Dysthymie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 5. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Dysthymie ist eine sogenannte affektive Störung und wird auch als dysthymische Störung oder chronische Depression bezeichnet. Sie hat viele Gemeinsamkeiten mit der „gewöhnlichen“ Depression, die Symptome sind aber meist milder ausgeprägt.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Dysthymie?

Die Symptome der Dysthymie sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Die Betroffenen fühlen sich oft freudlos, antriebslos, müde, kraft- und mutlos.
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Die Dysthymie ist eine chronische depressive Verstimmung. Sie ist auch als depressive Neurose, neurotische Depression oder depressive Persönlichkeitsstörung bekannt. Die Betroffenen zeigen die typischen Symptome der Depression wie beispielsweise Müdigkeit, Freudlosigkeit oder Schlafstörungen. Die Symptome sind zwar nicht so stark ausgeprägt wie bei der normalen Depression, treten dafür aber über einen längeren Zeitraum auf.

Nicht selten verläuft die Dysthmie als chronische Dauerverstimmung. Charakteristisch für die Dysthmie ist der frühe Beginn. Für gewöhnlich sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene von der Dauerverstimmung betroffen. Manchmal sogar ein Leben lang.

Ursachen

Die genauen Ursachen der Dysthmie sind noch nicht geklärt. Selten liegt der Erkrankung nur eine Ursache zugrunde. Es handelt sich vielmehr um ein Zusammenspiel verschiedener krankheitsauslösender und krankheitsverursachender Faktoren. Bei genetischen Untersuchungen konnte eine familiäre Häufung der Dysthymie beobachtet werden.

Das bedeutet nicht, dass die Depression vererbt wird, sondern dass die Betroffenen ein höheres Risiko haben an Depressionen zu erkranken, da sie sensibler auf auslösende Faktoren reagieren. Situationen, die durch ein extrem hohes Stresslevel in Depressionen münden können, sind beispielsweise Armut, Arbeitslosigkeit, Trennungen vom Partner, der Verlust von geliebten Menschen oder eine eigene Erkrankung.

Wie gut Betroffene mit diesen seelischen Belastungen umgehen können, ist einerseits abhängig von ihrer genetischen Prägung und andererseits von ihrer Resilienz. Als Resilienz bezeichnet man die innere Stärke eines Menschen, seine seelische Widerstandskraft. Menschen mit hoher Resilienzkraft erkranken deutlich seltener an Dysthmie als Menschen, die nicht resilient sind. Resilienz wird vor allem durch positive Erlebnisse in der Kindheit geprägt.

Biochemisch lassen sich bei Depressionen Veränderungen im Gehirn feststellen. So gibt es ein Ungleichgewicht zwischen chemischen Botenstoffen. Bei der Dysthmie sind vor allem Serotonin und Noradrenalin betroffen. Auch das Stresshormon Cortisol ist im Urin von Depressiven in hoher Konzentration zu finden. Es ist allerdings noch unklar, ob diese Veränderungen Folge oder Ursache der Depression sind.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Symptome der Dysthymie sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Die Betroffenen fühlen sich oft freudlos, antriebslos, müde, kraft- und mutlos. Sie haben kein Selbstvertrauen und fühlen sich nicht selten von Kleinigkeiten überfordert. Das Ausräumen der Spülmaschine kann so zu einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis werden. Eventuell leiden die Patienten unter Schlafstörungen.

Der Schlaf ist wenig erholsam, sodass die Betroffenen sich morgens wie gerädert fühlen und es teilweise nicht schaffen überhaupt aus dem Bett aufzustehen. Viele können ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Charakteristisch für die Dysthymie ist auch das Gefühl der Gefühllosigkeit. Die Erkrankten fühlen sich wie erstarrt oder tot.

