SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion (PSSD) wird in einen verursachenden Zusammenhang mit der Absetzung selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) nach Therapieende gebracht. SSRI, die zu den meist verschriebenen Antidepressiva gehören, bewirken eine Erhöhung der Serotoninkonzentration in der Zerebrospinalflüssigkeit in Gehirn und Rückenmark. PSSD äußert sich in einer Vielzahl unspezifischer Symptome, die zum Teil gegensätzlich erscheinen wie Erektionsstörung und Dauererektion (Priapismus) oder verzögerter Samenerguss und vorzeitiger Samenerguss.
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Was ist SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion?
Die SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion, die im angelsächsischen Sprachgebrauch als Post-SSRI Sexual Dysfunction (PSSD) bezeichnet wird, gehört sehr wahrscheinlich zu einem der möglichen Absetzsyndrome, die nach dem Absetzen von SSRI-Antidepressiva auftreten können.
SSRI (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor) gehören zu einer Klasse von häufig verschriebenen Antidepressiva, die selektiv Serotonin-Transporter hemmen und zu einer Erhöhung der Serotoninkonzentration in der zerebrospinalen Flüssigkeit (Gehirnwasser) in Gehirn und Rückenmark führen. Der Ursachenkomplex zwischen Einnahme von SSRI beziehungsweise Absetzen des Medikaments und Auftreten der SSRI-bedingten sexuellen Dysfunktion bedarf noch weiterer wissenschaftlicher Forschung.
Über die Häufigkeit der PSSD gibt es sehr unterschiedliche Annahmen, die eine Bandbreite von selten bis häufig abdecken. Weil SSRI-Antidepressiva in den serotoninergen Stoffwechsel des Körpers eingreifen, können einige Symptome der PSSD mit Serotonin-Entzugserscheinungen nach Absetzen der SSRI-Medikamente plausibel erklärt werden.
Ursachen
Dies führt unter anderem zu einem verminderten Testosteronspiegel und hat unmittelbaren Einfluss auf das sexuelle Verhalten. Das erklärt allerdings nicht, dass eine PSSD über Monate oder Jahre nach dem Absetzen der SSRI, in einigen Fällen sogar lebenslang, anhalten kann. Einige Autoren und Ärzte führen an, dass bei Einnahme der SSRI in der Regel eine psychische Erkrankung in Form einer Depression vorliegt, die zu den PSSD-Symptomen zumindest beitragen könnte.
Die wahrscheinlichste Hauptursache für die Entwicklung der PSSD ist eine Beeinflussung und Veränderung der Geneaktivität über sogenanntes Gen-Silencing. Es wird angenommen, dass es zu einer verminderten Genexpression führt, weil die Übertragung des genetischen Codes von der DNA auf die mRNA (Transkription) beispielsweise durch eine DNA-Methylierung gehemmt wird.
Die veränderte Genexpression bleibt normalerweise erhalten, so dass sie auch an entstehende Tochterzellen weitergegeben wird, was auch plausibel erklärt, warum die PSSD meist so lange anhält. Letztlich verkörpert PSSD eine iatrogene Krankheit, eine Krankheit, die als Nebenwirkung bestimmter Medikamente ausgelöst wird.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Hauptsymptome und Beschwerden der SSRI-bedingten sexuellen Dysfunktion oder PSSD beruhen auf einem Anstieg des Serotoninspiegels in der zerebrospinalen Flüssigkeit in Gehirn und Rückenmark. Sie sind deshalb vergleichbar mit dem Serotoninsyndrom, das ebenfalls durch einen zu hohen Serotoninspiegel durch künstliche Zufuhr des Neurotransmitters Serotonin ausgelöst wird.
Neben einer Reihe unspezifischer Symptome im vegetativen und im zentralnervösen Bereich kommt es auch zu neuromuskulären Auffälligkeiten. Hinsichtlich konkreter Anzeichen und Beschwerden im sexuellen Bereich zeichnet sich die PSSD durch eine Reihe unspezifischer und zum Teil gegensätzlich anmutender Symptome aus.
Im Allgemeinen tritt eine reduzierte sensorische Empfindsamkeit im Genitalbereich auf, die von verminderter sexueller Erregbarkeit und einer eingeschränkten Libido begleitet wird. Erektionsstörungen und Impotenz sowie die Unfähigkeit zum Orgasmus fügen sich gut in das Gesamterscheinungsbild des PSSD ein. Symptome wie Dauererektion (Priapismus) und vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox), die ebenfalls beobachtet werden, passen allerdings weniger zum Gesamtbild der PSSD.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Serotonin ist ein biogenes Amin, das als Gewebshormon und als Neurotransmitter in fast menschlichen Gewebearten vorkommt. Serotonin ist an vielen regulatorischen Körperprozessen wie Blutdruck, Blutgerinnung, Darmperistaltik und an der Signalübertragung im Zentralnervensystem beteiligt. Darüber hinaus gilt Serotonin als Stimmungsaufheller bei depressiven Verstimmungen und eine Art Glückshormon mit Suchtpotenzial.
