Kammerersatzrhythmus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 13. April 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Kammerersatzrhythmus wird eine elektrische Eigenerregung der Herzkammermuskulatur bezeichnet. Tritt der Kammerersatzrhythmus ein, hat der Patient eine schwerwiegende Herzrhythmusstörung durch Ausfall der beiden vorgelagerten Erregungszentren Sinusknoten und AV-Knoten. Der Körper versucht durch den Kammerersatzrhythmus das Überleben zu sichern. Die Schlagfrequenz der Kammern liegt dann bei 20 bis 40 Schlägen pro Minute ohne Unterstützung der Vorkammern und benötigt eine notfallartige ärztliche Behandlung.

Inhaltsverzeichnis

Was ist der Kammerersatzrhythmus?

Als Kammerersatzrhythmus wird eine elektrische Eigenerregung der Herzkammermuskulatur bezeichnet.

Die Herzmuskulatur der Kammern (Ventrikel) hat die Fähigkeit zu spontaner Eigenerregung, die auch als Selbstdepolarisation bezeichnet wird. Aufgrund des relativ langen Zeitbedarfs der Kammermuskulatur zur Repolarisierung liegt der entstehende Ersatzrhythmus der Kammern bei nur 20 bis 40 Schlägen pro Minute.

Am gesunden Herzen mit normalem Schlagrhythmus (Sinusrhythmus) kommt die Fähigkeit der Kammermuskulatur zur Selbstdepolarisation nicht zum Tragen. Bevor sie eintreten kann, wird die Depolarisation bereits durch einen elektrischen Impuls ausgelöst, der vom Sinusknoten in der rechten Vorkammer über AV-Knoten, HIS-Bündel und die Purkinje-Fasern an die Zellen der Kammermuskulatur weitergeleitet wird. Die elektrische Erregung, die vom Sinusknoten ausgeht, kommt dem Kammerersatzrhythmus quasi zuvor.

Ein vergleichbarer Vorgang tritt ein, wenn der Sinusknoten als Taktgeber ausfällt und der AV-Knoten als erste Absicherung mit einem Ersatzrhythmus von etwa 40 bis 60 Schlägen pro Minute einspringt.

Der Kammerersatzrhythmus kann zwar kurzfristig das Überleben bei Ausfall beider Rhythmusgeber oder bei Ausfall der Übertragung der elektrischen Signale sichern, es handelt sich dennoch um eine unmittelbar lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung aufgrund der deutlich reduzierten Auswurfleistung des Herzens. Die niedrige Pumpleistung des Herzens wird durch die niedrige Schlagfrequenz und durch den Ausfall der Vorkammern, die völlig unkontrolliert in eigenem Rhythmus schlagen oder „flimmern“ und häufig Blut „im Kreis“ fördern, zusätzlich erschwert.

Funktion & Aufgabe

Die Möglichkeit der Zellen der Kammermuskulatur zur Selbstdepolarisation, die eine koordinierte Kontraktion der beiden Ventrikel auslösen kann, stellt eine lebenssichernde Entwicklung der Evolution dar und dient einzig und allein der kurzfristigen – wenn auch abgeschwächten – Aufrechterhaltung des Blutkreislaufs im Körper. Der Kammerersatzrhythmus übernimmt damit die Aufgabe eines körpereigenen Notfallprogramms zur Sicherung des kurzfristigen Überlebens, wenn entweder die vorgelagerten Impulsgeber oder die Weiterleitung der elektrischen Impulse gestört sind.

Das System ist zudem unabhängig vom Nervensystem, da Erregungserzeugung und Erregungsweiterleitung des Herzrhythmus durch spezialisierte Herzmuskelzellen erfolgen. Die Herzschlagfrequenz kann allerdings über das sympathische und das parasympathische Nervensystem den wechselnden Anforderungen oder dem jeweiligen Stresslevel durch Variierung der Schlagfrequenz fast verzugslos über Neurotransmitter angepasst werden. Das bedeutet, dass der normale Herzrhythmus indirekter Beeinflussung unterliegt.

Der besondere Vorteil des Kammerersatzrhythmus besteht darin, dass er weitestgehend autonom und ausfallsicher ist, da er physiologisch-anatomisch in der Bauart der Zellen der Kammermuskulatur integriert ist und deshalb automatisch in Aktion tritt, wenn nicht innerhalb einer gewissen Zeitspanne die Purkinje-Fasern einen elektrischen Impuls zur Depolarisation der Kammermuskulatur liefern.