Positive Gefühle scheinen gar nicht mehr zu existieren, selbst negative Gefühle wie Wut oder Trauer können nicht mehr gefühlt werden. Sogar die Erinnerung an Gefühle kann verschwinden, die Betroffenen können sich also je nach Erkrankungsdauer auch gar nicht mehr erinnern, dass sie mal fröhlich waren, gelacht haben oder an etwas Freude hatten.

Die Dysthymie äußert sich aber nicht nur psychisch, sondern auch physisch. Neben den bereits erwähnten Schlafstörungen kann sich die Dysthymie auch in Form von Appetitverlust, Libidoverlust, Schwindel oder Magen-Darm-Beschwerden äußern. Für diese Symptome finden sich dann keine organischen Ursachen. Die Symptome einer Dysthmie sind nicht so stark ausgeprägt wie bei einer akuten Depression, die Betroffenen leiden aber oft Jahre bis Jahrzehnte unter ihnen.

Diagnose

Viele dysthyme Verstimmungen bleiben unentdeckt. Dies liegt zum einen daran, dass die Erkrankten nicht die nötige Energie aufbringen können, um bei einem Arzt vorstellig zu werden. Zudem ist das Stigma einer psychischen Erkrankung auch in der heutigen Zeit nicht zu unterschätzen. Zum anderen nehmen viele der Betroffenen ihre Symptome selber nicht ernst genug und halten sie für normale Stimmungsschwankungen.

Sind die Symptome der Depression als körperliche Beschwerden maskiert, ist eine Diagnose noch viel schwieriger und wird oft erst nach einer langen Ärzteodyssee gestellt. Bei Verdacht auf eine Dysthymie sollte ein ausführliches Gespräch mit einem Psychologen oder einem Arzt, bestenfalls mit einem Psychiater, erfolgen.

Die Diagnosestellung erfolgt mithilfe des Diagnose- und Klassifikationssystems ICD-10. Es müssen mindestens zwei Kern- und zwei Zusatzsymptome über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen auftreten. Zu den Kernsymptomen gehören depressive Stimmung, Verlust von Freude und verminderter Antrieb. Zusatzsymptome sind zum Beispiel Schlafstörungen, innere Unruhe oder Selbstmordgedanken.

Komplikationen

Obwohl die Dysthymie oft milder verläuft als die Major Depression, können Betroffene suizidal sein. Das Selbstmordrisiko wird dabei häufig unterschätzt. Umgekehrt ist jedoch nicht jede Person, die unter Dysthymie leidet, suizidal. Deshalb ist es besonders wichtig, diese Frage im Einzelfall zu klären.

Personen, die an den Tod denken, Selbstmord-Fantasien haben oder ihren eigenen Tod planen, sollten sich nach Möglichkeit einem anderen Menschen anvertrauen. Dazu kommt auch ein Arzt, Psychologe oder Therapeut in Frage. In akuten Fällen ist bei Suizidalität eine stationäre Behandlung angemessen – allerdings ist häufig auch eine ambulante Therapie mit Medikamenten oder psychologischen Methoden möglich, wenn der Betroffene stabil genug ist.

Insbesondere ohne Behandlung besteht bei der Dysthymie die Gefahr, dass sie sich zu einer Depression (Major Depression) entwickelt. Dabei sprechen Psychologen auch von einer Doppel-Depression (Double Depression). Eine solche depressive Episode ist in der Regel stärker ausgeprägt als die Dysthymie.

Als weitere mögliche Komplikation kann die Dysthymie darüber hinaus chronifizieren: Der depressive Zustand hält in diesem Fall dauerhaft an. Eine Therapie kann jedoch auch bei der chronifizierten Dysthymie Besserung oder vollständige Genesung bringen. Zusätzlich zur Dysthymie können sich weitere psychologische Komplikationen entwickeln, die sich als andere psychische Erkrankungen äußern. Darüber hinaus können soziale und berufliche Komplikationen (zum Beispiel Arbeitsunfähigkeit) auftreten.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wenn depressive Verstimmungen länger als einige Tage anhalten, sollte ein Arzt konsultiert werden. Symptome, die auf eine Dysthymie hindeuten, sind unter anderem Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit und mangelndes Selbstvertrauen. Wer zunehmend unter diesen Beschwerden leidet, muss in jedem Fall professionellen Rat einholen. Insbesondere Menschen, die sich in einer emotional belastenden Lebensphase befinden, sollten mit einem Therapeuten sprechen – idealerweise noch bevor sich die Dysthymie voll ausgebildet hat.