Serotonin hemmt Gefühle wie Angst, Aggression und andere, so dass die positiven Gefühle stärkeres Gewicht bekommen. Falls bestimmte Vorgänge mit einer Verminderung des Serotoninspiegels verbunden sind, reagiert der Körper in der Regel mit Entzugserscheinungen, um „Druck“ auf den Betroffenen auszuüben, damit er den vorigen Zustand des erhöhten Serotoninspiegels wieder herstellt.
Die beobachteten Symptome der PSSD entsprechen dabei einem Teilkomplex des SSRI-Absetzsyndroms. Untersuchungsmethoden, die eine eindeutige Diagnose PSSD erlauben, existieren nicht, weil keine eindeutigen Parameter bekannt sind. Der Verdacht auf Vorliegen einer PSSD kann durch Abchecken der beobachteten Symptome erhärtet oder verworfen werden.
Wenn mindestens drei der typischen Symptome beobachtet werden und gleichzeitig SSRI-Medikamente abgesetzt wurden, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine PSSD vor. Die Krankheit zeigt unterschiedlich schwere und unterschiedlich lange anhaltende Verläufe.
Komplikationen
Bei dieser Krankheit leiden die Betroffenen in der Regel an einer deutlich verringerten sexuellen Lust. Aus diesem Grund kann sich die Beschwerde negativ auf die Beziehung zum Partner auswirken. Die Betroffenen leiden an einer eingeschränkten Libido und mitunter auch an Störungen der Erektion.
Dies kann vor allem beim Mann zu psychischen Beschwerden oder zu Depressionen führen und die Lebensqualität erheblich einschränken. Auch die Potenz selbst ist durch die Dysfunktion deutlich eingeschränkt, sodass es auch zu einem vorzeigten Samenerguss kommen kann. Die Betroffenen leiden weiterhin auch an häufigen Angstzuständen oder an depressiven Phasen. Allerdings wirkt sich die Krankheit nicht besonders negativ auf die Gesundheit aus, sodass auch die Lebenserwartung des Patienten dadurch nicht verringert wird.
Die Behandlung selbst erfolgt mit Hilfe von Medikamenten. Besondere Komplikationen treten dabei nicht auf. Mit Hilfe der Behandlung können die Beschwerden meist relativ gut eingeschränkt werden. Eventuell sind die Patienten allerdings auch auf eine psychologische Behandlung angewiesen. Ebenso müssen die Betroffenen die Medikamente in der Regel ihr gesamtes Leben lang einnehmen, um die Beschwerden dauerhaft zu lindern.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Eine SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion sollte immer von einem Arzt behandelt werden. Sie kann nicht durch Maßnahmen der Selbsthilfe geheilt werden. Ein Arzt ist dann aufzusuchen, wenn der Patient an einer deutlich verringerten sexuellen Lust leidet.
Auch Störungen der Potenz oder der Erektion können auf die SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion hindeuten und sollten immer durch einen Arzt untersucht werden. Dabei leiden einige Betroffene auch an einer Dauerpotenz oder sogar an einem vorzeitigen Samenerguss. Treten diese Beschwerden dauerhaft auf und verschwinden nicht wieder von alleine, so muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden.
Die SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion kann durch einen Urologen diagnostiziert werden. Bei der Behandlung ist allerdings meist der Besuch bei einem Psychologen notwendig, um die Erkrankung zu behandeln. Dabei kann jedoch keine direkte Prognose des Verlaufs gegeben werden.
Behandlung & Therapie
Eine Therapie, die direkt auf die Ursachen der PSSD abzielt, ist nicht existent, weil letztlich die physiologischen und biochemischen Vorgänge, die zu der Krankheit führen, noch nicht vollständig verstanden sind. Die Therapie beschränkt sich in der Regel darauf, bei Auftreten schwerwiegender Symptome die abgesetzten SSRI dem Patienten wieder zu verabreichen.
Der Absetzprozess des Medikamentes wird über einen längeren Zeitraum angesetzt. Bisher existiert kein Medikament, das gezielt in den Hormonhaushalt eingreifen könnte, um die Symptome der PSSD zu vermindern oder gar zu beseitigen.
