Erregungsleitungssystem des Herzens
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Das Erregungsleitungssystem des Herzens besteht aus glykogenreichen spezialisierten Herzmuskelzellen. Sie bündeln die vom Erregungsbildungssystem generierten Kontraktionssignale und leiten sie in einem bestimmten Rhythmus an die Muskulatur der Vorhöfe und der Kammern weiter, so dass eine geordnete Abfolge von Systole (Schlagphase der Kammern) und Diastole (Entspannungsphase der Kammern) entsteht, die für einen kontinuierlichen Blutkreislauf sorgen.
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Was ist das Erregungsleitungssystem des Herzens?
Das Erregungsleitungssystem des Herzens steht in engem Zusammenhang mit dem Erregungsbildungssystem, da es ebenfalls aus spezialisierten Herzmuskelzellen besteht und da Teile des Erregungsleitungssystems in bestimmten Situationen selbst in einem Backup-Verfahren als Erregungsbildner in Erscheinung treten. Das Gesamtsystem, Erregungsbildung und Erregungsleitung, ist halbautonom. Prinzipiell ist es zwar autonom, es unterliegt aber auch dem Einfluss von Sympathikus und Parasympathikus, so dass die Leistung des Herzens über Schlagfrequenz und Blutdruck an wechselnde Anforderungen angepasst werden kann.
Das halbautonome Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem kann durch Einflüsse von außen mittelbar gesteuert werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass das System auch durch bestimmte Neurotoxine über Sympathikus und Parasympathikus beeinflussbar ist und gestört werden kann.
Das Erregungsleitungssystem des Herzens beginnt am Sinusknoten, dem Herzschrittmacher im rechten Vorhof direkt unterhalb der oberen Hohlvene. Der elektrische Impuls, den der Sinusknoten generiert, wird vom Erregungsleitungssystem an die Muskulatur beider Vorhöfe verteilt, so dass sie gleichzeitig kontrahieren. Der Impuls wird dann vom zweiten Schrittmachersystem, dem [Atrioventrikularknoten]] (AV-Knoten) am Boden des rechten Vorhofs aufgenommen und mit einer Verzögerung von etwa 150 Millisekunden an das His-Bündel abgegeben, das sich in der Scheidewand zwischen Vorhöfen und Kammern befindet.
Das His-Bündel teilt sich dann in einen linken und zwei rechte Kammerschenkel, die Tawara-Schenkel, auf. Die Schenkel verzweigen sich an ihrem Ende weiter in die Purkinje-Fasern, die den Kontraktionsimpuls direkt an die Muskelzellen der Kammermuskulatur weiterleiten, so dass die Kammern gleichzeitig kontrahieren.
Das Erregungsleitungssystem funktioniert rein elektrisch über spezialisierte Herzmuskelzellen und nicht über Nerven, so dass das System ohne spezielle Neurotransmitter auskommt.
Funktion & Aufgabe
Im Normalfall werden die elektrischen Impulse vom Sinusknoten im linken Vorhof generiert. Im Zusammenspiel mit dem Erregungsleitungssystem, dem AV-Knoten und dem His-Bündel entsteht der normale Herztakt, der auch als Sinusrhythmus bezeichnet wird. Sollte der Sinusknoten als Schrittmacher ausfallen oder Impulse generieren, die vom Normalmuster stark abweichen, können grundsätzlich Zellen des Weiterleitungssystems selbst elektrische Schlagimpulse generieren, die allerdings meist nicht geordnet sind und zu einer sehr ungeordneten Schlagfolge des Herzens, besonders in den Vorhöfen, führen können.