Spätestens, wenn eine Depression physische Beschwerden wie Appetitverlust oder eine schwindende Libido auslöst, liegt eine Notfallsituation vor. Da die Betroffenen selbst oft nicht gegen die Dysthymie vorgehen, ist das nähere Umfeld gefragt. Wer bei einem Bekannten eine psychische Veränderungen bemerkt, sollte diesen darauf ansprechen.

Gemeinsam sollte dann ein Therapeut aufgesucht werden. Wenn ein Partner, Angehöriger oder Freund Selbstmordgedanken äußert, muss umgehend ein Krisenberater hinzugezogen werden. Es empfiehlt sich, die Telefonseelsorge zu kontaktieren und begleitend dazu mit dem Betroffenen zu sprechen. Langfristig muss eine Dysthymie immer von einem Psychologen oder gegebenenfalls im Rahmen eines Klinikaufenthalts behandelt werden.

Behandlung & Therapie

Bei leichteren Verläufen der Dysthmie können Sport- und Bewegungstherapien, Entspannungsverfahren oder pflanzliche Präparate wie beispielsweise Johanniskrautextrakt hilfreich sein. Bei schwereren und langjährigen Verläufen baut die Therapie der Dysthmie auf drei Säulen auf. Grundlage ist die Pharmakotherapie mit Antidepressiva.

Die zweite Säule bilden die psychotherapeutischen Verfahren. Verhaltenstherapie, systemische Therapie und tiefenpsychologische Therapien gehören zu den Therapien der Wahl bei der Behandlung der Dysthymie. Ergänzend können andere Therapien wie beispielsweise die Ergotherapie als dritte Therapiesäule angewendet werden.

Aussicht & Prognose

Die Prognose der Dysthymie ist von dem Vorhandensein verschiedener Einflussfaktoren abhängig. Zu ihnen zählen das Alter des Patienten bei der Erstmanifestation, genetische Belastungen sowie das Vorhandensein weiterer psychischer Erkrankungen.

Als ungünstige Faktoren werden Ess-, Persönlichkeitsstörungen oder Zwangs- sowie Angsterkrankungen eingestuft. Bei diesen Patienten muss die Ursache der Beschwerden ermittelt werden, damit eine Veränderung des gesundheitlichen Zustandes sowie eine Linderung erfolgen kann.

Ohne die Inanspruchnahme einer Behandlung gilt die Prognose bei einer Dysthymie als ungünstig. Die Anzeichen der Erkrankung sind schwer zu erkennen und entwickeln sich oftmals über einen langen Zeitraum. Häufig entsteht im weiteren Verlauf über mehrere Jahre eine chronischer Entwicklung, bei der sich zusätzlich eine Depression ausbildet.

Die Symptome der dann eingetretenen double Depression variieren in ihrer Intensität und in der Dauer des Auftretens. Phasen der Remission sind möglich, halten jedoch nicht dauerhaft an. Das Suizidrisiko dieser Patienten ist erhöht und liegt bei 10%.

Bei rund 40% der Betroffenen entwickelt sich im weiteren Krankheitsverlauf aus einer Dysthymie eine schwere Depression. Dies lindert die Aussicht auf eine Heilung und führt in den meisten Fällen zu jahrelangen Beschwerden. Die Prognose verbessert sich, sobald der Patient eine Psychotherapie sowie eine medikamentöse Behandlung in Anspruch nimmt.


