Coffin-Lowry-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Coffin-Lowry-Syndrom ist ein Fehlbildungssyndrom, das von einer Mutation hervorgerufen wird. Die mutationsbedingt defekte RSK2-Kinase der Patienten verliert ihre Phosphotransferase-Aktivität und ist für die multiplen Fehlbildungen verantwortlich. Die Behandlung von Patienten mit dem Syndrom ist rein symptomatisch.
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Was ist das Coffin-Lowry-Syndrom?
Fehlbildungssyndrome sind wiederholt auftretende Kombinationen verschiedener Fehlbildungen, die von Geburt an vorliegen und mehrere Organe oder Gewebe des Körpers betreffen. In die Gruppe der Fehlbildungssyndrome fallen unterschiedliche Erkrankungen, die entweder durch endogene Faktoren wie Mutationen oder exogene Störungen wie Viren und Toxine hervorgerufen werden.
Das Coffin-Lowry-Syndrom ist ein Symptomkomplex mit genetischer Basis, der zu den Fehlbildungssyndromen gehört. Die Betroffenen weisen körperliche Besonderheiten wie verbreiterte Nase und vergrößerte Lippen auf. Die Erstbeschreibung des Syndroms geht auf die US-amerikanischen Pädiater G. S. Coffin und R. B. Lowry zurück.
Beide beschrieben das Syndrom unabhängig voneinander Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Das Coffin-Lowry-Syndrom besitzt eine Inzidenz von einem Fall unter 50.000 Neugeborenen. Das männliche Geschlecht ist häufiger betroffen ist, da die genetische Ursache der Störung auf dem X-Chromosom gelegen ist. In den meisten Fällen handelt es sich bei betroffenen Mädchen um symptomlose Trägerinnen.
Ursachen
Die Ursache für das Coffin-Lowry-Syndrom liegt in den Genen. Patienten mit dem Syndrom weisen eine Veränderung auf dem X-Chromosom auf, das im Genlocus Xp22.2-p22.1 gelegen ist. Das zugehörige Gen übernimmt in der DNA die Kodierung für ein Protein namens RPS6KA3 (RSK2). Dieses Protein ist als Enzym Kinase an der Bildung von Nervenzellen beteiligt.
Darüber hinaus spielt es für das Knochenwachstum eine Rolle und übt in bestimmtem Umfang Kontrolle auf den Zellzyklus aus. Auch bestimmte Signalpfade der Zellkommunikation werden unter Beteiligung des Enzyms reguliert. Durch die Mutation auf dem beschriebenen Genlocus verändert das Protein RSH2 seine Struktur und kann als Bestandteil der Kinase somit nicht mehr in vollem Umfang seine physiologische Funktion erfüllen.
Die defekte RSK2-Kinase verliert vor allem ihre Phosphotransferase-Aktivität, worauf sich alle Symptome des Coffin-Lowry-Syndroms zurückführen lassen. Die Mutation wird im X-chromosomal-dominanten Erbgang weitergegeben. Das Coffin-Lowry-Syndrom lässt sich daher als hereditäre Erkrankung oder Erberkrankung bezeichnen. Nichtsdestotrotz sind bis zu 80 Prozent der Patienten in der Familie Einzelfälle.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Patienten mit Coffin-Lowry-Syndrom leiden an einem Komplex aus unterschiedlichen Symptomen und Fehlbildungen. Meist besitzen sie eine außergewöhnlich kräftige Stirn und starke Augenbrauenbögen. Neben einem breiten Nasenrücken fällt ihr weiter Augenabstand ins Auge.
Ihre Lidachsen ziehen sich oft nach unten und nehmen damit antimongoloide Stellung ein. Außerdem liegt ist die Nasenbodenebene oft nach vorne gewandt. Die Lippen sind meist voll, wobei die Unterlippe evertiert wirkt. Neben großen und weichen Hände mit locker sitzender Haut zeichnet die Überstreckbarkeit der Hand- und Fingergelenke die Symptomatik aus.