Eine regelrechte Absicherungs-Funktion als Sekundärschrittmacher kann der AV-Knoten übernehmen. Seine geordnete Grundfrequenz beträgt 40 bis 50 Erregungen pro Minute. Der AV-Knoten übernimmt automatisch, wenn die Impulse des Sinusknotens unter die Grundfrequenz des AV-Knotens absinken. Sollte auch der AV-Knoten als Absicherung ausfallen, springt das His-Bündel, das Teil des Erregungsleitungssystems ist, als tertiärer Schrittmacher für die Kammermuskulatur mit einer Frequenz von 20 bis 30 Schlägen pro Minute ein. Der Vorgang wird auch als Kammerersatzrhythmus bezeichnet.
Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem ermöglichen die Aufrechterhaltung des kontinuierlichen Blutstroms im Blutgefäßsystem des Körpers und die schnelle Anpassung an wechselnde Anforderungen, die durch unterschiedliche muskuläre Betätigungen und durch unterschiedlichen sympathischen Tonus oder Stressmodus entstehen.
Die Vorteile des von der Evolution entwickelten halbautonomen Systems bestehen darin, dass die Abfolge des Herzschlags nicht ohne weiteres durch aufgenommene Nahrung oder Giftstoffe beeinflussbar ist, sondern nur indirekt über das sympathische und parasympathische Nervengeflecht.
Krankheiten & Beschwerden
Störungen in der Weiterleitung der Kontraktionsimpulse kommen häufig vor. Sie machen sich durch Extrasystolen, durch unregelmäßigen Herzschlag oder durch eine erhöhte oder erniedrigte Schlagfrequenz sowie durch einen veränderten Schlagrhythmus bemerkbar. Die Symptome reichen von harmlos bis schwerwiegend und unmittelbar lebensgefährdend.
Relativ häufig treten Probleme mit der Weiterleitung des Schlagimpulses innerhalb der Vorhöfe auf. Die Erregungen laufen dann ungeordnet oder bewegen sich kreisförmig über die Vorhöfe, die mit ungeordneten schnellen Muskelkontraktionen reagieren. Es können bei diesem Vorhofflimmern Schlagfrequenzen von 350 bis 600 Hz auftreten, die allerdings vom AV-Knoten gefiltert und typischerweise nur in einer Frequenz von 100 bis 160 „durchgelassen“ und an die Kammermuskulatur weitergeleitet werden. Es entsteht dadurch ein Verlust der Vorhofkontraktionen, der spürbar mit einer 15 bis 20 prozentigen Leistungseinbuße des Herzens verbunden ist und zu einer allmählichen Überlastung der Kammermuskulatur führen kann.
Ebenfalls recht häufig werden – meist vorübergehende - Herzrhythmusstörungen durch einen sogenannten sinuatrialen Block (SA-Block) ausgelöst. Er entsteht durch eine verzögerte oder unterbrochene Weiterleitung des originären Sinusimpulses an die Muskulatur der Vorhöfe. Es handelt sich also um ein Reizweiterleitungsproblem noch vor Erreichen des AV-Knotens. Ein SA-Block kann viele verschiedene Ursachen haben und kann auch durch eine Störung der Elektrolytzusammensetzung oder Elektrolytkonzentration ausgelöst werden. Alle Arten von Erregungsleitungsstörungen in den Vorhöfen werden unter dem Begriff Sick-Sinus-Syndrom zusammengefasst.
Eine weniger häufige Erkrankung des Reizweiterleitungssystems ist das Wolff-Parkinson-White-Syndrom, mit dem eine ungeordnete kreisende Erregung zwischen den Vorhöfen und den Kammern bezeichnet wird. Sie wird durch mindestens eine zusätzliche Leitungsbahn zwischen Vorhöfen und Kammern, unter Umgehung des AV-Knotens, verursacht. Wegen der Umgehung des AV-Knotens können die elektrischen Impulse von den Kammern auch wieder zurück in die Vorhöfe gelangen.
Quellen
- Erdmann, E.: Klinische Kardiologie. Springer, Heidelberg 2011
- Klinke, R. & Silbernagl, S.: Lehrbuch der Physiologie. Thieme, Stuttgart 2005
- Roskamm, H., et al.: Herzkrankheiten. Springer, Heidelberg 2004