Vollnarkose
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 22. August 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Lange Zeit waren Vollnarkosen augrund vieler unangenehmer Nebenwirkungen gefürchtet und galten als gefährlich. Heutzutage gilt das aufgrund modernster Technik und neuesten Medikamenten nur noch in Ausnahmefällen.
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Was ist eine Vollnarkose?
Bei einer Vollnarkose wird der Patient durch so genannte Hypnotika in eine Art Koma versetzt. Dies geschieht durch die Gabe von Medikamenten, welche das Bewusstsein "abschalten".
Um Schmerzfreiheit im ganzen Körper zu garantieren, werden auch Analgetika, also starke Schmerzmittel, gegeben. Zusätzlich werden noch Relaxantien verabreicht welche für eine Entspannung der Muskeln sorgen. Die Medikamente können intravenös, also mithilfe eines Infusionsschlauches, oder mit der Atemluft verabreicht werden. In weniger als einer Minute schläft der Patient ein.
Seine Vitalfunktionen und die Tiefe der Narkose werden während des gesamten Eingriffes vom behandelnden Anästhesiearzt kontrolliert. Der Unterschied zwischen Vollnarkose und Sedierung ist darin begründet, dass der Patient bei einer Allgemeinanästhesie nicht erweckbar ist und auch die Beeinträchtigung des Kreislaufes sowie der Atemfunktion stärker ist.
Im Unterschied zur Vollnarkose ist der Patient bei der Lokalanästhesie bei Bewusstsein, es wird nur ein Bereich des Körpers schmerzfrei gemacht.
Geschichte & Entwicklung
Die Entdeckung und Entwicklung der Vollnarkose markiert einen bedeutenden Fortschritt in der Medizin, insbesondere in der Chirurgie. Die Anfänge der Anästhesie gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, als Ärzte begannen, nach Möglichkeiten zu suchen, Patienten während chirurgischer Eingriffe von Schmerzen zu befreien.
Die erste erfolgreiche öffentliche Demonstration einer Vollnarkose fand am 16. Oktober 1846 im Massachusetts General Hospital in Boston statt. Der Zahnarzt William T. G. Morton führte vor einem Publikum von Ärzten eine Narkose mit Diethylether durch, während der Chirurg John Collins Warren eine Tumorentfernung vornahm. Diese Demonstration gilt als Geburtsstunde der modernen Anästhesie, da sie die Wirksamkeit von Ether als Narkosemittel bewies.
Kurz nach Mortons Erfolg begannen andere Ärzte, alternative Narkosemittel zu erforschen. Chloroform, eingeführt von James Young Simpson im Jahr 1847, wurde schnell zu einem beliebten Anästhetikum, obwohl es auch einige Risiken, wie toxische Wirkungen auf Herz und Leber, mit sich brachte.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche weitere Narkosemittel entwickelt, darunter Halothan in den 1950er Jahren, das aufgrund seiner besseren Steuerbarkeit und geringeren Nebenwirkungen eine weite Verbreitung fand. Mit der Einführung sicherer intravenöser Anästhetika wie Propofol in den 1980er Jahren erlangte die Vollnarkose ihren heutigen Stand, bei dem Sicherheit und Wirksamkeit im Vordergrund stehen.
Einsatz & Indikation
Eine Vollnarkose wird durchgeführt, wenn ein chirurgischer Eingriff oder eine medizinische Prozedur erforderlich ist, bei der der Patient vollkommen schmerzfrei und bewusstlos sein muss. Sie wird notwendig, wenn der Eingriff zu schmerzhaft, umfangreich oder komplex ist, um ihn unter lokaler Betäubung oder Regionalanästhesie durchzuführen.
Vollnarkosen sind bei großen Operationen wie Bauch- oder Brustkorbchirurgie, orthopädischen Eingriffen, Herzoperationen oder neurologischen Eingriffen notwendig. Sie werden auch bei Eingriffen verwendet, bei denen es wichtig ist, dass der Patient absolut still liegt, wie etwa bei Augenoperationen oder bestimmten bildgebenden Verfahren.
Eine Vollnarkose ist ebenfalls notwendig, wenn der Patient aus psychologischen Gründen nicht in der Lage ist, bei vollem Bewusstsein zu bleiben, etwa bei ausgeprägter Angst vor Operationen oder bei Patienten, die sich während des Eingriffs nicht kooperativ verhalten könnten, wie kleine Kinder oder Menschen mit bestimmten neurologischen Erkrankungen.
In einigen Fällen wird eine Vollnarkose auch aus Gründen der Sicherheit durchgeführt, zum Beispiel bei Patienten mit allergischen Reaktionen auf Lokalanästhetika oder wenn eine ausreichende Schmerzfreiheit mit anderen Methoden nicht gewährleistet werden kann.
Die Entscheidung für eine Vollnarkose wird in enger Absprache zwischen dem Anästhesisten, dem Chirurgen und dem Patienten getroffen, wobei der Gesundheitszustand des Patienten, die Art des Eingriffs und individuelle Risiken berücksichtigt werden.
