eintritt, sollte schnellstmöglich ein Arztbesuch erfolgen. Kommt es zu Unregelmäßigkeiten des Kauvorgangs, Problemen bei der Zerkleinerung der aufgenommenen Nahrungsmittel oder Auffälligkeiten der Lautgebung, wird ein Arzt benötigt.
Unregelmäßigkeiten beim Tragen von Zahnspangen oder eingesetztem Zahnersatz sind kontrollieren und korrigieren zu lassen. Wird die Zufuhr von Lebensmitteln oder Flüssigkeiten verweigert, entwickelt sich eine Überempfindlichkeit gegenüber Nahrungsmitteln oder kommt es zu einer Fehlstellung des Kiefers, wird ein Arzt benötigt. Ein Arztbesuch ist ebenfalls anzuraten, sobald sich vorhandene Schmerzen in andere Bereiche des Oberkörpers ausbreiten. Kommt es zu Kopfschmerzen, schmerzenden Ohren oder Augen, sollte ein Arzt konsultiert werden. Schlafstörungen, Verspannungen im Nacken oder den Schultern sowie Störungen der Konzentration sind untersuchen und behandeln zu lassen.
Werden Deformierungen des Gesichts oder Verfärbungen der Gesichtshaut bemerkt, ist ein Arzt aufzusuchen. Schwellungen im Mund, Veränderungen der Schleimhäute und Störungen der Speichelproduktion sind Hinweise, die von einem Arzt begutachtet werden sollten. Blutungen, Eiterbildung oder Bläschen und Pickel im Mund bedürfen einer ärztlichen Behandlung. Entwickeln sich die Beschwerden langsam und allmählich, weisen sie auf eine Erkrankung hin, die behandelt werden muss.
Behandlung & Therapie
Die therapeutischen Maßnahmen korrelieren bei Kiefergelenkserkrankungen mit den jeweils zugrundeliegenden Ursachen und zielen auf eine dauerhafte und langfristige Beschwerdefreiheit.
Zur Abstimmung zwischen Biss- und Körperstatik sowie Entlastung der Kaumuskulatur und Kiefergelenke kommen oftmals individuell angepasste Okklusionsschienen (Aufbiss- bzw. Knirscherschienen) zum Einsatz. Physiotherapeutische Maßnahmen werden zur Reduzierung muskulärer Verspannungen, gezielten Kräftigung der Kaumuskulatur sowie Beseitigung von Fehlstellungen und/oder Funktionsstörungen des Kiefergelenks angewandt.
Im Rahmen ganzheitlicher kieferorthopädischer Therapieansätze wie beispielsweise eine Bionatortherapie werden Zahn- und Kieferfehlstellungen, Beeinträchtigungen der Zungen- und Schluckfunktion sowie insuffiziente Lippenschlüsse korrigiert, wobei diese in aller Regel gleichzeitig mit möglichen Fehlstellungen der Wirbelsäule und des Beckens behandelt werden. Hierzu werden unter anderem zusätzlich Massagen, Dehnungen sowie Übungen zur Nacken-, Schulter- und Rückenkräftigung angewandt.
Daneben werden im Rahmen einer Selbstbehandlung weiche Nahrung, Kälte- und Wärmeanwendungen sowie eigenständig weitergeführte Dehn- und Entspannungsübungen, insbesondere bei einer psychosozial bedingten Kiefergelenkserkrankung, empfohlen. In einigen Fällen sind schmerz- und entzündungshemmende und/oder muskelrelaxierende Medikamente erforderlich, um eine Schmerzchronifizierung zu vermeiden.
Elektromedizinische Maßnahmen wie Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) können zusätzlich zur Muskelentspannung und Schmerzreduzierung beitragen. Darüber hinaus wird die Triggerpunkttherapie zur Beseitigung myofaszialer Verhärtungen zur Therapie von Kiefergelenkserkrankungen diskutiert.
Umfassende und weitreichende chirurgische oder kieferorthopädische Eingriffe (u.a. Einschleiftherapie bei Okklusionsstörungen, Arthroplastik oder Resektion des Gelenkkopfes bei Arthrosis deformans, Verriegelungsoperation bei Luxationen) sollten hingegen lediglich bei strenger Indikationsstellung bei Kiefergelenkserkrankungen in Betracht gezogen werden.
Aussicht & Prognose
Die Prognose von Kiefergelenkserkrankungen hängt von vielen Faktoren ab. Hierzu gehören das Alter der Betroffenen und der Grad der Ausprägung des Erkrankungsbildes. Auch die Mitarbeit der Patienten ist wichtig. Ein Beispiel: Oft ist ein Fehlbiss die Folge von Kiefergelenkserkrankungen und der Patient erhält eine Aufbissschiene oder ähnliche Korrekturformen zum Tragen. Diese können nur richtig wirken, wenn sie regelmäßig in den Mund eingesetzt werden. Die Therapie ist also eng mit der Prognose verknüpft.
