Vorstellungsvermögen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 16. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Mit dem Vorstellungsvermögen wird die Fantasiekraft des Menschen bezeichnet. Wir verstehen darunter die Fähigkeit, Bilder vor unserem geistigen Auge entstehen zu lassen. In diesem Zusammenhang wird häufig von der räumlichen Vorstellungskraft gesprochen, es geht aber auch um die Imagination ganzer Episoden. Bis Plato (427-347 v. Chr.) existierte keine Theorie über Imagination. Plato sprach von menschlichem Geistesvermögen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Vorstellungsvermögen?

Mit dem Vorstellungsvermögen wird die Fantasiekraft des Menschen bezeichnet. Wir verstehen darunter die Fähigkeit, Bilder vor unserem geistigen Auge entstehen zu lassen.

Bis ins 18. Jahrhundert waren Platons Überlegungen über Vorstellung, Denken und Wahrnehmung im Abendland beherrschend. Plato sah in der Fantasie das Bindeglied zwischen äußeren Sinneseindrücken und Verstand. Die Fantasie ist eine Erscheinung der Vorstellung und vermischt Wahrnehmung und Meinung miteinander. So war schon Plato der Auffassung, dass Denken, Fantasie und Meinungen falsch oder wahr sein können.

Platons Schüler Aristoteles führte die Ausarbeitungen seines Lehrers über Fantasie und Verstand fort. Er differenzierte zwischen Wahrnehmungen, die an den Körper gebunden sind, also beispielsweise Appetit, Wut und Ärger, und Denken ohne die Beteiligung des Körpers.

Im Mittelalter unterschied man die Erinnerung an eine frühe Wahrnehmung und die Vorstellung imaginärer Bilder: „phantasiae“ und „phantasma“. Phantasmata entstanden in den Augen der Gelehrten durch fantasierte Bilder, Allegorien und Mythen, hervorgebracht durch die freie Tätigkeit des Geistes. Heute nennt man dies die produktive Einbildungskraft.

Allerdings schrieb man damals beiden Formen negative Eigenschaften zu. Alles, was nicht mit der göttlichen Existenz in Verbindung gebracht werden konnte, galt als gefährlich. Kirchengelehrten waren davon überzeugt, dass „phantasiae“ und „phantasma“ schädlich für die menschliche Erkenntnis seien. Phantasiae galten als Hindernisse beim Verstehen der göttlichen Wahrheit, phantasmata wurden schlichtweg als falsche Vorstellungen definiert.

Im 11. Jahrhundert kamen vertiefte Imaginationskonzepte auf. Die Fantasie bekam eine positive Bedeutung. Die Gelehrten versuchten, geistigen Fähigkeiten des Menschen einen konkreten Ort im Gehirn zuzuordnen. In der Renaissance galt die Meinung, Fantasie käme von den Sternen und wäre eine Frage der Begabung. In der Zeit der Aufklärung bekam die Fantasie einen immer höheren Stellenwert. NeurowissenschaftlerInnen von heute können zwar viele geistige Prozesse erklären, doch wie Fantasie funktioniert, weiß niemand ganz genau.

Funktion & Aufgabe

Das Vorstellungsvermögen ist das Resultat vieler Einflüsse und ist bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Es kann nicht von Kultur getrennt werden und ist Grundvoraussetzung für schöpferische Prozesse. Nur durch das Vorstellungsvermögen ist es den Lebewesen möglich, Neues zu interpretieren und zu verstehen. Die bildliche Vorstellungskraft ist in allen Bereichen des Lebens verwurzelt. Fantasie wird daher auch als Vorstellungsvermögen, Vorstellungskraft, Einbildungskraft und Originalität bezeichnet.

