Stressinkontinenz
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Stressinkontinenz ist für die Betroffenen sehr unangenehm. Der unwillkürlich abgehende Harn kann zwar durch hygienische Vorlagen gut aufgefangen werden, beeinträchtigt jedoch die Lebensqualität der Patienten. Sie können sich nicht mehr so ungezwungen wie zuvor bewegen.
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Was ist Stressinkontinenz?
Stressinkontinenz wird in der modernen Medizin Belastungsinkontinenz genannt. Gemeint ist damit die physische Belastung des Blasenschließmuskels. Stressinkontinenz ist mit dem unwillkürlichen Abgang von Urin bedingt durch erhöhten Druck im Unterbauch verbunden. Die Patienten verlieren Urin, wenn sie niesen oder die Treppe hinaufsteigen.
Die Patientinnen - die meisten von dieser Inkontinenz-Form Betroffenen sind weiblichen Geschlechts - verspüren zuvor keinen Harndrang. Je nach Schwere der Erkrankung unterscheidet die Medizin drei verschiedene Grade. Als schwere körperliche Belastung werden Husten, Lachen, Niesen und Springen angesehen (Grad 1). Aufstehen, Hinsetzen, Treppensteigen und Laufen gelten als leichte physische Belastungen, die zu einem unwillkürlichen Urin-Verlust führen (Grad 2).
Geht der Urin im Ruhezustand ab, also beispielsweise im Liegen auf dem Sofa, liegt Grad 3 der Stressinkontinenz vor. Bei Belastungsinkontinenz verlieren die Patienten wenig (einige Tröpfchen) oder viel Urin (Strahl). Stressinkontinenz kommt bei Frauen häufiger als bei Männern vor. Außerdem sind von ihr mehr ältere Patienten betroffen als jüngere. Um zu verhindern, dass Unterwäsche, andere Textilien und die Wohnumgebung verschmutzt werden, verwenden die Patienten Inkontinenz-Vorlagen.
Ursachen
Bei weiblichen Patienten führen außerdem Gebärmutter und Scheiden-Senkung sowie Gebärmutter-Entfernungen zur Inkontinenz. Weitere Verursacher bei Männern und Frauen sind: starkes Übergewicht, schwere körperliche Arbeit, chronische Bronchitis, Blasenentzündung, Nervenschädigungen im Bereich der Harnblase und Prostatakarzinom.
Frauen, die ihre Kinder natürlich entbinden, müssen jedoch nicht befürchten, den während der Schwangerschaft auftretenden unfreiwilligen Harnabgang zeitlebens ertragen zu müssen: Nur zirka sechs Prozent leiden danach unter Stressinkontinenz. Bei Männern kommt es oft nach einer Prostata-Entfernung zu unwillkürlichem Harnabgang.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Stressinkontinenz zeigt sich in Form des Verlusts geringerer und umfangreicherer Mengen an Harn. Bei schwererer Stressinkontinenz geht der Urin schon bei ruhenden Patienten und solchen, die sich kaum körperlich bewegen, ab. Der unkontrollierte Verlust von Harn ist zwar nicht mit Schmerzen verbunden, für die Betroffenen jedoch ausgesprochen unangenehm. Sie befürchten, dass in der Nähe befindliche Personen bemerken, dass sie sich eingenässt haben.
Diagnose & Krankheitsverlauf
Der behandelnde Arzt führt zuerst eine genaue Anamnese durch. Um einen Harnwegsinfekt sicher ausschließen zu können, lässt er den Urin des Patienten untersuchen. Eine allgemeine körperliche Untersuchung vor allem der Genital- und Analregion und neurologische Tests sollen weitere Informationen über die vorliegende Stressinkontinenz erbringen.
Liegt definitiv eine Blasenfunktionsstörung vor, so richtet sich das weitere Vorgehen des Mediziners nach dem Ausmaß der Stressinkontinenz. Es werden bildgebende Verfahren (Ultraschall, CT), Zytoskopien, Urethra-Kalibrierung, Blutuntersuchungen und verwendet. Ein Miktionsprotokoll über die letzten zwei Tage vor der ärztlichen Untersuchung soll weitere Informationen liefern.
Komplikationen
Eine mögliche körperliche Auswirkung von Stressinkontinenz sind Entzündungen im Intimbereich. Gerade bei mangelnder Hygiene ist Urin die Basis für bakterielle Erkrankungen und Beschwerden wie Juckreiz, Rötungen und Abszesse. Auch bei der Behandlung können unerwünschte Ereignisse auftreten. Die Einnahme von Medikamenten ist gelegentlich mit Nebenwirkungen und Wechselwirkungen verbunden. Typische Beschwerden sind Überempfindlichkeitsreaktionen, Magen-Darm-Probleme und Atemnot.
