Binge Eating

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 10. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Binge Eating bezeichnet man eine psychologische Essstörung, bei der der Betroffene in wiederkehrenden Essanfällen große Mengen an Nahrungsmitteln zu sich nehmen (das englische Wort binge bedeutet soviel wie "Gelage"). Während Bulimie und Magersucht in erster Linie junge Mädchen betreffen, tritt Binge Eating unabhängig vom Alter auf. Etwa 30 Prozent der Betroffenen sind männlichen Geschlechts. Schätzungen zu Folge sind in Deutschland etwa zwei Prozent der Bevölkerung von Binge Eating betroffen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Binge Eating?

Das Binge Eating wird dadurch definiert, dass eine unkontrollierte Essattacke mindestens einmal pro Woche auftritt.
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Personen, die von Binge Eating betroffen sind, erleiden dauerhaft und mermals wöchentlich immer wieder Heißhungerattacken, in deren Rahmen sie in kurzer Zeit große Mengen an Nahrungsmitteln zu sich nehmen. Die zumeist hochkalorischen Lebensmittel werden dabei hastig verschlungen. Die Patienten essen nicht mit Genuss, sondern zwanghaft und weit über das Sättigungsgefühl hinaus, bis ein unangenehmes Völlegefühl eintritt.

Sie haben in diesen Situationen keine Kontrolle mehr über ihr Essverhalten und können auch das Auftreten der Anfälle nicht verhindern oder sie bewusst beenden, so dass Binge Eating als Essstörung zu werten ist - vergleichbar mit Magersucht oder Bulemie. Im Gegensatz zu letzterer wird jedoch der Fressanfall beim Binge Eating nicht durch Erbrechen, exessiven Sport oder Hungerphasen auszugleichen versucht - in der Folge sind Binge Eater in der Regel übergewichtig.

Auf der anderen Seite ist längst nicht jeder Übergewichtige auch ein Binge Eater: Die meisten an Adipositas leidenden Patienten haben keine Fressanfälle, sondern nehmen kontinuierlich zu viel Nahrung zu sich. Die Essanfälle werden von den Betroffenen als unangenehm erlebt und gehen mit einem hohen Leidensdruck einher.

Ursachen

Die Ursachen für Binge Eating sind vielfältig; wie bei den meisten Essstörungen liegen häufig emotionale Schwierigkeiten dem gestörten Essverhalten zu Grunde. So kann es vorkommen, dass die Essanfälle dazu dienen, unangenehme Gefühle zu vermeiden und zu unterdrücken. Die übermäßige Nahrungsaufnahme folgt dann dem Zweck, Ärger, Enttäuschung oder Traurigkeit zu überdecken.

Entsprechend tritt Binge Eatig häufig im Zusammenhang mit Depressionen oder Angsterkrankungen auf. Teilweise sind Personen mit Störungen des Gefühlslebens auch nicht in der Lage, negative Gefühle oder emotionale Bedürfnisse richtig wahrzunehmen und verwechseln diese mit Hunger. Auch Selbstwertkonflikte spielen häufig eine Rolle bei der Entwicklung einer Binge Eating-Störung.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Damit es sich um eine diagnostizierbare Binge-Eating-Störung handelt, müssen mehrere Symptome miteinander auftreten. Einzelne Symptome, wie beispielsweise gelegentlich auftretende Heißhungerattacken, genügen noch nicht. Das Binge Eating wird dadurch definiert, dass eine unkontrollierte Essattacke mindestens einmal pro Woche auftritt.

Zudem wird dadurch ein psychischer Leidensdruck ausgelöst, der den Betroffenen bis hin zu einer Depression bringen kann. Auch wird - im Gegensatz zu anderen Essstörungen wie etwa der Bulimie - kein Kompensationsmechanismus (erbrechen, ausgiebiger Sport) seitens des Betroffenen in Gang gesetzt. Die Essattacke als solche ist nicht kontrollierbar und umfasst eine große Verzehrmenge in einem kurzen Zeitraum.

