Nijmegen-Breakage-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 12. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Als Nijmegen-Breakage-Syndrom wird eine seltene Krankheit bezeichnet, die bereits angeboren ist. Dabei liegt eine Störung des DNA-Reparaturmechanismus vor.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Nijmegen-Breakage-Syndrom?

Die Beschwerden, die im Rahmen des Nijmegen-Breakage-Syndroms auftreten, sind überaus vielfältig. Grund dafür ist, dass sich die Erbkrankheit auf sämtliche Zellen des menschlichen Körpers auswirkt.
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Beim Nijmegen-Breakage-Syndrom (NBS) handelt es sich um eine überaus selten vorkommende autosomal-rezessive Erkrankung. Sie zählt zur Gruppe der chromosomalen Instabilitätssyndrome und macht sich durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Beschwerden bemerkbar.

Das Nijmegen-Breakage-Syndrom ist gekennzeichnet durch eine Störung des DNA-Reparaturmechanismus, die sämtliche Organe und Zellen betrifft. Dabei besteht eine ausgeprägte Chromosomenbrüchigkeit. Die Störung hat wiederum Symptome wie Entwicklungs- und Wachstumsverzögerungen, geistige Entwicklungsstörungen, einen zu kleinen Kopf sowie Immundefekte zur Folge.

Darüber hinaus besteht bei den betroffenen Kindern eine verstärkte Anfälligkeit auf schwere Erkrankungen wie Lymphome, bösartige Tumore und Leukämie. Die erste Beschreibung des Nijmegen-Breakage-Syndroms fand im Jahr 1981 in der niederländischen Stadt Nijmegen (Nimwegen) statt, auf die die Benennung der Krankheit zurückzuführen ist.

Die genaue Häufigkeit des Nijmegen-Breakage-Syndroms ließ sich nicht ermitteln. In der Literatur erfolgte die Beschreibung von 150 Betroffenen. Deutlich mehr Krankheitsfälle sind jedoch in den Patientenregistern verzeichnet. Es wird vermutet, dass die Erbkrankheit auf der ganzen Welt vorkommt. Besonders häufig zeigt sie sich in Mittel- und Osteuropa unter der slawischen Bevölkerung.

Ursachen

Das Nijmegen-Breakage-Syndrom gehört zu den Erbkrankheiten. Es wird autosomal-rezessiv von einer Generation an die andere weitergegeben. Als genetische Ursache gilt eine Mutation des Nibrin-Gens (NBS-1) auf Chromosom 8, genauer gesagt im Abschnitt q21-24. Bei Menschen, bei denen sich lediglich ein Gen verändert, kommt es in der Regel nicht zu Erkrankungen. Das Nijmegen-Breakage-Syndrom zeigt sich dagegen, wenn die betroffenen Personen über zwei mutierte Nibrin-Gene verfügen.

Vom Nibrin-Gen wird ein Protein mit der Bezeichnung Nibrin kodiert. Das Eiweiß zählt zu dem Proteinkomplex, der Anteil an Reparaturen von DNA-Doppelstrangbrüchen hat. Ist das Polypeptid nicht vorhanden, falsch zusammengesetzt oder beschädigt, führt dies zum Stoppen des kompletten genetischen Reparaturmechanismus.

Mit dem Teilnehmen an der ATM-Signalkaskade erfüllt das Nibrin eine weitere Aufgabe. Dabei findet die Zufuhr von beeinträchtigten Zellen der Apoptose statt. Im Falle eines Nijmegen-Breakage-Syndroms kann auch dieser Ablauf nicht mehr durchgeführt werden.

Symptome, Beschwerden & Anzeichen

Die Beschwerden, die im Rahmen des Nijmegen-Breakage-Syndroms auftreten, sind überaus vielfältig. Grund dafür ist, dass sich die Erbkrankheit auf sämtliche Zellen des menschlichen Körpers auswirkt. Als wichtigstes Symptom gilt die Mikrozephalie. Dabei hat der Kopf der Betroffenen eine zu geringe Größe. Die Mikrozephalie ist bereits bei der Geburt vorhanden und verstärkt sich mit zunehmendem Alter noch.

Darüber hinaus verfügt der Patient über ein fliehendes Kinn sowie eine fliehende Stirn. Die anderen Gesichtsmerkmale können individuell unterschiedlich ausfallen. So gibt es kurze, aber auch lange und schnabelförmige Nasen sowie Lidspalten, die schräg in die obere Richtung verlaufen. Manche Erkrankte leiden zudem an Choanalatresie oder einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.

