Lesch-Nyhan-Syndrom
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 14. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Lesch-Nyhan-Syndrom ist eine seltene vererbbare Krankheit, die durch ein defektes Gen auf dem X-Chromosom verursacht wird. Die Symptome treten in unterschiedlicher Ausprägung auf und betreffen sowohl den Körper als auch die Psyche. Das Lesch-Nyhan-Syndrom ist nicht heilbar, es können nur die Symptome gemildert werden.
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Was ist das Lesch-Nyhan-Syndrom?
Das Lesch-Nyhan-Syndrom ist eine seltene Erbkrankheit, die durch einen Gendefekt zu einer Stoffwechselstörung führt. Das veränderte Gen verursacht einen Mangel des Enzyms HGPRT, das für den Purinstoffwechsel gebraucht wird.
Durch die Störung steigt die Harnsäure im Körper an und der Harnsäurespiegel im Blut erhöht sich (Hyperurikämie). Es entsteht Gicht mit Ablagerungen von Harnsäurekristallen in Sehnen, Gelenken, Haut und in Knorpeln. Auch im zentralen Nervensystem bilden sich die Ablagerungen und verursachen dort Störungen.
Das Lesch-Nyhan-Syndrom tritt nur sehr selten auf, in Deutschland sind nur etwa 30 - 40 Menschen davon betroffen. In der Regel erkranken nur männliche Personen. Frauen sind meist nur Träger des defekten Gens und geben es an die Nachkommen weiter. Nur wenn das veränderte Gen doppelt vorhanden ist, also im homozygoten Zustand, würden Frauen erkranken. Das Lesch-Nyhan-Syndrom wird auch Hyperurikämiesyndrom oder primäre kindliche Gicht genannt.
Ursachen
Rezessiv bedeutet, dass jemand, der nur ein defektes Gen geerbt hat, gesund bleibt, wenn das andere Gen des zweiten Elternteils intakt ist. Dadurch erklärt sich auch, warum hauptsächlich Männer vom Lesch-Nyhan-Syndrom betroffen sind. Frauen haben die Geschlechtschromosomen XX, während Männer XY, also nur ein X haben. Erben weibliche Personen von einem Elternteil ein krankes X, so bleibt ihnen immer noch das gesunde X, das alle Funktionen vollständig erfüllen kann.
Erhalten männliche Personen ein krankes X, so bricht die Krankheit aus, da kein weiteres gesundes X mehr vorhanden ist. Bei Frauen würde das Lesch-Nyhan-Syndrom nur entstehen, wenn sie von beiden Elternteilen ein krankes X-Chromosom erben würden, was äußerst selten vorkommt.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Zwar handelt es sich bei dem Lesch-Nyhan-Syndrom um eine angeborene Erkrankung, die Symptome zeigen sich jedoch erst sechs bis acht Wochen nach der Geburt. Zuvor deuten bei den betroffenen Neugeborenen allenfalls gelbliche Urinrückstände in den Windeln auf eine ernste Erkrankung hin. Das erste deutliche Anzeichen für das Lesch-Nyhan-Syndrom ist der Drang zu Erbrechen.
Die betroffenen Babys übergeben sich mehrmals täglich, woraus oft Mangelerscheinungen und Dehydration resultieren. Nach zehn Monaten stellen sich weitere Symptome ein: Auffällige Beinfehlstellungen, ein reduzierter Bewegungsdrang und Entwicklungsrückstände. Die Eltern bemerken außerdem, dass das Kind nicht gehen kann und keine natürlichen Bewegungen durchführt.
Bei der leichtesten Form der Erkrankung kommt es außerdem zu erhöhten Harnsäure-Werten, woraus im späteren Leben eine Gicht resultieren kann. Im weiteren Verlauf können sich außerdem Harnwegsinfekte und Nierensteine bilden. Die schwerere Form ist anhand der erwähnten Fehlstellungen zu erkennen. Die zweitschwerste Form kann anhand des charakteristischen selbstverletzenden Verhaltens der Kinder bemerkt werden.