Vorbeugung

Nicht selten entsteht eine Depression durch zu viel Stress und eine Überforderung. Eine Präventionsmöglichkeit ist deshalb ein adäquater Umgang mit Stresssituationen. Dieser lässt sich durch verschiedene Verfahren wie beispielsweise Achtsamkeitstrainings, Entspannungsverfahren oder durch spezielle Stressmanagementseminare erlernen. Unnötige Verpflichtungen sollten reduziert werden, zugunsten von Dingen die Freude machen. Auch regelmäßiger sportlicher Betätigung wird eine präventive Wirkung nachgesagt.

Nachsorge

Dem Betroffenen stehen bei einer Dysthymie in der Regel nur wenige Maßnahmen oder Möglichkeiten der Nachsorge zur Verfügung, sodass der Betroffene bei dieser Krankheit in aller erster Linie auf eine schnelle und frühzeitige Diagnose angewiesen ist. Dabei müssen auch vor allem die Angehörigen und die Freunde den Betroffenen zu einer Behandlung überreden, da es sonst zu einer weiteren Verschlechterung der Beschwerden kommen kann.

Eine Selbstheilung tritt bei der Dysthymie nicht ein, sodass eine Behandlung durch einen Arzt immer notwendig ist. In den meisten Fällen ist der Betroffene dabei auf eine Behandlung durch einen Psychologen angewiesen, wobei auch verschiedene Bewegungstherapien die Beschwerden der Dysthymie lindern können. Einige Übungen aus diesen Therapien kann der Betroffene auch selbst im eigenen Zuhause wiederholen und dadurch die Heilung begünstigen.

Weiterhin kann auch die Einnahme von Medikamenten diese Beschwerden lindern, wobei auf eine richtige Dosierung und auf eine regelmäßige Einnahme zu achten ist. Im Allgemeinen wirkt sich dabei auch die liebevolle Pflege und die Unterstützung von Freunden und der Familie positiv auf den Verlauf der Dysthymie aus. Die Lebenserwartung des Patienten wird durch die Dysthymie in der Regel nicht negativ beeinflusst.

Das können Sie selbst tun

Um wieder Freude am Leben zu finden, sollten sich an einer Dysthymie Erkrankte zuallererst einem Arzt oder Psychotherapeuten anvertrauen und das weitere Vorgehen mit ihm besprechen. Sich Hilfe zu suchen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern stellt den ersten und entscheidenden Schritt zu einer wirkungsvollen Behandlung dar.

Zusätzlich zu der vom Arzt vorgeschlagenen Therapie kann eine Umgestaltung des Alltags Überforderung und Leistungsdruck entgegenwirken. Dazu gehört vor allem, die Anforderungen an sich selbst herunterzuschrauben, regelmäßige Erholungspausen einzulegen und seine Hobbys zu pflegen. Sport eignet sich hervorragend dazu, Spannungen abzubauen, das Selbstwertgefühl zu stärken und Erfolgserlebnisse zu erfahren.

Übertriebener Ehrgeiz ist dabei fehl am Platz, im Vordergrund muss immer die Freude an der Bewegung stehen. Lässt sich Stress etwa im Berufsleben nicht vermeiden, hilft das Erlernen spezieller Techniken zur Stressbewältigung. Wichtig ist auch, sich von unnötigen Verpflichtungen zu befreien und ohne Gewissensbisse „Nein“ sagen zu lernen.

Soziale Kontakte dürfen ebenfalls nicht vernachlässigt werden: Regelmäßige Gespräche mit Freunden und Bekannten, bei denen auch Probleme und Gefühle nicht ausgeklammert werden, schulen die soziale Kompetenz und helfen der Seele, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Gemeinsame Aktivitäten geben Rückhalt und schaffen positive Momente, die wesentlich zur Überwindung einer Dysthymie beitragen können.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015
  • Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

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