Harnstoffzyklusdefekt
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Spricht der Mediziner von einem Harnstoffzyklusdefekt, nutzt er einen Übergriff, der vorwiegend mehrere Stoffwechselerkrankungen, die einerseits einen genetischen Ursprung haben und andererseits für eine gestörte Stickstoffausscheidung verantwortlich sind, betrifft. Unbehandelt führt der Harnstoffzyklusdefekt zum Tod des Patienten. Die Lebertransplantation stellt die einzige Therapieform dar, um den Harnstoffzyklusdefekt zu beheben.
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Was ist ein Harnstoffzyklusdefekt?
Ein Harnstoffzyklusdefekt dient im Regelfall als Überbegriff mehrerer Stoffwechselerkrankungen, welche allesamt eine gestörte Stickstoffausscheidung aufweisen. Als weitere Gemeinsamkeit wird der genetische Ursprung genannt; derartige Stoffwechselerkrankungen können daher vererbt werden.
Da es bei einem Harnstoffzyklusdefekt zum pathologischen Anstieg des Nervengifts Ammoniak kommt, führt die Erkrankung - sofern keine rechtzeitige Behandlung erfolgt - zu Hirnschäden und in weiterer Folge zum Tod. Zu beachten ist, dass es sechs unterschiedliche Enzymdefekte gibt. Die Symptome können, je nach Alter und Erstmanifestation, unterschiedlich sein.
Ursachen
Harnstoffzyklusdefekte werden autosomal-rezessiv vererbt. Die einzige Ausnahme stellt der OTC-Mangel dar; der OTC-Mangel wird ausschließlich X-chromosomal rezessiv vererbt. Mitunter kann es auch zu Spontanmutationen kommen. Das bedeutet, dass der Harnstoffzyklusdefekt nicht vererbt, sondern der Gendefekt spontan entstanden ist.
Harnstoffzyklusdefekte sind daher angeborene Stoffwechselerkrankungen der Leber, die potentiell lebensbedrohlich sind. Dabei kommt es nicht nur zu einem Anstieg des Ammoniakspiegels, sondern auch zu einem gestörten Eiweißabbau. Aufgrund eines bestehenden Mangels bestimmter Enzyme, ist der Körper nicht in der Lage, in weiterer Folge das Ammoniak, ein toxisches Zwischenprodukt, in Harnstoff zu verwandeln.
So kommt es unweigerlich zum Anstieg des Ammoniakspiegels, wobei sich das Nervengift im Blut und anderen Geweben einlagert. Es drohen Hirn- und auch Nervenschäden; mitunter kann die Erkrankung zum Tod des Patienten führen.
Bislang sind sechs Enzymdefekte bekannt, die für einen Harnstoffzyklusdefekt verantwortlich sind:
- Carbamylphosphat-Synthetase(CPS)-1-Mangel
- Ornithin-Transcarbamylase(OTC)-Mangel
- Argininosuccinat-Synthetase(ASS)-Mangel (Citrullinämie Typ 1)
- Argininosuccinat-Lyase(ASL)-Mangel (Argininbernsteinsäure-Krankheit)
- Arginase-1-Mangel (Hyperargininämie)
- N-Acetylglutamat-Synthetase(NAGS)-Mangel
Warum es zu derartigen Mängeln kommt, konnte bislang nicht geklärt werden.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die Symptome sind, abhängig von Alter und Erstmanifestation, unterschiedlich. Sie richten sich daher vorwiegend nach dem Alter des Betroffenen. Im Säuglingsalter sind Erbrechen, eine extrem überhöhte Atemfrequenz, Krampfanfälle und auch eine verminderte Flüssigkeitsaufnahme möglich. Mitunter kann der Säugling in ein Koma fallen.
Im Kleinkinderalter treten immer wieder Krampfanfälle auf; auch konnten Verhaltensstörungen, Wachstumsdefizite und auch eine verminderte Nahrungs- sowie Flüssigkeitsaufnahme beobachtet werden. Auch im Kleinkinderalter ist die Gefahr gegeben, dass der Patient in ein Koma fällt.