Viele Patienten besitzen spitze Finger und leiden an einer progredienten Kyphoskoliose, die die Atmung und Herzaktivität beeinträchtigen kann. Auch Mikrognathie wurde als Symptom des Syndroms dokumentiert. Mental liegt oft eine Retardierung mit unterschiedlich starker Ausprägung vor.
Abgerundet wird das Krankheitsbild im Einzelfall durch Schwerhörigkeit, Sturzepisoden, Epilepsie oder extreme Berührungsempfindlichkeit. Neben den genannten Symptomen treten oft Knochensymptome auf. Auch Adipositas oder psychiatrische Störungen können vorkommen. Frauen bleiben oft zeitlebens symptomlos.
Diagnose & Verlauf
Differentialdiagnostisch muss bei entsprechendem Erscheinungsbild neben dem Coffin-Lowry-Syndrom die Möglichkeit eines anderen Fehlbildungssyndroms in Erwägung gezogen werden. Zu diesen Differentialdiagnosen zählen neben dem α-Thalassämie-Geistige-Retardierung-Syndrom das fragile X-Syndrom, das Sotos-Syndrom und das Williams-Beuren-Syndrom sowie das ATR-X-Syndrom.
Zur Diagnose leitet in aller Regel das klinische Bild, das von radiologischen Befunden wie einer kranialen Hyperostose oder einem abnorm geformten Wirbelkörper, einem retardierten Knochenalter oder büschelförmigen Endphalangen unterstützt werden kann. Mit der Mutationsanalyse im RPS6KA3-Gen ist eine Sicherung der Diagnose in kürzester Zeit möglich.
Die Prognose für Patienten mit dem Syndrom hängt vom Schweregrad ab. In den meisten Fällen besteht eine ungünstige Prognose, die sich durch regelmäßige Kontrollen und eine frühe Diagnose allerdings verbessern lässt.
Komplikationen
Aufgrund des Coffin-Lowry-Syndroms kommt es beim Patienten zu unterschiedlichen Fehlbildungen und Komplikationen. In den meisten Fällen zeichnet sich das Syndrom durch Fehlformationen im Gesicht aus, wobei vor allem die Augenbrauen in Form von Bögen angeordnet sich. Auch der Abstand der Augen ist größer als bei nicht erkrankten Menschen.
Aufgrunddessen fühlt sich der Patient in vielen unattraktiv und leidet an einem verringerten Selbstwertgefühl. Die Finger und Gelenke können überstreckt werden und die Haut des Betroffenen sitzt locker. In einigen Fällen kann es auch zu einer Beeinträchtigung der Atmung und der Herzfunktion kommen, sodass es für den Patienten nicht möglich ist, körperliche Arbeiten durchzuführen. Es entwickelt sich auch eine mentale Störung und Retardierung, sodass der Patient oft auf die Hilfe anderer Personen angewiesen ist.
Auch die Schwerhörigkeit kann als Komplikation beim Coffin-Lowry-Syndrom auftreten und dabei das Leben des Patienten weiterhin erschweren. In schwerwiegenden Fällen kommt es zu epileptischen Anfällen oder psychischen Störungen. Die Behandlung des Coffin-Lowry-Syndrom zielt nur auf die Behandlung der Symptome selbst ab, die Krankheit kann an sich nicht geheilt werden. Durch das Syndrom kommt es zu einer verringerten Lebenserwartung. In der Regel erfolgt die Behandlung in Form von Therapien, sodass es dabei zu keinen weiteren Komplikationen kommt.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
In den meisten Fällen werden die Fehlbildungen des Coffin-Lowry-Syndroms schon direkt nach der Geburt des Patienten erkannt, sodass auch eine frühzeitige Behandlung beginnen kann. Ein Arzt sollte allerdings immer aufgesucht werden, wenn das Kind an Fehlbildungen leidet, vor allem falls diese erst im weiteren Verlauf der Entwicklung auftreten. Auch eine Überstreckbarkeit der Gelenke oder der Hände kann auf das Coffin-Lowry-Syndrom hindeuten und bedarf einer medizinischen Untersuchung. Die Eltern sollten ebenfalls dann einen Arzt aufsuchen, wenn das Kind an Atembeschwerden leidet, da dadurch auch das Herz geschwächt werden kann.