Bildliche Vorstellungskraft ist wiederum ohne räumliche Vorstellungskraft nicht möglich. Die räumliche Vorstellungskraft bezieht sich auf die gedankliche Vorstellung von Bewegung bzw. räumlichen Verschiebung und auf die Beziehung von Objekten untereinander, die aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können. Ferner bezieht sie sich auf die Orientierung, also die Einordnung der eigenen Person in räumliche Gegebenheiten. Die räumliche Vorstellungskraft ist für Sport, insbesondere Ballspiele, zwingend notwendig und kann durch kognitive Übungen verbessert werden. Auch handwerkliche Arbeiten kommen ohne räumliche Vorstellung nicht aus.

Heute geht es verstärkt darum, die kindliche Fantasie anzuregen, um Kinder besser auf eine komplexe Welt vorzubereiten. Indem das Kind Zeit und Raum zum Spielen bekommt, kann es seine Vorstellungskraft besser entfalten. Während des Spielens erlebt es die Fantasie als Realität. Es integriert unterschiedliche Wesen in seine Fantasiewelt, sie werden Bestandteil seines Alltags, helfen und trösten. Die unsichtbaren Freunde aus dem Fantasieland haben soziale und emotionale Aufgaben. Die kindliche Fantasie ist noch unbelastet und frei von Wertungen. Darum staunen wir immer wieder über die ungebrochene Freude der Kinder an imaginären Spielen.

Im Laufe der Jahre wird der Mensch mit vielen Einschränkungen konfrontiert, sodass er sein Vorstellungsvermögen immer mehr blockiert. Auch gesellschaftliche Normen und Beurteilungen tragen dazu bei.


Krankheiten & Beschwerden

Die Fantasie hat Macht und kann körperliche Reaktionen hervorrufen. Wer sich mit aller Kraft eine saftige Zitrone vorstellt, in die er gerade hineinbeißt, wird unweigerlich den Mund verziehen und die Säure schmecken. Alleine die Vorstellungskraft hat dann zu körperlichen Reaktionen geführt. Was wir uns einbilden, können wir also körperlich und seelisch fühlen. Das Gehirn unterscheidet nicht, was Realität und was Vorstellung ist. Fantasie wird von unterschiedlichen Kräften beeinflusst, vor allem durch Sinneswahrnehmungen. Sie kann dabei produktiv, aber auch schädlich sein.

Zur kognitiven Visualisierung ist die Arbeit vieler Gehirnareale notwendig. Es gibt jedoch Menschen, denen mangelt es gänzlich am Vorstellungsvermögen. Sie leiden unter Aphantasia. Betroffene können keine Bilder vor ihrem inneren Auge entstehen lassen. Die Bildersymbolik, die uns dazu bringt, in Erinnerungen zu schwelgen, ist diesen Menschen fremd. Forscher vermuten einen Defekt in den betreffenden Hirnregionen.

Manche psychischen Erkrankungen rufen wiederum eine übersteigerte Form der Vorstellungskraft hervor. Die Erkrankten leiden beispielsweise an Wahnvorstellungen und haben eine so rege Fantasie, dass sie Dinge für real halten, die nicht existieren. Die Schizophrenie ist eine Krankheit, die sich mit Halluzinationen, formalen Denkstörungen und Wahnvorstellungen zeigt. Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung ist von Schizophrenie betroffen und hat dadurch schwerwiegende Einschränkungen im psychosozialen Bereich.

Probleme mit dem Vorstellungsvermögen können auch im Zusammenhang mit Depressionen auftreten. Wird die kognitive Leistungsfähigkeit durch Depressionen beeinträchtigt, entstehen häufig Denkstörungen. Manchen Erkrankten fallen dann logische Schlussfolgerungen schwer oder sie sind auf eine bestimmte Vorstellung fixiert. Je nach persönlicher Disposition können die Krankheitsbilder sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.

Quellen

  • Becker-Carus, C., Wendt, M.: Allgemeine Psychologie. Springer 2. Auflage, Berlin 2017
  • Faller, H.: Kurzlehrbuch Medizinische Psychologie und Soziologie. Springer, Berlin 2019
  • Poeck, K., Hacke, W.: Neurologie. Springer, Heidelberg 2010

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