Affektlabilität
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 27. Februar 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Eine Affektlabilität ist durch starke und schnelle Schwankungen der Grundstimmung gekennzeichnet. Bereits geringste Reize lösen erhebliche Stimmungsschwankungen aus. Dabei können die Stimmungswechsel sowohl Ausdruck normaler hormoneller Umstellungen als auch krankhafter organischer Prozesse sein.
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Was ist Affektlabilität?
Die Affektlabilität zeichnet sich durch einen raschen Wechsel der Grundstimmung aus, der oft ohne merklichen äußeren Anlass auftritt. Dieser psychische Zustand wird auch als Stimmungslabilität bezeichnet. Der betroffenen Person ist die Stimmungsschwankung zwar bewusst, empfindet sie jedoch nicht als krankhaft oder peinlich. Bei der Affektlabilität kommt es zum raschen Umschlagen von Gemütserregungen (Affekten), wobei die Dauer der Emotionen meist nur sehr kurz ist.
So kann Wut schnell in Trauer oder Trauer rasch in Freude umschlagen. Dabei reagiert der Affektlabile auf äußere angebotene Affekte übermäßig stark. Er kann die von außen ankommenden Gefühle nicht mehr differenzieren und ist nicht in der Lage, seine Reaktionen darauf zu kontrollieren. Die Emotionen schlagen beispielsweise von „himmelhoch jauchzend“ schnell um in „zu Tode betrübt“.
Diese Stimmungsschwankungen können in bestimmten Entwicklungsphasen oder hormonellen Umstellungen völlig normal sein. Das trifft unter anderem auf die Kindheit, die Pubertät, die Wechseljahre oder die hormonelle Umstellung während der Menstruation zu. Auch während der Schwangerschaft kann es zu einem schnellen Stimmungswandel kommen. Es gibt jedoch auch viele krankhafte Prozesse, die mit einer Affektlabilität verbunden sind.
Ursachen
Die Ursachen für eine Affektlabilität können vielfältig sein. Häufig handelt es sich um normale Reaktionen, die während einer hormonellen Umstellung auftreten. Dabei sind besonders Frauen vor der Menstruation oder während der Schwangerschaft betroffen. Auch bei Kindern sind schnell wechselnde Affekte normal. Besonders starke Stimmungsschwankungen sind während der Pubertät zu beobachten. Das Gleiche gilt aber auch für die Wechseljahre der Frau.
Während der hormonellen Umstellung oder bei Wachstumsprozessen treten häufig körperliche Missempfindungen auf, die sich nach außen als Stimmungsschwankungen bemerkbar machen. Allerdings gibt es auch eine Reihe von körperlichen und psychischen Erkrankungen, die mit einer starken Affektlabilität verbunden sind.
Symptome, Beschwerden & Anzeichen
Besonders extrem sind die Affektlabilitäten bei der bipolaren affektiven Störung, die früher auch als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet wurde. Bei dieser Störung wechseln sich ständig Phasen depressiver Verstimmung mit stark euphorischen Phasen ab. Zwischen diesen Phasen kann sich der Zustand des Patienten zeitweilig wieder normalisieren, bis es zum nächsten Krankheitsschub kommt.
In den depressiven Phasen ist der betroffene Mensch teilweise sogar selbstmordgefährdet, während er im manischen Zustand unter anderem Allmachtsgefühle entwickelt. Dabei wechseln bei diesem Krankheitsbild Phasen gesteigerten Antriebes mit Phasen ohne Antrieb ab. Auch eine Depression ohne Manie ist bei einigen Patienten durch Stimmungsschwankungen gekennzeichnet.
Besonders morgens nach dem Aufstehen ist die Stimmung am absoluten Tiefpunkt. Im Laufe des Tages kommt es jedoch oft zu einer Stimmungsaufhellung. Auch bei einer Borderlinestörung kommt es häufig zu Stimmungsschwankungen. Hier reichen bereits kleinste Anlässe zu Stimmungsumschwüngen aus. Des Weiteren kommen in den frühen Phasen einer Schizophrenie häufig Affektlabilitäten vor. Viele Formen von Persönlichkeitsstörungen sind ebenfalls mit einer affektiven Labilität verbunden.