Zudem gibt es noch fünf weitere Symptome, die mit Binge Eating im Zusammenhang stehen. Sie umfassen das alleinige Essen (aus Scham), das Schlingen, das Essen ohne Hungergefühl, das Essen bis zum Erreichen eines übermäßig starken Völlegfühls und die Scham nach dem Essen beziehungsweise den Ekel vor sich selbst nach dem Essen. Betroffene einer Binge-Eating-Störung erleben mindestens drei dieser Symptome im Zusammenhang mit ihren Essattacken regelmäßig.

Indirekt kann das Binge Eating Symptome auslösen, die mit einer zu fettigen und zu zuckerhaltigen Ernährung im Zusammenhang stehen. Diabetes, schlechte Blutwerte, Fettleibigkeit, beschädigte Zähne und weitere Symptome können bei jahrelang praktiziertem Binge Eating folgen. Ursächlich ist, dass es sich bei den hastig verzehrten Lebensmitteln häufig um ungesunde Nahrungsmittel mit hohem physiologischen Brennwert handelt.

Verlauf

Binge Eating bringt zum einen die körperlichen Folgeerscheinungen von Übergewicht mit sich - diese können von Herz- und Kreislauferkrankungen über Diabetes bis hin zu ernstzunehmenden Erkrankungen der Gelenke und des gesamten Bewegungsapparates reichen.

Darüber hinaus jedoch haben Binge Eater auch unter den psychologischen Folgen ihrer Krankheit zu leiden. Die immer wiederkehrenden Essanfälle, die sich der Kontrolle des Patienten entziehen, lösen starke Schuldgefühle aus; die damit verbundene Scham stellt auch oft eine große Hemmschwelle dar, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Die Angst, dass andere Personen von den Essanfällen erfahren, kann zu sozialer Isolation und Vereinsamung führen. Viele Binge Eater leiden zusätzlich an Depressionen.

Komplikationen

Eine Binge Eating Disorder hat unmittelbare körperliche und psychische Folgen; langfristig treten oftmals schwere körperliche, psychische und finanzielle Probleme auf. Zunächst führt Binge Eating zu Übergewicht mit all seinen Folgen, darunter schwere Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden, Arthrose, Schlaganfall oder Diabetes. Ist das Binge Eating mit einer Bulimie verbunden, kommen dazu häufig auch starke Magenbeschwerden, Mundgeruch und Halsschmerzen hinzu.

Im späteren Verlauf kann sich aus der Überlastung des Rachenraumes eine Lungenentzündung entwickeln. Außerdem schädigt die meist rasche Gewichtszunahme die Knochen, belastet den Magen-Darm-Trakt, und führt oft auch zur Bildung von seelischen Störungen. Betroffene leiden nach einem Essanfall häufig unter Selbstabwertung und Depressionen, die zum sozialen Rückzug und der Entstehung psychischer Probleme führen können.

Längerfristige Folgen einer Binge Eating Disorder sind Angstzustände und Selbsthass, aber auch Alkoholmissbrauch und die Bildung von Zwangsstörungen. Bei Nichtbehandlung geraten Betroffene schnell in eine Negativspirale, deren Konsequenzen nicht abzusehen sind. Daneben kommt es durch den hohen Nahrungsmittelkonsum häufig auch zu finanziellen Problemen, die mit der Häufigkeit der Essanfälle zunehmen. Betroffene sollte ihre Störung aufgrund der möglichen Komplikationen einem Arzt oder Familienmitglied anvertrauen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Menschen, die unter Essattacken leiden, sollten spätestens dann zum Arzt gehen, wenn dadurch vermehrte Belastungssituationen auftreten. Es kann sich hierbei um eintretendes Übergewicht oder ein generelles Unwohlsein handeln. Auch dann, wenn das Sozialleben beeinflusst wird - der Betroffene beispielsweise anfängt, sein Essverhalten durch Lügen zu verschweigen - ist ein Handeln gefragt.

Problematisch ist, dass Betroffene dieser Essstörung zum Verschweigen ihres Problems neigen. Entsprechend kommt der Impuls, einen beratenden Arzt aufzusuchen, häufig von Angehörigen. Anlaufstellen können Psychologen, Ernährungsberater und natürlich ein Hausarzt, zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht, sein.