In vielen Fällen leiden die Patienten auch an einer geistigen Retardierung und benötigen aus diesem Grund eine besondere Unterstützung im Leben. Je früher die Retardierung erkannt wird, desto besser kann diese behandelt werden. Sollte es durch das Coffin-Lowry-Syndrom zu einem epileptischen Anfall kommen, so muss dieser ebenfalls durch einen Notarzt behandelt werden. Die Diagnose des Syndroms wird in der Regel durch einen Kinderarzt oder einen Allgemeinarzt gestellt. Die weiteren Behandlungen richten sich allerdings stark nach der Ausprägung der Beschwerden.
Behandlung & Therapie
Für eine angemessene Behandlung des Coffin-Lowry-Syndroms ist eine möglichst frühe Diagnose entscheidend. Im Wesentlichen wirkt sich diese frühe Diagnose positiv auf eine eventuell progrediente Kyphoskoliose aus. Die Herz-Kreislauf-Funktionen der Betroffenen können bei früher Diagnose engmaschig überwacht werden.
Die Behandlung der Patienten ist als symptomatisch supportive Behandlung zu verstehen. Eine kausale Behandlung zur Heilung des Syndroms steht bislang nicht zur Verfügung. Eventuell wird sich daran etwas ändern, sobald gentherapeutische Ansätze die klinische Phase erreichen. Standard-Therapien für Patienten mit Coffin-Lowry-Syndrom existieren derzeit genauso wenig wie ursächliche Therapiemaßnahmen.
Eine progrediente Kyphoskoliose kann so zum Beispiel Krankengymnastik oder Korsettanwendungen erfordern, allerdings ist die voraussichtliche Effektivität der unterschiedlichen Behandlungsoptionen anhand des Einzelfalls einzuschätzen. Da viele der Patienten an intellektuellen Defiziten leiden, wird oftmals Frühförderung angeboten.
Auch logopädisches Sprachtraining kann Sinn machen, falls Symptome wie verzögerter Spracherwerb vorliegen. Einige der faszialen Fehlbildungen können mittels plastischer Chirurgie korrigiert werden. Allerdings sind reine Schönheitsfehler solange zu vernachlässigen, wie körperfunktionsbeeinträchtigende Fehlbildungen nicht unter Kontrolle gebracht wurden.
Aussicht & Prognose
Da es beim Coffin-Lowry-Syndrom durch einen genetischen Defekt zu einer Reihe verschiedener Fehlbildungen und Missbildungen kommt, können diese nicht vollständig geheilt und auch nicht kausal behandelt werden. Dem Betroffenen steht daher ausschließlich eine symptomatische Therapie zur Verfügung, die vor allem die Epilepsie einschränken soll.
Die Schwerhörigkeit kann in der Regel nur durch ein Hörgerät behandelt werden. Sollte es zu einem vollständigen Hörverlust kommen, so kann dieser nicht mehr behandelt werden. Die einzelnen Fehlbildungen können mit verschiedenen Übungen aus der Physiotherapie oder der Krankengymnastik behandelt werden. Meistens kann der Betroffene damit ein gewöhnliches Leben führen, ohne dass es zu Einschränkungen kommt. Auch Korsettanwendungen können dabei die Beschwerden lindern. Einige der Fehlbildungen können auf Wunsch durch einen chirurgischen Eingriff behandelt werden. In der Regel treten dabei keine weiteren Komplikationen auf.
Da die meisten Patienten durch das Coffin-Lowry-Syndrom auch nicht richtig sprechen können, ist ein logopädisches Training notwendig, welches den Alltag des Patienten erleichtern. Sollte das Coffin-Lowry-Syndrom nicht therapiert werden, so erschweren die Symptome das Leben des Patienten extrem und können eventuell auch die Lebenserwartung verringern. Eine vollständige Heilung des Syndroms wird allerdings nicht erreicht.
Vorbeugung
Die einzige Präventionsmöglichkeit ist im Kontext des Coffin-Lowry-Syndroms eine genetische Beratung. In Risikofamilien mit bekannter Mutation kann beispielsweise eine vorgeburtliche Diagnostik inklusive Heterozygotentest durchgeführt werden. Genetische Beratung sollte in der Familienplanung in Betracht gezogen werden. Die Entscheidung gegen ein eigenes Kind und zur Adoption kann für Risikofamilien ein denkbarer Vorsorgeschritt sein.