Folgende Symptome treten vorwiegend bei Jugendlichen und Erwachsenen auf: Die Betroffenen sind reizbar, lethargisch, oftmals verwirrt, leiden immer wieder an Übelkeit und Erbrechen und fühlen sich antriebslos. In schweren Verlaufsformen können die Patienten ebenfalls in das Koma fallen. Je nach Krankheitsbild, können die Symptome variieren. Einerseits können die besonders intensiv sein, andererseits aber nur leicht auftreten.
Diagnose & Verlauf
Bestehen mitunter Beschwerden, die auf einen Harnstoffzyklusdefekt schließen lassen, werden labormedizinische Untersuchungen durchgeführt. Dabei stellen Mediziner einen überhöhten Ammoniakspiegel im Blut fest. Die Diagnose kann, etwa durch einen Gentest, wobei hier die Identifikation der Mutation überprüft wird, untermauert werden.
Schwere Krankheitsverläufe resultieren vorwiegend aus den Defekten der ersten drei Enzyme. Grundsätzlich ist der Enzymmangel in weiterer Folge verantwortlich, welcher Krankheitsverlauf befürchtet werden muss. Höhere Restaktivitäten sorgen im Regelfall für chronische Verlaufsformen, wobei sich jene erst nach der Neonatalphase bemerkbar machen.
Wird der Harnstoffzyklusdefekt falsch oder gar nicht behandelt, kommt es unweigerlich zu Hirn- und/oder Nervenschäden. In weiterer Folge führt ein unbehandelter Harnstoffzyklusdefekt zum Tod des Betroffenen. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Enzymdefekt vorliegt. Alle Enzymdefekte können, sofern sie nicht behandelt werden, zum Tod führen.
Komplikationen
Der Harnstoffzyklusdefekt führt ohne Behandlung in den meisten Fällen zum Tode des Patienten. Aus diesem Grund ist eine dringende Behandlung dieser Krankheit für den Patienten notwendig. Damit werden auch Komplikationen und Folgeschäden vermieden. Der Betroffene leidet durch den Harnstoffzyklusdefekt in der Regel an Übelkeit und Erbrechen. Hinzu kommen Krämpfe, die mit starken Schmerzen verbunden sind.
Es tritt eine Schnappatmung auf und es kommt nicht selten zu einer Panikattacke. Ebenso kann der Betroffene das Bewusstsein verlieren oder sogar in ein Koma fallen. Nicht selten leiden die Betroffenen an Verhaltensstörungen, was sich vor allem bei Kindern negativ auf die Entwicklung auswirken kann. Die Patienten sind dabei in der Regel verwirrt und leicht aggressiv. Durch Schlafbeschwerden kommt es ebenso zu einer leichten Reizbarkeit.
Sollte keine Behandlung des Defektes eintreten, kommt es in den meisten Fällen zu einer stark verringerten Lebenserwartung des Patienten und damit schließlich zum Tode. Die Behandlung selbst führt nicht zu weiteren Komplikationen. Allerdings ist der Betroffene eventuell auf eine Dialyse auf eine Lebertransplantation angewiesen. Die weiteren Beschwerden hängen in den meisten Fällen von der Grunderkrankung ab.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Da der Harnstoffzyklusdefekt im schlimmsten Fall zum Tod führen kann, muss dieser durch einen Arzt behandelt werden. Eine Selbstheilung tritt bei dieser Erkrankung nicht ein. Der Harnstoffzyklusdefekt kann schon bei Kindern oder Säuglingen auftreten. Er führt dabei zu Erbrechen oder zu einer hohen Atemfrequenz.
Sollten diese Beschwerden den Eltern auffallen, so sollte ein Arzt aufgesucht werden. Auch Beschwerden und Unregelmäßigkeiten beim Wachstum deuten auf die Erkrankung hin. Weiterhin führt die Krankheit zu Krampfanfällen oder zu Schwierigkeiten beim Trinken. Die Betroffenen leiden an Verhaltensstörungen und sind häufig aggressiv oder gereizt.
