Anton-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Beim Anton-Syndrom tritt eine kortikale Blindheit ein, die von den Patienten aber nicht bemerkt wird. Das Gehirn produziert weiterhin Bilder, die die Betroffenen als Umgebungsbilder annehmen und so ihre Blindheit nicht einsehen. Der Behandlung stimmen die Patienten wegen ihrer fehlenden Einsicht oft nicht zu.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Anton-Syndrom?

Das Anton-Syndrom ist in aller Regel die Folge eines Schlaganfalls. Typischerweise ist von dem ursächlichen Hirninfarkt die Sehrinde beider Gehirnhälften betroffen.
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Das Anton-Syndrom ist durch kortikale Blindheit geprägt und stellt damit ein neurologisches Syndrom dar. Die Blindheit wird im Rahmen des Syndroms also nicht von einer Schädigung der Augen verursacht, sondern steht mit einer Läsion der Großhirnrinde in Zusammenhang. In beiden Gehirnhälften sind beim Anton-Syndrom die Sehbahnen geschädigt, sodass visuelle Reize das Gehirn nicht mehr erreichen und ebenso wenig dort verarbeitet werden können.

Die Betroffenen leiden zusätzlich an Anosognosie und erkennen die Diagnose der eigenen Blindheit nicht an. Auch die Anosognosie wird beim Anton-Syndrom durch eine Schädigung bestimmter Gehirnareale verursacht. Namensgeber des Syndroms ist der österreichische Neurologe Gabriel Anton, der das Krankheitsbild im 19. Jahrhundert erstmals beschrieben hat. Er beschreibt damals den Fall einer Dame, die ihre Blindheit nicht erkennt und eigentlich wegen einer Wortfindungsstörung ärztlichen Rat sucht.

Ursachen

Das Anton-Syndrom ist in aller Regel die Folge eines Schlaganfalls. Typischerweise ist von dem ursächlichen Hirninfarkt die Sehrinde beider Gehirnhälften betroffen. Der visuelle Kortex wird durch die Hirnstammarterie mit arteriellem Blut versorgt. Aus dieser Arterie entspringen beide hinteren Hirnarterien. Eine Durchblutungsstörung in diesen Arterien zieht den visuellen Kortex in Mitleidenschaft und löst gemäß aktueller Forschung vermutlich einen Verbindungsfehler bei der Verarbeitung der visuellen Informationen aus.

Das heißt, dass die Augen beim Anton-Syndrom eigentlich sehen, aber das Bewusstsein keine Einsicht mehr in die visuellen Reize erhält. Die Sehrinde leitet so zum Beispiel keine visuellen Informationen mehr an das Gehirnzentrum für Sprache weiter. Die Anosognosie ergibt sich, indem das Zentrum zur Versprachlichung von visuellen Informationen Dinge aufgrund der fehlenden Informationen einfach erfindet. Neben dem Schlaganfall kann auch eine Läsion der vorderen Sehbahnen, eine Blutung oder eine Epilepsie die Ursache des Anton-Syndroms sein.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Das Anton-Syndrom wird durch eine in der Regel komplette Blindheit kortikaler Ursache geprägt. Die fehlende Einsicht für die fehlende Sicht ist das charakteristischste Symptom des Syndroms. Die Betroffenen reden sich nicht etwa ein, sehen zu können, sondern haben tatsächlich keine Zweifel daran. Ihr eigenes Gehirn täuscht sie, indem es ihnen Bilder zur Verfügung stellt, die durchweg erfunden sind.

Meist laufen die Patienten des Anton-Syndroms wegen diesen fälschlichen, aber für sie absolut realen Bildern gegen Türrahmen, Wände oder sogar vor Autos. Sie stolpern, taumeln und straucheln. Gegenstände und Menschen erkennen sie nicht mehr. Sich selbst und anderen geben sie zahlreiche Erklärungen dafür. So sehen sie im Stolpern und straucheln ihre eigene Tollpatschigkeit. Das Nicht-Erkennen von Gegenständen und Personen schieben sie in der Regel auf schlechtes Licht oder fehlende Aufmerksamkeit. Sie täuschen andere Menschen und auch die eigene Person nicht etwa vorsätzlich über ihre Blindheit hinweg, sondern sind sich der Erblindung tatsächlich nicht bewusst.

