Proliferation
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 20. März 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Unter Proliferation versteht man in der Biologie Vermehrung und Wachstum von Zellen. Die Vermehrung der Zellen erfolgt dabei durch Zellteilungen und das Wachstum durch Heranwachsen auf ihre genetisch vorgesehene Größe und Form. Die Proliferation spielt bei Menschen vor allem während der Embryonal- und der Wachstumsphase eine große Rolle, danach hauptsächlich für die Nachlieferung abgestoßener Zellen in bestimmten Gewebearten und bei Reparaturprozessen.
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Was ist Proliferation?
Als Proliferation wird eine Gewebevermehrung bezeichnet, die aus mitotischen Zellteilungen und aus Zellwachstum besteht. Das Zellwachstum beinhaltet eine maximale Volumenzunahme der Zellen auf die Größe und Form, die in der DNA der Gene vorprogrammiert ist. Den Anreiz zur Teilung geben bestimmte Hormone, Neurotransmitter (Botenstoffe) und Wachstumsfaktoren.
Im adulten Stadium sind einige Gewebe- bzw. Zellarten beim Menschen nicht mehr proliferationsfähig, also nicht mehr teilungs- und damit nicht mehr vermehrungsfähig. Das trifft beispielsweise auf das Gros des Nervengewebes zu und auf die meisten Sinneszellen.
Allerdings spielen sich in vielen Gewebearten ständig Erneuerungsprozesse ab, die meist über proliferationsfähige Basis- oder sogar Stammzellen ermöglicht werden. Das durchschnittliche Alter der Zellen beim Menschen variiert je nach Gewebeart von wenigen Stunden bis zu lebenslänglich. Beispielsweise erneuert sich die Hornhaut alle 28 Tage. Die Darmschleimhaut schafft das wesentlich schneller, nämlich innerhalb weniger Tage. Während die Erythrozyten, die roten Blutkörperchen, die aus dem Knochenmark freigesetzt werden, sich alle 120 Tage erneuern, werden die meisten weißen Blutkörperchen nur wenige Tage alt.
Funktion & Aufgabe
Bei Gewebearten, deren Zellen sich nicht mehr vermehren können, die sich jedoch dennoch erneuern müssen, greift der Körper auf eine Art von Stammzellen zurück, die häufig bereits spezialisiert sind, also ihre Omnipotenz verloren haben und nur zu Zellen bestimmter Gewebearten heranwachsen können. Die eingeschränkte Vermehrungsmöglichkeit ist notwendig, um den unterschiedlich lange dauernden Zellerneuerungsprozess bei verschiedenen Gewebearten zu erhalten.
Wie notwendig die restliche Proliferationsfähigkeit ist, kommt anschaulich dadurch zum Ausdruck, dass etwa 50 Millionen Zellen pro Sekunde absterben und entweder vom Körperstoffwechsel recycelt, abgebaut und ausgeschieden oder, wie im Falle der Haut, einfach nach außen abgeschilfert werden. Die ständig absterbenden und vom Körperstoffwechsel abgebauten Zellen müssen durch die Proliferation ersetzt werden, um insgesamt nicht Zellsubstanz zu verlieren.
Eine besondere Rolle spielt die Proliferation bei Verletzungen. Gesteuert von Botenstoffen setzt während der Heilungsphase von Verletzungen unter Mitwirkung von Hormonen und Enzymen ein Proliferationsvorgang ein. Nicht-lädierte Bindegewebszellen (Fibrozyten), die sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Sehnen und Bändern befinden, wandern in das lädierte Gebiet ein und sind in der Lage, mit ihren Fortsätzen gegenseitig Kontakt aufzunehmen und über kontraktile Elemente in ihrem Cytoskelett zu kontrahieren, so dass sich die abgerissenen Enden von Bändern oder Sehnen wieder straffen können. Der Reparaturmechanismus zeigt, dass die Proliferationsfähigkeit bestimmter Zellen bei Bedarf wieder reaktiviert werden kann.
Seit Mitte der 1990er Jahre ist bekannt, dass auch bei Erwachsenen eine Neurogenese, also die Neubildung von Nervenzellen im Zentralnervensystem, bei bestimmten neuronalen Stammzellen möglich ist, was bis dahin nicht für möglich gehalten wurde. Aus neuronalen Stammzellen, die sich in einem begrenzten Bereich des Hippocampus befinden, entstehen Vorläuferzellen (Progenitorzellen), die ebenfalls für einen Zeitraum von wenigen Tagen Proliferationsfähigkeit aufweisen.
Krankheiten & Beschwerden
Scheinbar die Natur auf evolutionärem Wege erkannt, dass in einer unbeschränkten Proliferationsfähigkeit der Zellen die Gefahren größer wären als der potenzielle Nutzen. Die Hauptgefahr, die mit einer uneingeschränkten Proliferationsfähigkeit verbunden ist, besteht darin, dass der komplexe Prozess nicht mehr steuerbar ist. Das bedeutet, dass die Zellen nach Anschalten ihrer Proliferationsfähigkeit nicht mehr auf Botenstoffe, Enzyme und Hormone reagieren. Ein ungehemmtes Zellwachstum wäre die Folge.
Genau dies ist der Fall bei Tumoren, deren Gewebe ständigem Wachstum unterliegt, die Proliferationsfähigkeit also nicht mehr unterbunden werden kann. Der Hauptunterschied zwischen benignen (gutartigen) und malignen (bösartigen) Tumoren liegt darin, dass die malignen Tumore neben ihrer eigenen Vermehrungsfähigkeit sich auch selbst ernähren können, da sie über den Vorgang der Vaskularisation über ein eigenes Netzwerk von Gefäßen verfügen und zur Metastasierung fähig sind.
Neben der Möglichkeit der ungebremsten Proliferation, die zu Krebsbildungen mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung führen kann, gibt es auch das Problem eingeschränkter Proliferationsfähigkeit. Häufig werden die Funktionsstörungen durch Toxine und durch Drogen wie Alkohol und Nikotin ausgelöst. Beispielsweise führt chronischer Alkoholmissbrauch zu einer Störung der Proliferation und Ausdifferenzierung der T-Lymphozyten, die einen wichtigen Teil des Immunsystems bilden.
Quellen
- Buselmaier, W. et al.: Humangenetik für Biologen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2005
- Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
- Murken, J., Grimm, T., Holinski-Feder, E., Zerres, K. (Hrsg.): Taschenlehrbuch Humangenetik. Thieme, Stuttgart 2011