Störung der Sinnesverarbeitung
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Als Störung der Sinnesverarbeitung ist eine Krankheitsgruppe bekannt, die mit Schwierigkeiten bei der sensorischen Integration verschiedener Reize verbunden ist. Die Betroffenen reagieren durch die gestörte Reizverarbeitung unangemessen auf ihre Umwelt. In einer Beschäftigungstherapie lässt sich die sensorische Integration verbessern.
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Was ist eine Störung der Sinnesverarbeitung
Der Mensch besitzt intero- und exterozeptive Wahrnehmungssysteme. Reize aus dem eigenen Inneren werden also genauso wahrgenommen wie Reize aus der äußeren Umwelt. Die Verbindung zwischen intero- und exterozeptiven Wahrnehmungsreizen stellt die sensorische Integration her. Erst durch die Verbindung der Reize ist es dem Menschen möglich, seinen eigenen Körper zielgerichtet für Handlungen als Reaktion auf exterozeptive Sinneswahrnehmungen einzusetzen.
Eine Störung der sensorischen Verarbeitung liegt vor, wenn multisensorische Integration nicht mehr in angemessenem Ausmaß stattfindet und dem Patienten so keine angemessenen Reaktionen auf die spezifischen Umweltanforderungen möglich sind. Um in seiner Umwelt gut zu funktionieren, benötigt der Mensch all seine Sinneswahrnehmungen. Sowohl die visuelle und akustische, als auch die haptischer, olfaktorische, gustatorische und propriozeptive Wahrnehmung oder der vestibuläre Sinn sind dazu von Nöten.
Die Störung der Sinnesverarbeitung ist von Problemen bei der Integration von Eindrücken verschiedener Sinnessystemen gekennzeichnet und ruft vor allem verminderte Leistungsfähigkeit hervor. Der haptische, vestibuläre und propriozeptive Bereich sind besonders oft betroffen. Störungen der Sinnesverarbeitung lassen sich in drei Bereiche unterscheiden:
- Modulationsstörungen
- Sensomotorische Störungen
- Sensorische Diskriminierungsstörungen
Ursachen
Eine Störung der Übertragungsprozesse beeinträchtigt die Interpretation von Reizen und erschwert damit die Reaktion auf Reize. Gehirnverletzungen in Bereichen der multisensorischen Reizverarbeitung können die Ursache für unangemessen funktionale Reizverarbeitung sein. Sowohl genetische, als auch neurologische Gründe kommen so für eine Störung der Sinnesverarbeitung infrage.
Überreaktionen und Übererregbarkeiten in der haptischen und akustischen Wahrnehmung sind laut der aktuellen Forschung vermutlich genetisch beeinflusst. Eine aktuelle These besagt, dass bei den Betroffenen nach dem Eintreffen multisensorischer Reize komplexe Systeme im Frontallappen aktiviert werden, die kognitiv ebenso komplexe Prozesse starten.
Dieser Prozess tritt an die Stelle der automatischen Integration multisensorischer Reize. Zusätzlich wurden ungewöhnliche Mikrostrukturen in der Weißen Substanz von Betroffenen entdeckt, die ursächlich für das Phänomen gestörter Sinneswahrnehmung sein könnten.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Symptomatisch äußern sich Störungen der Sinnesverarbeitung besonders vielfältig und hängen stark von der Art und Unterart der Erkrankung ab. Diagnoserelevant sind ausschließlich Störungen mit klar funktionalen Einschränkungen. Personen mit taktilen Überreaktionen können beispielsweise eine stark beeinträchtigende Abneigung gegen bestimme Stoffe, Pflegemittel oder Lebensmittel aufweisen oder den Körperkontakt mit anderen Personen vermeiden.
Auditiv Überempfindliche meiden oft öffentliche Plätze und Gruppentreffen. Für alle Überempfindlichkeiten sind zudem Schlafstörungen und innere Unruhe oder anhaltender Stress kennzeichnend. Personen mit Unterreaktionen in einem oder mehreren Sinnessystemen wirken häufig abwesend oder verlangsamt. Manchmal sind sich die Betroffenen von taktilen Unterempfindlichkeiten Schmerzen nicht bewusst.
Auditiv Unterempfindliche wirken taub, obwohl sie hören können. Personen mit Modulationsstörung wirken meist zappelig und impulsiv oder suchen unbewusst nach extremen Sinneseindrücken. Patienten mit sensormotorischen Störungen machen einen langsamen und unkoordinierten Eindruck, der mit ungeschickten bis schlechten Motorik-Fähigkeiten vergesellschaftet ist.
Wenn eine sensorische Diskriminierung vorliegt, lassen die Patienten Gegenstände oft fallen oder haben Schwierigkeiten bei alltäglichen Anforderungen wie dem Anziehen. Zusätzlich können die Patienten ihre eigene Körperkraft häufig nicht einschätzen und nur schwer koordinieren. Schlechtes Gleichgewicht, schwacher Muskeltonus, verminderte Haltungskontrolle und Schwierigkeiten bei der Bewegungsplanung können zusätzliche Anzeichen sein.
