Lathyrismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei Lathyrismus handelt es sich um ein Syndrom, das infolge einer langsamen Vergiftung auftritt; die Ursache hierfür liegt im übermäßigen Verzehr von bestimmten Platterbsen über einen längeren Zeitraum. Als Neuro-Lathyrismus schädigt die Krankheit das Nervensystem und führt zu einer chronischen spastischen Lähmung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Lathyrismus?

Saat-Platterbsen sehen den Samen der Kichererbsen sehr ähnlich. Wenn die Ernährung eines Menschen über mindestens sechs Monate zu mindestens 40 Prozent Erbsen und Platterbsen-Arten besteht, besteht für ihn ein hohes Risiko an Lathyrismus zu erkranken.
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Lathyrismus ist ein Syndrom, das von einer allmählichen Vergiftung hervorgerufen wird. Die Ursache der Vergiftung liegt in dem übermäßigen Verzehr bestimmter Erbsen über einen längeren Zeitraum hinweg. Lathyrismus tritt vor allem in Form des Neuro-Lathyrismus in Erscheinung. Dabei beeinträchtigt die Vergiftung das motorische Nervensystem und führt zu einer Vielzahl motorischer und sensorischer Symptome.

Insbesondere in geographischen Gebieten, die sich durch eine starke Trockenheit des Klimas auszeichnen, ist Lathyrismus verbreitet. Er kann die Ausmaße einer Epidemie annehmen, wenn aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen große Teile der Bevölkerung auf den Verzehr der Platterbsen und daraus hergestellter Lebensmittel (vor allem Mehl) angewiesen sind. Da die Platterbsen eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber Trockenheit besitzen, sind sie unter ungünstigen landwirtschaftlichen Bedingungen zuweilen das einzig verbleibende Hauptnahrungsmittel.

Während Lathyrismus in Europa tendenziell der Vergangenheit angehört, sind insbesondere aus Äthiopien, China, Indien und Bangladesch epidemische Ausmaße des Lathyrismus bekannt. Nicht nur Menschen erkranken am Lathyrismus; auch Tiere wie zum Beispiel Pferde können davon betroffen sein.

Ursachen

Lathyrismus ist auch unter der Bezeichnung „Kichererbsen-Vergiftung“ bekannt. Jedoch wird das Syndrom nicht durch übermäßigen Verzehr von Kichererbsen ausgelöst, sondern durch den der Platterbsen. Saat-Platterbsen sehen den Samen der Kichererbsen allerdings sehr ähnlich. Wenn die Ernährung eines Menschen über mindestens sechs Monate zu mindestens 40 Prozent Erbsen und Platterbsen-Arten besteht, besteht für ihn ein hohes Risiko an Lathyrismus zu erkranken.

Auch der Verzehr geringerer Mengen kann jedoch Symptome der Vergiftung auslösen. Platterbsen (Lathyrus) gehören zur Familie der Hülsenfrüchte und treten in zahlreichen Arten auf. Einige Arten enthalten vor allem in den Samen sogenannte lathyrogene Aminosäuren. Diese sind giftig und lösen beim Menschen die Erkrankung aus. Die Propionitril-Derivate der Pflanze wirken neurotoxisch: Sie schädigen die motorischen Nervenfasern, welche die Signale zur Kontraktion oder Entspannung vom Nervensystem an die Muskeln weiterleiten.

Durch die Störung der Signalübertragung beeinträchtigen die Propionitril-Derivate die Funktionsweise des Bewegungsapparats: Die Nervenfasern übertragen die Befehle des zentralen Nervensystems nicht oder unvollständig oder falsche Signale entstehen, die zu unbeabsichtigten Kontraktionen der Muskeln führen. Diese unwillkürlichen Bewegungen entziehen sich dabei der Kontrolle des Betroffenen.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Durch die Lathyrus-Vergiftung entstehen charakteristische Symptome wie Schmerzen, Gliederzucken und Krämpfe der Extremitäten. Auch schwache oder steife, unbewegliche Beine gehören zu den Symptomen des Lathyrismus. Ein weiteres Merkmal der Erkrankung sind sogenannte Parästhesien. Dabei handelt es sich um fälschliche Empfindungen wie zum Beispiel Kribbeln, Jucken und die Wahrnehmung von Kälte oder Wärme, denen kein tatsächlich vorhandener Reiz zugrunde liegt.