Diagnose & Verlauf

Die Diagnose des Anton-Syndroms stellt der Arzt über die Anamnese, eine Bildgebung des Gehirns und Sehtests. Speziell in der Anamnese verneinen die Patienten die Frage, ob ihre Sehkraft in der letzten Zeit abgenommen hat. Bei den Sehtests beschreiben sie Gegenstände, Zahlen und Buchstaben lebhaft, aber völlig falsch. In der Bildgebung zeigen sich schließlich die Läsionen des visuellen Cortex.

Ob ein Schlaganfall oder eine Schädigung der vorderen Sehbahn das Anton-Syndrom ausgelöst hat, lässt sich entweder schon anhand der Bildgebung erkennen oder mithilfe von verschiedenen Untersuchungen an den Hirnarterien. Da die Patienten des Anton-Syndroms keine Einsicht zeigen, ist die Prognose bei diesem Krankheitsbild eher ungünstig. Unbehandelt können sich neurologische Verschlechterungen des Syndroms einstellen.

Die Ablehnung von diagnostischen Methoden verhindert zuweilen sogar die Sicherung der Diagnose. Durch Rehabilitationsmaßnahmen können gerade bei Schäden durch Epilepsien Heilungserfolge erzielt werden, falls der Patient der Behandlung zustimmt.

Komplikationen

Beim Anton-Syndrom kommt es zu starken psychischen und physischen Komplikationen. Zum einen kann es dabei um eine Erblindung beim Patienten handeln, die allerdings nicht eingesehen wird da vom Gehirn weiterhin Bilder der Umgebung produziert werden. Durch das Anton-Syndrom kommt es zu einer erheblichen Einschränkung des Alltags und der Lebensqualität.

Auch die Behandlung erweist sich als schwerwiegend, da der Betroffene nicht direkt einsieht, dass er am Anton-Syndrom erkrankt ist. Durch die Vorstellung, weiterhin sehen zu können, stellt der Patient eine Gefahr für sich selbst und für andere Menschen dar. So kommt es oft vor, dass die Betroffenen gegen Gegenstände oder sogar vor Fahrzeuge laufen.

Dabei kann es zu Unfällen kommen, die im schlimmsten falle tödlich enden. Daher ist der Betroffene beim Anton-Syndrom auf jeden Fall auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen, solange keine Behandlung eingetreten ist. Das Syndrom selbst kann einfach mit einem Sehtest identifiziert werden. Bei der Behandlung kommt es meistens zu Gesprächen mit dem Psychologen.

Es kann allerdings lange dauern, bis das Eingeständnis zum Anton-Syndrom beim Patienten eintritt. Danach können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um die Orientierung und Mobilität des Patienten zu steigern. Die Lebenserwartung wird in der Hinsicht verringert, da der Patient einer erhöhten Gefahr ausgesetzt ist, in Unfälle verwickelt zu werden.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das Anton-Syndrom sollte möglichst rasch von einem Mediziner abgeklärt werden. Die wirksamste Therapiemaßnahme, die Neuroplastizität, zeigt nur in den ersten zwölf Wochen nach der Erblindung Wirkung. Danach müssen weitaus weniger wirksame Physio- und Ergotherapiemaßnahmen ergriffen werden. Da die Betroffenen ihre Blindheit meist selbst nicht realisieren, erfolgt die Diagnose meist zu spät und die Behandlungsmöglichkeiten sind dementsprechend eingeschränkt. Deshalb wird im besten Fall vorbeugend reagiert.