Vorteile & Nutzen
Eine Vollnarkose bietet mehrere entscheidende Vorteile gegenüber anderen Anästhesiemethoden, insbesondere bei komplexen und schmerzhaften chirurgischen Eingriffen. Einer der Hauptvorteile ist die vollständige Schmerzfreiheit während des Eingriffs. Da der Patient während der gesamten Operation bewusstlos ist, erlebt er keinerlei Schmerzen oder unangenehme Empfindungen.
Ein weiterer Vorteil ist die Bewegungslosigkeit des Patienten. Während der Vollnarkose sind die Muskeln entspannt, und der Patient liegt still, was es dem Chirurgen ermöglicht, präzise und sicher zu operieren, insbesondere bei empfindlichen oder komplizierten Verfahren, wie etwa in der Neurochirurgie oder Herzchirurgie.
Die psychologische Entlastung ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Da der Patient während der Operation nichts mitbekommt, kann er die oft mit Angst und Stress verbundenen Prozeduren besser ertragen. Dies ist besonders bei langwierigen oder traumatisierenden Eingriffen von Bedeutung.
Zudem ermöglicht die Vollnarkose die Durchführung von ausgedehnten und komplexen Operationen, die mit einer lokalen oder regionalen Betäubung nicht möglich wären. Der Anästhesist kann die Narkosetiefe während des Eingriffs kontinuierlich anpassen, was eine hohe Kontrolle und Sicherheit gewährleistet.
Darüber hinaus erlaubt die Vollnarkose eine bessere Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Atmung und Kreislauf, die während großer Operationen überwacht und bei Bedarf unterstützt werden können, was das Risiko von Komplikationen minimiert.
Funktion, Wirkung & Ziele
Eine Allgemeinanästhesie wird bei vielen verschiedenen Operationen verwendet. Sie hat den Vorteil, dass die Patienten während des Eingriffs nicht bei Bewusstsein sind, also die Geschehnisse im Operationssaal nicht miterleben.
Darüber hinaus spürt der Patient keine Schmerzen und durch die Relaxantien kann sichergestellt werden, dass sich der Patient während der Operation nicht bewegt oder es zu unwillkürlichen Muskelzuckungen kommt. Vor allem größere Operationen können nur unter Vollnarkose durchgeführt werden. Die Narkose wird mit der Gabe der Analgetika und der Hypnotika begonnen und wird während des gesamten Operationsablaufes aufrechterhalten indem die nötigen Medikamente kontinuierlich zugeführt werden.
Der verabreichte Mix von Anästhetika sorgt für einen komaähnlichen Zustand, für Schmerzfreiheit, für eine Hemmung des vegetativen Nervensystems und für eine Entspannung der Muskeln. Der genaue Ablauf einer Allgemeinanästhesie kann sich von Patient zu Patient unterscheiden, trotzdem gibt es eine allgemeine Verfahrensweise, welche fast immer beibehalten wird. Ist der Patient eingeschlafen, wird ihm ein Beatmungsschlauch gelegt. Dieser Tubus leitet einerseits Luft zur Lunge, kann aber auch Narkosegas enthalten, was zur Aufrechterhaltung der Narkose bis zum Ende der Operation dient.
Bei Operationen, die nur sehr kurz dauern, reicht es manchmal aus den Patienten lediglich über eine Maske zu beatmen. Während Chirurgen den Eingriff vornehmen, überwacht der Anästhesist die Kreislaufsituation sowie die Narkosetiefe des Patienten; bei Bedarf kann er weitere Medikamente verabreichen oder die Dosis verändern. Ist die Operation beendet, setzt der Anästhesist die Narkose-Medikamente ab und der Tubus wird entfernt. Nach Absetzen der Anästhetika dauert es mehrere Minuten bis der Patient sein volles Bewusstsein zurückerlangt, während dieser Zeit wird er im Aufwachraum überwacht.
Durchführung & Ablauf
Eine Vollnarkose beginnt mit der Vorbereitung des Patienten, bei der der Anästhesist den Gesundheitszustand überprüft und eventuelle Risiken einschätzt. Der Patient wird über den Ablauf und mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt. Vor der Narkose wird eine präoperative Nüchternheit von meist sechs Stunden empfohlen, um das Risiko von Aspiration zu minimieren.
Die Einleitung der Vollnarkose erfolgt durch die Verabreichung von Medikamenten, die in der Regel über eine intravenöse Kanüle injiziert werden. Die häufigsten Mittel zur Einleitung sind Propofol, ein starkes Hypnotikum, das den Patienten schnell in den Schlaf versetzt. Zusätzlich werden Schmerzmittel (Opioide) und Muskelrelaxantien gegeben, um Schmerzen zu verhindern und die Muskeln zu entspannen.
