Hemihypertrophie
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Die Hemihypertrophie gehört zu den angeborenen Fehlbildungssyndromen. Die Erkrankung wird meist im frühen Kindesalter festgestellt. Bei ihr findet ein ungleiches Größenwachstum des Körpers oder bei Teilen dessen statt.
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Was ist Hemihypertrophie?
Die Hemihypertrophie wird auch als Halbseitenriesenwuchs bezeichnet. Es ist eine weltweit sehr selten auftretende Erkrankung. Mit einer Häufigkeit von 1:1000.000 wird sie diagnostiziert. Die Hemihypertrophie ist gekennzeichnet durch einen einseitigen Überwuchs des Körpers. Unter normalen Umständen ist der Körper symmetrisch.
Besteht eine Größenabweichung von fünf Prozent zwischen den Körperhälften, sprechen Mediziner von einer Hemihypertrophie. Das unterschiedliche Größenwachstum kann sich auch auf einzelne Teile des Körpers wie beispielsweise die Extremitäten beziehen. Meist handelt es sich bei der Erkrankung um eine kongenitale Anomalie.
Die Hemihypertrophie ist eine Sonderform der Hypertrophie. Bei dieser werden bei den Patienten vergrößerte Organe oder Gewebeentwicklungen festgestellt. Die Asymmetrie des Wachstums kann sich bei der Hemihypertrophie in einigen Fällen auf paarige innere Organe beziehen. Bei der Erbkrankheit kann es zusätzlich zu Veränderungen der Haut und der Zähne kommen.
Die Hemihypertrophie ist ein komplexes Krankheitsbild. Sie kann als isolierte Krankheit auftreten oder als Teil eines Syndroms diagnostiziert werden. Die Erkrankung kann angeboren sein oder sich im Laufe der ersten Lebensjahre während der einzelnen Wachstumsphasen entwickeln. In sehr wenigen Fällen entwickelt sich die Hemihypertrophie aufgrund entzündlicher Prozesse erst in einem höheren Alter.
Ursachen
Die Ursache für die Hemihypertrophie ist als nicht ausreichend bekannt einzustufen. Es wird davon ausgegangen, dass es sich um eine genetische Prädisposition handelt. Spezifische Erkenntnisse gibt es jedoch derzeit noch nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Erkrankung nicht erblich bedingt.
Die Fehlbildung scheint sich in den meisten Fällen bereits in den ersten Tagen der Schwangerschaft auszubilden. Durch die Veränderung einer Zelle wachsen alle aus ihr entstehenden Zellen schneller als die anderen. In Abhängigkeit von dem Zeitpunkt der Mutation ist die Stärke der Ausprägung des Größenwachstums zu bewerten.
Meist ist die Hemihypertrophie angeboren. Sie kann sich aber auch in den ersten Lebensjahren während der Wachstumsentwicklung ausprägen. Darüber hinaus belegen dokumentierte Fälle, dass sich die Krankheit durch entzündliche Prozesse in einem späteren Lebensverlauf entwickeln kann. Bekannt sind proliferative Prozesse wie beispielsweise einer Osteomyelitis.
Dies ist eine infektiöse Entzündung des Knochenmarks des Menschen. Darüber hinaus kann die Hemihypertrophie als Teil von anderen Syndromen diagnostiziert werden. Hierzu zählen das Proteus-Syndrom, das Silver-Russell-Syndrom, das Beckwith-Wiedemann-Syndrom oder das Klippel-Trenaunay-Syndrom.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Die ersten Anzeichen für Hemihypertrophie können bereits kurz nach der Geburt auftreten. Der Überwuchs einer Körperhälfte ist bereits bei Säuglingen deutlich erkennbar. Die grundsätzliche Störung der Symmetrie des menschlichen Körpers ist ein markantes Symptom für die Erkrankung.