Diagnose & Kranheitsverlauf
Die Diagnose einer Störung in der Sinnesverarbeitung basiert meist auf der Durchführung von Standard-Tests, der Anamnese nach Standard-Fragenkatalog und Beobachtungsmaßstäben. Die Diagnose wird gemeinsam von Ergotherapeuten, Psychologen, Lernspezialisten, Physiotherapeuten und Neurologen gestellt und schließt meist eine umfassend psychologische und neurologische Beurteilung ab.
Standardisierte Tests und Diagnostika sind beispielsweise der Sensory Integration and Praxis Test, der DeGangi-Berk Test of Sensory Integration und der Test of Sensory Functions in Infants. Standardisierte Fragenkataloge zur Diagnosestellung umfassen das Sensory Profile, das Infant/Toddler Sensory Profile und das Adolescent/Adult Sensory Profile sowie das Sensory Profile School Companion, den Sensory Processing Measure und den Sensory Processing Measure Preschool.
Komplikationen
Diese Störung wirkt sich häufig auch negativ auf den Schlaf aus, sodass es zu Schlafbeschwerden und damit zu Depressionen und zu Stress kommen kann. Auch eine innere Unruhe tritt dabei häufig auf und wirkt sich sehr negativ auf die Lebensqualität des Betroffenen aus. Die Betroffenen können bei der Störung der Sinnesverarbeitung auch erblinden oder den Gehörsinn vollständig verlieren. Weiterhin kommt es zu Beschwerden der Koordination und der Konzentration.
Auch das Gleichgewicht kann nicht mehr ohne Weiteres gehalten werden. Die Behandlung dieser Erkrankung richtet sich stark nach den genauen Ursachen. Allerdings ist in vielen Fällen keine direkte Behandlung möglich, sodass die Störungen nicht vollständig eingeschränkt werden können. In einigen Fällen leiden die Patienten dabei schon von Geburt aus an diesen Störungen, sodass eine Behandlung ebenso nicht möglich ist.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Werden im Vergleich zu Menschen aus dem unmittelbaren Umfeld des Betroffenen Unregelmäßigkeiten und starke Abweichungen bei der Verarbeitung von Sinnesreizen bemerkt, sollten diese näher beobachtet werden. Es ist darauf zu achten, welche Sinne es betrifft und wie das Ausmaß der Veränderungen ist. Werden beispielsweise Geräusche intensiver verarbeitet und Töne lauter wahrgenommen, ist dies von einem Arzt untersuchen und abklären zu lassen. Sind die Abweichungen in regelmäßigen Abständen zu beobachten oder leidet der Betroffene dauerhaft unter ihnen, besteht Anlass zur Besorgnis. Treten aufgrund der Beschwerden Schlafstörungen, eine innere Unruhe oder Nervosität auf, sollte ein Arzt konsultiert werden.
Ein unsicherer Gang, Probleme bei der Fortbewegung oder eine geringe körperliche Leistungsfähigkeit sind einem Arzt vorzustellen. Leidet der Betroffene unter Stress, zeigt er in seinem Verhalten oft starke emotionale Reaktionen oder kommt es zu einem Zustand der psychischen Belastung, ist die Abklärung der Ursache anzuraten. Werden natürliche Gerüche als unangenehm empfunden, sollte der Betroffene prüfen, ob er dafür Hilfe in Anspruch nehmen möchte. In vielen Fällen liegen andere Störungen vor, die ursächlich für diese Wahrnehmung sind. Es empfiehlt sich, die Beschwerden abklären zu lassen, um Erkrankungen ausschließen zu können und besser mit der Sinnesverarbeitung umgehen zu können.
Behandlung & Therapie
Zur Therapien einer Störung in der Sinnesverarbeitung kommen verschiedene Ansätze infrage, die allesamt einer kausale Behandlung entsprechen. Der Behandlungsweg hängt vom betroffenen Sinnessystem ab. Die Therapie für eine Störung des vestibulären Systems kann beispielsweise einer Behandlung mit systemstimulierenden Hilfsmitteln wie der Reifenschaukel entsprechen.
Analog dazu sind alle Hauptformen der Therapie eine Beschäftigungstherapie, die das jeweilige Sinnessystem aktivieren soll. Der Therapeut stellt dem Kind Reize in genau dem Level zur Verfügung, das vom Kind bewältigt werden kann. Das Kind muss also dazu fähig sein, die Anforderungen zu bewältigen und passt das eigene Verhalten mit nützlichen Reaktionsstrategien an die Anforderungen der Therapie an.
Gerade Personen mit Unterreaktivitäten profitieren vom Einsatz starker Reize, die in der Therapie spielerisch eingesetzt werden. Betroffene von Überreaktivitäten erlernen demgegenüber eher beruhigende Aktivitäten und Strategien, so zum Beispiel Yoga oder Atemtechniken. Oft setzen Therapeuten auf das Entgegenkommen der Eltern und des Schulpersonals, um die Funktionsfähigkeit der betroffenen Sinne auch zu Hause oder in der Schule zu verbessern.