Die gestörte neuronale Übertragung kann darüber hinaus in selteneren Fällen zu einem Tremor der Arme führen. Bei einem Tremor leidet der Betroffene unter einem rhythmischen Zucken, in diesem Fall in der Muskulatur der Arme. In manchen Fällen können Betroffene den Tremor vorübergehend unterdrücken, jedoch nicht vollständig oder dauerhaft. Ein Tremor tritt nicht nur bei Lathyrismus auf; er stellt ein potenzielles Krankheitszeichen für zahlreiche Erkrankungen dar.

Bei einem Tremor durch Lathyrismus handelt es sich um einen sogenannten toxischen Tremor, den eine Vergiftung hervorruft. Beim Lathyrismus können sich außerdem Gefühlsstörung (Hypästhesie) manifestieren. Dabei handelt es sich um Störungen der Wahrnehmung von Berührungen und Druck auf der Haut. Zusätzlich kann die Temperatur-, Schmerz- und Lageempfindung beeinträchtigt sein. Auch akute Magen-Darm-Probleme sowie Störungen der Blasenfunktion können im Rahmen des Lathyrismus auftreten.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Für eine korrekte Diagnose spielt vor allem eine gute Anamnese eine entscheidende Rolle. Ohne Behandlung des Lathyrismus können sich die oben beschriebenen Symptome verstärken. Im späteren Krankheitsverlauf tritt möglicherweise eine Paraspastik auf: Eine spastische Lähmung beider Beine. Eine weitere potenzielle Folge des Lathyrismus stellt Erblindung in Gestalt einer retrobulbären Neuritis dar. Dabei handelt es sich um eine Entzündung des Sehnervs hinter dem Augapfel, welche die Erblindung verursacht.

Komplikationen

In den meisten Fällen kommt es beim Lathyrismus erst zu einer sehr späten Diagnose. Dies hat den Grund, dass die Beschwerden erst im Laufe der Zeit bemerkbar machen und nicht besonders charakteristisch für diese Krankheit sind. In den meisten Fällen leiden die Betroffenen dabei an Krämpfen und an unwillkürlichen Muskelzuckungen.

Mitunter können die Beine nur noch schwer bewegt werden und erscheinen sehr steif. Die Lebensqualität des Betroffenen wird durch den Lathyrismus deutlich verringert und eingeschränkt. Ebenso kommt es zu einem Jucken und Kribbeln an verschiedenen Regionen des Körpers. Die Wahrnehmung der Patienten wird durch diese Krankheit ebenfalls negativ beeinflusst.

Nicht selten treten auch Beschwerden an Magen und am Darm auf und die Betroffenen leiden an Einschränkungen der Blase. Im schlimmsten Fall kommt es ohne Behandlung des Lathyrismus zum Tode des Betroffenen. Eine direkte Behandlung der Beschwerden ist oft nicht möglich.

In der Regel muss der Betroffene beim Lathyrismus auf den heiligen Inhaltsstoff verzichten und den Verzehr der Bohnen absetzen. In den meisten Fällen können damit die Beschwerden eingeschränkt werden. Die Lebenserwartung wird in der Regel erst dann verringert, wenn der Verzehr nicht eingeschränkt wird und die Betroffenen weiterhin die Bohnen oder Samen zu sich nehmen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Bei Lathyrismus kommt es zu einer Reihe von charakteristischen Symptomen. Wenn Gliederzucken, Krämpfe oder ungewöhnliche Schmerzen bemerkt werden, sollte ein Arzt konsultiert werden. Selbiges gilt für schwache und unbewegliche oder versteifte Beine. Wenn zu diesen Symptomen Parästhesien hinzukommen, liegt womöglich eine ernste Erkrankung zugrunde, die abgeklärt werden muss. Personen, die wiederholt Zuckungen bemerken oder feststellen, dass die genannten Symptome zunehmen, sprechen am besten sofort mit dem Hausarzt. Spätestens, wenn Störungen der Blasenfunktion oder akute Magen-Darm-Beschwerden hinzukommen, muss mit dem Lathyrismus zum Arzt gegangen werden.