In den Prozess der Größenveränderungen sind Weichteile wie Muskeln, Haut oder Sehnen mit eingebunden. Zusätzliche Anomalien im Gesichtsbereich, insbesondere an den Zähnen oder der Haut sind möglich. Bei einigen Patienten treten darüber hinaus endokrine Störungen wie eine Schilddrüsenerkrankung oder Diabetes auf.
In einigen Fällen bildet sich die asymmetrische Entwicklung des Körpers erst in den Wachstumsphasen heraus. Unterschiedliche Bein- oder Armlängen fallen bei dem Patienten auf. Ebenso ist eine ungleiche Entwicklung des Oberkörpers möglich. Zu den weiteren Symptomen können lokale Größenveränderungen bei paarigen Organen gehören.
Es kommt bei der Hemihypertrophie zu einer Missbildung der Blutgefäße. An den betroffenen Körperstellen ist mit Durchblutungsstörungen zu rechnen. Die Haut wird oft als marmoriert und leicht bläulich beschrieben. Zusätzlich treten Schwellungen der Haut und eine Wundbildung auf.
Diagnose
Die Diagnose der Hemihypertrophie erfolgt anfänglich durch den Sichtkontakt der Asymmetrie. Der Arzt vermisst anschließend die betroffenen Körperteile und dokumentiert die Abweichungen. Es folgen Untersuchungen wie Ultraschall, Röntgen oder verschiedene Scans. Darüber werden die genauen Größenunterschiede ermittelt.
Des Weiteren wird die Beteiligung der Organe darüber geprüft. Da sich die Anomalie durch das asymmetrische Wachstum nicht mehr verwächst, ist mit zunehmender Größe des Kindes mit einer Verschlimmerung der Asymmetrie zu rechnen.
Komplikationen
Durch die Hemihypertrophie kommt es in den meisten Fällen zu einer Asymmetrie beim Wachstum des Patienten. Dabei ist eine Hälfte des Körpers von einem starken Überwuchs betroffen. Die gesamte Symmetrie des Betroffenen ist durch diese Krankheit erheblich gestört und steht nicht mehr im Gleichgewicht. Dabei können Muskeln oder Sehen geschädigt werden, wobei auch die Haut oft von Beschwerden betroffen ist.
Darüber hinaus treten Fehlbildungen an den Zähnen auf, sodass die Nahrungsaufnahme oder Flüssigkeitszufuhr mit erheblichen Schmerzen behaftet ist. Nicht selten leiden die Patienten an Diabetes. Die Längen der Arme und Beine können dabei auf den verschiedenen Seiten unterschiedlich ausfallen, was zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führt. Ebenso kommt es zu Bewegungseinschränkungen.
In einigen Fällen können auch die inneren Organe von der Hemihypertrophie betroffen sein. Dabei kommt es zu Störungen der Durchblutung und zu starken Schwellungen. In den meisten Fällen kommt es auch zu psychischen Beschwerden und zu Minderwertigkeitskomplexen.
Vor allem bei Kindern kommt es durch die Krankheit oft zu Hänseleien und zu Mobbing, wodurch die Lebensqualität extrem eingeschränkt wird. Eine direkte Behandlung der Beschwerden ist nicht möglich. In einigen Fällen können die Missbildungen operativ entfernt werden. Weitere Komplikationen treten dabei nicht auf.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Um weitere Komplikationen und Beschwerden im Erwachsenenalter durch die Krankheit zu vermeiden, sollte sie schon bei den ersten Anzeichen durch einen Arzt behandelt werden. Schon nach der Geburt können erste Anzeichen der Hemihypertrophie eintreten. Die Kinder leiden unter einem deutlichen Überwuchs oder einer Asymmetrie des gesamten Körpers. Diese Symptome fallen in der Regel auch den Ärzten nach der Geburt auf. Weiterhin kommt es auch im Gesicht zu Fehlbildungen, die auf die Hemihypertrophie hindeuten können.
