Axialmigration
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Axialmigration im Blutfluss bringt die verformbaren Erythrozyten mittels wandnaher Scherkräfte in kleineren Gefäßen zur Verdrängung in den Axialstrom. So entstehen zellarme Randströmungen, die Stenosen in den Kapillaren vorbeugen. Dieser Effekt ist ein Teil des Fåhraeus-Lindqvist-Effektes und kann durch Formveränderungen der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) eingeschränkt werden.
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Was ist die Axialmigration?
Das Blut ist eine viskose Flüssigkeit. Die Viskosität ist ein Maß der Zähflüssigkeit. Je größer die Viskosität, desto zähflüssiger ist das Fluid. Die Fluidbestandteile sind bei höherer Viskosität enger aneinander gebunden und somit unbeweglicher. In diesem Zusammenhang ist von innerer Reibung die Rede.
Um alle Körpergewebe problemlos erreichen und sogar durch die dünnsten Kapillaren hindurchtreten zu können, verhält sich das menschliche Blut, anders als eine Newtonsche Flüssigkeit, nicht proportional, sondern ist durch den Fåhraeus-Lindqvist-Effekt von unterschiedlicher Viskosität.
Der Fåhraeus-Lindqvist-Effekt bezieht sich auf die Abnahme der scheinbaren Blutviskosität in Gefäßen mit abnehmendem Gefäßdurchmesser. Diese Viskositätsveränderung verhindert kapillare Stasen und hängt mit der Axialmigration der Erythrozyten zusammen.
Bei der Axialmigration (im Blutfluss) wandern die verformbaren roten Blutkörperchen aufgrund von wandnahen Scherkräften in den mittigen Strom. So entsteht eine zellarme Randströmung und der Plasmastrom um die Zellen herum kann als Gleitschicht fungieren.
Der Fåhraeus-Lindqvist-Effekt und die damit verbundene Axialmigration der Erythrozyten ist damit die Ursache der sinkenden Blutviskosität in engen Gefäßen der Kreislaufperipherie. In Gefäßen mit größerem Lumen hebt sich die Axialmigration der Erythrozyten auf und das Blut wirkt viskoser.
Funktion & Aufgabe
Für die Anpassungsfähigkeit der Blutviskosität sind vor allem die Erythrozyten verantwortlich. Die Blutzellen sind verformbar und bewegen sich in organisierter Weise fort. Bei niedriger Strömungsgeschwindigkeit drängen sie sich zu zusammen, ähnlich wie etwa Geld in Münzrollen.
Sobald die Schubspannung extrem sinkt, steigt die Viskosität dementsprechend. Das Blut weist in dieser Situation die Eigenschaften eines Festkörpers auf. Höhere Schubspannungen lassen das Blut dagegen mehr Eigenschaften einer Flüssigkeit entwickeln. Hohe Schubspannung macht das Blut also flüssiger und damit fließfähiger.
Aufgrund dieser Zusammenhänge bestehen für das Blut in der Aorta, mit großem Durchmesser, und in den eng-lumigen Arteriolen, mit sehr kleinem Durchmesser, Viskositätsunterschiede. In diesem Zusammenhang kommt die Axialmigration der Erythrozyten ins Spiel. Die Zellen wandern in den mittigen Blutstrom, sobald die Gefäße enger werden. Zu dieser Wanderung sind die Erythrozyten wegen ihrer Verformbarkeit fähig.
Durch die Axialmigration der Erythrozyten ist die effektive Viskosität in den eng-lumigen Gefäßen der Peripherie etwa halb so groß, wie in den groß-lumigen Gefäßen des Körperzentrums. Diese Zusammenhänge sind im Fåhraeus-Lindquist-Effekt beschrieben.
Die wandnahen Scherkräfte verursachen eine Erythrozyten-Verdrängung in den Axialstrom und lassen so eine zellarme Randströmung entstehen. Der umspülende Plasmarandstrom wird zu einer Gleitschicht, in der das Blut fluider zu fließen scheint. Der Hämatokrit reduziert so seinen Einfluss auf den peripheren Widerstand in Gefäßen unter 300 µm. Der Reibungswiderstand in diesen Gefäßen reduziert sich.
Krankheiten & Beschwerden
Eine zu große Form nehmen die Erythrozyten oft bei Alkoholismus an. Neben einem größeren Durchmesser von über zehn μm weisen sie ein erhöhtes Volumen auf, sodass ihre Axialmigration gestört werden kann. Während die roten Blutkörperchen bei Alkoholismus meist eine normale Grundformgestalt behalten und lediglich zu vergrößerten Makrozyten werden, können sie im Rahmen anderer Erkrankungen ihre Grundgestalt vollständig verlieren.
Vergrößerte und zugleich oval erscheinende Erythrozyten werden als Megalozyten bezeichnet und treten vor allem bei Mangelerscheinungen wie Vitamin-B12- oder Folsäuremangel auf.
Zu kleine Erythrozyten mit Durchmessern unter sieben μm besitzen ein erniedrigtes Volumen. Falls die verkleinerten Blutkörperchen ansonsten normale Form besitzen, liegt dem typischerweise entweder Eisenmangel oder Thalassämie zugrunde.
Bei vielen Formen der Anämien liegen starke Abweichungen in der Grundform vor, so zum Beispiel bei der Sichelzellanämie. Zu einer Ringform verwandeln sich rote Blutkörperchen manchmal bei Eisenmangelanämie. Eine Keulen-, Birnen- oder Mandelform liegt bei allen schweren Anämien vor.
Zerrissene Erythrozyten entsprechen Schistozyten und können nach dem Einsatz künstlicher Herzklappen auftreten. Außerdem kennzeichnen Schistozyten Knochenmarktransplantationen und Verbrennungen. Aufgrund von Formveränderungen verlieren die Erythrozyten an Elastizität. Der Durchtritt durch enge und gekrümmte Gefäße fällt formveränderten Erythrozyten nicht mehr leicht. Die Axialmigration im Blutfluss kann so von Formveränderungen der Erythrozyten eingeschränkt werden.
Da die roten Blutkörperchen vom Körper als defekt erkannt werden, werden sie innerhalb der Milz verstärkt abgebaut. Das Knochenmark soll sie daraufhin mit neuen Erythrozyten ersetzen. Da bei verschiedenen Mangelerscheinungen und Erkrankungen keine wohlgeformten Erythrozyten nachgebildet werden können, bleibt die Anämie bestehen. Der vermehrte Abbau von roten Blutkörperchen lässt sich aus dem kleinen Blutbild ablesen.
Quellen
- Luther, B. (Hrsg.): Kompaktwissen Gefäßchirurgie. Springer, Berlin 2011
- Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage. De Gruyter, Berlin 2015
- Schartl, M., Biochemie und Molekularbiologie des Menschen. 1. Auflage, Urban & Fischer Verlag, München 2009