Das Gleiche gilt auch für die CMD (Craniomandibuläre Dysfunktion), bei der Fehlstellung des Kiefers andere Beschwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen, Nackenverspannungen und nächtliches Knirschen mit den Zähnen auslösen kann. Ein Fehlbiss kann Fehlhaltungen auslösen, die muskuläres Training nötig machen können. Hier sind nicht nur regelmäßige Besuche beim Physiotherapeuten durch den Patienten nötig, sondern auch Mitarbeit, das Erlernte zu Hause regelmäßig weiterzuüben, um das Training möglichst erfolgreich zu gestalten. Auch hier ist die Prognose von der Regelmäßigkeit und der Qualität der Behandlung deutlich abhängig.
Da viele Kiefergelenkerkrankungen in Kindes- und Jugendalter entstehen, ist die Prognose auch davon abhängig, dass frühzeitig und regelmäßig der Zahnarzt aufgesucht wird. Der Kinderzahnarzt kann bei Bedarf zum Kieferorthopäden überweisen. Die frühe Behandlung bei noch wachsendem Kiefer ist aussichtsreich und mit einer guten Prognose verknüpft.
Vorbeugung
Kiefergelenkserkrankungen kann beispielsweise durch Aufbiss- bzw. Knirschschienen vorgebeugt werden, da diese abrasiven Verschleiß (Substanzverlust der Zähne) reduzieren. Zudem schützen Entspannungstechniken und ein verbesserter Umgang mit psychosozialem Stress vor Bruxismus (Zähneknirschen). Ebenso sollten rheumatische bzw. verschleißbedingte Erkrankungen sowie körperstatische Fehlstellungen zur Vorbeugung vor Kiefergelenkserkrankungen frühzeitig und konsequent therapiert werden.
Nachsorge
In den meisten Fällen sind die Maßnahmen einer Nachsorge bei den Kiefergelenkserkrankungen stark eingeschränkt, sodass bei diesen Krankheiten in erster Linie schnell ein Arzt aufgesucht werden muss. Eine frühe Diagnose wirkt sich dabei in der Regel immer sehr positiv auf den weiteren Verlauf dieser Krankheit aus und kann dabei auch weitere Komplikationen und andere Beschwerden verhindern.
Eine Selbstheilung kann bei den Kiefergelenkserkrankungen in der Regel nicht eintreten, sodass Betroffene bei dieser Krankheit auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen sollten. In den meisten Fällen sind die Patienten bei den Kiefergelenkserkrankungen auf einen operativen Eingriff angewiesen, welcher die Beschwerden dauerhaft lindern kann. Dabei sollte sich der Betroffene nach dem Eingriff auf jeden Fall ausruhen und seinen Körper schonen.
Hierbei ist von Anstrengungen und anderen stressigen oder körperlichen Tätigkeiten abzusehen. Bei der Einnahme von Antibiotika sollte darauf geachtet werden, dass diese nicht zusammen mit Alkohol eingenommen werden sollten. Im Allgemeinen können auch viele Übungen zur Entspannung die Kiefergelenkserkrankungen lindern und damit auch die Lebensqualität der Betroffenen wieder deutlich erhöhen. Auch die Lebenserwartung wird durch diese Beschwerden in der Regel nicht verringert.
Das können Sie selbst tun
Kiefergelenkserkrankungen decken ein breites Spektrum möglicher Beschwerden ab, sodass Möglichkeiten zur Linderung im individuellen Einzelfall verschieden ausfallen. Grundsätzlich führen Kiefergelenkserkrankungen oft zu Verspannungen und Schmerzen, gegen die sich eigenverantwortlich Maßnahmen ergreifen lassen. In Betracht kommen Übungen zur Kräftigung der Muskulatur im Bereich des Kiefers. Der Patient trainiert die Übungen unter Anleitung eines Physiotherapeuten und ist dann in der Lage, sie zu Hause in seinen Alltag zu integrieren. Dadurch nehmen Schmerzen mitunter ab oder die Kiefergelenkserkrankung verschlimmert sich weniger schnell.
Wichtig ist auch ein adäquater Umgang mit Stress im Alltag, da sich seelische Anspannungen oft in Verspannungen des Kiefers niederschlagen und sich bei einigen Menschen in nächtlichem Zähneknirschen äußern. Ist ein solches Knirschen nicht vermeidbar, sind vorbeugend entsprechende Schienen nach ärztlicher Verordnung zu tragen.
Von Kiefergelenkserkrankungen Betroffene können durch äußere sowie innere Anwendungen Schmerzen lindern und Verspannungen im Kieferbereich reduzieren. Zur Applikation kommen Salben in Frage, etwa mit wärmenden oder kühlenden Effekten. Warme Tees und deren langsames Trinken entspannen den Kiefer und beeinflussen das Schmerzempfinden bestenfalls kurzfristig positiv. Auch wenn die Zähne nicht von der Kiefergelenkserkrankung betroffen sind, ist eine gründliche Mundhygiene für Patienten besonders wichtig, um Entzündungen im Kieferbereich vorzubeugen.
Quellen
- Gängler, P., et al.: Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie. Thieme, Stuttgart 2010
- Hausamen, J.-E., et al.: Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg 2012
- Kruse Gujer, A., Jacobsen, C., Grätz, K.W.: Facharztwissen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg 2013