Dabei ist zumeist gar nicht das bloße Essen großer Mengen in kurzer Zeit ausschlaggebend für die Notwendigkeit, zum Arzt zu gehen. Viel mehr gilt es, mögliche Ursachen aufzudecken und, einhergehend mit einer Umstellung der Ernährung, zu therapieren. Oftmals sind es psychische Probleme, die für das Binge Eating verantwortlich gemacht werden können. Da diese in jedem Fall behandlungswürdig sind, ist der Gang zum Arzt eine Notwendigkeit.

Möglicherweise Betroffene können zudem anhand der diagnostischen Kriterien (aufgestellt in den 1990er Jahren seitens der Psychiatrischen Vereinigung der USA) überprüfen, ob es sich bei ihren Essattacken um Heißhunger oder eine ernstzunehmende Störung handelt. Das Analysieren der eigenen Situation kann unterstützend mit einer Vertrauensperson erfolgen.

Behandlung & Therapie

Durch eine verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie können die Binge Eating-Patienten lernen, ihr Gefühlsspektrum korrekt wahrzunehmen, mit diesen Gefühlen besser umzugehen und Methoden entwickeln, um sich auch ohne Essanfälle emotional zu regulieren. Auch die Normalisierung von Essverhalten und Gewicht ist ein wichtiges Therapieziel.

Durch ein Ernährungstagebuch können Patient und Therapeut erkennen, welche Situationen und Gefühlslagen Essanfälle auslösen, und alternatives Verhaltensweisen für solche Stresssituationen entwickeln. Eventuell können auch Antidepressiva die Behandlung sinnvoll unterstützen.

Es gibt sowohl ambulante als auch stationäre und teilstationäre Behandlungskonzepte; je nach individueller Problemlage könne ergänzende Familien- oder Gruppentherapien gewinnbringend eingesetzt werden. Kunst- und Musiktherapie sowie tiergestützte Therapieformen, wie etwa therapeutisches Reiten, können bei der Entwicklung des emotionalen Ausdrucks hilfreich sein.

Aussicht & Prognose

Wie die Prognose beim Binge Eating ausfällt, ist von der Ausgeprägtheit der Essstörung sowie dem Vorhandensein einer Therapie abhängig. So hat sich etwa gezeigt, dass es Absolventen einer auf sie zugeschnittenen Therapie noch ein Jahr nach der Therapie deutlich besser gehen kann. Aufgrund der dünnen Datenlage schwanken die Erfolgsangaben hier zwischen 30 und 75 Prozent.

Die Störung kann von bis zu 70 Prozent der Betroffenen nach circa zwölf Jahren (dies meint die Anzahl der Jahre des Bestehens der Störung, wobei ein Therapiebeginn auch erst nach mehreren Jahren eintreten kann) überwunden werden, wobei ein geringes Rückfallrisiko - gerade in belastenden Lebenssituationen - bleibt. Zudem korreliert eine derartige Essstörungen mit einem erhöhten Risiko, eine Angststörung zu entwickeln oder im weiteren Verlauf Substanzmissbrauch zu betreiben. Entsprechend ist eine gestörte Impulskontrolle bei vielen Betroffenen noch dauerhaft erhalten.

Eine Behandlung muss möglichst früh einsetzen, um gute Erfolge zu erzielen. Ein gerade erst erlerntes Muster, das der Essstörung entspricht, ist leichter zu durchbrechen als ein seit Jahren bestehender Kontrollverlust beim Essen. Unbehandelt verläuft das Binge Eating hingegen in Phasen: Zeiten des normalen Essens wechseln sich mit dem exzessiven Essen ab; Betroffene erleben ein Aufflammen ihrer Störung dabei vor allem in belastenden Situationen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Essstörung allein überwunden werden kann.