Die Betroffenen beißen und kratzen sich an Lippen und Fingern, was zu Blutungen, Entzündungen und anderen Beschwerden führen kann. Bei der schwersten Form kommt es zu einer Selbstverstümmelung, verbunden mit einer schweren geistigen Beeinträchtigung. Betroffene Kinder sind aggressiv, beißen sich ständig und greifen oft auch Eltern und Betreuer an.
Diagnose & Verlauf
Die Symptome des Lesch-Nyhan-Syndroms sind nicht gleich nach der Geburt vorhanden, sondern entstehen in den ersten Lebenswochen. Ab der sechsten bis achten Woche macht sich häufiges Erbrechen bemerkbar und in den Windeln finden sich Urinrückstände, die durch die erhöhte Ausscheidung von Harnsäure verursacht werden.
In den weiteren Monaten zeigen sich typische Anzeichen des Lesch-Nyhan-Syndroms. Die Kinder bewegen sich wenig und sie bleiben in ihrer Entwicklung zurück, sowohl körperlich als auch geistig. Sie lernen nicht zu sitzen oder zu laufen und sie können ihre Bewegungen nicht richtig koordinieren. Sie lernen verzögert zu sprechen und können sich nur kurzzeitig konzentrieren. Das auffälligste Symptom aber ist der unkontrollierbare Zwang zu beißen und sich dabei selbst zu verletzen oder gar zu verstümmeln.
Dieses Verhalten tritt jedoch nur bei schweren Ausprägungen der Erkrankung auf. Bei der leichteren Form des Lesch-Nyhan-Syndroms erhöht sich nur die Harnsäure, was im Lauf der Jahre zu Gicht führt. Die Diagnose wird durch zunächst anhand der Symptome und einer Messung des Harnsäurespiegels im Blut gestellt. Letzte Sicherheit, ob das Lesch-Nyhan-Syndrom vorliegt, bringt ein Gentest.
Komplikationen
Weiterhin treten geistige Störungen auf, sodass vor allem Kinder an einer Unterentwicklung leiden und dabei mit Beschwerden im Erwachsenenalter rechnen müssen. Nicht selten sind die Patienten dann auf die Hilfe anderer Menschen in ihrem Alltag angewiesen und können viele Dinge nicht alleine durchführen. Weiterhin kann es auch zu einer Selbstverstümmelung kommen, die vor allem bei den Angehörigen und den Eltern zu psychischen Beschwerden oder zu Depressionen führen kann.
Ebenso wirken die Patienten oft aggressiv oder gereizt, sodass es zu sozialen Einschränkungen kommen kann. Die Behandlung des Lesch-Nyhan-Syndroms erfolgt durch verschiedene Therapien und durch die Einnahme von Medikamenten. Ein positiver Krankheitsverlauf kann allerdings nicht in jedem Fall garantiert werden. Eventuell sind die Patienten dann ihr gesamtes Leben lang auf eine Behandlung angewiesen.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn das Kind Anzeichen des Lesch-Nyhan-Syndroms zeigt, ist zeitnah ein Arzt zu konsultieren. So muss der Kinderarzt informiert werden, wenn das Kind sich ein bis zwei Monate nach der Geburt häufig erbricht und generell an einem zunehmenden Unwohlsein leidet. Sollten sich weitere Symptome und Beschwerden bemerkbar machen, etwa eine auffällige Beinstellung oder ein reduzierter Bewegungsdrang, muss ein Arzt eingeschaltet werden. Das Lesch-Nyhan-Syndrom ist eine schwerwiegende Erbkrankheit, die unbehandelt in schweren Komplikationen resultiert.