Selbstverständlich können auch starke psychische Belastungen bei Stress oder Konflikten zu erheblichen Stimmungsschwankungen führen. Eine weitere Ursache für Affektlabilität kann eine beginnende Demenzerkrankung wie beispielsweise Alzheimer sein. Bei Suchterkrankungen wie Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit besteht immer eine Affektlabilität. Weitere Ursachen für starke Stimmungsschwankungen sind unter anderem auch Hirntumoren oder hormonelle Erkrankungen wie Schilddrüsenüberfunktion.
Diagnose & Verlauf
Bei starken und hartnäckigen Stimmungsschwankungen sollte unbedingt ein Arzt konsultiert werden. Der Arzt kann dann abklären, ob die Affektlabilität im Rahmen einer normalen hormonellen Umstellung auftritt oder doch Ausdruck eines krankhaften Prozesses ist. Hierzu ist besonders eine umfangreiche Anamnese sehr wichtig.
Dabei fragt der Arzt unter anderem, wie häufig und wie schwer die Stimmungsschwankungen sind, ob es bestimmte Auslöser gibt und welche zusätzlichen Symptome noch auftreten. Des Weiteren können noch bestimmte kognitive Tests durchgeführt werden, die darüber Auskunft geben, ob eine beginnende Demenzerkrankung, eine Depression oder eine andere psychische Störung vorliegt.
Zum Ausschluss von körperlichen Ursachen für die Affektlabilität werden noch neurologische Untersuchungen durchgeführt sowie der Hormonspiegel oder der Vitaminstatus bestimmt. Von den Begleitsymptomen hängt es auch ab, ob noch bestimmte bildgebende Verfahren wie MRT, CT oder auch ein EEG sowie ein EKG notwendig sind.
Komplikationen
An sich ist es schwierig bis unmöglich, "Komplikationen", die im Rahmen einer Affektlabilität auftreten können, zu benennen. Hierbei ist darauf zu verweisen, dass eine Affektlabilität im Rahmen diverser psychischer Erkrankungen, aber auch als normaler Umstand eines gewissen Entwicklungsstadiums auftreten kann. Die Labilität der Affekte ist also lediglich ein Symptom und keine eigenständige Erkrankung und deutet darüber hinaus auch nicht in jedem Falle auf eine Erkrankung hin.
Ausgehend von der Annahme, dass die Affektlabilität im Rahmen einer psychischen Erkrankung auftritt, kann jedoch gesagt werden, dass aus dieser einige durchaus gefährlichen Verhaltensweisen hervorgehen, die im weitesten Sinne als "Komplikationen" aufgefasst werden können. Hierbei ist zum Beispiel eine übermäßige Aggressivität zu nennen, die aus einer unkontrollierbaren Wut resultieren kann. Eine derartig unkontrollierbare Wut kann im Rahmen einer Affektlabilität relativ leicht auftreten und den Betroffenen unter Umständen zu ungewöhnlichem Verhalten verleiten.
Die fehlende Kontrolle der Affekte bzw. Stimmungen ist das Kennzeichen einer Affektlabilität und kann daher nicht als Komplikation dieser gesehen werden. Komplikationen ergeben sich lediglich aus diesen unkontrollierbaren Stimmungen und Emotionen. Auch ein selbstverletzendes oder suizidales Verhalten kann zusammen mit der Affektlabilität auftreten. Viele Verhaltensweisen sind aber eher als weitere Symptome, denn als Komplikationen oder Folgen zu sehen. Letztendlich lässt sich festhalten, dass diverse "unerwünschte" und zum Teil gefährliche Verhaltensweisen aus einer Affektlabilität resultieren können.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Bei einer Affektlabilität ist darauf zu achten, wie lange sie anhält und in welchen Zeitabständen sie wiederkehrt. Ein Arzt ist grundsätzlich immer dann aufzusuchen, wenn die Affektlabilität zu einer Belastung des Betroffenen führt, die er oder sein Umfeld als problematisch empfindet. Je nach Ausprägung und Ursache können gerade zu Beginn Verhaltenstipps sehr hilfreich sein.