Nicht selten kommt es zu leichten Wachstumsverzögerungen sowie zu einer frühzeitigen Ovarialinsuffizienz. Bei rund 50 Prozent aller Patienten liegt eine Klinodaktylie an den kleinen Fingern sowie eine Syndaktylie an zweiter und dritter Fußzehe vor. Außerdem verzögert sich bei Kindern die Sprachentwicklung. Bei zwischen 50 und 70 Prozent aller betroffenen Personen bestehen außerdem Vitiligo-Flecken.

Das Haar von Kindern, die unter dem Nijmegen-Breakage-Syndrom leiden, fällt meist spärlich und dünn aus. Mit ansteigendem Lebensalter bessert sich dieser Befund jedoch. Des Weiteren sind nicht selten bereits angeborene Fehlbildungen der Nieren zu verzeichnen. Als zusätzliche mögliche Symptome kommen ein geistiger Entwicklungsrückstand, Fehlbildungen am Gehirn wie eine Balkenhypoplasie und verschiedene Erkrankungen des Immunsystems in Betracht.

Darüber hinaus ist das Nijmegen-Breakage-Syndrom mit dem Auftreten von bösartigen Krebserkrankungen verbunden, die bereits bei Kindern und Jugendlichen auftreten.

Diagnose & Krankheitsverlauf

Diagnostiziert wird das Nijmegen-Breakage-Syndrom anhand der klinischen Symptome, der kombinierten Immunschwäche, einer verstärkten Zellensensivität gegen ionisierende Strahlung sowie durch die Chromosomen-Instabilität. Darüber hinaus fehlt das normal lange Nibrin komplett.

Eine frühe Diagnose gilt bei NBS als überaus wichtig, um den Patienten nicht durch unnötige Strahlungen oder rezidivierende Infektionen zu belasten. Eine Rolle bei der Diagnostik spielt zudem das Analysieren der familiären Krankengeschichte. Dabei achtet der Arzt auf eventuelle bösartige Tumore, frühe Todesfälle von Geschwistern sowie Mikrozephalien. Gesichert wird die NBS-Diagnose letztlich mit einer DNA-Analyse.

Von Wichtigkeit sind zudem Differentialdiagnosen bei einem Bloom-Syndrom, einem NHEJ1-Syndrom, dem Seckel-Syndrom, der Fanconi-Anämie sowie Krankheiten, die dem Nijmegen-Breakage-Syndrom ähneln. Der Verlauf des NBS endet meist schlecht. So können nur wenige Patienten das Erwachsenenalter erreichen. Meist kommt es spätestens während der Pubertät zu einer verstärkten Chromosomenbrüchigkeit, die wiederum Krebserkrankungen wie Lymphome nach sich zieht.

Entsprechende Behandlungen lassen sich nur sehr schwer durchführen, weil bei den Patienten eine Bestrahlung aufgrund der Brüchigkeit nicht möglich ist. Als problematisch gilt deswegen auch die Anwendung von Zytostatika. Röntgenuntersuchungen sollten in der Regel unterbleiben, da die ionisierende Strahlung das Krebsrisiko der Patienten erhöht.

Komplikationen

Das Nijmegen-Breakage-Syndrom geht mit erheblichen Komplikationen einher. Es handelt sich um eine erblich bedingte Erkrankung, die von einer erhöhten Chromosomenbrüchigkeit gekennzeichnet ist. Eine Heilung des Nijmegen-Breakage-Syndroms ist deswegen nicht möglich. Der Eintritt von Komplikationen kann lediglich durch eine symptomatische Behandlung verzögert werden.

Gerade die Chromosomenbrüchigkeit führt zu bösartigen Krebserkrankungen wie Leukämie, Lymphome oder anderen malignen Tumoren. Aufgrund des gestörten Reparatursystems der DNA sind bei den Chromosomenbrüchen die üblichen Behandlungen des Krebses wie Bestrahlung oder der Einsatz von Zytostatika mit weiteren Gefahren verbunden. Der vorhandene Krebs kann zwar so behandelt werden. Chromosomenbrüche, die aufgrund der Bestrahlung oder der medikamentösen Therapie entstehen, können jedoch nur schlecht repariert werden.