Auch Verwirrtheit deutet häufig auf den Harnstoffzyklusdefekt hin. Die Ausprägung der Symptome kann sehr stark variieren, sodass diese nicht immer Symptom des Defektes sein müssen. Da die Krankheit allerdings nur durch die Transplantation der Leber geheilt werden kann, sollte vorsichtshalber immer eine Untersuchung stattfinden, wenn genannte Symptome auffallen.
In der Regel kann der Harnstoffzyklusdefekt durch einen Internisten festgestellt werden. Die Behandlung findet dann mit Hilfe eines operativen Eingriffs in einem Krankenhaus statt. Ob es zu einem positiven Krankheitsverlauf kommt, kann nicht im Allgemeinen vorausgesagt werden.
Behandlung & Therapie
Bei den Behandlungsmöglichkeiten stehen mehrere Therapien zur Verfügung. Im Fall einer neonatalen Krankheitsmanifestation, bei dem eine Gefahr für das Leben des Säuglings gegeben ist, wird eine intensivmedizinische Behandlung eingeleitet. Derartige Behandlungen, die auch als Akuttherapie bezeichnet werden, finden vorwiegend in Stoffwechselzentren statt.
Das Ziel derartiger Therapien ist es, dass der toxische Ammoniakspiegel gesenkt wird. Eine Senkung des Ammoniakspiegels erfolgt etwa durch eine Dialyse, wobei die „Blutwäsche“ erst bei einer Ammoniakkonzentration von über 400 µmol/l durchgeführt wird. Die Säuglinge erhalten keine Proteine; mitunter werden auch Medikamente, die zur Reduktion des Ammoniak-Blutspiegels beitragen sollen, verabreicht.
Mitunter kann auch eine Leberzelltherapie zum Erfolg führen. Derartige Therapien werden vorwiegend bei Säuglingen empfohlen; auch wenn die Lebertransplantation effektiver wäre, stellt der Eingriff eine extreme Belastung für das Neugeborene dar, sodass viele Ärzte davon absehen. Die Gefahr, dass das Kind den Eingriff nicht überlebt, ist in fast allen Fällen zu hoch.
Bei der Leberzelltherapie werden adulte Hepatozyten aus der Spenderleber gewonnen und danach - frei von Bakterien - in einer Suspension kryokonserviert. Auf lange Sicht gesehen, entscheiden sich die Mediziner für eine diätetische und medikamentöse Behandlung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jene Behandlung ein ganzes Leben durchgeführt werden muss.
Die einzig tatsächlich kurative Therapie, die mitunter den Harnstoffzyklusdefekt behebt, stellt die Lebertransplantation dar. Nur wenn eine Lebertransplantation erfolgt, kann der Harnstoffzyklusdefekt behoben werden.
Aussicht & Prognose
In vielen Fällen führt die Diagnose Harnstoffzyklusdefekt zu keinem normalen Leben. Die Erkrankung begründet im Alltag Einschränkungen. Einzig eine langfristig ausgelegte Behandlung kann weitestgehende Beschwerdefreiheit begründen. Betroffene müssen bei Aufkommen der Erbkrankheit mit Einschränkungen in ihrer Ernährung rechnen.
Die Blutwäsche und eine medikamentöse Verabreichung begleiten das Leben. Eine Heilung ist ausgeschlossen. Wird der Defekt nicht rechtzeitig erkannt, stellen sich meist Hirnschädigungen ein. Letztendlich führt der Harnstoffzyklusdefekt dann zum Tod.
In bestimmten Lebensphasen tritt die Erkrankung statistisch gesehen gehäuft auf. Hier herrscht zwar das größte Risiko; in Bezug auf alle Personen eines Jahrgangs stellt der Harnstoffzyklusdefekt allerdings eine Randerscheinung dar. Besonders Jungen und Mädchen im Säuglings- und Kindesalter sind betroffen.
Etwa 50 Prozent alle Erkrankungen sind dieser Altersklasse zuzurechnen, was deutschlandweit gerade einmal 80 Neugeborenen je Jahr entspricht. Auch während einer Schwangerschaft erkranken Frauen vereinzelt. Grundsätzlich besitzen Fälle von volljährigen Personen einen marginalen Charakter.