Vorbeugung

Wie für alle psychischen Störungen gilt auch für Binge Eating, dass eine ausgewogene Lebensweise und eine gute Psychohygiene wichtige Schutzfaktoren darstellen. Wer feststellt, dass sich persönliche Probleme oder Stresssituationen auf das Essverhalten auswirken, oder dass Gefühle von Langeweile, Leere und Traurigkeit durch Nahrungsaufnahme kompensiert werden, sollte sich frühzeitig psychologische Beratung suchen, um das Ausbrechen einer pathologischen Essstörung zu vermeiden.

Nachsorge

Binge Eating-Störungen bedürfen manchmal einer lebenslangen Nachsorge. Möglich ist, dass durch die Fressgelage eine Suizidneigung, mangelnde Selbstwertgefühle oder eine behandlungsbedürftige Adipositas mit entsprechenden Nebenwirkungen und Erkrankungsfolgen entstanden ist. In der Nachsorge können sich die Mediziner diesen Folgeerscheinungen widmen.

In einigen Fällen sind nur bei Lebenskrisen psychologische Interventionen notwendig. Die Frage ist, ob die Betroffenen sich Hilfe suchen, weil sie selbst die Gefahr sehen, einen Rückfall zu erleiden. In anderen Fällen kann nach einer langen Therapie von Heilung gesprochen werden. Die Rückfallprophylaxe stellt einen wichtigen Bereich bei der Therapie und der Nachsorgebehandlung der Betroffenen dar.

Die Nachsorge ist auch deshalb so wichtig, weil das Binge Eating - wie jede andere Essstörung auch - eine bestimmte Funktion für den Betroffenen hat. Es besteht daher die Gefahr, nach der Therapie eine andere Störung oder eine Sucht als Ersatz für diese Funktion zu entwickeln. Die Betroffenen müssen in der Nachsorge nicht nur auf organische Folgen untersucht werden. Auch die anhaltenden psychologische Betreuung ist wichtig. Ob sie immer in ausreichendem Maß erfolgt, ist unterschiedlich.

Problematisch ist, dass Binge-Eating-Störungen noch nicht allzu lange als Essstörung anerkannt werden. Daher gibt es keine einheitlichen Therapiekonzepte. Über Dauer und Umfang sowie die Bedeutung der Nachsorge herrschen unterschiedliche Ansichten vor.

Das können Sie selbst tun

Da beim Binge Eating vor allem auf süße und fettreiche Speisen zugegriffen wird, ist es für Betroffene sinnvoll, diese entweder aus ihrem Haushalt zu verbannen oder durch Partner, Familie oder Mitbewohner wegschließen zu lassen. So kann die Essattacke verhindert oder zumindest auf eine gesunde Alternative (Obst oder Gemüse in Reichweite) gelenkt werden.

Da die Ursachen für das Binge Eating zumeist psychischer Natur sind und diese Essstörung vor allem eine Form von Vermeidungsverhalten darstellt, ist es für Betroffene wichtig, sich mit ihren negativen Gefühlen und ihrem Stress auseinanderzusetzen. Durch Sport, Entspannungstechniken und ein Verbessern der persönlichen Situation durch Gespräche und gegebenenfalls eine psychotherapeutische Betreuung, können Betroffene ihre Lebensqualität steigern. Dies führt in vielem Fällen zu einer geringeren Impulsivität bezüglich des Essens.

Da mit dem Ausbleiben einzelner Essattacken auch die Schuldgefühle, die viele Betroffene hiernach verspüren, ausbleiben, wird der positive Effekt auf die eigene Psyche zusätzlich verstärkt.

Zudem kann es helfen, die Mahlzeiten des Tages auf den gesamten Tag zu verteilen. Mehrere kleine Portionen mit großem Nährwert sorgen für mehr Energie, einen ausgeglicheneren Blutzuckerspiegel und lassen ein Hungergefühl - insofern dieses am Binge Eating mitbeteiligt ist - nicht aufkommen. Kontrolliertes Zubereiten und Essen der Nahrung gibt Betroffenen zudem das Gefühl von Kontrolle zurück.

Quellen

  • Dilling, H., Mombour, W., Schmidt, M.H.(Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD 10, Kapitel V (F), klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber, Bern 2011
  • Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S.: Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Urban & Fischer, München 2015

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