Die Behandlung von betroffenen Erwachsene unterscheidet sich von den aufgeführten Therapiemaßnahmen bei Kindern. Erwachsene Patienten leiden vermutlich seit ihrer Geburt an sensorischen Integrationsproblemen und haben als Folgeerkrankungen oft bereits Krankheiten wie das Asperger-Syndrom oder schwerwiegende Entwicklungsstörungen im Bereich der Koordination entwickelt.
Auch psychische Probleme sind häufige Folgeerkrankungen einer länger bestehenden Sinnesverarbeitungsstörung. Die Therapie eines erwachsenen Patienten muss daher abgestimmt auf die jeweiligen Folgeerkrankung erfolgen und wird häufig mit einer Psychotherapie kombiniert.
Vorbeugung
Da die Störung der Sinnesverarbeitung vermutlich genetisch bedingt ist, lässt sich der Erkrankung nicht vorbeugen. Das Risiko für Folgeerkrankungen kann allerdings durch eine frühe Diagnose und Therapie vermindert werden.
Wenn der Mensch es plötzlich nicht mehr schafft, alle Innen- und Außeneindrücke zu verarbeiten, liegt eine Störung der Sinnesverarbeitung vor. Normalerweise nimmt der Mensch Reize aus dem Inneren wahr und Reize aus der Umwelt. Das Gehirn stellt daraus eine sensorische Integration her, so dass der Mensch selbst nur eine Wahrnehmung hat und sich als Teil seiner Außenwelt empfindet. Nur indem der Mensch die Reize von innen und außen miteinander verbindet, kann er gezielt und bewusst handeln und gezielt Sinneswahrnehmungen umsetzen. Wenn der Mensch nicht mehr angemessen auf seine Umwelt reagieren kann, dann ist es möglich, dass eine Störung der sensorischen Verarbeitung vorliegt. Zur Wahrnehmung gehören Sehreize, Hörreize, Fühlreize, Tastreize, Geruchsreize und Geschmacksreize. Diese Reize ergänzen sich zu einer Reizwahrnehmung seiner selbst und der Umwelt.
Nachsorge
Ist eine Störung der Sinneswahrnehmung erst einmal festgestellt, gibt es verschiedene Wege, damit umzugehen. Zunächst stellt sich die Frage, wie die Störung den Alltag und die Arbeitskraft sowie das Sozialverhalten beeinträchtigt. Nachdem dies ermittelt wurde, kann man verschiedene Übungen und Trainingsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Reize durchführen.
Zum Beispiel kann der Geruchssinn gezielt durch Geruchs- und Geschmacksübungen geschult werden. Durch eine Ergotherapie kann das Tasten und Fühlen gezielt erlernt und sensibilisiert werden. Es handelt sich bei einer Störung der Sinnesverarbeitung um eine Störung des Gehirns und des Nervensystems, die unter Umständen auch durch die Umwelt ausgelöst sein kann.
Das können Sie selbst tun
Bei einer Störung der Sinnesverarbeitung bedarf es im Alltag einer starken inneren Ausgeglichenheit. Die Erkrankung stellt den Betroffenen und dessen Angehörige vor großen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, sind eine innere Gelassenheit, ein stabiles Selbstbewusstsein und Lebensfreude elementar.
Für die Stärkung der mentalen Kraft sollten Entspannungsverfahren angewendet werden. Meditation, Yoga oder autogenes Training helfen bei der Herstellung einer emotionalen Balance und Ausgeglichenheit. Hektik, Stress sowie Zustände einer inneren Unzufriedenheit sollten nach Möglichkeit abgebaut werden. Das Ausführen von beruhigenden Aktivitäten sowie eine ausgewogene Freizeitgestaltung sind anzuraten. Bei spielerischen Tätigkeiten ist ebenfalls darauf zu achten, dass Freude und Spaß im Mittelpunkt stehen. Unruhe oder der Aufbau von aggressiven Energien führen meist zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation. Aus diesem Grund sollten sie auf ein Mindestmaß reduziert werden.
Zur Vermeidung von Missverständnissen oder Konflikten im Alltag sollte das soziale Umfeld über die Erkrankung und die vorliegenden Beschwerden aufgeklärt werden. Dies ermöglicht eine bessere Handhabung der Entwicklungen für Angehörige, Freunde und Bekannte mit dem Patienten. Offenheit und Ehrlichkeit von allen Beteiligten haben eine unterstützende Wirkung. Darüber hinaus kann es für den Betroffenen als angenehm empfunden werden, wenn in Selbsthilfegruppen oder Internetforen ein Austausch mit anderen Erkrankten stattfinden kann.
Quellen
- Berlit, P.: Basiswissen Neurologie. Springer, Berlin 2007
- Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016