Die Langzeittherapie zielt darauf, die Ammoniak- und Glutaminkonzentrationen des Blutes im Normalbereich zu halten. Dieses gelingt durch Einhaltung einer ständigen eiweißarmen Diät. Wird diese Prozedur eingehalten, kann man ein beschwerdefreies Leben führen. Patienten müssen dafür ein hohes Maß an Disziplin an den Tag legen.
Vorbeugung
Da es sich bei einem Harnstoffzyklusdefekt um eine genetische Erkrankung handelt, deren Ursprung unbekannt ist und die im Regelfall weitervererbt wird oder durch eine Spontanmutation entsteht, kann die Stoffwechselerkrankung nicht vorgebeugt werden.
Nachsorge
Da es bei einem Harnstoffzyklusdefekt nicht zu einer Selbstheilung kommen kann und es sich bei der Krankheit um eine genetisch bedingte Krankheit handelt, sind die Möglichkeiten der Nachsorge bei dieser Erkrankung in den meisten Fällen stark eingeschränkt. Der Betroffene ist dabei in erster Linie auf eine schnelle Diagnose mit der anschließenden Behandlung angewiesen, damit es nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Beschwerden kommt.
Dabei kann es im schlimmsten Fall zum Tod des Patienten kommen, wenn die Krankheit unbehandelt bleibt. Oftmals sind die Patienten auf die Maßnahmen einer Dialyse angewiesen. Dabei benötigen sie auch die Pflege und die Unterstützung der eigenen Familie und der Freunde. Dadurch können auch psychische Verstimmungen oder Depressionen gelindert oder vollständig verhindert werden. Bei der Einnahme von Medikamenten sollten die Patienten auf eine regelmäßige Einnahme und auch auf eine richtige Dosierung achten, um die Beschwerden zu lindern.
Dabei kann sich auch eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen Ernährung positiv auf den Verlauf dieser Krankheit auswirken. Sollte es beim Betroffenen zu einem Kinderwunsch kommen, ist eine genetische Beratung ratsam, um das erneute Auftreten der Krankheit bei den Kindern zu verhindern. Eventuell ist durch die Krankheit die Lebenserwartung des Patienten verringert.
Das können Sie selbst tun
Ein Harnstoffzyklusdefekt stellt eine schwere Erkrankung dar, die oft einen negativen Verlauf nimmt. Die wichtigste Selbsthilfe-Maßnahme besteht darin, den zuständigen Arzt sofort über ungewöhnliche Symptome zu informieren bzw. das Kind in das nächstgelegene Krankenhaus zu bringen. Liegt tatsächlich eine Stoffwechselerkrankung vor, muss umgehend eine Behandlung eingeleitet werden, um Folgeschäden zu vermeiden.
Die einzelnen Symptome können mit den bekannten Mitteln und Maßnahmen behandelt werden. Gegen Übelkeit und Erbrechen helfen diätetische Maßnahmen sowie Bettruhe und Schonung. Krämpfe lassen sich durch Beruhigen und den Einsatz medizinischer Präparate lindern. Sollte das Kind Anzeichen einer Panikattacke zeigen oder sogar bewusstlos werden, muss der Notarzt gerufen werden.
Bei Verhaltensstörungen ist eine Verhaltenstherapie sinnvoll, an der auch die Eltern teilnehmen sollten. Durch eine umfassende Schulung kann auf Reizbarkeit, Aggressivität und andere Auffälligkeiten optimal reagiert werden, wodurch sich das Risiko von Entwicklungsstörungen zumindest reduzieren lässt.
Langfristig ist auch eine therapeutische Beratung sinnvoll. Die Erkrankung führt in vielen Fällen zum Tod des Patienten – ein Umstand, der für das betroffene Kind, aber auch für die Angehörigen eine enorme Belastung darstellt.
Quellen
- Brühl, W., Wienert, V., Herold, A.: Aktuelle Proktologie. Uni-Med, Bremen 2011
- Gasser, T.: Basiswissen Urologie. Springer, Berlin 2011
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016