Nachsorge
Patienten, die am Coffin-Lowry-Syndrom leiden, sind auf eine langfristige Nachsorge angewiesen. Um die körperlichen Einschränkungen zu reduieren, sollte bereits während der Behandlung der akuten Beschwerden mit Reha-Maßnahmen begonnen werden. So können etwaige Fehlhaltungen und andere typische Symptome reduziert werden.
Die Physiotherapie ist essenziell für die Wiederherstellung der motorischen Fähigkeiten des Patienten. Betroffene können außerdem selbst üben, zu Hause und beim Sport. Nach einer Operation muss der Facharzt wöchentlich den Heilungsverlauf der Operationswunden kontrollieren und gegebenenfalls Schmerzmittel oder Wundsalben verordnen.
Zur Nachsorge gehören auch eine Psychotherapie und eine medikamentöse Behandlung mit Schmerzmitteln, Beruhigungsmitteln und Antidepressiva. Außerdem sollten Aufmerksamkeit und Konzentration trainiert werden. Trotz aller Maßnahmen benötigen Menschen, die am Coffin-Lowry-Syndrom leiden, auch nach der eigentlichen Behandlung eine konstante Pflege. Dadurch treten oftmals psychische Beschwerden auf, die ebenfalls langfristig behandelt werden müssen.
Die Erkrankten müssen einen geeigneten Therapeuten hinzuziehen, der den Patient individuell beraten kann. Begleitend dazu sind Gespräche mit anderen Betroffenen sinnvoll. Die ärztlichen Kontrolluntersuchungen sind ein wichtiger Teil der Nachsorge und sollten zweimal pro Monat stattfinden. Da das Coffin-Lowry-Syndrom in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten kann, hängt die individuelle Therapie und Nachsorge immer vom Gesundheitszustand des Patienten ab und kann dementsprechend stark variieren.
Das können Sie selbst tun
Das Coffin-Lowry-Syndrom ist genetisch bedingt. Es gibt bisher weder schulmedizinische Methoden noch alternative Heilverfahren, um die Krankheit kausal zu therapieren. Allerdings ist es möglich, Maßnahmen gegen eine Reihe der Symptome zu ergreifen und die Schwierigkeiten, mit denen die Betroffenen bei der Bewältigung ihres Alltags konfrontiert werden, besser zu bewältigen.
Der häufig auftretenden Adipositas kann durch eine gesunde, fettarme Ernährung vorgebeugt werden. Die Patienten bzw. deren Angehörige können sich von einem Ökotrophologen einen Ernährungsplan erstellen lassen. Damit sollte bereits bei den ersten Anzeichen von Übergewicht begonnen werden.
Viele Patienten leiden auch unter ihrem oftmals sehr auffälligen äußeren Erscheinungsbild. Sofern es sich um vereinzelte Anomalien handelt, wie zum Beispiel ein überbreite Nase oder stark vergrößerte Lippen, kann der Patient sein Aussehen durch eine Schönheitsoperation normalisieren. Falls die Probleme des Patienten nicht mittels der plastischen Chirurgie behoben werden können, kann er im Rahmen einer Psychotherapie lernen, mit den Reaktionen Dritter auf sein äußeres Erscheinungsbild besser zurechtzukommen.
Im Falle von Sprach- und Bewegungsstörungen sollten ein Logopäde und ein Physiotherapeut zugezogen werden. Durch konsequentes Training kann der Patient diese Symptome meist deutlich mindern. Im Fall einer eingeschränkten Lernfähigkeit ist es wichtig, dass sich die Eltern betroffener Kinder um eine geeignete Frühförderung kümmern.
Quellen
- Groß, U.: Kurzlehrbuch Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie. Thieme, Stuttgart 2013
- Wassermann, K., Rohde, A.: Pränataldiagnostik und psychosoziale Beratung. Schattauer, Stuttgart 2009
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003