Beim Beckenbodentraining besteht die Gefahr, dass Keime in die Vagina gelangen und zu Harnwegsinfektionen führen. Außerdem können Druckgeschwüre entstehen. Die Elektroschocktherapie kann in Extremfällen zu neurologischen Beschwerden oder Herzrhythmusstörungen führen. Auch das Biofeedback birgt Risiken: Bei bestehenden psychischen Erkrankungen kann das Verfahren ernste Komplikationen hervorrufen und das Grundleiden mitunter noch verstärken. Zuletzt können im Rahmen einer Operation Blutungen und Wundheilungsstörungen auftreten.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Menschen, die unter einem anhaltenden Stresserleben leiden, sollten grundsätzlich einen Arzt oder Therapeuten konsultieren. Andauernder Stress führt zu verschiedenen gesundheitlichen Störungen, denen rechtzeitig entgegengewirkt werden muss. Leidet der Betroffene zusätzlich unter einem ungewollten Harnabgang, besteht Handlungsbedarf. Treten aufgrund der Unregelmäßigkeiten psychische Probleme auf, wird ein Arzt benötigt. Scham, ein Rückzug aus dem sozialen Leben, oder Angstzustände sind Anzeichen einer Unregelmäßigkeit. Sie deuten auf Probleme hin, denen nachgegangen werden sollte.
Eine verringerte Lebensqualität oder ein herabgesetztes Wohlbefinden führen langfristig zu verschiedenen Erkrankungen. Bei Beschwerden, die über mehrere Wochen oder Monate anhalten, ist daher ein Arzt zu konsultieren. Kommt es beim Husten, Lachen, der Fortbewegung oder beim Niesen zu einem ungewollten Verlust des Urins, ist ein Arzt von den Beobachtungen zu berichten. Abgeschlagenheit, Schlafstörungen oder nächtliches Einnässen sind weitere Anzeichen die untersucht werden sollten.
Eine Ursachenforschung ist notwendig, damit eine Diagnosestellung erfolgen und ein Behandlungsplan erstellt werden kann. Kommt es aufgrund der Beeinträchtigungen zu einer Berufsunfähigkeit oder zwischenmenschlichen Problemen, benötigt der Betroffene Hilfe. Persönlichkeitsveränderungen, Auffälligkeiten des Verhaltens oder Lustlosigkeit gelten als Warnsignale, denen nachgegangen werden sollte. In vielen Fällen ist es dem Betroffenen nicht bewusst, welchen Stressauslösern sie täglich ausgesetzt sind. Für eine Klärung und Bewusstwerdung benötigen sie Unterstützung.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung erfolgt - je nach Schwere der Erkrankung - konservativ oder über eine Operation. Zu den bewährten konservativen Methoden zählen Beckenbodentraining, Biofeedback, Elektrostimulation, Einsatz eines Pessars, Einnahme von Medikamenten und Kombinationstherapien (medikamentös-physiotherapeutisch).
Bei der Beckenboden-Gymnastik führt der Patient nach einer anfänglichen Einweisung durch den Physiotherapeuten verschiedene einfache Übungen durch, die Muskeln und Bänder des Halteapparats stärken. Er lernt, sie auch im Alltag bewusst nach Bedarf einzusetzen. Beim Biofeedback erhält er noch zusätzlich eine visuelle und akustische Reaktion, wenn er die vorgegebenen Übungen richtig ausführt.
Diese Technik kann noch zusätzlich durch andere Methoden und Gerätschaften wie Elektrostimulation und den Magnet-Stuhl sinnvoll ergänzt werden. Bei der Elektrostimulation wird der Schließmuskel nicht vom Patienten selbst angespannt, sondern über in After oder Vagina eingeführte Elektroden stimuliert. Nur für Frauen geeignet ist das Einsetzen eines Pessars in die Vagina. Es hebt Blasenhals oder Gebärmutter an.
Durch das Ziehen werden der Spreizmuskel aktiviert und Harnröhre und Blasenmuskel gehoben. Medikamentös behandelt wird mithilfe einer Östrogen-Verabreichung oder Verordnung eines selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI). So bewirkt beispielsweise Duloxetin eine erhöhte Ausschüttung von Neurotransmittern. Ebenfalls nur für Frauen geeignet sind Feminakonen, tamponähnlich geformte, unterschiedlich schwere Gewichte, die in die Vagina eingeführt werden und den Beckenboden trainieren.
Erfordert die Stressinkontinenz eine operative Behandlung, so richtet sich die Wahl der chirurgischen Methode danach, ob die Gebärmutter-Absenkung oder die Stressinkontinenz vordringlicher ist. Verursacht der unwillkürliche Harnabgang mehr Probleme, wird ein stabilisierendes Band aus Kunststoff (TOT, TVT) eingelegt. Liegt im Beckenboden-Bereich eine Muskelschwäche vor, wird eine Scheiden-Damm-Plastik durchgeführt.