Vorbeugung
Die beste Vorbeugung vor der SSRI-bedingten sexuellen Dysfunktion besteht im Verzicht auf die Einnahme von SSRI beziehungsweise in der Substitution der SSRI durch Medikamente mit anderen Wirkstoffen, sofern das eine praktikable Alternative darstellt. In den Fällen, in denen SSRI-Medikamente aufgrund der Vorerkrankung unverzichtbar sind, besteht die beste Vorbeugung in einem sehr langsamen Ausschleichen der Medikamente, so dass sich der Körper allmählich an einen reduzierten Serotoninspiegel gewöhnen kann, ohne „Alarm zu schlagen“.
Nachsorge
An die Behandlung einer SSRI-bedingten sexuellen Dysfunktion sollte eine umfassende Nachsorgebehandlung anschließen, da zahlreiche psychische und körperliche Folgen aus der SSRI-bedingten sexuellen Dysfuktion resultieren können. Insbesondere können sich die bereits vorliegenden Depressionen noch verstärken, da die Erkrankung zusätzlich an der sexuellen Identität der Betroffenen kratzt. Eine bestehende Psychotherapie muss daher intensiviert werden.
Die Probleme mit der aus der Behandlung resultierenden sexuellen Erkrankung werden im Zuge der Nachsorge berücksichtig. Insbesondere eine sexuelle Lustlosigkeit und eine verminderte Reaktion auf sexuelle Reize werden dabei thematisch aufgearbeitet. Ist die Erkrankung für Betroffene sehr belastend, sollte eine engmaschige psychatrische Überwachung erfolgen, bis die sexuelle Funktion durch ein Absetzen des Antidepressivums oder die Umstellung auf ein anderes Medikament wieder hergestellt oder die Psyche wieder stabilisiert ist.
Da die sexuelle Dysfunktion auch nach Absetzen des Medikaments noch Jahre anhalten kann, müssen Patienten frühzeitig auf soziale und persönliche Folgen, die die sexuelle Dysfunktion haben kann, vorbereitet werden. Wichtig ist weiterhin der intensive Austausch mit dem Partner/der Partnerin über die Erkrankung, um einer Destabilisierung der vorhandenen Beziehung vorzubeugen. Erektionsstörungen können darüber hinaus mit speziellen Medikamenten (Viagra) behandelt werden, die die Durchblutung des Penis verstärken. Gegen Scheidentrockenheit können der Einsatz von speziellen Feuchtigkeitscremes sowie von Gleitmittel hilfreich sein.
Das können Sie selbst tun
Liegt nachweislich eine SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion (PSSD) vor, leidet der Patient unter einer nachlassenden Libido oder unter verschiedenen Formen von Potenzschwächen. Dies ist vor allem dann sehr belastend, wenn sich der Patient in einer aktiven Partnerschaft befindet, in der beide Partner den Wunsch nach sexueller Vereinigung haben.
In diesen Fällen wird der Arzt Medikamente verschreiben, die im Allgemeinen gut wirken und auch gut verträglich sind. Sind der betroffene Patient und/oder dessen Beziehung sehr belastet, empfiehlt sich begleitend eine psychotherapeutische Therapie, möglicherweise auch eine Paartherapie.
Um den aufkommenden Stress abzubauen, der bei einer PSSD vor jeder sexuellen Aktivität entstehen kann, empfehlen sich verschiedene Techniken. Schnell erlernbar und sehr wirksam ist die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Aber auch Reiki oder Yoga mit Atemübungen und Meditationen sind gute Möglichkeiten, Stress abzubauen.
Wurde die PSSD lange nicht behandelt, ist möglicherweise der Geschlechtsakt mittlerweile angstbesetzt. Hier hat sich die Klopfakupressur EFT (Emotional Freedom Techniques) als eine gute Selbsthilfemaßnahme gegen Angst und/oder Panikattacken bewährt.
Neuesten Forschungen zufolge hat selbst eine gesunde Ernährung einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit und kann auch im Fall einer PSSD stabilisieren. Den Patienten ist eine Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse, Vollkornprodukten sowie wenig Zucker und Fett anzuraten.
Quellen
- Beckermann, M.J.: Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Schwabe, Basel 2004
- Feige, A., Rempen, A., Würfel, W., Jawny, J., Rohde, A. (Hrsg.): Frauenheilkunde – Fortpflanzungsmedizin, Geburtsmedizin, Onkologie, Psychosomatik. Urban & Fischer, München 2005
- Goerke, K., Steller, J., Valet, A.: Klinikleitfaden Gynäkologie. Urban & Fischer, München 2003