Die betroffenen Kinder leiden trotz frühzeitiger Therapie an starken Bewegungseinschränkungen und Verhaltensstörungen, weshalb auch über die Behandlung hinaus ein enger Kontakt mit dem Hausarzt und einem Physiotherapeuten notwendig ist. Zudem benötigen die Erkrankten häufig psychologische Betreuung. Etwaige Auffälligkeiten im Verhalten der Betroffenen müssen im Rahmen einer Verhaltenstherapie sorgfältig aufgearbeitet und reduziert werden. Je nach Symptombild kann außerdem zu einem Urologen, Frauenarzt, Gastroenterologen oder Nephrologen gegangen werden. Bei Krampfanfällen und anderen medizinischen Notfällen ist der Rettungsdienst der richtige Ansprechpartner.
Behandlung & Therapie
Die Therapie des Lesch-Nyhan-Syndroms richtet sich in erster Linie auf die Symptome, da die Ursache der Erkrankung, der Gendefekt, nicht behandelbar ist. So werden Medikamente verabreicht, welche den Harnspiegel senken und die Ernährung wird purinarm gestaltet.
Weiterhin ist auf eine hohe Flüssigkeitsaufnahme zu achten. Diese Maßnahmen sollen die Harnsäureablagerungen im Körper und die damit verbundenen Beeinträchtigungen verhindern oder zumindest verringern. Die Harnsäurewerte müssen regelmäßig überprüft werden. Des Weiteren müssen Vorsichtsmaßnahmen bezüglich des selbstverletzenden Verhaltens getroffen werden. Beruhigende Medikamente wie beispielsweise Diazepam (z.B. Valium) aber auch Neuroleptika wie Haloperidol hat man beim Lesch-Nyhan-Syndrom bereits erfolgreich eingesetzt.
Nachts werden manchmal Schlafmittel verabreicht, damit die Patienten einigermaßen ruhige Nächte verbringen können. Die therapeutischen Maßnahmen hängen jedoch davon ab, wie schwerwiegend die Ausprägung des Lesch-Nyhan-Syndroms ist.
Aussicht & Prognose
Das Lesch-Nyhan-Syndrom hat eine ungünstige Prognose. Es liegt eine Disposition der menschlichen Genetik vor, die zu einer Störung des Stoffwechsels führt. Die derzeitige Gesetzeslage lässt einen Eingriff zur Veränderung des menschlichen genetischen Erbmaterials nicht zu. Daher kann die Ursache der gesundheitlichen Störung nicht beseitigt werden.
Es kommt bereits in den ersten Lebenswochen zu Beschwerden und Unregelmäßigkeiten. Im gesamten Entwicklungs- und Wachstumsprozess des Erkrankten zeigen sich vielfältige Beeinträchtigungen oder Verzögerungen. Die kognitiven Leistungen sind herabgesetzt und Verhaltensstörungen treten auf. Unbehandelt führen die Symptome der Erkrankung zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität. Es besteht eine Möglichkeit der Selbstgefährdung sowie ein erhöhtes Risiko für Verletzungen anderer Menschen.
Für einen verbesserten Krankheitsverlauf ist daher eine medizinische Behandlung unumgänglich. Es kommt zu einer Langzeittherapie und der Gabe von Arzneien. Unmittelbar nach dem Absetzen der Medikamente kehren die Beschwerden innerhalb kurzer Zeit wieder zurück. Wenngleich die Erkrankung nicht geheilt werden kann, können die symptomatisch auftretenden Auffälligkeiten in einer Therapie gut kontrolliert und überwacht werden.
Trotz aller Bemühungen wird keine Beschwerdefreiheit erreicht. Die Generkrankung führt neben den Störungen der Stoffwechsels auch zu irreparablen Entwicklungsstörungen. Werden bereits frühzeitig Therapien und gezielte Übungen mit dem Patienten durchgeführt, kann insgesamt eine Verbesserung der Lebensqualität beobachtet werden.