Die Länge der Beine und der Arme sind ebenso unterschiedlich, sodass das Kind im Alltag mit deutlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Sollten diese Beschwerden eintreten, so ist eine Untersuchung durch einen Arzt notwendig. Auch Schwellungen an der Haut oder Störungen der Durchblutung weisen in der Regel auf eine Hemihypertrophie hin.
Die Diagnose kann durch einen Kinderarzt oder durch einen Allgemeinarzt erfolgen. Bei der weiteren Behandlung sind die Patienten auf verschiedene Fachärzte angewiesen, da die Hemihypertrophie nur symptomatisch behandelt werden kann. Bei der Hemihypertrophie kommt es nicht zu einer verringerten Lebenserwartung.
Behandlung & Therapie
Die Behandlung der Hemihypertrophie ist sehr individuell. Bei einer Störung des Gleichgewichts durch die unterschiedliche Gewichtsverteilung im Körper benötigt der Patient eine therapeutische Begleitung. Spezielle Trainings werden dafür durchgeführt.
Unterstützend werden soweit möglich durch sportliche Übungen Fehlstellungen ausgeglichen und die Muskulatur entlastet. Anspannungen im Körper sollen reduziert werden. Vorhandene Beinlängendifferenzen können durch eine orthopädische Schuhversorgung ausgeglichen werden. Spezielle Schuhe mit integriertem Schuhaufbau werden dafür hergestellt.
Darüber hinaus kann es zu verschiedenen operativen Eingriffen kommen. Sie verfolgen das Ziel, den Größenunterschied der Körperhälften auszugleichen. Der Patient leidet in den meisten Fällen durch die Schiefstellung des Körpers unter Schmerzen. Daher ist eine medikamentöse Behandlung zur Linderung der Beschwerden sehr wahrscheinlich.
Zahnfehlstellungen werden kieferorthopädisch begleitet. Dies kann durch zu einem chirurgischen Eingriff oder einer Zahnkorrektur mittels Zahnspange führen. Bei Größenunterschiede paariger Organe wird geprüft, inwieweit diese durch einen chirurgischen Eingriff angeglichen werden können. Veränderungen der Haut werden meist über kosmetische Behandlungsformen wie eine Laserstrahltherapie oder eine lokale Operation korrigiert.
Aussicht & Prognose
Die Prognose einer Hemihypertrophie hängt von deren Ausprägung und der Intensität der Behandlung ab. Zwar verläuft die Erkrankung nicht tödlich. Sie führt aber immer zu unsymmetrischen Körperproportionen. Der halbseitige Riesenwuchs kann durch chirurgische Maßnahmen korrigiert werden. Eine vollständige Herstellung der Körpersymmetrie ist jedoch nicht möglich.
Das ungleichmäßige Körperwachstum begünstigt die Entwicklung einer Skoliose. In der Regel kann eine Skoliose (Verkrümmung der Wirbelsäule) durch Krankengymnastik oder eine Korsetttherapie gut behandelt werden. Das ist aber bei dieser Form der Hemihypertrophie aufgrund des ungleichmäßigen Wachstums nicht möglich.
Hier kann die Verkrümmung der Wirbelsäule nur im Rahmen einer Operation korrigiert werden. Auch eine Beinlängendifferenz muss chirurgisch ausgeglichen werden, um nicht weitere Folgeschäden wie Skoliose und schwere Haltungsschäden zu riskieren.
Zur Therapie gehört aber auch die individuelle Anfertigung von Fußeinlagen und Maßschuhen. Hemihypertrophie ist immer auch mit Zahnfehlstellungen verbunden. Auch deren Korrektur ist nur chirurgisch möglich. Um eine weitgehende Angleichung beider Körperhälften zu erreichen, sind während des Wachstums ständige chirurgische Eingriffe notwendig. Die ungleichmäßige Körperentwicklung führt immer zu Schmerzen, die eine Schmerztherapie erforderlich machen.