Der ventrikuläre Ersatzrhythmus, wie der Kammerersatzrhythmus auch genannt wird, darf nicht mit anderen Herzrhythmusfehlern, insbesondere nicht mit dem Kammerflimmern, verwechselt werden. Kammerflimmern entsteht durch eine Störung in der Erregungsweiterleitung innerhalb der Kammern, so dass unkoordinierte und ungeregelte Kontraktionen stattfinden, in einer Frequenz von 300 bis 800 Schlägen pro Minute. Die Pumpleistung des Herzens geht dabei gegen Null und es kommt zum Kreislaufstillstand.

Der Kammerersatzrhythmus ist neben dem Junktionalen Ersatzrhythmus die einzige Herzrhythmusstörung mit einer positiven, kurzfristig lebenserhaltenden, Funktion.

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Krankheiten & Beschwerden

Der Kammerersatzrhythmus steht gleichzeitig für eine schwerwiegende Herzrhythmusstörung und für eine unmittelbar lebensrettende Körperfunktion. Der Kammerersatzrhythmus ist immer im Zusammenhang mit Funktionsstörungen oder gänzlichen Ausfällen der vorgelagerten Erregungszentren des Herzrhythmus zu sehen. Bei Vorliegen eines normalen Herzrhythmus, der vom Sinusknoten im rechten Vorhof am Eingang der oberen Hohlvene ausgeht und getaktet wird, kann es nicht zu einem ventrikulären Ersatzrhythmus kommen, da die elektrischen Impulse, die die Zellen zur Depolarisation anregen, zu kurzfristig kommen. Die Zellen des Myokards haben dann nicht genügend Zeit zur Selbstdepolarisation.

Auch im Falle eines Ausfalls des Sinusknoten, springt normalerweise der nachgeordnete AV-Knoten (Atrioventrikularknoten) mit seinem Ersatzrhythmus ein. Mit einer Frequenz von 40 bis 60 Schlägen pro Minute ist auch dieser Rhythmus noch zu schnell für eine eventuelle Aktivierung des Kammerersatzrhythmus. Erst, wenn auch der AV-Knoten keine elektrischen Impulse erzeugt oder diese nicht ordnungsgemäß über die Tawara-Schenkel und die Purkinje-Fasern an die Herzmuskelzellen weitergeleitet werden können, tritt automatisch die Selbstdepolarisation der Muskelzellen des Myokards mit einer Frequenz von 20 bis 40 Schlägen pro Minute ein.

Weil die Pumpleistung des Herzens unter dem Kammerersatzrhythmus stark eingeschränkt ist, treten alle Symptome einer Kreislaufschwäche bis hin zu Bewusstseinsstörungen und sogar Bewusstseinsverlust auf. Schwindel, Atemnot, Übelkeit, Schweißausbrüche und Todesangst sind charakteristische Symptome. Auch Gefühllosigkeit an Armen und Beinen sowie Brustschmerzen, vergleichbar mit Angina pectoris, die Folge der mangelnden Blutversorgung sind, werden häufig beobachtet.

Der Puls ist verlangsamt und gelegentlich unregelmäßig. Im EKG (Elektrokardiogramm) zeigen sich meist ein verbreiterter Kammerkomplex und ungeordnete Vorhof- und Kammererregungen. Der verbreiterte Kammerkomplex zeigt sich darin, dass die negative Q-Zacke und die darauf folgende starke positive R-Zacke weiter als üblich auseinandergezogen sind.

Bei festgestelltem Kammerersatzrhythmus muss die Blutversorgung schnellstens verbessert werden. Häufig wird der vorübergehende Einsatz eines transkutanen Herzschrittmachers notwendig. Es handelt sich dabei um externe Schrittmacher, die ihren Impuls durch die Haut abgeben und deshalb deutlich mehr Strom verbrauchen als implantierte Schrittmacher mit direkterem Kontakt zum Herzen.

Quellen

  • Erdmann, E.: Klinische Kardiologie. Springer, Heidelberg 2011
  • Kindermann, W., et al.: Sportkardiologie. Steinkopff, Darmstadt 2007
  • Mletzko, R., Moecke, H.: Pschyrembel Kardiologie. De Gruyter, Berlin 2012

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