Capgras-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. März 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Capgras-Syndrom ist eine sehr seltene psychiatrische Erkrankung. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Krankheit geht mit der wahnhaften Annahme einher, dass vertraute Menschen durch Doppelgänger oder Betrüger ersetzt wurden. Der vermeintliche Doppelgänger wird entweder bekämpft oder der Patient meint, sich vor ihm schützen zu müssen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Capgras-Syndrom?

Die Beschwerden des Capgras-Syndroms können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und damit auch verschieden Formen annehmen. In der Regel denken die Betroffenen, dass ihre Freunde und Verwandten durch Doppelgänger ersetzt wurden.
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Beim Capgras-Syndrom handelt es sich um eine wahnhafte Störung, bei der der Patient glaubt, dass eine ihm vertraute Person, durch eine Person mit identischem Aussehen ersetzt wurde. Bei weiblichen Erkrankten ist meist der Partner der Doppelgänger. Manchmal werden auch die eigenen Kinder als ausgetauscht empfunden.

Die Patienten behaupten, die Originale seien schon vor Jahrzehnten entführt worden. In manchen Fällen ist ihnen sogar bewusst, dass sie an einer Verkennung leiden. Sie halten jedoch auch dann an ihr fest, wenn ihnen nachgewiesen werden kann, dass sie sich irren. Das Capgras-Syndrom ist nach dem französischen Neurologen und Psychiater Joseph Capgras benannt, der es erstmals 1923 beschrieb.

Das Capgras-Syndrom ist ausgesprochen selten. Psychiater gehen von einer Häufigkeit von 0,1 bis 4 Prozent aus. Bei Alzheimer Patienten wird der Anteil auf 10 bis 30 Prozent geschätzt. Außerdem scheint das Syndrom in manchen Kulturkreisen häufiger vorzukommen als in anderen. Die psychiatrische Erkrankung kommt meist im Zusammenhang mit bestimmten körperlichen und psychischen Erkrankungen vor. Daher sehen manche Psychiater sie als Symptom dieser Krankheiten an. Wird die Erkrankung nicht behandelt, kann sie schwerwiegende Folgen für die Betroffenen und ihr soziales Umfeld haben.

Ursachen

Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass das Capgras-Syndrom verschiedene Ursachen haben kann. Es kommt im Zusammenhang mit paranoider Schizophrenie, Delirien, Demenz und Alzheimer Erkrankung vor. Außerdem taucht es im Zusammenhang mit affektiven Störungen und der posttraumatischen Belastungsstörung auf. Auch eine Depression mit wahnhaften Zügen kann die Symptome hervorrufen.

Als Ursachen kommen auch Hirnschläge, Hirnblutungen und Unfälle mit Hirntraumata als Folge infrage. In manchen Fällen scheint das Capgras-Syndrom auch psychologische Ursachen zu haben: Da meist emotional stark positiv oder negativ besetzte Menschen zu Doppelgängern erklärt werden, scheinen die Erkrankten ein gestörtes Verhältnis zu ihnen zu haben. Indem sie sie zu Fremden machen, können sie den emotionalen Abstand zu ihnen aufbauen, den sie dringend benötigen.

In diesen Fällen handelt es sich um die bewusste Leugnung der Tatsache, dass der vermeintliche Doppelgänger die echte Person ist. Mediziner gehen davon aus, dass ein Drittel bis die Hälfte der Fälle eine hirnorganische Ursache haben. Beim Capgras-Syndrom ist die für die Wahrnehmung von Gesichtern zuständige Gehirnregion (Gyrus fusiformis) von der für das gefühlsmäßige Erinnern verantwortlichen (Amygdala) getrennt: Die Doppelgänger werden zwar als bekannt wahrgenommen - die Gesichtserkennung funktioniert ohne Probleme - aber nicht mit den Gefühlen, die die Person ursprünglich für sie hatte, verknüpft.

Warum die in der Hirnrinde richtig verarbeitete visuelle Information von dort aus nicht ins limbische System weitergeleitet wird, konnte noch nicht geklärt werden.


Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Beschwerden des Capgras-Syndroms können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und damit auch verschieden Formen annehmen. In der Regel denken die Betroffenen, dass ihre Freunde und Verwandten durch Doppelgänger ersetzt wurden. Es handelt sich damit um eine starke psychische Erkrankung, die das Leben des Betroffenen stark einschränken und die Lebensqualität reduzieren kann.

Es kann dabei auch zu einer Demenz oder zu Alzheimer kommen, sodass die Betroffenen in ihrem Leben immer auf fremde Hilfe angewiesen sind. Ebenso führt das Capgras-Syndrom häufig zu sozialen Beschwerden und zu Kontaktabbrüchen. Es kommt häufig auch zu einer inneren Unruhe, zu Schlaflosigkeit oder zu Halluzination.