Der Mediziner kann die Ursache abklären und eine geeignete Therapie einleiten, durch welche die Symptome in der Regel rasch wieder abklingen. Weitere Arztbesuche sind erforderlich, wenn die Behandlung keine Wirkung zeigt oder sich nach einiger Zeit erneut Beschwerden einstellen. Der richtige Ansprechpartner ist der Allgemeinmediziner oder ein Internist. Allergiker sollten mit dem verantwortlichen Allergologen sprechen und diesen über die ungewöhnlichen Krankheitszeichen informieren. Kinder bedürfen bei Symptomen eines Lathyrismus immer einer kinderärztlichen Untersuchung.

Behandlung & Therapie

Beim Verzehr geringer Mengen von Lathyrus-Samen kommt als erste behandelnde Maßnahme die Gabe von Kohle in Betracht. Die Informationszentrale gegen Vergiftungen in NRW empfiehlt diese Maßnahme bei einer Dosis von 20 bis 50 Samen. Bei weniger als 20 Samen oder dem Verzehr der Blüten der Platterbse empfiehlt die Giftzentrale, viel Flüssigkeit zu trinken, sofern keine Symptome vorliegen.

Beim Auftreten von Symptomen ist ärztlicher Rat erforderlich. Eine spezifische Behandlung, insbesondere für Fortgeschrittenen Lathyrismus, existiert nicht. Grundsätzlich gehören jedoch eine Verbesserung der Ernährung sowie die Einnahme von hohen Dosen an Vitamin B zu den Maßnahmen, die verschiedene Quellen als sinnvoll erachten. Die genaue Therapie muss jedoch individuell von Ärzten festgelegt werden; die Wahl der Behandlungsmethode ist vor allem davon abhängig, in welchem Stadium sich die Erkrankung befindet und welche therapeutischen Maßnahmen vor Ort zur Verfügung stehen.


Aussicht & Prognose

Der Zeitpunkt der Behandlungsaufnahme ist ein wesentliches Kriterium für eine günstige Prognose. Wird gar auf eine Therapie verzichtet, verstärken sich die Beschwerden. Eine spastische Lähmung der Beine ist dann genauso möglich wie eine Erblindung. Die Nichtbehandlung ist damit mit den schlechtesten Aussichten verbunden. Langfristige Negativfolgen ergeben sich auch, wenn Personen über längere Zeit Platterbsen zu einem hauptsächlichen Nahrungsbestandteil gemacht haben.

In den Industrieländern tritt Lathyrismus fast nicht mehr auf. Vor allem in wirtschaftlich schwächeren Regionen in China und Indien ist die Erkrankung beheimatet. Historisch gesehen griff die Bevölkerung in Hungerperioden zu den Platterbsen, weil keine anderen Lebensmittel zur Verfügung standen. So ist es beispielsweise aus den napoleonischen Kriegen belegt. An der Kichererbsen-Vergiftung können auch Tiere erkranken.

Werden einmalig geringe Mengen konsumiert, lindert schon eine reichliche Wasserzufuhr die Symptome. Die Prognose im Frühstadium ist im Allgemeinen gut. Vorerkrankungen und ein hohes Lebensalter können jedoch Komplikationen hervorrufen. Eine Vergiftung wird von solchen Organismen nicht so gut verkraftet. Werden die Platterbsen über längere Zeit zu einem Hauptnahrungsbestandteil, muss mit irreparablen Langzeitschädigungen gerechnet werden.