Bei sehr schwerer Stressinkontinenz hilft nur noch das Einsetzen eines künstlichen Schließmuskels (AMS-Sphinkter, Pro-ACT). Innovativ ist die Implacement-Therapie: Der minimal-invasive Eingriff besteht in der Unterfütterung des Urethra-Gewebes mit Mikropartikeln, die sich in einer Hyaluronsäure-Matrix befinden.
Vorbeugung
Als vorbeugende Maßnahme empfiehlt sich das Trinken von viel Flüssigkeit über den Tag verteilt. Es trainiert den Blasenschließmuskel. Außerdem hat sich die vorbeugende Bodenbecken-Gymnastik (für beide Geschlechter!) bestens bewährt. Auf gar keinen Fall sollte der Patient seine tägliche Flüssigkeitsaufnahme reduzieren, da sich sonst das Fassungsvermögen seiner Harnblase dauerhaft verringert.
Nachsorge
Über die Nachsorge bei Stressinkontinenz lassen sich keine allgemeinen Aussagen treffen. Ob spezifische Maßnahmen notwendig sind, hängt mitunter von der Ursache und Form der Erkrankung, der gewählten Therapie sowie dem jeweiligen Behandlungserfolg ab. Nach einem operativen Eingriff sind mehrere Kontrolluntersuchungen notwendig.
Dabei wird vor allem die Heilung der Operationswunde überwacht. In der Regel muss die Wunde einige Wochen lang versorgt werden. Die Heilung wird durch das tägliche Auftragen von einer Salbe beschleunigt. Häufig kommt es zu einem unangenehmen Juckreiz. Aus diesem Grund sind oftmals wiederholte Sitzbäder zu empfehlen. Generell ist auf eine strikte Körperhygiene zu achten.
Verbände sollten unbedingt täglich gewechselt werden. Je nach Grunderkrankung sind zudem verschiedene weitere Maßnahmen erforderlich. In vielen Fällen kommt es trotz zunächst erfolgreicher Behandlung wieder zu Rückfällen. Daher sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Allgemeinmediziner oder je nach Ursache der Stressinkontinenz auch beim Urologen, beim Gynäkologen oder bei einem anderen Facharzt notwendig.
Die Betroffenen sollten sich zudem von Fachpersonal aus der Stomaversorgung beraten lassen. Um im Alltag besser mit der Erkrankung umzugehen, sollten sie sich mit dem Gebrauch von Inkontinenz-Equipment wie etwa Erwachsenenwindeln oder Vorlagen vertraut machen. Da die Stressinkontinenz zumeist eine große psychische Belastung darstellt, ist eine langfristige psychotherapeutische Betreuung oftmals notwendig.
Das können Sie selbst tun
Es gibt einige Dinge, die Patienten mit Stressinkontinenz tun können, um die Beschwerden zu lindern. Inkontinenz-Mittel wie Schlüpfer, Einmalslips oder Analtampons erleichtern den Alltag mit der Erkrankung. Insbesondere in stressigen Lebenslagen sollte ein Inkontinenzprodukt verwendet werden.
Ebenso wichtig ist der regelmäßige Toilettengang. Zu häufiges Wasserlassen kann bei der Blase zu Gewöhnung führen und den Harndrang noch steigern. Sehr seltenes Wasserlassen kann dagegen zu einer Überdehnung der Blasenmuskulatur führen. Liegt gleichzeitig ein Übergewicht vor, so muss dieses reduziert werden. Übergewicht führt zu einem hohen Druck in der Bauchhöhle und verstärkt eine Inkontinenz. Da es infolge der Inkontinenz zu einer größeren Keimbelastung der Haut kommt, sollte auf eine sorgfältige Körperpflege geachtet werden. Vor allem der Intimbereich muss ausreichend gereinigt werden.
Wird sich zugleich noch blasenfreundlich ernährt, indem auf schwarze Gewürze oder Kaffee verzichtet wird, sollte die Stressinkontinenz bereits nach einigen Tagen spürbar zurückgehen. Allerdings muss auch der Auslöser für die Beschwerden behoben werden. Es gilt, Stressfaktoren in Alltag und Beruf zu reduzieren und durch Entspannungsübungen wie Autogenes Training zusätzliche Ruhe und Balance zu schaffen.
Quellen
- Finke, F., Piechota, H., Schaefer, R.M., Sökeland, J., Stephan-Odenthal, M., Linden, P.: Die urologische Praxis. Uni-Med, Bremen 2007
- Gasser, T.: Basiswissen Urologie. Springer, Berlin 2011
- Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015