Es empfiehlt sich, bereits bei ersten Durchblutungsstörungen oder anderen gesundheitlichen Problemen, die einen Schlaganfall und in der Folge das Anton-Syndrom nach sich ziehen könnten, einen Arzt aufzusuchen. Patienten mit Epilepsie oder einer Läsion der vorderen Sehbahnen sollten sich rechtzeitig über mögliche Folgeerkrankungen informieren.

Kommt es dann zum Anton-Syndrom, kann die Erkrankung leichter akzeptiert werden. Wer den Verdacht hat, dass eine andere Person unter dem seltenen Syndrom leidet, sollte diesen zu einem Arzt begleiten und die Ursachen abklären. Weitere Ansprechpartner sind der Augenarzt sowie Neurologen und Angiologen.

Behandlung & Therapie

Die Behandlung des Anton-Syndroms ist eine Herausforderung, da den Patienten die eigene Krankheit absolut unklar ist. Therapeutische Schritte werden in aller Regel vehement abgelehnt und für sinnlos gehalten. Die notwendige Therapie ist symptomatisch und interdisziplinär. Die Neurologie spielt für den Therapieweg eine ebenso große Rolle, wie die Psychiatrie, Internisten und Physiotherapeuten. Vor allem die ursächliche Grunderkrankung muss erkannt und konsequent behandelt werden.

In einer psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Therapie werden die Patienten durch die konsequente Erinnerung an ihre Blindheit von der Krankheit überzeugt, was allerdings oft mit Konfliktpotenzial verhaftet ist. In der Physio- und Ergotherapie werden alltagsrelevante Defizite soweit wie möglich behoben. Kompensationsstrategien werden erlernt und können dem Ausgleich der Defizite dienen.

Die Neuroplastizität ist eine eher neuere Therapiemöglichkeit bei kortikaler Blindheit, die über die Stimulation von angrenzenden Kortexneurone die visuelle Wahrnehmung reaktivieren kann. Da die Methode aber nur zwölf Wochen nach der Erblindung Erfolge zeigt und die Patienten des Anton-Syndroms in dieser kurzen Zeit wegen ihrer fehlenden Einsicht in der Regel nicht einmal den Arzt aufsuchen, kommt das Verfahren für das Anton-Syndroms oft nicht in Frage.

Aussicht & Prognose

Eine Prognose ist bei dem Anton-Syndrom maßgeblich abhängig von der Krankheitseinsicht des Patienten und dessen Mitarbeit im Behandlungsprozess. Die Einsicht ist in nahezu allen Fällen bei den Erkrankten nicht vorhanden. Daher ist die Durchführung einer Behandlung erschwert oder nicht möglich. Ohne eine medizinische Versorgung bleiben die Symptome dauerhaft erhalten. Es kommt zu keiner Verschlechterung, aber auch zu keiner Verbesserung des Gesundheitszustandes.

Mit einer Behandlung können die Symptome gelindert werden. Erprobte neuroplastische Techniken führen innerhalb von Wochen und Monaten zu einer Linderung. Zusätzlich wird durch eine intensive Psychotherapie an den kognitiven Mustern, fehlerhaften Überzeugungen und Verhaltensänderungen des Patienten gearbeitet. Diese Vorgehensweise ist äußert schwierig und nimmt oftmals mehrere Monate oder Jahre Zeit in Anspruch.

Durch die fehlende Krankheitseinsicht brechen jedoch die wenigen Patienten, die sich zu einer Behandlung bereit erklärt haben, die Therapie frühzeitig ab. Zudem ist sie durch die fehlende Einsicht mit einem hohen Konfliktpotenzial zwischen dem Patienten und den behandelnden Ärzten sowie Therapeuten verbunden. Die Widrigkeiten erschweren die Aussicht und es kommt nur in äußert seltenen Fällen zu einem deutlichen Fortschritt im Heilungsprozess oder zu einer vollständigen Heilung. Bei einer Akzeptanz der Erkrankung oder Vertrauen in die behandelnden Ärzte besteht hingegen eine gute Prognose.