In schwereren Fällen werden Antidepressiva verschrieben. Problematisch an der Affektlabilität ist, dass Betroffene selbst oft sehr schwierig auf Hinweise eines Arztbesuches reagieren. Meist findet ein schleichender über Jahre andauernder Prozess der sozialen Isolierung statt. Die lebensnotwendigen Aufgaben können dann oft von einem Tag auf den anderen nicht mehr bewältigt werden. Ist dieser Punkt erreicht, ist es dem Patienten auch nicht mehr möglich, aus eigener Kraft einen Arzt zu konsultieren.
Daher bedarf es bei einer Affektlabilität einer rechtzeitigen Hilfe. Es sind Fingerspitzengefühl sowie eine gute Empathie im Umgang mit dem Betroffenen gefragt. Da die Affektlabilität für Angehörige eines Erkrankten oft sehr schwer händelbar ist, empfiehlt es sich für sie, einen Arzt aufzusuchen. Sie erhalten in einer Beratung wertvolle Hinweise von einem Fachmann, die ihnen im Alltag bei der Bewältigung der umschlagenden Affekte hilfreich sein können. Zusammenhänge werden erläutert und die Belastungssituationen für das Umfeld können reduziert werden.
Behandlung & Therapie
Wenn die Affektlabilität im Rahmen einer Schwangerschaft, der Pubertät oder in der prämenstruellen Phase auftritt, ist eine Therapie nicht notwendig. Während dieser Phasen treten häufig Stimmungsschwankungen auf. Ist die Affektlabilität jedoch hartnäckig und nicht mit einer körperlichen Umstellungsphase in Verbindung zu bringen, muss sie unbedingt therapiert werden. Die Therapie richtet sich dann nach der zugrunde liegenden Erkrankung.
Eine bipolare Störung wird medikamentös mit Antidepressiva behandelt. Diese Wirkstoffe greifen direkt in den Hirnstoffwechsel ein und tragen zu einer Stimmungsaufhellung bei. Bei vielen psychischen Erkrankungen muss im Rahmen einer Psychotherapie auch nach der Ursache gefahndet werden. Häufig ist ihr Auslöser eine traumatische Erfahrung in der Kindheit. Erst nach dessen Aufdeckung ist häufig eine wirksame Therapie möglich. Bei organischen Ursachen verschwindet die Affektlabilität nach Ausheilung der Erkrankung.
Aussicht & Prognose
Die Aussicht auf Besserung hängt bei der Affektlabilität davon ab, auf welche Ursache sie zurückzuführen ist. Affektlabilität, die als Symptom von körperlichen Krankheiten auftritt, verschwindet in der Regel wieder mit ihnen oder bleibt (bei dauerhaften organischen Störungen) mit ihnen bestehen.
Bei Kindern kann Affektlabilität normal sein. Sie bessert sich mit zunehmendem Alter. Auch bei Erwachsenen ist Rührseligkeit nicht immer ein Anzeichen für eine Krankheit oder ein tieferes psychisches Problem. Dies gilt vor allem dann, wenn sie nur in bestimmten Situationen vorkommt – zum Beispiel während eines emotionalen Films.
Im Rahmen des prämenstruellen Syndroms (PMS) bei Frauen kann die Affektlabilität einem zyklischen Verlauf folgen. Sie stellt in diesem Zusammenhang ein wiederkehrendes Symptom dar, dass jedoch nur selten zu einer dauerhaften Belastung führt.
Für die Wochenbettdepression nach der Geburt gibt es vor allem bei einem stabilen sozialen Umfeld eine gute Prognose. Vorhergehende Depressionen und andere Belastungsfaktoren können die Aussicht auf rasche Genesung jedoch verschlechtern.
