Nucleus caudatus
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Der Nucleus caudatus wird von einer Ansammlung von Nervenkernen gebildet. Er ist paarig ausgebildet und befindet sich an der unteren Seite jeder Großhirnhälfte, jeweils seitlich des Thalamus.
Der Nucleus caudatus wird den Basalganglien zugerechnet und ist damit Teil wichtiger Regelkreise innerhalb des extrapyramidalmotorischen Systems. Er ist außerdem stark vernetzt mit dem präfrontalen Cortex, dem Sitz des multisensorischen Bewegungs- und Episodengedächtnisses und der Steuerung und Überprüfung emotionaler Prozesse.
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Was ist der Nucleus caudatus?
Der paarig für jede Hirnhälfte separat angelegte Nucleus caudatus, auch einfach als Caudatus bezeichnet, wird von einer Ansammlung von Nervenkernen gebildet und ist Teil der sogenannten Basalganglien. Basalganglien übernehmen wichtige Regelkreisfunktionen im extrapyramidalmotorischen System. Der Caudatus ist von Nervenfasern umgeben, die als Streifen aus weißer Substanz erkennbar sind.
Die Nervenkernansammlung bildet zusammen mit dem Putamen und dem Nucleus accumbens das Striatum, den Streifenkörper. Es handelt sich um eine Art Funktionseinheit, die aus dem Cortex Informationen erhält, die von den Basalganglien bearbeitet, gefiltert und aufbereitet werden. Die Rückmeldung der gefilterten und bearbeiteten Signale an den Cortex erfolgt über den Thalamus. Der Caudatus nimmt innerhalb der Basalganglien eine gewisse Sonderrolle ein, weil er über Nervenstränge stark mit dem präfrontalen Cortex verschaltet ist.
Der präfrontale Cortex ist als Teil des Frontallappens des Großhirns Sitz des multisensorischen Bewegungs- und Episodengedächtnisses, so dass der Caudatus in den Regelkreis emotionaler Handlungen und Handlungsplanungen sowie in kognitive Prozesse einbezogen wird.
Anatomie & Aufbau
Der Caudatus, die weiße Substanz (Nervenfasern) und das Putamen bilden zusammen das Striatum (Streifenkörper), das als funktionelle Einheit die Eingangspforte für die Regelkreise der Basalganglien bildet und über glutamaterge Nervenfasern von bestimmten Gebieten des Cortex Eingangssignale erhält. Gegenstand der Forschung sind die Verschaltungen des Caudatus mit dem limbischen System, in dem Emotionen und Triebverhalten verarbeitet werden. Das limbische System spielt auch eine große Rolle im körpereigenen „Dopingsystem“ über die Ausschüttung von opioiden Endorphinen zur Überwindung von Schmerzen und Erschöpfung.
Funktion & Aufgaben
In seiner Eigenschaft als Teil des extrapyramidalmotorischen Systems übernimmt der Nucleus caudatus zentrale Aufgaben in der „Zusammenstellung“ und Kontrolle willkürlicher komplexer Bewegungsabläufe. Dabei spielt das prozedural-motorische Gedächtnis eine große Rolle. Das Erlernen und Trainieren komplexer natürlicher Bewegungsabläufe wie z. B. Gehen, Springen, Laufen ist eng mit dem über Dopamin als Neurotransmitter gesteuerten Belohnungssystem verbunden.
Gleiches gilt für das Erlernen und Trainieren komplexer Bewegungsabläufe, die ursprünglich für den Menschen nicht vorgesehen waren wie z. B. Zweirad- oder sogar Einradfahren, ein Auto oder ein Flugzeug steuern. Das Belohnungssystem springt an, wenn eine bestimmte Bewegung oder Abfolge von Bewegungen uns dem Ziel, eine bestimmte Fähigkeit zu erlangen, näher bringt. Dieser Prozess des Lernens mit Ergebnisfeedback ist nicht beschränkt auf motorische Leistungen, sondern lässt sich generell auf komplexe Lernprozesse übertragen. Innerhalb dieser Prozesse übernimmt der Caudatus wichtige Aufgaben über seine nervlichen Verschaltungen mit dem präfrontalen Cortex. Im emotionalen Bereich übernimmt er Kontroll- und Planungsfunktionen.
Handlungsüberprüfungen auf Angemessenheit machen ihn quasi zu einer Art Supervisor. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird der Nucleus caudatus deshalb dem Supervisory Attentional System (SAS) zugeordnet. Über die Planungs- und Handlungskontrolle hinaus steuert der Caudatus auch die Aktivität des Cortex über die Festlegung bestimmter Schwellenpotentiale, das bedeutet, dass er über die Wichtigkeit sensorischer Meldungen oder anderer mentaler Erkenntnisse entscheidet und darüber ob der Cortex darauf reagieren soll. Erkenntnisse über Funktionen und Aufgaben des Nucleus caudatus haben sich in den letzten Jahren enorm verändert und erweitert. So wurde festgestellt, dass der Caudatus auch eine Bedeutung in der Steuerung emotionaler Prozesse wie Liebe, Mutterliebe und Schmerzgedächtnis zukommt.
Krankheiten
Einige der beschriebenen Krankheiten werden durch genetische Defekte verursacht, sind also ererbt. Eine der wichtigsten Störungen, die in Zusammenhang mit einer Fehlfunktion des Caudatus gebracht wird, sind die sogenannten Tic-Störungen, zu denen auch das Tourette-Syndrom gehört. Tic-Störungen äußern sich in unwillkürlichen – nicht willentlich steuerbaren – Bewegungen bestimmter Gliedmaßen oder auch komplexer Bewegungsmuster. Tic-Störungen werden in die Kategorie der extrapyramidalen Hyperkinesien eingeordnet und werden wahrscheinlich durch einen Gendefekt verursacht, der zu einer Funktionsstörung des Caudatus führt.
Da ADHS häufig von Tic-Symptomen begleitet werden, liegt die Vermutung nahe, dass beide Krankheiten durch ähnliche Defekte verursacht werden. In den letzten Jahren wird der Caudatus auch mit krankhaftem Suchtverhalten in Verbindung gebracht. Bei Menschen, die unter dem hyperthymestischen Syndrom leiden, besteht das gegenteilige Problem.
Der Caudatus läuft quasi zur Hochform auf, das episodische Gedächtnis der Betroffenen ist so stark ausgeprägt, dass ihnen praktisch alles im Gedächtnis hängen bleibt, was sie erlebt haben mit allen zugehörigen Parametern wie Datum, Wetter, Stimmungen und ähnlichem. Das hyperthymestische Syndrom ist immer gekoppelt an einen vergrößerten Nucleus caudatus.
Quellen
- Baenkler, H.-W., et al.: Kurzlehrbuch Innere Medizin. Thieme Verlag, Stuttgart 2010
- Frotscher, M., et al.: Taschenatlas Anatomie, Band 3: Nervensystem und Sinnesorgane. Thieme, Stuttgart 2018
- Mumenthaler, M., Mattle, H.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2012