Die Betroffenen haben das Gefühl, von Außen durch eine andere Person gesteuert zu werden und die Kontrolle über ihren Alltag verloren zu haben. In einigen Fällen kann das Capgras-Syndrom auch zu einem aggressiven Verhalten führen, welches vor allem gegen die vermeintlichen Doppelgänger gerichtet wird. Dabei kann es auch zu Streitigkeiten oder zu Verletzungen kommen.

Bei Frauen kann das Capgras-Syndrom auch dazu führen, dass eine Mutter denkt, ihr Kind sei durch ein anderes ausgetauscht worden. Dabei kann es auch sogar zu Handlungen kommen, die das Leben des Kindes gefährden könnten.

Diagnose & Verlauf

Beim Capgras-Syndrom hält der Patient ihm vertraute Menschen für Doppelgänger oder verwechselt sie mit Gegenständen. Mitunter sind die Erkrankten auch nicht fähig, ihre Bewegungen bewusst zu steuern. Sie erkennen die vertraute Person, aber verknüpfen sie nicht mit den Gefühlen, die sie ursprünglich für sie empfunden haben und mit Erinnerungen, die sie an sie haben.

In schweren Fällen werden sogar mehrere bekannte Menschen vom Erkrankten für Doubles gehalten. Manchmal hält der Patient auch sich selbst für unecht. Die Doppelgänger werden oft als Menschen ohne Seele bezeichnet. Da der Doppelgänger-Wahn das einzige Symptom der seltenen psychiatrischen Erkrankung ist, wird sie auch als mono-thematische Illusion bezeichnet. Die Doubles werden als Angst einflößend empfunden. Betroffene Kinder verstecken sich vor ihnen oder gehen ihnen bewusst aus dem Weg.

Mit den starken Ängsten verbunden sind oft Schlaflosigkeit, starke innere Unruhe, akustische Halluzinationen und das Gefühl, von außen gesteuert zu werden. In seltenen Fällen kommt es zu aggressiven Handlungen gegen die Doppelgänger. Tritt das Capgras-Syndrom im Zusammenhang mit einer Demenz auf, verschwindet es meist, wenn sich die Demenz verschlimmert.

Beim so genannten Doppelgänger-Wahn bei Müttern betrifft die Verkennung das eigene Baby, das als ausgetauscht empfunden wird. Es kann von der Mutter als so bedrohlich wahrgenommen werden, dass sie es sogar töten möchte.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Sollte ein Familienmitglied Anzeichen einer Schizophrenie oder posttraumatischen Belastungsstörung zeigen, muss dies unbedingt angesprochen werden. Ein Besuch beim Psychologen gibt Aufschluss über das Krankheitsbild und ermöglicht eine entsprechende Therapie. Wird die psychiatrische Störung frühzeitig erkannt und behandelt, kann die Ausbildung des Capgras-Syndrom unter Umständen vermieden werden.

Sollte sich das Syndrom bereits eingestellt haben, bedarf dies einer sofortigen Behandlung durch einen Experten. Da die psychiatrische Erkrankung von den Betroffenen selbst meist nicht festgestellt werden kann, muss die Untersuchung von Freunden und Familienmitgliedern initiiert werden. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn weitere Veränderungen im Verhalten beobachtet werden. Betroffene leiden oftmals unter starken Ängsten, die mit Schlaflosigkeit, innerer Unruhe und akustischen Halluzinationen verbunden sind.

Bei diesen Warnzeichen gilt: sofort fachliche Hilfe hinzuziehen. Wenn Alzheimer- und Demenz-Patienten unter Symptomen des Capgras-Syndroms leiden, muss mit dem zuständigen Arzt gesprochen werden. Eine Umstellung der Medikation sowie therapeutische Maßnahmen können den Wahn reduzieren und die Betroffenen von ihrem Leidensdruck befreien. Eine vollständige Heilung ist bis dato jedoch nicht möglich.

Behandlung & Therapie

Die Diagnose des Capgras-Syndroms ist einfach, da die Erkrankung eine klare Symptomatik hat. Es handelt sich in den meisten Fällen um eine chronische, nicht progrediente Erkrankung, die unbehandelt zu sozialen Schwierigkeiten bei den Betroffenen führen kann.