Als Folge entwickeln sich neue maligne Tumoren. Bereits aus diesem Grund erreichen nur wenige Betroffene das Erwachsenenalter. Auch Röntgen- und CT-Untersuchungen sollten unterbleiben, weil sie aufgrund der Chromosomeninstabilität mit sehr großen Risiken verbunden sind. Ein weiteres schwerwiegendes Symptom des Nijmegen-Breakage-Syndroms ist auch die ausgeprägte Immunschwäche. Diese führt zu zahlreichen Infektionskrankheiten, die einer ständigen Behandlung bedürfen.

Aufgrund dieser Infektionen ist die Lebenserwartung der Patienten ebenfalls sehr eingeschränkt. Des Weiteren kann die geistige Entwicklung des Kindes durch die Fehlbildungen des Gehirns sehr stark gestört sein, sodass neben der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Krebs auch eine ständige psychologische und psychtherapeutische Behandlung notwendig ist.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Das Nijmegen-Breakage-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung, die unmittelbar nach der Geburt diagnostiziert wird. Aufgrund der verschiedenen Fehlbildungen und weiterer Komplikationen ist eine engmaschige ärztliche Behandlung in jedem Fall nötig. Eltern von betroffenen Kindern sollten den Kinderarzt informieren, wenn ungewöhnliche Symptome oder Beschwerden auftreten. Sollte sich der Gesundheitszustand des Kindes plötzlich verschlechtern, ist ebenfalls ärztlicher Rat gefragt.

Ernste Beschwerden wie zum Beispiel Tumoren oder Immundefekte müssen stationär in einem Krankenhaus oder einer Fachklinik für genetische Erkrankungen behandelt werden. Wenn in der Familie bereits Fälle der Erkrankung vorliegen, sollte bei einer Schwangerschaft ein Gentest durchgeführt werden.

Das Ergebnis gibt Aufschluss darüber, ob das Kind ebenfalls an dem Nijmegen-Breakage-Syndrom leidet und ermöglicht dadurch eine frühzeitige Behandlung. Die Erkrankung kann von einem Facharzt diagnostiziert werden. Die einzelnen Symptome werden von den jeweils zuständigen Ärzten untersucht und behandelt. So müssen Wachstumsstörungen unter anderem dem Orthopäden vorgestellt werden, während Lymphome und Leukämien von einem Dermatologen zu behandeln sind.

Behandlung & Therapie

Eine Therapie der Ursache des Nijmegen-Breakage-Syndroms ist nicht möglich. Aus diesem Grund beschränkt sich die Behandlung auf die Symptome. Dabei umfasst sie physiotherapeutische Anwendungen, das Bekämpfen von Infektionen sowie eine psychologische Betreuung. Bricht eine Krebserkrankung aus, werden die üblichen Behandlungsmaßnahmen der Krebstherapie so weit wie möglich durchgeführt. Wichtig sind zudem multidisziplinäre Behandlungen sowie langfristige Kontrolluntersuchungen.


Aussicht & Prognose

Das Nijmegen-Breakage-Syndrom hat eine ungünstige Prognose. Patienten erleben gesundheitliche Probleme der Organe sowie der Zellen. Zahlreiche Symptome in verschiedenen Bereichen treten auf, die für den Betroffenen wie auch die Angehörigen zu einer starken Belastung führen. Meistens ist eine selbständige Lebensführung undenkbar.

Die Erkrankung ist mit den derzeitigen rechtlichen und medizinischen Möglichkeiten nicht heilbar. Es liegt ein genetischer Defekt vor, der nicht reparabel ist. Medizinern wird aufgrund der Gesetzeslage nicht gestattet, die menschliche Genetik zu verändern. Der behandelnde Arzt konzentriert sich daher auf die individuell ausgeprägten Symptome und stellt einen entsprechenden Behandlungsplan auf, der im Verlauf des Lebens regelmäßig angepasst wird.

Ziel einer Therapie ist die Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität und die Linderung vorhandener Beschwerden. Eine Genesung ist bei diesem Syndrom bis zum heutigen Tage auszuschließen. Aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Beschwerden kann es zu starken emotionalen Überforderungssituation kommen. Oftmals ist daher eine psychologische Betreuung notwendig, damit keine Folgeerkrankungen entstehen, die einen negativen Einfluss auf die weiteren körperlichen Prozesse haben.