Vorbeugung

Dem Anton-Syndrom lässt sich in Maßen über dieselben Schritte vorbeugen, wie dem Schlaganfall, der das Syndrom in der Regel auslöst.

Nachsorge

Bei dem Anton-Syndrom handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die nicht ursächlich behandelt werden kann. Die Nachsorge konzentriert sich in erster Linie auf regelmäßige Screenings und eine möglichst konstante Anpassung der Behandlung an den aktuellen Gesundheitszustand des Betroffenen. Darüber hinaus müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustands zu vermeiden.

Dazu zählen zum einen therapeutische Übungen und zum anderen eine umfassende Medikation, die ebenfalls regelmäßig geprüft und angepasst werden muss. Der Patient muss einmal wöchentlich ärztlich untersucht werden. In den späteren Stadien der Erkrankung ist eine stationäre Behandlung im Krankenhaus erforderlich. Teil der Nachsorge sind Sehtests und neurologische Untersuchungen, die von der Ausprägung des Anton-Syndroms abhängen.

Wenn Begleitsymptome auftreten, müssen weitere Ärzte hinzugezogen werden. Unter Umständen ist auch eine psychologische Beratung notwendig. Nicht nur die Betroffenen selbst, auch die Angehörigen und Freunde benötigen häufig die Unterstützung eines Fachmanns. Da das neurologische Syndrom langsam voranschreitet, geht die Nachsorge immer mit der aktiven Behandlung der Beschwerden einher. Der Patient befindet sich schließlich dauerhaft in ärztlicher Therapie und muss dementsprechend Schritte einleiten, um den damit verbundenen Stress zu verarbeiten und abzubauen.

Das können Sie selbst tun

Die Betroffenen des Anton-Syndroms können in aller Regel nicht unmittelbar zur Therapie der ursächlichen Grunderkrankung beitragen. Sie können jedoch lernen, den Alltag trotz ihrer Krankheit zu meistern, was allerdings zunächst voraussetzt, dass sie diese akzeptieren. Die Einsicht darin, dass tatsächlich eine behandlungsbedürftige Störung des Sehvermögens vorliegt, ist der erste Schritt zur Selbsthilfe und eine große Herausforderung für die Patienten und ihre Angehörigen.

Solange die Patienten uneinsichtig sind, ist es wichtig, dass das soziale Nahfeld sie auf sensible, aber konsequente Weise mit ihrem Leiden konfrontiert. Die Betroffenen können zum Beispiel auf Unstimmigkeiten zwischen optischer und haptischer Wahrnehmung hingewiesen werden. So kann der Patient gebeten werden zu beschreiben, was eine andere Person gerade in der Hand hält. Der Patient kann dann selbst prüfen, ob seine visuelle Wahrnehmung mit dem, was er ertastet, übereinstimmt. Besonders effektiv ist die Verwendung von Eiswürfeln. Hier erkennt der Betroffene sofort, dass er etwas anderes sieht, als er fühlt.

Das soziale Umfeld muss außerdem die Unfallprophylaxe gewährleisten. Möbel sollten nicht umgestellt, scharfkantige Gegenstände und Stolperfallen wie Teppiche und Läufer aber entfernt und der Zugang zu Treppenhäusern stets verschlossen gehalten werden. Keinesfalls darf der Betroffene noch selbständig am Straßenverkehr teilnehmen. Solange sich die Person ihrer Blindheit nicht bewusst ist, sollte sie das Haus nicht alleine verlassen.

Darüber hinaus sollte auf den Beginn einer psychotherapeutischen oder psychopharmakologischen Therapie hingewirkt werden. Sobald der Patient einsieht, dass er erblindet ist, kann versucht werden, Alltagsdefizite durch physiotherapeutische Maßnahmen zu kompensieren.

Quellen

  • Augustin, A.J.: Augenheilkunde. Springer, Berlin 2007
  • Dahlmann, C., Patzelt, J.: Basics Augenheilkunde. Urban & Fischer, München 2014
  • Lang, G. K.: Augenheilkunde. Thieme, Stuttgart 2014

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