Das Capgras-Syndrom wird entsprechend der bei ihm vorliegenden Grunderkrankung therapiert. Die Symptomatik kann auch mithilfe einer Verhaltens- und Gesprächspsychotherapie gebessert werden. Bei einer organischen Ursache verabreicht der Arzt noch zusätzlich Neuroleptika, um das Neurotransmitter Gleichgewicht im Gehirn wiederherzustellen.

Bei paranoider Schizophrenie sind ebenfalls Neuroleptika die geeignete Therapie. Geht die Erkrankung auf eine wahnhafte Depression zurück, wird mit einer Kombination aus Neuroleptika und Antidepressiva behandelt. Problematisch ist jedoch, dass eines der beiden wirksamsten Medikamente (Risperidon) sehr starke Nebenwirkungen hat. Fälle von Heilungen sind bis dato nicht bekannt.

Aussicht & Prognose

Beim Capgras-Syndrom existieren bislang wenige konservative Behandlungsmöglichkeiten. Neben der medikamentösen Therapie, die vor allem bei weniger stark ausgeprägten Beschwerden sinnvoll ist, kommen eine Reihe von Selbsthilfe-Maßnahmen zum Einsatz. Gefragt sind vor allem die Angehörigen und Freunde des Betroffenen, die diesen emotional unterstützen müssen.

Dadurch kann verhindert werden, dass der Betroffene im Zuge des Capgras-Syndroms weitere psychische Beschwerden entwickelt. Auch eine Verhaltens- und Gesprächstherapie ist sinnvoll. Im Rahmen dieser therapeutischen Maßnahmen lernt der Betroffene mit seiner Erkrankung umzugehen und die Anzeichen eines akuten Krankheitsschubs zu erkennen.

Sollte den Beschwerden eine organische Ursache zugrunde liegen, muss diese zunächst behandelt werden. Daneben ist eine Neuroleptika-Therapie notwendig. Tritt das Capgras-Syndrom im Rahmen einer paranoiden Schizophrenie auf, ist ebenfalls eine medikamentöse Behandlung angezeigt. Diese wird von den Betroffenen am besten durch entsprechende Umstellungen im Lebensstil unterstützt. Betroffene Personen sollten mögliche Auslöser notieren und diese künftig meiden.

Stressige Situationen sollten generell vermieden werden, denn diese können unter Umständen Halluzinationen und andere typische Symptome hervorrufen. Begleitend zu diesen Maßnahmen ist immer auch eine engmaschige ärztliche Überwachung notwendig.


Vorbeugung

Eine Vorbeugung ist beim Capgras-Syndrom nicht möglich.

Das können Sie selbst tun

Das Capgras-Syndrom ist eine äußerst seltene psychiatrische Störung, die Frauen deutlich häufiger betrifft als Männer. Die Patienten sind von dem Wahn erfasst, dass nahe stehende Personen entweder gegen ein Double ausgetauscht wurden oder Betrüger sind. Kranke Kinder verstecken sich häufig nur vor den vermeintlichen Doppelgängern, erwachsene Patienten gehen dagegen aktiv gegen diese vor. Die Krankheit belastet deshalb nicht nur den Betroffenen, sondern auch sein familiäres Umfeld sehr stark.

Die Patienten sind sich ihres Wahns oft nicht bewusst und können deshalb auch keine Maßnahmen zur Selbsthilfe ergreifen. Es ist darum besonders wichtig, dass nahe stehende Personen bereits bei den ersten Anzeichen der Krankheit richtig reagieren. Insbesondere ist es wichtig, dass der Betroffene von einem Facharzt gründlich untersucht wird.

Das Capgras-Syndrom hat oftmals körperliche Ursachen. Für den Behandlungserfolg ist es deshalb ausschlaggebend, dass die Grunderkrankung richtig diagnostiziert und therapiert wird. Die Familien der Patienten sollten deshalb darauf hinwirken, dass diese durch einen Facharzt betreut werden, der bereits Erfahrung mit der Krankheit sammeln konnte.

Die Symptomatik kann in vielen Fällen, zusätzlich zu anderen Behandlungsmethoden, durch eine Verhaltens- und Gesprächspsychotherapie verbessert werden. Da nicht nur die Patienten selbst, sondern auch ihr Umfeld, insbesondere die vermeintlichen Betrüger, massiv unter der Störung leiden, sollten auch diese Personen eine Therapie in Erwägung ziehen oder auf die Unterstützung einer Selbsthilfegruppe zurückgreifen.

Quellen

  • Arolt, V., Reimer, C., Dilling, H.: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Heidelberg 2007
  • Köhler, T.: Medizin für Psychologen und Psychotherapeuten. Schattauer, Stuttgart 2014
  • Tölle, R., Windgassen, K.: Psychiatrie. Springer, Heidelberg 2006

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