Absolutkraft

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 18. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Absolutkraft ergibt sich aus der Maximalkraft und den autonom geschützten Kraftreserven des Körpers. Damit entspricht die Absolutkraft der Kraft, die ein Körper theoretisch maximal gegen Widerstand aufbringen kann. Krankheiten mit Beeinträchtigung der Maximalkraft wirken sich auch auf die Absolutkraft aus.

Inhaltsverzeichnis

Was ist die Absolutkraft?

Das neuromuskuläre System kann gegen Widerstände eine bestimmte Kraft aufbringen.

Das neuromuskuläre System kann gegen Widerstände eine bestimmte Kraft aufbringen. Über efferent motorische Nervenbahnen gibt der Mensch den Muskeln über Befehle aus dem zentralen Nervensystem Anweisungen zur Kontraktion. Dieser Vorgang lässt sich willentlich steuern.

Die maximal erreichbare Kraft des neuromuskulären Systems unter willkürlicher Steuerung entspricht der sogenannten Maximalkraft einer Person. Diese Maximalkraft hängt vor allem von den Muskelfaserqualitäten ab. Die Maximalkraft einer Person ist allerdings nicht als die generell höchstmögliche Kraftleistung des neuromuskulären Systems zu verstehen. Diese höchstmögliche Kraftleistung entspricht vielmehr der Absolutkraft.

Die Absolutkraft besteht aus willkürlicher Maximalkraft und geschützt autonomen Leistungsreserven, die sich der willentlichen Steuerung entziehen. Die Maximalkraft wird demnach willentlich erbracht. Die Absolutkraft lässt sich nicht auf Befehl erbringen, sondern unterliegt autonomen Steuerungen und damit einem Schutz vor Verbrauch. Der Zugriff auf die so geschützten Kraftreserven wird ausschließlich in Notsituationen gewährt, so zum Beispiel unter Todesangst.

Funktion & Aufgabe

In Notsituationen besitzen Menschen größere Kräfte, als eigentlich vorstellbar. Beispielhafte Geschichten über zierliche, autohebende Mütter, die nach einem Unfall ihre eigenen Kinder aus Notsituationen befreien, sind mehr als reiner Mythos. Unter bestimmten Umständen entwickeln Menschen tatsächlich unvorstellbare Kräfte und wachsen weit über sich selbst hinaus.

Möglich wird das dank der Absolutkraft des neuromuskulären Systems oder vielmehr dank der neuromuskulären Kraftreserven, die unter autonomem Schutz für den "Notfall" abgelegt wurden. Bei der Absolutkraft handelt es sich demnach um eine Summe aus der maximal willkürlichen Kraft und den nicht willkürlich abrufbaren Reserven, die einem unabhängigen Schutz vor Zugriffen unterliegen. Die Differenz zwischen praktisch und willkürlich abrufbarer Maximalkraft und der vom Nerv-Muskel-System theoretisch maximal produzierbaren Kraft wird als Kraftdefizit bezeichnet.

Solange das Überleben gesichert ist, gibt der Körper seine autonomen Kraftreserven nicht für den Zugriff frei. Evolutionsbiologisch gesehen ist dieses "Kraftbunkerverhalten" ein verbreitetes Überlebensprinzip. Generell spart jeder Organismus dem Überleben zuliebe Kraft ein, wo es möglich ist. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich auch das evolutionsbiologische Prinzip des "leichteren Wegs", der von allen Lebewesen bevorzugt wird. Der Hintergrund diese Prinzips ist der Schutz vor Verletzungen oder lebensgefährlicher Erschöpfung.

Da die Kraftreserven des neuromuskulären Systems unter normalen Umständen vor dem willentlichen Zugriff geschützt sind, stehen sie in lebensbedrohlichen Situationen zum Überlebenskampf zur Verfügung. Die Reserven lassen sich so zum Beispiel unter äußeren Umständen wie massiv emotionalem Stress in Form von Wut oder Todesangst abrufen.

Ausschlaggebend ist für die Absolutkraft neben dem physiologischen Querschnitt der Muskeln seine Einsatzfähigkeit in Abhängigkeit von der Nervenstimulation. In Notsituationen und Stresssituationen steigt das sogenannte Leven of Arousal im zentralen Nervensystem an. Der Körper ist für Reize empfänglicher und die Reizübertragung an die Muskeln kann damit ebenfalls eine Steigerung erfahren. Aus diesem Grund liegt bei einem mittelmäßig hohen Level of Arousal die Leistungsfähigkeit des Körpers weit über dem Durchschnitt und die Kraftreserven werden freigegeben.