Die Prognose bei Persönlichkeitsstörungen ist eher ungünstig. Mit angemessener Behandlung und ausreichender Motivation lassen sich jedoch in vielen Fällen deutliche Verbesserungen erzielen. Fast immer schwächt sich die Persönlichkeitsstörung mit zunehmendem Alter ab. Auch bei Persönlichkeitsstörungen wirkt sich ein stabiles Umfeld positiv auf den Verlauf der Krankheit aus. Beruf, Familie und Freunde spielen dabei eine zentrale Rolle.
Vorbeugung
Zur Vorbeugung vor einer Affektlabilität können aufgrund der vielen möglichen Ursachen keine konkreten Empfehlungen gegeben werden. Eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung, viel Bewegung und wenig Stress vermindert die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer affektiven Labilität.
Nachsorge
Bei der Affektlabilität erweist sich eine Nachsorge als relativ schwierig und kann nicht ohne Weiteres durchgeführt werden. In erster Linie muss dabei die Erkrankung selbst behandelt werden, um weitere Komplikationen und Beschwerden zu vermeiden. Eine vollständige Heilung der Affektlabilität ist allerdings nicht immer möglich.
In den meisten Fällen muss sich der Betroffene bei dieser Erkrankung in eine psychologische Behandlung begeben. Dabei können auch Familie und Freunde den Patienten auf die Beschwerden der Erkrankung hindeuten und dem Betroffenen eine Therapie empfehlen. Diese sollte auch so lange durchgeführt werden, bis die Beschwerden der Affektlabilität vollständig verschwunden sind.
Weiterhin können auch Gespräche mit den Freunden und der eigenen Familie sehr sinnvoll sein, um die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität des Betroffenen zu erhöhen. Auch der Kontakt zu anderen Patienten der Affektlabilität kann sich positiv auf den weiteren Verlauf der Erkrankung auswirken, da es dabei häufig zu einem Austausch an Informationen kommen kann.
Da auch Medikamente eingenommen werden müssen, sollte auf eine regelmäßige Einnahme geachtet werden. Auch mögliche Wechselwirkungen müssen dabei beachtet werden. Die Einnahme sollte so lange erfolgen, bis die Erkrankung geheilt wurde.
Das können Sie selbst tun
Je nach vorliegender Grunderkrankung können Betroffene Verlauf und Ausprägung ihrer Affektlabilität auf verschiedenen Ebenen positiv beeinflussen. Zielführend ist dabei alles, was die Balance zwischen sympathischen und parasympathischen Vorgängen des Körpers unterstützt. Dazu gehören: eine gesunde, ausgewogene Ernährung mit ausreichendem Angebot an Vitaminen und Mineralstoffen, ein angemessener Umgang mit Stress, sportliche Aktivitäten und viel Bewegung an der frischen Luft. Bewusst wahrgenommene Naturerlebnisse, verschiedene Entspannungsverfahren sowie ausreichende Schlafqualität und -quantität fördern die schnelle Regenerationsfähigkeit als Grundlage für einen ausgeglicheneren Alltag.
Grundsätzlich hilfreich ist der Austausch mit anderen Betroffenen, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder Online-Foren. Einige Patienten profitieren über die schulmedizinische Versorgung hinaus von Alternativ- und Naturheilverfahren und von auf die Grunderkrankung abgestimmter Nahrungsergänzungsmitteln. Diese dürfen jedoch nicht ohne ärztlichen Rat eingenommen werden.
Einen wichtigen Beitrag zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen Anspannung und Entspannung im Alltag leisten auch Hobbys, Haustiere und bewusst genutzte Auszeiten, in denen die Genussfähigkeit trainiert wird. Sinnvolles Ziel einer unterstützenden Selbsttherapie kann es sein, die unkontrollierbare Stimmungslage als Teil seines Lebens zu akzeptieren und sie als solche anzuerkennen. Am effektivsten wirkt eine Kombination der oben genannten Selbsthilfe-Bausteine nach individuellen Maßstäben in Abstimmung mit therapeutischen Erfordernissen der zugrunde liegenden Haupterkrankung.
Quellen
- Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Berlin 2011
- Herold, G.: Innere Medizin. Eigenverlag, Köln 2016
- Möller, H., Laux, G., Deister, S.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015