Vorbeugung
Eine Vorbeugung gegen das Lesch-Nyhan-Syndrom ist nicht möglich, da es sich um eine Erbkrankheit handelt, die durch ein defektes Gen verursacht wird. Ist es bei einer Schwangeren bekannt, dass sie das defekte Gen besitzt, und wird in pränatalen (vor der Geburt) Untersuchungen die Diagnose des Lesch-Nyhan-Syndroms gestellt, so besteht die Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen.
Nachsorge
Bei vielen Erbkrankheiten ist die Nachsorge auch beim Lesch-Nyhan-Syndrom sehr schwierig. Genetische Defekte oder Mutationen können so gravierende Folgen haben, dass Mediziner nur wenige davon abmildern, korrigieren oder behandeln können. In vielen Fällen lösen Erbkrankheiten schwere Behinderungen aus. Mit diesen haben die Betroffenen lebenslang zu kämpfen.
Was in der Nachsorge getan werden kann, besteht oft genug nur in physiotherapeutischen oder psychotherapeutischen Maßnahmen. Bei einer ganzen Reihe von langsam fortschreitenden Erbkrankheiten können jedoch Behandlungserfolge erzielt werden. Beim Lesch-Nyhan-Syndrom geht die Nachsorge mit der Art der Behandlung einher, die darauf ausgerichtet ist, die Stoffwechselstörung in den Griff zu bekommen. Demzufolge zielt die Medikamentierung darauf ab, den Harnsäurespiegel auf ein moderates Level zu bringen. Die Art der Ernährung, die sich auf eine spezielle Diät belaufen kann, spielt dabei ebenfalls eine große Rolle.
Verallgemeinernde Aussagen über die Art der Nachsorge sind nur insoweit zulässig, als dass man den betroffenen Patienten das Leben nach Möglichkeit erleichtert. Erbkrankheiten können lebenslang zunehmende oder gleichbleibend starke Beschwerden verursachen. Sie können die Lebensqualität und die Lebensdauer erheblich einschränken. Bei vielen Erbkrankheiten entlasten Operationen nur wenig. Gegebenenfalls wird eine postoperative Nachsorge nötig.
Einige der Symptome oder Störungen von Erbkrankheiten können heutzutage erfolgreich behandelt werden. Psychotherapeutische Betreuung ist bei Erbkrankheiten dann sinnvoll, wo es infolge der Merkmale der Erkrankung zu Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlen oder anderen psychischen Störungen kommt.
Das können Sie selbst tun
Beim Lesch-Nyhan-Syndrom konzentriert sich die Behandlung darauf, die erhöhte Harnsäure-Konzentration im Blut zu senken. Dies gelingt durch Medikamente mit dem Wirkstoff Allopurinol, begleitet durch eine Umstellung der Lebensgewohnheiten.
Der Arzt wird dem Patienten zu Beginn der Therapie eine Diät vorschlagen oder ihn an einen Ernährungsmediziner verweisen. Gemeinsam mit dem Fachmann kann ein Ernährungsplan erstellt werden, der sich im Idealfall aus einer purinarmen Ernährung und regelmäßiger Flüssigkeitszufuhr zusammensetzt. Regelmäßige Bewegung und die Vermeidung von Stress können wichtige Faktoren sein, um den Lebensstil zu verbessern und die Harnsäure-Konzentration im Blut dauerhaft zu senken.
Sind Kinder betroffen, müssen die Eltern weitere Maßnahmen ergreifen, um das selbstverletzende Verhalten zu unterbinden. So kann es zum Beispiel notwendig sein, das Kind festzubinden oder ihm einen Helm als Kopfschutz aufzusetzen. In schweren Fällen müssen die Schneidezähne entfernt werden, um die typische Selbstverstümmelung zu verhindern. Viele Patienten benötigen auch eine intensive psychotherapeutische Betreuung. Da die Erkrankung meist auch für die Eltern eine erhebliche Belastung darstellt, kann eine Familientherapie sinnvoll sein. Der Therapeut kann oft auch den Kontakt zu anderen betroffenen Eltern herstellen.
Quellen
- Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
- Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003