Vorbeugung

Um Lathyrismus vorzubeugen, ist eine ausgewogene Ernährung und der Verzicht auf den (regelmäßigen) Verzehr der Platterbsen von großer Bedeutung. Jedoch tritt Lathyrismus vor allem in Notzeiten und in ärmeren Ländern auf, in denen die betroffenen Bevölkerungsschichten nicht die Wahl haben, auf die Platterbse als Nahrungsmittel zu verzichten.

Die grüne Gentechnik strebt langfristig an, Abhilfe für dieses Problem zu schaffen: Die giftigen Stoffe in den Samen der Lathyrus-Arten könnten mithilfe der Gentechnik eliminiert werden. Der durchbrechende Erfolg dieser Maßnahme steht jedoch noch aus.

Nachsorge

In den meisten Fällen sind die Maßnahmen einer Nachsorge bei einem Lathyrismus stark eingeschränkt, sodass Betroffene bei dieser Krankheit in aller erster Linie auf eine schnelle und vor allem auch auf eine frühzeitige Diagnose der Krankheit angewiesen sind. Hierbei kann es in der Regel nicht zu einer selbstständigen Heilung kommen, sodass eine Behandlung durch einen Arzt in der Regel immer notwendig ist.

Je früher ein Arzt aufgesucht wird, desto besser ist meist auch der weitere Verlauf der Erkrankung. Bei dieser Krankheit ist nicht immer eine direkte Behandlung notwendig. In vielen Fällen kann die Vergiftung auch durch die Einnahme von Kohle relativ gut wieder gelindert werden, wobei der Betroffene hier auf eine richtige Dosierung und auch auf eine regelmäßige Einnahme der Tabletten achten sollte.

Ebenso kann sich die Einnahme von Vitamin B über die Nahrung positiv auf den weiteren Verlauf des Lathyrismus auswirken und die Beschwerden lindern. Hierbei kann ein Arzt einen Ernährungsplan erstellen, der sich im Allgemeinen positiv auf den weiteren Verlauf der Krankheit auswirken kann. In der Regel verringert der Lathyrismus nicht die Lebenserwartung des Betroffenen.

Das können Sie selbst tun

Beim Verdacht auf eine Lathyrismus-Vergiftung muss auf jeden Fall ein Arzt konsultiert werden. Begleitend zur ärztlichen Therapie kann zu einigen Mitteln aus Haushalt und Natur gegriffen werden, um die Symptome und Beschwerden zu lindern.

Zunächst sollte der Betroffene sich allerdings schonen und auf eine ausgewogene und gesunde Diät achten. Die Ernährung sollte in den ersten Tagen nach der Vergiftung aus harntreibenden und abführenden Lebensmitteln bestehen, damit der Giftstoff möglichst rasch wieder ausgeschwemmt werden kann. Auch Lebensmittel, die viel Vitamin B enthalten, sollten in die Diät aufgenommen werden. So tragen Milchprodukte, Leber und Getreideprodukte dazu bei, dass der Körper trotz Vergiftung leistungsfähig bleibt und die Erkrankung ohne Folgen überwinden kann. Des Weiteren sollte ausreichend Flüssigkeit aufgenommen werden, am besten Wasser oder Kräutertees. Auch harntreibende Präparate aus der Drogerie eignen sich. Bei Magen-Darm-Beschwerden oder Kopfschmerzen helfen Präparate aus der Naturheilkunde, etwa Baldrian, Arnika oder Melisse sowie Präparate mit Ringelblumensalbe.

Die genaue Therapie muss gemeinsam mit einem Arzt festgelegt werden, der die Konstitution des Patienten und das Stadium, in dem sich der Lathyrismus befindet, miteinbeziehen wird.

Quellen

  • Arasteh, K., et. al.: Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Reichl, F.-X.: Taschenatlas der Toxikologie. Thieme, Stuttgart 2009

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