Da das Risiko für den Ausbruch einer Krebserkrankung bei dem Patienten erhöht ist, sind in regelmäßigen Abständen Kontrolluntersuchungen notwendig. Dennoch ist auch bei einem frühzeitigen Erkennen der bösartigen Gewebeveränderungen und intensiver medizinischer Betreuung häufig aufgrund des ungünstigen Krankheitsverlaufes ein vorzeitiges Ableben des Betroffenen die Folge.

Vorbeugung

Eine Vorbeugung gegen das Nijmegen-Breakage-Syndrom ist leider nicht möglich. So zählt es zu den bereits angeborenen Erkrankungen.

Nachsorge

In den meisten Fällen stehen Betroffenen beim Nijmegen-Breakage-Syndrom keine besonderen oder direkten Maßnahmen einer Nachsorge zur Verfügung. Da es sich dabei um eine angeborene Krankheit handelt, kann es auch nicht zu einer vollständigen Heilung kommen. Sollte beim Patienten ein Kinderwunsch bestehen, empfiehlt sich eine genetische Untersuchung und Beratung, damit das Nijmegen-Breakage-Syndrom nicht erneut bei den Nachkommen auftritt.

Die meisten Betroffenen sind dabei auf verschiedene operative Eingriffe angewiesen, die die Beschwerden und Fehlbildungen lindern können. Dabei sollte nach solchen Eingriffen immer Bettruhe eingehalten werden, wobei sich der Betroffene auch auf jeden Fall schonen sollte. Von Anstrengungen oder anderen körperlichen Betätigungen ist dabei abzusehen. In vielen Fällen ist auch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten notwendig.

Dabei ist immer die richtige Dosierung und auch die regelmäßige Einnahme zu beachten. Bei Unklarheiten oder Fragen sollte immer zuerst ein Arzt konsultiert werden. Die Betroffenen sind in ihrem Alltag nicht selten auf die Hilfe und die Pflege durch Angehörige und durch die eigene Familie angewiesen. Hierbei wirkt sich auch eine psychologische Unterstützung sehr positiv auf den weiteren Verlauf der Beschwerden aus. Eventuell ist aufgrund des Nijmegen-Breakage-Syndroms auch die Lebenserwartung des Betroffenen verringert.

Das können Sie selbst tun

Da es sich beim Nijmegen-Breakage-Syndrom um eine genetische Erkrankung handelt, existiert derzeit keine Möglichkeit für eine ursächliche Behandlung. Therapien können lediglich symptomatisch erfolgen. Dabei ist es wichtig, individuell auf den Krankheitsstand des jeweiligen Patienten einzugehen. Neben medizinische Therapien können weitere alternative Therapiemethoden angewendet werden, um die Lebensqualität der betroffenen Personen zu verbessern.

Eltern und Verwandte können erkrankten Kindern durch verschiedenartige Stimulationen helfen, durch die Krankheit eingeschränkte Funktionen zu trainieren. Durch kleine individuelle Erfolge kann das Selbstwertgefühl der Patienten gestärkt werden. Ärzte und Physiotherapeuten können außerdem Anleitung zu leichten Trainingsmethoden geben, welche die körperliche Leistungsfähigkeit der Personen erhalten sollen.

Neben angemessen fordernden, geistigen sowie körperlichen Übungen existieren zudem verschiedene Entspannungsmethoden, die durch Eltern betroffener Kinder erlernt und zu Hause angewendet werden können. Dazu gehören unter anderem unterschiedliche Meditationsarten. Auch beispielsweise Klangschalen,- oder Tanztherapie können helfen verschiedene Sinne der Kinder zu fordern und zu fördern. Wichtig dabei ist, diese Maßnahmen kontinuierlich anzuwenden. Nur so kann bestenfalls eine Leistungssteigerung in verschiedenen Lebensbereichen erreicht werden.

Neben der Zentrierung des Individuums kann es für betroffene Kinder sowie pflegende Angehörige äußerst wichtig sein, auch das soziale Umfeld in nicht-medizinische Maßnahmen mit einzubinden. Ein intaktes soziales Netzwerk hilft, mit den Belastungen besser umgehen zu können.

Quellen

  • Gortner, L., Meyer, S., Sitzmann, F.C.: Duale Reihe Pädiatrie. Thieme, Stuttgart 2012
  • Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011
  • Witkowski R., Prokop O., Ullrich E.: Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen. Springer, Berlin 2003

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