Nachdem der Patient eingeschlafen ist, wird ein Beatmungsschlauch (Endotrachealtubus) in die Luftröhre eingeführt, um die Atmung während der Operation zu kontrollieren. Während der gesamten Operation überwacht der Anästhesist kontinuierlich die Vitalfunktionen des Patienten, einschließlich Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Kohlendioxidgehalt.
Die Aufrechterhaltung der Narkose erfolgt durch eine kontinuierliche Zufuhr von Narkosegasen (wie Isofluran oder Sevofluran) oder durch die intravenöse Gabe von Anästhetika. Nach Beendigung des Eingriffs wird die Zufuhr der Narkosemittel gestoppt, sodass der Patient langsam aufwacht.
Der Patient wird dann in den Aufwachraum gebracht, wo er überwacht wird, bis die Narkose vollständig abgeklungen ist und alle lebenswichtigen Funktionen stabil sind.
Risiken & Gefahren
Auch wenn Vollnarkosen von vielen Menschen gefürchtet und als gefährlich eingestuft werden, sind sie doch sehr sicher. Nur in Extremfällen kommt es zu lebensbedrohlichen Zuständen des Patienten aufgrund der Narkose. Dank neuester Medikamente, technischer Hilfsmittel zur Überwachung des Patienten sowie der ständigen Anwesenheit eines Teams aus auf Anästhesie spezialisierten Ärzten und Pflegepersonal während der Operation, ist eine Vollnarkose sehr sicher.
Das individuelle Risiko ist jedoch nicht nur von der Narkose selbst abhängig sondern auch von Art und Dauer der Operation und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten. Zu möglichen Komplikationen gehören Herz-Kreislaufprobleme, Probleme bei der Beatmung bzw. Schädigung von Zähnen oder Schleimhautgewebe aufgrund der Intubation und auch allergische Reaktionen auf verabreichte Medikamente.
Ein weiteres Risiko stellt der Übertritt von Mageninhalt in die Lunge dar, was zu schweren Lungenentzündungen führen kann; daher ist es wichtig mindestens sechs Stunden vor einem Eingriff nichts mehr zu essen und mindestens zwei Stunden davor keine Flüssigkeit mehr zu sich zu nehmen. Noch vor wenigen Jahrzehnten zählten starke Übelkeit und Erbrechen zu den häufigsten Nebenwirkungen nach dem Aufwachen aus einer Vollnarkose.
Heutzutage sind solche Befindlichkeitsstörungen, zu denen auch grippeähnliche Symptome wie Heiserkeit und Halsschmerzen gehören, nach der Operation um vieles seltener geworden und gehören eher zur Ausnahme als zur Regel.
Alternativen
Es gibt mehrere alternative Verfahren zur Narkose, die verwendet werden können, wenn eine Vollnarkose nicht möglich oder nicht erforderlich ist. Eine der häufigsten Alternativen ist die Lokalanästhesie, bei der ein bestimmtes Körperteil oder ein kleiner Bereich durch Injektion eines Anästhetikums unempfindlich gemacht wird. Diese Methode eignet sich gut für kleinere Eingriffe, wie Zahnbehandlungen oder Hautoperationen, bei denen der Patient bei vollem Bewusstsein bleibt.
Eine weitere Alternative ist die Regionalanästhesie, die größere Körperbereiche betäubt, beispielsweise durch eine Spinal- oder Epiduralanästhesie. Diese Verfahren werden oft bei Eingriffen an den unteren Extremitäten oder während der Geburt eingesetzt. Sie bieten den Vorteil, dass der Patient bei Bewusstsein bleibt, aber keine Schmerzen verspürt.
Sedierung ist eine weitere Option, bei der der Patient durch die Gabe von Beruhigungsmitteln in einen entspannten und schläfrigen Zustand versetzt wird, während der Schmerz durch Lokalanästhesie kontrolliert wird. Dies wird häufig bei minimalinvasiven Eingriffen wie Koloskopien verwendet.
In Fällen, in denen selbst eine Lokalanästhesie nicht möglich ist, kann auf Hypnose als unterstützende Methode zur Schmerz- und Angstreduktion zurückgegriffen werden. Hypnose kann besonders bei Patienten hilfreich sein, die auf Anästhetika allergisch reagieren oder große Angst vor medizinischen Eingriffen haben.
Diese alternativen Verfahren bieten Flexibilität und können an die individuellen Bedürfnisse und den Gesundheitszustand des Patienten angepasst werden, um eine sichere und effektive Schmerzlinderung während medizinischer Eingriffe zu gewährleisten.
Quellen
- Roewer, N., Thiel, H.: Taschenatlas der Anästhesie. Thieme, Stuttgart 2013
- Schäfer, S., Kirsch, F., Scheuermann, G., Wagner, R.: Fachpflege Beatmung. Urban & Fischer, München 2011
- Schulte am Esch, J., et al.: Anästhesie und Intensivmedizin. Thieme, Stuttgart 2011