Für die Freigabe relevant ist außerdem die hormonelle Beeinflussung durch die sogenannten Stresshormone. Das wichtigste von ihnen: Adrenalin, das die Energiebereitstellung stimuliert.

Neben Notsituationen können die autonom geschützten Stressreserven auch durch äußere Einflussnahme mit Elektrostimulation, Hypnose oder leistungssteigernde Substanzen abgerufen werden.

Das Kraftdefizit zwischen willkürlicher Maximalkraft und unwillkürlicher Absolutkraft liegt für einen normal trainierten Menschen bei ungefähr 30 Prozent. Durch Leistungssport oder IK-Training (Intramuskuläres Koordinationstraining) lässt sich das Kraftdefizit nachweislich um etwa fünf Prozent vermindern. Andererseits ist der Eingriff in das evolutionsbiologisch sinnvolle "Kraftbunkerverhalten" des Körpers nicht unbedingt förderlich.


Krankheiten & Beschwerden

Die Maximalkraft unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, so zum Beispiel mit dem Maß an Bewegung, mit dem Ernährungszustand und vielen weiteren Faktoren. Auch Erkrankungen können die Maximalkraft des Menschen einschränken, so beispielsweise Krankheiten der kontraktilen Elemente innerhalb der Muskulatur. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel Strukturveränderungen des Myosins auf Basis genetischer Mutationen, wie es bei der familiär hypertrophen Kardiomyopathie der Fall ist.

Auch Myopathien beschränken die willkürliche Maximalkraft. Dasselbe gilt für einen Mangel oder Defekte von Aktin, einem kontraktilen Muskelstrukturprotein. Darüber hinaus schränken entzündliche Erkrankungen des motorisch versorgenden Nervengewebes die Maximalkraft ein, indem sie an den versorgenden Nerven Läsionen hinterlassen und so die Leitfähigkeit des Gewebes beeinträchtigen. Damit erreichen Kontraktionsbefehle die Muskeln nur noch bedingt oder überhaupt nicht mehr.

Die degenerative und neurogene Erkrankung ALS greift außerdem die zentralen Motoneuronen an und lähmt damit Stück für Stück alle Muskelbewegungen des Organismus. In der Konsequenz führt eine verringerte Maximalkraft auch zu einer insgesamt verminderten Absolutkraft, da es sich bei der Absolutkraft um die Summe aus Maximalkraft und geschützten Reserven handelt. Bei Muskellähmungen ist demnach auch die Maximalkraft dieser Muskeln kaum mehr vorhanden.

Jedoch wurde in lebensbedrohlichen Situationen durchaus schon von gelähmten Menschen berichtet, die sich plötzlich wieder, wenn auch in geringem Maße, bewegen konnten. Vermutlich geht dieses Phänomen auf das erhöhte Level of Arousal zurück, das in Lebensgefahr im zentralen Nervensystem vorliegt und auch geschädigtes Nervengewebe reizleitungsfähiger macht. Komplett zerstörtes Nervengewebe wird sich allerdings auch in Lebensgefahr nicht reaktivieren lassen.

Eine andere denkbare Erklärung könnte die Psyche sein. So ist zum Beispiel bei demyelinisierenden Erkrankungen des Nervensystems und daraus entstehenden Lähmungen eine sehr geringfügige Remyelinisierung und somit die Wiedergewinnung einer gewissen Nervenleitfähigkeit nicht vollständig ausgeschlossen. Die Überzeugung gelähmt zu sein, lässt die Patienten in dieser Situation aber oft auch dann nicht mehr laufen, wenn es bis zu einem gewissen Grad möglich wäre. In Lebensgefahr wird dieses psychische Phänomen vermutlich überwunden.

Darüber hinaus können vormals ausgeübte Funktionen des defekten Nervengewebes auf gesundes Nervengewebe übertragen werden, was sich beispielsweise die Physiotherapie nach Schlaganfällen zunutze macht. Auch eine Spontanübertragung der Funktionen im Falle von akuter Lebensgefahr ist so nicht von vorneherein auszuschließen.

Quellen

  • Froböse, Ingo et al.: Bewegung und Training. Urban & Fischer, München 2002
  • Schiebler T., Schmidt W., Zilles, K.: Anatomie. Steinkopff-Verlag, Heidelberg 2007
  • Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 266. Auflage. De Gruyter, Berlin 2015

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