Obwohl die Lebensdauer durch eine Hemihypertrophie nicht beeinträchtigt wird, ist jedoch die Lebensqualität trotz aller Behandlungsmaßnahmen herabgesetzt. Neben den körperlichen Beschwerden sehen sich die Betroffenen oft ständigen Hänseleien ausgesetzt. Infolge der chronischen Schmerzen und des ständigen Mobbings wird die Entwicklung von psychischen Erkrankungen begünstigt.
Vorbeugung
Das Treffen von vorbeugenden Maßnahmen ist bei der Hemihypertrophie nicht bekannt. Da jedoch vermutet wird, dass durch die Erkrankung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Tumors besteht, sollte der Patient diesbezüglich Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Insbesondere betrifft dies Krebserkrankungen im Bereich der Niere.
Nachsorge
Bei der Hemihypertrophie steht die frühzeitige Erkennung und Behandlung der Krankheit im Vordergrund, damit es zu keinen weiteren Komplikationen oder Beschwerden kommt. Je früher die Krankheit dabei erkannt und behandelt wird, desto besser ist in den meisten Fällen auch der weitere Verlauf. Daher sollte der Betroffene schon bei den ersten Symptomen oder Anzeichen der Erkrankung einen Arzt aufsuchen, um weitere Komplikationen oder Beschwerden zu verhindern.
Die Maßnahmen oder Möglichkeiten einer Nachsorge sind bei der Hemihypertrophie stark eingeschränkt. In den meisten Fällen werden die Beschwerden durch einen operativen Eingriff gelindert, wobei die Eingriffe sich nach der Art und der Ausprägung der genauen Beschwerden unterscheiden. Im Allgemeinen sollte sich der Betroffene nach einem solchen Eingriff auf jeden Fall ausruhen und seinen Körper schonen.
Dabei ist von Anstrengungen oder von stressigen und körperlichen Tätigkeiten abzusehen. Auch Maßnahmen einer Physiotherapie können dabei sehr hilfreich sein, wobei viele der Übungen auch im eigenen Zuhause durchgeführt werden können. Weiterhin kann auch das Tragen von speziellen Schuhen die Beschwerden lindern. Die Lebenserwartung des Betroffenen wird durch die Hemihypertrophie meist nicht verringert, falls die Krankheit schon früh erkannt und behandelt wird.
Das können Sie selbst tun
Durch die Hemihypertrophie leiden die meisten Betroffenen an einem erhöhten Risiko der Tumorentwicklung. Aus diesem Grund sollten die betroffenen Patienten an regelmäßigen Untersuchungen teilnehmen, um weitere Komplikationen zu vermeiden.
Dabei müssen vor allem die Nieren untersucht werden, da diese besonders stark von den Tumorerkrankungen betroffen sind. Sollte der Betroffene an Zahnbeschwerden oder an Fehlstellungen der Zähne leiden, so werden diese in der Regel durch einen Zahnarzt behandelt.
Eine besondere Selbsthilfe steht dem Betroffenen nicht zur Verfügung, wobei sich die richtige Pflege der Zähne positiv auf diese Beschwerden auswirken kann. Die Schiefstellung des Körpers wird mit verschiedenen Therapien und Übungen behandelt.
Diese können meistens auch zuhause durchgeführt werden. Auch die Ausführung verschiedener Sportarten kann sich positiv auf diese Schiefstellung auswirken und sie beseitigen. Weiterhin ist es bei einer Hemihypertrophie ratsam, speziell angefertigte Schuhe zu tragen, um die Körperhaltung des Kindes zu stärken.
Bei psychischen Beschwerden können Gespräche mit anderen Betroffenen oder mit den eigenen Eltern und Freunden sehr hilfreich sein. Ein Psychologe sollte bei starken Depressionen aufgesucht werden. In vielen Fällen können die Beschwerden der Hemihypertrophie relativ gut gelindert werden.
Quellen
- Kerbl, R. et al.: Checkliste Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2011
- Muntau, A.C.: Intensivkurs Pädiatrie. Urban & Fischer, München 2011
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003